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9. Kapitel.
Am andern Ufer


In einsamer Mondnacht schwebt's über den Fluß,
Da singt es und klingt es, wie himmlischer Gruß,
Und ein Engel geleitet im Aufwärtsschweben
Eine Seele hinüber ins ewige Leben.

Auf den Dächern der Burg Penzlin lag der Vollmondschimmer der Juninacht. Rings standen die Büsche in Blüten, und die weißen Rosen, die an dem alten Gemäuer hinaufrankten, hatten die zarten Köpfchen träumend gesenkt. Rein und weiß blickten die Lilien mit ihren goldenen Staubfäden empor und ließen die duftenden Kelche vom Mondlicht küssen. Unten in den Wiesen lagen wie weiße, duftige Schleier die Nebel, und die Heimchen zirpten ihr geheimnisvolles Liedchen in den feuchten Gräsern. Wie ein Gebilde aus längst verklungener Sage ragte die alte Burg mit ihren tiefen Nischen und Erkern zauberhaft beleuchtet über die träumenden Lande hinaus, einem eisgrauen Wächter gleich, der wachen Auges auf einsamer Höhe die schlafende Herde behütet. Es war so still, daß man ein Mäuslein hätte hören können, nur der Ruf des Wächters unterbrach die Ruhe der Sommernacht.

Noch nicht voll elf Uhr war's, als eine schlanke Gestalt im Mönchskleide dem Hexenkeller zuwanderte. Der Mann hatte die Kapuze tief in das Gesicht gezogen und näherte sich, vorsichtig nach allen Seiten Umschau haltend, dem Fenster des alten Andreas, der noch Licht hatte. Er blickte durch die geschlossenen Scheiben in das einfache, reinliche Gemach. Der alte Kerkermeister saß am Tisch, sein Kopf lag auf den verschränkten Armen, und ab und zu hörte man ein unterdrücktes Schluchzen. Der Mönch klopfte leise an die Scheiben und der alte Mann fuhr empor, wankte nach dem Fenster und öffnete eine Scheibe. »Wer ist da?« fragte er leise.

»Ich, – Bruder Laurentius, laßt mich einen Augenblick ein.«

Der Alte wich einen Schritt zurück: – »Um Gottes willen – Ihr hier! Eure Feinde stellen Euch nach dem Leben! Eilt, daß Ihr fort kommt, oder Ihr seid dem heiligen Offizium verfallen!«

»Ich weiß es!« drängte der Mönch, »aber laßt mich schnell ein, es eilt, Andreas.«

Der Alte schloß ihm auf, und der Mönch schnitt ihm, als er hereingetreten, alles andere durch die Frage ab: »Wie steht's mit Frau Ilsabe? Weiter will ich nichts wissen, um mich habt keine Sorge! nur rasch, rasch, Alter!«

Der Greis konnte ihm nicht so schnell antworten, die Not der vergangenen Tage lastete zu schwer auf seinem Herzen, er war müde geworden an Leib und Seele, müde und zum Tode verzagt und traurig.

»Heilige Mutter Gottes – das war ein Tag,« flüsterte er schluchzend. Morgens stellten sie sie vor ein peinliches Verhör und wollten von ihr erpressen, wo sie das Buch her habe, und dann sollte sie schwören, daß Ritter Berendt und sein Gemahl Ketzerei getrieben hätten – die und Ketzerei,« er wies mit dem Finger nach der Stirn, – »gerad' so weit davon entfernt sind sie wie die arme, junge Herrin! Käme der Ritter nur heim, die Herrin hat alles aufgeboten um seine Rückkehr zu beschleunigen, aber ihre Boten haben, ihn nicht gefunden. Die Herzöge haben ihn entlassen und er wird in eignen Angelegenheiten im Lande thätig sein, Gott mag wissen, wo. Seit acht Tagen sind sie auf der Suche. Und wenn er kommt, wird's ihr von Nutzen sein? Ist er nicht gezwungen, das Urteil zu unterschreiben, wenn er das Buch sieht und ihr Bekenntnis hört? Gönnte man ihr nur Ruhe, bis er käme, aber Tag für Tag kommen die Inquisitoren, und der Prior ist der schlimmste von allen.«

»That man ihr ein Leid an?« fragte der Mönch, mit weit geöffneten Augen den Sprecher anblickend, und der Alte fuhr mit zitternden Lippen fort: »In die Folterkammer haben sie sie geschleppt – ich hab' nicht mit gebraucht, und dank' es unsrer lieben Frau – aber sie haben nichts bei ihr erreicht, ich hörte, daß der Prior sagte: »Wir müssen von dem Ritter ihre Verurteilung zum Flammentode erzwingen.«

Wie Wetterleuchten zuckte es über die schönen Züge des Mönchs, seine Brust arbeitete in heftigem Kampf mit einem heißen, seelischen Schmerz.

»Laßt mich zu ihr,« sagte er, die Hand auf die Thürklinke legend.

»Sie ist sehr schwach,« sagte zögernd der Alte, »es muß hart hergegangen sein, sie brachten sie in tiefer Ohnmacht heraus.«

»Es muß sein, Andreas,« sagte der Mönch leise. Er hatte keine Widerrede mehr, schweigend nahm er die Laterne und sein Schlüsselbund und ging, dem Klosterbruder leuchtend, voran.

»Wollt Ihr an der Thür Wache halten und mir das Licht lassen,« bat Laurentius, als er aufgeschlossen hatte. Der Alte nickte. »Sie schläft,« sagte er mit leisem Vorwurf im Blick.

Der Mönch schüttelte den Kopf und näherte sich leise dem ärmlichen Lager der Märtyrerin. Todesbleich lag sie da mit halbgeschlossenen Augenlidern, ein stilles, friedliches Lächeln um die Lippen, aber ab und zu zog ein glühendes Rot über das weiße Gesicht, und es zuckte unter heftigen Schmerzen – die zarten Hände trugen die Spuren der Folter. Einen Augenblick blieb er tief ergriffen vor dem Lager stehen, dann nannte er, als ihre Schmerzen sich etwas zu verringern schienen, leise ihren Namen. Sie öffnete die Augen, erschrocken blickten sie auf das geistliche Kleid, als er sich aber zu ihr niederbeugte, erkannte sie ihn, und ein Lächeln zog über das abgezehrte Gesicht.

»Bruder Laurentius« sagte sie, und ihre Augen leuchteten in überirdischem Glanz; »ich habe den Heiland nicht verleugnet –, er war bei mir die ganze Zeit –, sonst hätt' ich's nicht gekonnt!« Erschöpft lehnte sie das Haupt zurück.

Die Thränen traten ihm in die Augen. »Frau Ilsabe,« sagte er mit bewegter Stimme, »wir haben beide nicht viel Zeit mehr hier unten, ich vielleicht etwas länger als Ihr – es steht bei Gott! Habt Ihr noch Wünsche, die ich vermitteln, Aufträge, die ich ausrichten soll?« Sie nahm alle Kräfte zusammen und antwortete mit matter Stimme: »Ja, aber ich denke, sie sind kaum zu erfüllen. Ich sehne mich, vor meinem Ende das heilige Sakrament zu empfangen, aber die Inquisitoren verweigern es der Ketzerin.«

»Ich reich' es Euch,« beruhigte er sie sanft, »und in dieser Nacht, es wird so das Beste sein!« sagte er, in das verklärte Antlitz blickend, dem schon der Tod sein Siegel ausgeprägt hatte.

Sie faßte seine Hand und sah ihn fragend an: »Ist keine Gefahr für Euch dabei?«

»Nein,« sagte er fest. »Der Thorwart verrät mich nicht, und,« setzte er leise hinzu, »ich fürchte mich nicht vor denen, die den Leib töten!«

»Dann habe ich noch eine Bitte an Euch,« fuhr sie fort, »daß Ihr, so Ihr am Leben bleibt, meinem Kinde den Glauben seiner Mutter verkündet, spät oder früh, wie Ihr's vermögt, nur soll Ilsabe nicht das Gift einsaugen, daß sie durch ihr eigenes oder anderer Verdienst selig werden könne. Ich kann's nicht ertragen, daß mein Kind das Heil nicht empfängt, das ich empfangen. Es muß es wissen, daß es einen lebendigen Heiland hat, der es aus Liebe erlöst hat zum ewigen Leben – sonst ist das Leben kein Leben!«

»Ich verspreche es Euch,« antwortete er feierlich, »wenn Gott der Herr mir das Leben erhält, will ich Eurem Kinde sein Heil verkünden!«

»Habt Dank!« sagte sie innig, »und dann noch eines, es geht Euch direkt an. Flieht jetzt – ich flehe Euch an. Ihr thut darin kein Unrecht, sagt Ihr doch selber, Ihr suchtet nicht den Märtyrertod, Euer Leben stünde in des Herrn Hand! Seht, mir könnt Ihr nicht mehr nützen, noch schaden – so oder so bin ich, will's Gott, bald daheim, denn meine Kraft ist aufs äußerste erschöpft, und ich fühle, daß es nicht mehr lange mit mir währen wird! Aber warum wollt Ihr Euch in eine Gefahr, die vor Augen ist, begeben, ohne daß der Herr es gebietet? Wenn er Euch ruft, so bin ich's gewiß, Ihr leidet mutig um seines Namens willen – aber wartet, bis er dies Zeugnis von Euch fordert, denn noch fordert er's nicht.« Sie schwieg erschöpft.

»Ihr habt recht,« sagte Laurentius, »und ich will's Euch bekennen, ich wäre nicht wiedergekehrt, wäret Ihr nicht gewesen, aber ich dachte, wenn Ihr noch einen Wunsch hättet, so wäre ich der einzige, der hier hereinkäme, denn die Herrin Scholastika wird wenig für Euch thun können!«

»Sie war oft bei mir,« erwiderte sie, »trostlos, daß ihr Gemahl nicht heimkommt, und voller Liebe und Fürsorge, um mir die Gefangenschaft zu erleichtern. Ich selbst wünsche des Ritters Heimkehr nicht. Mein Leben steht in Gottes Hand, und ihm werden heiße Kämpfe erspart, so lange er ferne bleibt, und man nicht seinen Urteilsspruch fordert.«

Laurentius neigte traurig das Haupt und schwieg; nach einer Weile sagte er: »Ich habe mich in der letzten Zeit außerhalb der Stadt verborgen gehalten, denn sonst säß' ich schon längst hinter Schloß und Riegel. Oft waren mir die Häscher des Priors auf den Fersen, aber jetzt glaubt man mich in einer andern Gegend, und so konnte ich ruhig die Nacht benutzen, um Euch noch einmal zu sehen. Vor Tagesanbruch verlasse ich Penzlin wieder.«

Vom Turme schlug es Mitternacht. Er nahm die Laterne und sagte: »In einer Viertelstunde bin ich zurück, Gott behüte Euch bis dahin!«

Sie blickte ihn dankbar an, und er ging. Nach einigen Worten des Einverständnisses mit dem alten Kerkermeister wanderte er auf dem kürzesten Wege der Stadt zu. Das Thor war schon geschlossen, er ging nach einer ihm bekannten Stelle in der Mauer, die einem geschickten Kletterer erklimmbar war, und schwang sich hinüber. Alles war still, und der Mond blickte friedlich in die Gassen der schlafenden Stadt.

Ohne Unfall gelangte der Mönch in seine Wohnung, wo er das Nötigste zur Flucht in seiner Kutte verbarg. Dann eilte er mit dem heiligen Sakrament in den Kerker zurück. Der treue Wächter blieb vor der eisernen Thür und spähte nach allen Seiten, ob sich Gefahr nahe – aber es blieb still, kein Laut drang durch die Wipfel, nur hin und wieder bewegten sich die weißen Rosen am Thor im Nachtwind – als zögen Engel durch die Fluren, so still war's auf Erden.

Drinnen in der dunklen Gefängniszelle aber war's Helle geworden, ein Gotteskind, das seine Lampe schmückt, erwartete mit klopfendem Herzen die Ankunft seines Meisters und unter dem armen, sichtbaren Zeichen trat er, dem die Cherubim das dreimal Heilig singen, herein und kehrte mit seinem Frieden in der Seele ein, die ihn jauchzend empfing.

Es währte lange, bis Bruder Laurentius das Gefängnis verließ, der alte Andreas öffnete endlich leise die Thür; er war in Sorge, daß der Mönch Zeit und Stunde vergessen, und der Tag seine Flucht vereiteln würde.

Vorsichtig trat er ein, und blieb an der Thür stehen. Bruder Laurentius lag an dem Lager in stillem Gebet auf den Knieen, dann machte er das Zeichen des Kreuzes über der Stirn der Märtyrerin und erhob sich.

»Sie ist daheim!« sagte er leise zu dem alten Manne.

Da neigte sich das weiße, ehrwürdige Haupt zitternd über die gefalteten Hände. »Gott sei gelobt!« flüsterte er,. und die Thränen rannen ihm über die welken Finger.

»Ja, sie hat überwunden durch des Lammes Blut,« sagte der Mönch, wie zu sich selbst – noch einmal beugte er sich über die Leiche und versenkte sich in das Angesicht voll Frieden, bis die Thränen ihm den Blick verdunkelten. Dann zog er still das Linnen darüber und ging hinaus. Andreas folgte ihm und schloß die Thür hinter ihnen zu.

Der Mönch reichte ihm die Hand und sagte weich: »Habt Dank für Eure Treue, Andreas! Gott vergelt' Euch diese Nachtwache! Lebt wohl!«

Der Alte reichte ihm die schwielige Hand; sprechen konnte er nicht, aber er hielt die junge Hand in seiner alten und drückte sie, daß es schmerzte.

»Lebt wohl,« kam es endlich schluchzend von seinen Lippen – »Gott geleite Euch!«

»Lebt wohl, Andreas.«

Er sah der hohen Gestalt im priesterlichen Gewande nach, bis sie im Nebel verschwunden war.

Der Mönch aber zog still seine Straße. Er war einsamer geworden, – ein Herz, das wie er den Heiland gesucht, war gegangen, aber es war nur für die kurze Strecke des Erdenwegs. Seine Seele hatte sich bereichert, denn sie hatte ein Gotteskind heimgehen sehen, sie hatte die heilige Nähe des erhöhten Herrn gespürt, der das Herz, das an ihn geglaubet, nicht verläßt, sie hatte den Sieg dessen geschaut, der dem Tode die Macht genommen und die Sünde unter seine Füße getreten.

Er konnte nicht trauern um sie, die am andern Ufer hindurch gerettet am Herzen ihres Heilandes ausruhte, – ob er auch noch mitten in den Wellen stritt – er kannte den Weg ja so genau, den er gehen sollte, was schadete ihm die kurze Strecke durch Not und Ungemach? Der Segen des lebendigen Heilandes und seines Wortes war auf ihn gekommen, und im Geiste sah er das Häuflein Jünger zu einem Zeugenvolke anwachsen, das nicht mehr zu zählen ist. Er hatte es erfahren und geglaubt, daß der Herr bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende, er sah die Füße der Glaubensboten in Gottes Kraft mit dem güldenen Kleinod des Evangeliums hinausziehen, und in seiner Seele hallte der jauchzende Triumphgesang der Erlösten wieder: »Hallelujah! Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen!«

(Offenb. Joh. 19, 6.)

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