Rudolph Hermann Lotze
Medizinische Psychologie
Rudolph Hermann Lotze

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§. 32.Von den anatomischen und physiologischen Hilfsmitteln des Tastsinns.

339. Um durch den Tastsinn zu räumlichen Anschauungen der Objekte zu gelangen, müssen wir vorher die beständige Lage eines festen Hautpunktes, welchen ein äußerer Reiz berührt, in der Oberfläche des Körpers, und die momentane Stellung und Richtung eines beweglichen Gliedes zu schätzen wissen, durch welche die Berührung vermittelt wird. Weder das eine noch das andere Wissen wir unmittelbar. Es ist wohl nicht nötig, noch einmal darauf zurückzukommen, dass die relative Lage der gereizten Hautpunkte selbst ebenso wenig als eine ihr etwa entsprechende Anordnung ihrer zentralen Nervenenden unmittelbar für die Seele ein Grund sein kann, sie in einer räumlichen Lage überhaupt und speziell in dieser vorzustellen, die sie wirklich einnehmen. Würde in der Tat auch die Erregung jedes Hautpunktes auf der abgeschlossenen Bahn einer isolierten Faser zu einer bestimmten Eingangspforte des Bewußtseins geleitet, so würde doch die Seele nicht nach der Richtung ihres Ankommens, die sie ja nicht beurteilen kann, sondern nur nach irgend einem spezifischen qualitativen Eindrucke, den ihr diese Richtung macht, verschiedene Erregungen an verschiedene, benachbarte an benachbarte Orte des Raums verlegen können. Und zwar auch dies nur nachdem sie gelernt hat, dass die abgestuften Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Empfindungen Konsequenzen entsprechender räumlicher Verhältnisse sind. Man kann daher nicht sagen, dass ursprünglich ein neugeborenes Kind schon einen Druck im Gesicht wo anders empfinde, als einen Druck am Beine; beide mögen ihm qualitativ anders, aber nicht anderswo erscheinen; es hat erst zu lernen, dass diese Verschiedenheiten nicht wie etwa die der gehörten Vokale, nur von Modifikationen der Reize entspringen, sondern dass der eigene Körper ausgedehnt ist, und je nach der Örtlichkeit seiner Erregung anders affiziert wird. Hat das Kind einige Erfahrungen darüber bereits gemacht und wird ihm nun zweitens ein Reiz zugeführt, den es noch nicht erfahren, so wird es jetzt auch diesen Reiz anderswo fühlen, als die früheren, ohne jedoch seine Lage angeben zu können; denn jetzt hat sich ihm die Gewohnheit, jene Qualitäten der Eindrücke auf Unterschiede der Örtlichkeit zu deuten, bereits gebildet. Um endlich drittens diese Lage wirklich zu bestimmen, ist die Beobachtung des gereizten Punktes durch einen andern Sinn oder die Erinnerung an eine Erfahrung notwendig, in welcher jene Erregung mit der Vorstellung einer bestimmten Örtlichkeit schon assoziiert war. Es ist nicht anders mit dem Muskelgefühle. So wichtig und unentbehrlich seine Mitwirkung für die Leistungen des Tastsinnes ist, so wenig ist es doch im Stande für sich allein etwas zu leisten. Denn es vermag ebenfalls zunächst nichts weiter, als irgend eine einfache, gradueller Unterschiede fähige Empfindung zu gewähren, die auf ihre Veranlassung noch besonders zurückgedeutet werden muß. Denn woher wüßte sonst die mit keinem andern Sinne begabte Seele, dass dieses Gefühl eine Bewegung von Gliedmaßen anzeige, die sie nie vorher wahrgenommen hat? Klar also, dass nicht nur die Bedeutung des Muskelgefühls im Allgemeinen, sondern auch die spezifische jedes einzelnen nur durch Beobachtungen festgestellt wird, durch welche andere Sinne die Veranlassungen desselben, die geschehenden Bewegungen, wahrnehmen. Beide Aufgaben werden am einfachsten durch den Gesichtssinn ausgeführt, indem mit den Berührungsreizen einer Hautstelle, oder mit dem Muskelgefühle eines Gliedes sich das Gesichtsbild von der unveränderlichen relativen Lage der ersten und von der veränderlichen momentanen Stellung des andern assoziiert.

340. Doch liegen hier noch einige Schwierigkeiten, die wir früher bereits andeuteten. Damit an eine Hautempfindung a oder an ein bestimmtes Muskelgefühl a sich ausschließlich das Gesichtsbild a der wirklich gereizten Hautstelle oder der wirklich vollzogenen Bewegung knüpfe, ist es nötig, dass jenes erste Element der Assoziation ein unvertauschbares sei. Die Erregung der Hautstelle a darf der Erregung keiner andern b gleichen, das Muskelgefühl der Bewegung a muß durchaus verschieden sein von dem, welches die Bewegung b erzeugt. Was nun das Muskelgefühl betrifft, so haben wir früher bereits gezeigt, dass in der anatomischen Verschiedenheit der Muskeln vielleicht Grund genug liegt, um den Bewegungen verschiedener auch Gefühle folgen zu lassen, die trotz aller allgemeinen Ähnlichkeit dennoch hinlänglich merkbare Unterschiede gewähren. Und fände sich selbst diese Verschiedenheit nicht unmittelbar, so würde sie sich dadurch erzeugen, dass jede Gliederbewegung die Haut in eigentümlicher Weise verschiebt und dadurch eine Summe von Mitempfindungen in ihr veranlaßt, die für jede Richtung und Weite der Bewegung sich anders gestaltet, als für jede andere. Was dagegen die Hautempfindungen angeht, so ist es keine Frage, dass für unser ausgebildetes Bewußtsein ein Nadelstich am Fuße anders erscheint, als an der Hand, oder auf dem Rücken. Aber es ist zweifelhaft, wieviel von diesem Unterschiede auf einer wirklich empfundenen qualitativen Differenz des Eindrucks beruht, und wie viel nicht im Gegenteil eben von der Vorstellung der verschiedenen Örtlichkeit abhängt, an welche wir die Erregung zu verlegen schon gewohnt sind. Einige qualitative Verschiedenheit des Eindrucks, abhängig von seiner Örtlichkeit, vermögen wir auch jetzt noch zu bemerken. Nach dem Nervenreichtum der Haut, nach ihrer Dicke und Spannung wird derselbe Reiz hier energischer, dort schwächer empfunden, breitet sich hier durch Irradiation entweder seiner physischen Wirkung auf die Gewebe oder der erzeugten Nervenerregung weiter, dort minder weit aus, und wie er selbst schon schärfer oder stumpfer war, assoziiert er sich bald einen großen Kreis verwaschener, bald einen kleinen gut begrenzter Mitempfindungen. So wie wir durch Verteilung von Licht und Schatten, Schwarz und Weiß im Stande sind, die feinsten Eigentümlichkeiten eines Gegenstandes zeichnend nachzubilden, so könnten diese Systeme von Irradiationen durch die verschiedenen Kombinationen an sich nur graduell verschiedener Empfindungselemente allerdings für jede Hautstelle ein ihr ausschließlich zukommendes Erregungscolorit zusammensetzen. Und endlich mögen die unwillkürlichen Bewegungen, welche der Reiz einer Hautstelle in den Muskeln zu veranlassen strebt, mit deren Nerven die ihrigen zu Reflexwirkungen verbunden sind, jenen Kreis von Lokalzeichen verstärken, und wir werden des Ortes eines Hautreizes eher inne, wenn wir ein Glied bewegen, als wenn wir es in Ruhe lassen. Diese Hilfsmittel zusammengenommen erklären hinlänglich, warum derselbe Reiz an verschiedenen Körperstellen verschieden empfunden wird; nur die Differenz der Empfindung in vollkommen gleichliegenden Punkten beider Körperhälften könnte noch schwierig erscheinen. Um überhaupt Rechts und Links zu unterscheiden, ist es nötig, dass auf die Seele die Erregungen beider Seiten verschiedene Eindrücke machen. Wir können bis jetzt kein anderes Mittel nachweisen, welches die Natur hierzu benutzte, als jene kleinen Asymmetrien des Baues, die wir bei allen höheren Tieren beobachten, und die zunächst den regelmäßigen Entwurf des Leibes nur zu stören scheinen. Dass die Mehrzahl der Menschen mit der rechten Hand arbeitet, ist gewiß keine Sache der Tradition, sondern in einer vorwiegenden Ausbildung dieser Körperseite begründet; man könnte sich denken, dass um ihretwillen zuerst ihren Bewegungen, mittelbar aber auch ihren Empfindungen ein eigentümliches Nebengefühl erwachse, welches sie als Lokalzeichen von den entsprechenden der linken Körperhälfte unterscheidet. Von vollkommen symmetrisch gebauten Tieren würden wir behaupten müssen, dass sie in ihrer Anschauung den Unterschied zwischen Rechts und Links oder überhaupt zwischen den verschiedenen kongruenten Sektoren ihres Leibes nicht auszubilden vermöchten. Praktisch würden sie sich jedoch in der Welt nicht schlimmer zurechtfinden, da die Erregung jedes dieser Teile durch äußere Reize nur in ihm selbst, nicht aber in seinen für die Vorstellung ununterscheidbaren Nachbarn Reflexbewegungen und alle sonst nötigen Rückwirkungen hervorrufen würde.

341. Unter solchen Voraussetzungen würde nun die sukzessive Einreihung gereizter Hautpunkte in die Gesichtsvorstellung von unserm Körper so leicht erfolgen, dass wir nicht nötig haben, sie weitläuftiger zu beschreiben. Aber die Beobachtung der Blinden lehrt, dass auch mit Ausschluß aller Gesichtswahrnehmung sich durch Tastsinn und Muskelgefühl allein räumliche Vorstellungen gewinnen lassen. Um die Möglichkeit hiervon einzusehen, müssen wir zuerst der anatomischen und physiologischen Eigentümlichkeiten der Tastorgane gedenken. Neuere Untersuchungen von R. Wagner haben hierüber einige unerwartete Aufklärungen gegeben. Die Primitivfasern der sensiblen Hautnerven verlaufen bogenförmig im Unterhautzellgewebe, teilen sich hier und senden ihre Endäste senkrecht in die Höhe zu den in gesonderten Häufchen stehenden Reihen der Tastwärzchen. Sie gleichen der kriechenden Wurzel einer Pflanze, welche senkrecht nach oben Schößlinge treibt, die in Distanzen das Erdreich durchbohren. Diese senkrechten Nervenästchen teilen sich wieder; nachdem sie sich allmählich um 2/3 des ursprünglichen Durchmessers einer Primitivfaser verfeinert haben, schickt jeder solche Endzweig 1, 2, auch 3 aus einer gemeinsamen Teilungsstelle kommende Ästchen an eines der Nervenwärzchen, die in mannigfachen Zahlenverhältnissen mit nervenlosen Gefäßpapillen gemengt in der Haut vorkommen. Jede Nervenpapille enthält als deutlich abgegrenzten Kern ein kleines kürbisähnliches oder tannenzapfenförmiges Körperchen, an dessen gegen das Unterhautzellgewebe gerichtetem Ende, oft aber auch an der Seite sich jene Nervenfädchen ansetzen. Diese Tastkörperchen füllen den größten Teil der Achse eines kegelförmigen Gefühlswärzchens von der Basis bis zur Spitze. Sie sind die einzigen Teile, an welche die Nerven übergehen, und zwar scheinen diese in vielen blassen Ästchen, ja büschelförmig sich zwischen den Elementen derselben zu verlieren. Wie weit diese Tastkörperchen, deren hier gegebene Beschreibung sich auf die Volarfläche der letzten Fingerglieder bezieht, auch in der übrigen Haut vorkommen, ist noch unbekannt, doch ist es wahrscheinlich, dass sie entsprechend den Empfindlichkeitsgraden der verschiedenen Hautstellen, bald mehr bald minder zahlreich und gemischt mit nervenlosen Gefäßpapillen verbreitet sind. (Nachricht, v. d. G. A. Univ. 1852. No. 2.)

312. Gewiß ist diese schöne Entdeckung insofern äußerst wichtig, als sie uns die eigentümliches Apparate kennen lehrt, durch welche auch hier, wie in den übrigen Sinnen, der äußere Reiz seinen Zugang zu dem Nerven nehmen muß, um ihn zur Erzeugung seiner spezifischen Empfindungen zu befähigen. Den Folgerungen jedoch, welche Wagner aus dem anatomischen Befunde in Übereinstimmung mit E. H. Webers vorzüglichen Untersuchungen über die Feinheit des Tastsinnes zieht, um die Lokalisierung der Tasteindrücke zu erklären, kann ich nicht beistimmen. "Jede Primitivfaser, sagt Wagner (a. a. O. S. 29), teilt sich in viele Endäste, deren gegen die Peripherie, die Hautoberfläche, gelagerte reizbare Endpunkte eben durch die Spitzen der Tastwärzchen repräsentiert werden. Sämtliche Endpunkte einer Faser sind aber in dem einfachen Stamme der Fibrille repräsentiert; so viele ihrer sein mögen, und ob sie alle oder nur einer gereizt werden: immer wird der Eindruck nur ein einfacher und nur nach dem Grade der Intensität verschieden sein können, welcher letztere eine Funktion der Stärke des Reizes und der Zahl der durch den Reiz affizierten Tastkörperchen sein kann." Dieser Ansicht Wagners zögere ich, beizutreten; sie beruht auf dem noch unerwiesenen Satze, dass die Erregungen verschiedener Endpunkte sich zu einer Resultante mischen müßten, sobald sie durch denselben Leitungskanal dem Gehirn zugeführt werden. Dies kann wahrscheinlich sein für viele gleiche Reize, welche die sämtlichen Tastwärzchen einer Primitivfaserprovinz treffen, obwohl es auch hier nicht so einfach und allgemein gelten dürfte; aber es ist nicht wahrscheinlich, wenn diese Eindrücke verschieden sind. Wärez. B. die Reizung des Wärzchens a der Erregung durch Rot, oder durch den Ton α analog, die Reizung des Wärzchens b aber ähnlich der Erregung durch Blau oder durch den Ton ß, so ist es wohl möglich, dass beide, obgleich durch dieselbe Primitivfaser geleitet, doch verschiedene Eindrücke hervorbringen, und gewiß kann die Voraussetzung, dass dies nicht stattfinden könne, bei unserer gegenwärtigen Unkenntnis der Nervenprozesse nicht für die ausschließlich haltbare gelten.

343. Man würde deshalb vorläufig die Entscheidung hierüber aus einer Vergleichung der Erfahrungstatsachen zu entlehnen haben, und hier ist es wohl die Rücksicht auf Webers schöne Untersuchungen, welche die Wagschale zu Gunsten der von uns bezweifelten Hypothese sinken machte. Weber fand, dass der Ortsinn in der Haut nicht überall gleich, sondern im Gegenteil sehr ansehnlich verschieden ist. Während in den Teilen der Oberhaut, die zu feinen Tastempfindungen bestimmt sind, zwei aufgesetzte Zirkelspitzen auch dann noch als zwei empfunden werden, wenn ihre Distanz nur ½ bis l Par. Linie beträgt, mußte er an der Mitte des Rückens oder des Oberarmes und Oberschenkels den Spitzen eine Entfernung von 30 Lin. geben, um sie noch als zwei zu unterscheiden. Standen beide Spitzen des Zirkels an der Nasenspitze weniger als 3, an der Rückenseite des zweiten Fingergliedes weniger als 5, am untern Teil der Stirn weniger als 10 Linien von einander ab, so gewährten sie den Eindruck eines einzigen Reizes. (Wagner HWBch. III. 2. S. 524. ff.) Diese merkwürdigen und von vielen andern Forschern durchaus bestätigten Versuche glaubte Weber dadurch erklären zu müssen, dass alle Hautstellen, in deren Bereich beide Spitzen nur als eine erscheinen, einer und derselben Primitivfaser unterworfen seien, die innerhalb dieses ganzen Gebietes die verschiedenen Eindrücke nur an verschiedenen Stellen ihres Verlaufes aufnehme. Eine und dieselbe Primitivfaser aber, wenn sie von zwei sonst gleichen Eindrücken an verschiedenen Orten getroffen werde, erwecke nicht zwei, sondern nur eine Empfindung. Die Haut zerfalle daher in einzelne Empfindungskreise, d. h. in kleine Abteilungen, von welchen jede ihre Empfindlichkeit einem einzigen elementaren Nervenfaden verdanke. Die Gestalt dieser Kreise lasse sich bis jetzt nicht näher bestimmen, doch könne man vermuten, dass sie an den Armen und Beinen eine längliche Gestalt haben und mit ihrem Längendurchmesser in der Längsrichtung dieser Glieder liegen; denn um beide Spitzen des Zirkels als zwei erscheinen zu lassen, müsse man in der Längsrichtung sie weiter von einander entfernen, als wenn sie quer auf dieselbe das Glied berühren. An vielen andern Teilen des Körpers zeige sich kein solcher Unterschied, und dies führe zu der Vermutung, dass daselbst die Empfindungskreise eine der runden Form sich annähernde Gestalt besitzen.

344. Gegen diese ingeniös gedachte Deutung der Tatsachen erheben sich jedoch Bedenken, denen ich nicht zu begegnen weiß. Denken wir uns zuerst einen dieser Empfindungskreise, z. B. am Oberarm, wo er ja eine Ausdehnung von mehr als einem Zolle haben kann, aus den Raumpunkten a, b, c, d u.s.w. zusammengesetzt, so würde es eine Konsequenz der Ansicht von Weber sein, dass nicht nur die gleichzeitige Berührung der Punkte a und d als eine Empfindung wahrgenommen würde, sondern die Empfindung würde auch dieselbe bleiben müssen, ob wir nun mit einer einzigen Zirkelspitze d oder a berühren. Wenn wir daher die Zirkelspitze nach mannigfachen Richtungen auf der Haut herumführen, ohne doch die Grenzen dieses Empfindungskreises zu verlassen, so könnten wir dadurch keine Wahrnehmung einer Bewegung erhalten, sondern Alles würde sich verhalten, als würde beständig derselbe Punkt erregt. Dem ist aber nicht so; setze ich auf dem Arme die Spitzen so, dass sie nur eine Empfindung gewähren, wenn sie beide zugleich die Haut berühren, und lüfte bald die eine, bald die andere, so erlang ich deutlich verschiedene Empfindungen nach dem Orte, den die noch feststehende Spitze berührt. Überhaupt erhält man oft, auch wenn die Spitzen gleichzeitig aufgesetzt werden, deutlich zwei Empfindungen, die erst später zu einer einzigen verschmelzen. Die sukzessive Erregung verschiedener Punkte eines Empfindungskreises gewährt ebenfalls verschiedene Empfindungen, und die leise Berührung durch eine bewegte Fingerspitze, auch wo sie ohne alle Hautverschiebung erfolgt, erweckt deutlich den Eindruck einer Bewegung des Reizes, obgleich man über die Richtung derselben sich nicht selten täuscht. Entweder müssen daher alle diese Punkte von verschiedenen Primitivfasern beherrscht werden, oder eine von diesen vermag die Wahrnehmung mehrerer Örtlichkeiten zu vermitteln. Zweitens wird die Berührung jeder Hautstelle gefühlt; wo auch ein Reiz auftreffen mag, er weiß immer die Nerven zu erregen. Ich erwähne dies nicht, weil ich etwa besondere abenteuerliche Nervenatmosphären oder ein breiartiges Zerfließen der Nervenenden in das ganze Hautgewebe für nötig hielte, damit jeder Reiz ein Stück nervöser Substanz anträfe; er pflanzt ohne Zweifel seine nächsten physischen Wirkungen durch irgend eine Erschütterung der Gewebteilchen stark genug fort, um ein Nervenende noch zu erreichen, auch wenn es etwas entfernt von seiner Eintrittsstelle liegt. Was ich hervorheben wollte, ist dies, dass es wegen dieser allgegenwärtigen Hautempfindlichkeit keine unsensiblen Zonen gibt, welche die einzelnen Empfindungskreise von einander trennen. Diese müssen also an gewissen Grenzlinien unmittelbar zusammenstoßen. Nun sei uns die Formel (a + b + c) (d + c + f) ein Bild dieser Lagerung. Der Empfindungskreis (a + b + c) stoße mit seinem Punkte c unmittelbar an den andern (d + e + f). Nach Weber würden wir annehmen müssen, die gleichzeitige Berührung der um einen Zoll vielleicht von einander entfernten Punkte a und c, weil sie zu demselben Kreise gehören, erwecke nur eine Empfindung; die gleichzeitige Berührung zweier unmittelbar nebeneinander gelegenen Punkte c und d dagegen, weil sie zu verschiedenen Kreisen gehören, erwecke deren zwei. Dasselbe würde sich ringförmig um die ganze Peripherie eines Kreises wiederholen und das ganze Gebiet einer Primitivfaser, innerhalb dessen weit entlegene Punkte nicht unterscheidbar sind, wäre umzogen von einer ganz schmalen Linie der schärfsten Unterscheidungsfähigkeit; denn auch wenn c und d nur um ½ Linie abständen, müßten sie doch wie in den Lippen, zwei Empfindungen vermitteln. Vergleicht man die Tabelle, welche Weber selbst über die Schärfegrade der Unterscheidung an verschiedenen Körperstellen gibt (a. a. O. S. 539), so bemerkt man in ihr gar keine Hindeutung auf eine solche marmorierte Lage von Empfindungskreisen und ihren Grenzlinien; auch kann ich durch Wiederholung der Versuche nichts von den letztern entdecken. Da die sensiblen Nerven der rechten und linken Körperhälfte die Mittellinie des Körpers nicht überschreiten, so würde man besonders auf dem Brustbeine und in der Mitte des Bauches eine solche herablaufende Grenzlinie erwarten müssen, in welcher auch bei kleinster Zirkelöffnung die eine Spitze das linke, die andere das rechte Nervengebiet berührte, und deshalb zwei Empfindungen entständen. Diese Linie findet sich nicht. Drittens würde es eine Konsequenz der Ansicht von Weber sein, dass auch dann, wenn alle Punkte eines Empfindungskreises zugleich gereizt würden, uns doch eine nicht größere Hautstelle gereizt zu werden schiene, als wenn nur ein Punkt berührt würde. Auch dies ist nicht der Fall; ich war im Stande, einen Ring von einem gleich großen Petschaft, also einen Kreis von einer Kreisfläche zu unterscheiden, wenn beide mit mäßiger Kraft, um ihre Gewichtsdifferenzen wirkungslos zu machen und sie zu vollständiger Berührung mit der Haut zu bringen, innerhalb der Grenzen eines Empfindungskreises angedrückt wurden. Man kann nicht einwenden, dass die Berührung einer größeren Fläche einen graduell stärkeren Eindruck mache, als die eines Punktes, und dass sie nur deshalb von uns auf eine größere Ausdehnung des gereizten Ortes bezogen werde. Denn wir unterscheiden noch überdies eine fein umschriebene stärkere Berührung von einer ausgedehnteren schwächeren. Endlich weiß ich selbst der sonderbaren Folgerung nicht zu begegnen, welche Kölliker (mikroskop. Anat. II. S. 44) aus Webers Annahmen zieht. Es seien a, b, c, d, e aufeinanderfolgende Punkte des Oberarms. Zwei Spitzen in a und b werden als eine empfunden, a und b mithin von derselben Primitivfaser versorgt; aber b und c gleichzeitig erregt, geben auch nur eine Empfindung; die Nervenfaser für c ist also dieselbe wie für b, folglich auch wie für a; zwei Spitzen in c und d, in d und e geben wieder nur eine Empfindung, also reichte dieselbe Faser auch bis e, und sofort über die ganze Körperoberfläche. Gleichwohl ist es nach Webers vollkommen bestätigten Versuchen Tatsache, dass wenn a und b, und dann b und c zusammengereizt nur eine Empfindung geben, doch die gleichzeitige Berührung von a und c deren zwei geben kann.

345. Die festen Empfindungskreise existieren daher nicht; aber in der Tat scheinen sich auch ohne sie die Erfahrungen befriedigend nach dem Satze deuten zu lassen, dass zwei Empfindungen um so deutlicher geschieden werden, je differenter, um so undeutlicher, je identischer ihr qualitativer Inhalt samt den Lokalgefühlen ist, die sich an ihn knüpfen. Gleichgültig würde es dabei zunächst sein, ob das Verschiedene durch eine, das Gleichartige durch verschiedene Primitivfasern geleitet wurde; wichtiger dagegen die Frage, durch welche Umstände der Eindruck eines gleichen Reizes in den verschiedenen Hautstellen verschiedenartige Empfindungen hervorrufen könne. Wir haben in diesem Betracht angeführt, dass kein leiser Druck auf eine umschriebene Hautstelle ausgeübt werden könne, ohne eine geringe Fortpflanzung des Zuges oder der Dehnung auf die nächste Umgebung zu verursachen. Je nach der verschiedenen Unterstützung, dem Spannungsgrade, der Dicke und dem Nervenreichtum dieser Umgebung würde sich daher für jede gereizte Stelle die Summe der angeregten Nebenempfindungen eigentümlich gestalten. In der Tat kann man sich leicht überzeugen, dass der qualitative Inhalt der Empfindung von diesen Umständen sehr abhängig ist. Klopft man mit dem Finger auf Hautstellen, die unmittelbar über Knochen gespannt sind, so erhält man Berührungsgefühle, die untereinander sehr ähnlich, dagegen charakteristisch verschieden von denen solcher Hautstellen sind, unter welchen Sehnen, wie der tendo Achillis, oder große Muskelmassen verlaufen. Geht man mit dem klopfenden Finger an der vordern innern Seite der tibia herab, so erhält man vom Knie an bis gegen die Mitte des Knochens sehr ähnliche Berührungsgefühle, so dass hier die Orte der Reizung sich nicht sehr genau bestimmen lassen; von der Mitte abwärts nach dem Knöchel zu ändern sie sich beträchtlich; die kleinen Erschütterungen des Knochens scheinen sich daher anders auf die Umgebungen und ihre Nerven fortzupflanzen, je nachdem sie dem einen oder dem andern Befestigungspunkte näher erregt werden. Das geschlossene Schädelgewölbe bietet uns ähnliche Modifikationen dar und trotz der allgemeinen Analogie seiner Berührungsgefühle unterscheiden wir doch an der Abweichung der Erschütterungsweise die verschiedenen Lokalitäten der berührten Punkte. Führt man den tastenden oder klopfenden Finger von Hautteilen, die durch feste Unterlagen gestützt sind, auf andere über, die über weichen Organen eine beträchtlichere Verschiebung gestatten, so bemerkt man leicht, wie diesen Umständen entsprechend die qualitativen Eigentümlichkeiten der Empfindung wechseln. Leicht würde daher an einem einzelnen Gliede jede Hautstelle durch die charakteristische Kombination ihrer Nebenempfindungen, die für keine andere völlig gleich wiederkehrt, von den übrigen unterschieden werden können.

346. Doch kann die Lokalisation der Hautreizungen nicht allein auf diese Irrradiation der physischen Erschütterungen beruhen, deren Eigentümlichkeit von der wirklichen Lage und Spannung der Teilchen abhängig ist. Die Haut ist über ihren Unterlagen beweglich, und bei Verschiebungen müßte daher jeder ihrer Punkte, indem jetzt seine Mitempfindungen sich umgestalten, auch das Gefühl einer andern Örtlichkeit hervorrufen. Dies ist jedoch nur in geringem Grade der Fall. Verschieben wir einen Hautteil, der einen Knochen deckte, so dass er jetzt über Weichteilen ruht, oder hat eine bedeutendere Geschwulst den Teil über sich sehr gespannt und verzogen so ändert sich allerdings sein Berührungsgefühl und es fällt etwas schwer, die Stelle des Körpers anzugeben, die jetzt wirklich gereizt wird; doch sind wir nie darüber in einer Ungewißheit, die der großen Veränderung in der Lage und dem Zusammenhang der Hautteilchen unter sich entspräche. Die plastische Chirurgie bietet uns zwar davon ein scheinbares Beispiel, denn die Berührung eines Hautlappens, der aus der Stirn genommen, zur Bildung einer künstlichen Nase verwandt wurde, wird später wohl unklar, doch nicht mehr wie an der Stirn geschehend empfunden. Indes ist durch Verheilung mit der neuen Umgebung der Bau seiner Nerven mitverändert, und man darf daher doch annehmen, dass noch unabhängig von der Eigentümlichkeit ihrer Aufspannung am Körper jede einzelne Hautstelle in ihrer beständigen Struktur Motive enthält, um deren willen sie gleiche Eindrücke anders als die übrigen Stellen in sich verarbeitet.

347. Diese Motive lassen sich allerdings nicht mit Sicherheit nachweisen, doch können wir einiges vermuten. Auch für unsere Ansicht ist zuerst die Anzahl der Tastorgane nicht gleichgültig, die eine Hautstrecke besitzt. Hätte sie nur wenige Nervenpapillen, so würden viele Reize nicht unmittelbar, sondern nur durch die Erschütterungen auf sie wirken, welche sie durch das nichtnervöse Gewebe bis zu ihnen hinsenden; und da diese Fortpflanzung allseitig geschehen müßte, obgleich nicht nach allen Richtungen gleich stark, so würden mehrere Tastkörperchen in ziemlich gleichen Graden affiziert werden und die Lokalisation des Eindrucks zwischen ihnen schwanken; findet dagegen jeder Reiz unmittelbar Zugang zu einem Tastorgan, so erzeugt er hier eine kraftvollere Erregung, neben der sich alle irradiirten Empfindungen nur als begleitende Elemente ausnehmen. Doch auch allgemein auf die Ausdehnung dieser Nebenerregungen muß der Nervenreichtum der Umgebung entschiedenen Einfluß äußern, denn zur Modifikation unserer Empfindung trägt ja nicht ihr bloßes Vorhandensein, sondern die Art bei, wie die Erschütterungen und Dehnungen der umgebenden Teilchen von ihren Nervenfäden aufgenommen und dem Bewußtsein zugeführt werden. Man kann ferner vermuten, dass die Tastkörperchen der Haut weder überall so auf gleiche Weise in das Gewebe derselben eingebettet, noch an sich selbst überall so gleich organisiert sind, dass sie denselben Reiz auch an allen Stellen in gleicher Art und Größe aufzunehmen vermöchten. Dass ein Tastkörperchen der Kopfhaut, auch wenn es übrigens ebenso organisiert wäre, wie alle übrigen, dem ankommenden Reize dennoch eine andere Verletzlichkeit entgegenstellen würde, als ein anderes, das in den Lippen oder über dem dicken Fettpolster des Beines gelegen ist, wird man vielleicht zugeben. Aber man wird nicht dieselbe Vorstellung über zwei Tastkörperchen hegen, die in der Fingerspitze oder der Lippe in der kleinsten Entfernung aneinander lägen, welche noch distinkte Eindrücke gestattet. Allein obgleich die anatomische Struktur beider Teile dem ersten Anschein nach keine hinlänglichen Differenzen darbietet, so glaube ich doch, dass das, was davon vorhanden ist, vollkommen hinreicht, um die Feinheit des Ortsinns in ihnen zu begründen. Die leiseste Berührung eines ihrer Punkte scheint mir in der Tat nach seiner Lage sehr fein abgestufte Mitempfindungen durch die Fortpflanzung des geschehenen Zuges oder Druckes aufzuregen. Was endlich die andere Annahme einer funktionellen Verschiedenheit der Tastorgane an den einzelnen Körperstellen betrifft, so scheint es zuerst sehr unglaublich, dass diese kleinsten, so zahlreichen Sinnesapparate nicht überall vollkommen gleichartig organisiert sein sollten. Dennoch ist es eine Tatsache, deren Kenntnis wir Weber verdanken, dass die Reizbarkeit gegen Wärme und Druck und die Empfindlichkeit gegen Berührung überhaupt nicht in den Teilen stets am größten ist, die sich durch den feinsten Ortsinn auszeichnen. Dies deutet wohl darauf hin, dass in der Anordnung dieser Sinneswerkzeuge ansehnliche Verschiedenheiten vorkommen. Nehmen wir nun an, dass die Tastkörperchen hier größer, dort kleiner, hier dichter gedrängt, dort zerstreuter, hier den Reizen zugänglicher, dort durch dickere Bedeckungen gegen sie geschützt liegen, dass ferner vielleicht mehrere funktionell verschiedene Gattungen dieser Organe vorkommen, die einen den Wärmeempfindungen, die andern denen des Druckes bestimmt, dass diese verschiedenen Elemente sich ferner an verschiedenen Hautstellen in mannigfach wechselnden Verhältnissen gemischt finden, so haben wir in allen diesen Annahmen Hilfsmittel genug, aus denen für jeden gereizten Hautpunkt ein eigentümliches Lokalzeichen sich entwickeln könnte, das seinen Empfindungen eine charakteristische Nebenbestimmung mitteilte.

348. Der fortschreitenden Untersuchung der Tastorgane die Bestätigung oder Berichtigung dieser Einfälle überlassend, erwähnen wir nur noch, wie die Versuche Webers sich in unserm Sinne deuten lassen. Jeder Hautpunkt a, wenn er allein gereizt wird, erregt eine Summe von Empfindungen und Mitempfindungen, und unterscheidet sich durch sie von der Stelle b, die, weil sie anders liegt und gebaut ist, auch andere Mitempfindungen erweckt. Werden zwei naheliegende Hautpunkte zugleich gereizt, so fallen die Irradiationskreise ihrer Wirkungen großenteils zusammen und die Möglichkeit, beide Empfindungen zu scheiden, beruht nur noch auf dem Teile ihrer Nebenwirkungen, den jeder für sich ausübt. Auf Hautstrecken, deren Struktur in größerer Ausdehnung sehr gleichförmig ist, wie dies auf dem Arme, dem Beine, der Brust, dem Rücken der Fall ist, wird man die Zirkelspitzen weit entfernen müssen, um zwei Punkte zu finden, deren Umgebung hinlänglich different ist, um ihnen die zur Unterscheidung nötige Verschiedenheit der Nebenempfindungen zu verschaffen. Man würde im Voraus vermuten können, dass am Beine die Spitzen des Zirkels in der Längsrichtung des Gliedes weiter als in der Querrichtung sich entfernen müßten, weil Muskeln und Knochen in der ersten verlaufen, und deshalb nur in der letztern die Haut, indem sie bald über Knochen, bald über Muskelbäuchen, bald über Zwischenräumen von Muskeln liegt, bemerklichen Verschiedenheiten ihrer Dehnung, Spannung oder Unterstützung ausgesetzt ist. Tastende Glieder sind daher überall so gebaut, dass ihre einzelnen Hautstellen differente Lagen haben. Wäre der Finger eine auf beweglichem Stiele befestigte, regelmäßige Kugel, deren Oberfläche ganz gleichmäßig organisiert und überall gleich empfindlich wäre, so würde dieses Glied nie unterscheiden können welcher seiner Punkte gereizt würde; die Asymmetrie seiner Gestalt, die Lage des Nagels auf der einen, der reizbaren Fläche auf der andern Seite, die inkongruente Wölbung der Hautflächen an dem innern und dem äußern Rande, die verschiedene Verteilung der Tastkörperchen endlich sind die Mittel, die es zu der Funktion eines Sinnesorgans befähigen. Und ähnliche feine Unterschiede kehren an den Lippen wieder, deren Schnitt und Wölbung für die Feinheit ihres Ortsinnes gewiß nicht gleichgültig ist. Endlich müssen wir noch krankhafter Erscheinungen gedenken. Weber selbst fügt seinen Untersuchungen das genaue Krankenbild eines Hemiplegischen, hinzu, der am Rücken des Fußes und der vordem Seite des Unterschenkels die Berührung mit einem heißen Körper noch als einen Stich empfand, über den Ort desselben jedoch so im unklaren war, dass er in die Wade gestochen zu sein glaubte, wenn sein Fußrücken berührt ward. Dieser Fall, nicht der einzige seiner Art, zeigt hinlänglich, dass die Lokalisation nicht unmittelbar von der Insertionsstelle der Nervenfasern im Gehirn abhängen kann, denn diese hat hier sich nicht geändert. Sie kann nur auf einer eigentümlichen Qualität des zugeleiteten Empfindungseindruckes beruhen, die auf doppelte Weise durch die Hemiplegie umgestaltet werden mag. Vielleicht war in dem angeführten Beispiele der noch empfindliche Nerv doch in so weit in seiner Funktion verstimmt, dass seine Berührung andere Empfindungen, als im normalen Zustande erweckte, solche vielleicht, die dem gesunden Berührungsgefühle der Wade ähneln; zeigte sich doch diese Verstimmung der Funktion schon darin zum Teil, dass die Berührung eines heißen Körpers nur als Stich empfunden wurde. Aber auch daraus ließe sich die Erscheinung erklären, dass die Lähmung einer großen Menge von Nervenfäden in ihrer Umgebung dieser noch sensiblen Faser die Möglichkeit entzog, hinlänglich charakteristische Mitempfindungen zu erwecken.

349. Wir haben bisher die Hilfsmittel kennen gelernt, welche in der Struktur der Haut und ihrer sensiblen Organe vorhanden sind, um den Tastsinn zur Lokalisation seiner Empfindungen zu befähigen; wir haben jetzt die Natur dieser Empfindungen selbst zu erwähnen. Sie lassen sich nicht so, wie für den Gesichtssinn die Farben, unter eine gemeinschaftliche Qualität zusammenfassen; Druck und Wärme bleiben vielmehr verschiedene Empfindungsweisen, obwohl sie wahrscheinlich durch analoge Organe der Haut vermittelt werden. Man hat die Vermutung aufgestellt, dass das Empfindbare, welches die Haut wahrnehme, eigentlich überall Wärme sei, und dass auch die Druck- und Formwahrnehmungen des Tastsinnes nur aus feinen Abwechslungen der Temperatur verbunden mit den Bewegungs- und Anstrengungsgefühlen bestehen, welche das Umlaufen der Objekte durch die tastenden Glieder und den Widerstand, den sie diesen leisten, hervorbringt. Dass es uns schwer fällt, ohne Gesichtswahrnehmung zu entscheiden, ob wir an einer Hautstelle gebrannt oder gestochen und gedrückt werden, müssen wir zugeben; da jedoch die Empfindungen der Haut bei einiger Stärke sich sogleich mit Gefühlen verbinden, so geht aus diesem Umstande nichts weiter mit Sicherheit hervor, als dass alle heftigeren Reize der Haut, mögen sie durch Wärme oder Druck hervorgebracht werden, zu gleichartigen und ununterscheidbaren Schmerzgefühlen führen. Mäßige Erregungen lassen dagegen den qualitativen Unterschied beider Reize hervortreten. Durch Wagners Entdeckung der Tastkörperchen erhalten die Vermutungen, die wir früher über die Art der Wärmeeinwirkung äußerten, eine bestimmtere Grundlage. Jene Körperchen scheinen in der Tat eigens dazu angeordnet, den Wärmereiz zu einer Veränderung der Ausdehnung und gegenseitigen Pressung von Teilchen auszubeuten, welche die feinsten Nervenendigungen innig genug umfassen, um ihre Molekularbewegungen auf sie überzutragen, und ohne Zweifel wirkt äußerer Druck, Zug und Dehnung ebenfalls durch keine andern Mittel auf den Nerven ein. Dass beide Reize sich trotz dieser Analogie ihrer Mittel dennoch leicht unterscheiden können, ist nicht schwer zu bemerken, und ebenso leicht einzusehn, wie ihre Wirkungen sich anderseits wieder kombinieren können. Weber hat die sehr merkwürdige Erfahrung gemacht, dass gleich große und gleich schwere Körper, wenn sie kalt sind, der ruhenden Haut schwerer zu sein scheinen, als wenn sie erwärmt sind; so dass die Kälteempfindung sich mit der des Druckes summiert, die der Wärme dagegen ihr widerstrebt.

350. Für Temperatureindrücke sind die verschiedenen Teile der Haut nicht gleich empfänglich; abgesehen noch von dem ungleichen Widerstande, welchen ihre größere oder geringere Dicke dem Eintreten der äußern Wärme entgegensetzt, werden sie auch nach Überwindung dieser Hindernisse von demselben Wärmegrade mehr oder minder stark affiziert. Taucht man die Hand in kaltes Wasser, so wird die Kälte zuerst am Handrücken empfunden, dessen dünne Haut sie leicht durchdringt; später jedoch, nachdem die dickere Hautschicht der Hohlhand einmal überwunden ist, erreicht die Kälteempfindung in dieser einen viel höheren Grad, als sie auf dem Handrücken jemals erlangt. Feinere Versuche, welche Weber mit kleinen Körpern anstellte, deren Temperatur bestimmt war und sich längere Zeit auf gleicher Höhe erhielt, haben gezeigt, dass die Reizbarkeit für Wärme in engeren Grenzen schwankt, als die Feinheit der Ortsempfindung, dass sie aber oft sogar in sehr nahe an einander gelegenen Hautteilchen sehr verschieden ist, und endlich, dass sie nicht überall an den Stellen größer ist, die sich durch einen sehr feinen Ortsinn auszeichnen. So sind Augenlider und Backen für Temperatur äußerst empfänglich, und die Lippen, welche einen viel feineren Ortsinn haben, stehen ihnen beiden hierin sehr nach. Diesen merkwürdigen Umstand haben wir oben für unsere Ansicht von der Lokalisation der Empfindungen benutzt.

351. Wirkt ein bestimmter Wärmegrad auf eine einzige Hautstelle ein, so entspricht seinem Steigen auch ein Anwachs der graduellen Wärmeempfindung. Unterliegen eine Mehrzahl von Fasern, vielleicht die Gesamtheit der Körperoberfläche der Einwirkung desselben Wärmegrades, so verursacht die fortdauernde Beziehung jeder Einzelempfindung auf die Hautstelle, in der sie entsteht, zunächst allerdings die Wahrnehmung einer gewissen Breite des Temperatureinflusses, so dass wir dasselbe, was wir früher nur an einem Punkte des Körpers empfanden, jetzt an vielen Stellen zugleich wahrzunehmen glauben. Eine warme Luft, ein kaltes Wasser, welches nach und nach mehrere Teile des Körpers umspült, wird als ein allmählich sich räumlich ausdehnender Reiz empfunden und auf die Hautstellen verteilt, auf die er einwirkt. Aber die Wiederholung eines und desselben Reizes ist für das Ganze des Nervensystems sowohl als für die Einheit der Seele eine größere Anstrengung und eine größere Erregungssumme überhaupt, und so muß neben der bloßen Verbreiterung des Eindrucks auch ein steigendes Gefühl der Kraft eintreten, mit welcher er im Ganzen auf uns einwirkt. Wäre die Faserung der Nerven nicht vorhanden, und hätte dieselbe Wärmemenge, die jetzt dem ganzen Körper von den verschiedenen Punkten seiner Umgebung zugeführt wird, auf einen einzigen Punkt eingewirkt, so würde sie uns als ein weit höherer Wärmegrad erschienen sein. Dieselbe Folge, obwohl in sehr viel geringerem Grade, da die Leitung des Wärmeeindrucks durch so viele Fasern und sein Angriff an unzählig vielen verschiedenen Punkten einen großen Teil seiner Intensität verzehrt, muß auch jetzt noch stattfinden. Denn immer ist es dieselbe Seele, welche die Summe dieser gleichartigen Erschütterungen jetzt auf vielen Wegen und kombiniert mit verschiedenen Lokalzeichen empfängt, und die früher sie auf demselben Wege und nicht zu einem Raumbilde ausgedehnt empfing. Die ausgebreitetere Wärme wird daher zugleich dem Grade nach als höhere empfunden, und Weber hat sehr schön durch einzelne Versuche gezeigt, dass kaltes Wasser von der ganzen Hand kälter, warmes von ihr wärmer, als mit einem einzelnen Finger gefühlt wird, und dass selbst Wasser von + 29° R., in dass man die ganze Hand taucht, uns wärmer erscheint, als solches von + 32° R., das wir nur mit einem Finger prüfen. Man findet Ähnliches auch bei andern Empfindungen. Sind mehrere Muskeln ermüdet, so erscheint zwar die Ermüdung, da die Empfindungen von ihrer räumlichen Lokalisation nicht abgelöst werden können, als eine ausgebreitetere, aber zugleich wird sie als ein höherer Erschöpfungszustand des Ganzen empfunden, da die einzelnen Eindrücke zwar durch verschiedene Nerven, aber nicht zu verschiedenen Seelen laufen. Auch im Auge wird eine gewisse Lichtstärke, die nur einen oder wenige Punkte trifft, mit Leichtigkeit ertragen, verbreitet sie sich dagegen über das ganze Sehfeld, so wird sie nicht nur als ausgedehntere Empfindung, sondern als eine größere Gesamterregung des Auges wahrgenommen, und bei dem Anblick einfarbiger heller Flächen, namentlich eines weit ausgebreiteten Weiß, scheint die Farbenempfindung in der Tat auch den Eindruck einer größeren Lichtstärke zu machen, als wo sie auf wenige Punkte, gemischt mit dunkleren, konzentriert ist. Diese Umstände haben Einfluß auf die Vergleichung zweier qualitativer Eindrücke. Man unterscheidet zwei Temperaturen genauer durch Eintauchen der ganzen Hand, als durch Prüfung mit dem Finger; sie geben im erstem Falle größere Erregungssummen, mit denen auch die absolute Größe der Differenz wächst und merkbarer wird. Die Helligkeitsgrade einer Farbe unterscheiden wir weniger gut an kleinen Tuchstücken, besser an größeren Strecken; Beleuchtungsgrade von Flächen deutlicher, wenn sie groß, als wenn sie klein sind; selbst Tonhöhen werden genauer bei mäßiger Stärke des Schalls, als an sehr leisen Klängen verglichen. Die Erhöhung der Temperatur oder der Lichtstärke ist jedoch unendlich viel geringer, als man sie nach der großen Vermehrung der Fasern, welche denselben Eindruck zur Seele leiten, vermuten sollte, und es ist für die Psychologie ein wichtiger Gegenstand künftiger Untersuchungen, ob dieses Zurückbleiben der Steigerung des Gesamteindruckes hinter der Vervielfältigung seiner Ursachen von physischen Schwierigkeiten der Leitung, oder von dem Widerstreite der verschiedenen Lokalzeichen herrührt, welche, indem sie überhaupt erst den Empfindungen ein räumliches Außereinander verschaffen, zugleich das Zusammengehen des qualitativen Inhalts zu einer Wahrnehmung von größerer Intensität erschweren.

352. Ähnliche Betrachtungen drängen sich in Bezug auf die größere oder geringere Vermischung auf, welche mehrere Temperaturempfindungen je nach der Lage der Hautpunkte erfahren, von denen sie ausgehn. Wenn man, sagt Weber, in zwei neben einander stehende Gefäße mit verschieden warmen Flüssigkeiten gleichzeitig zwei Finger derselben Hand, Daumen und Zeigefinger, eintaucht, so vereinigen sich zwar die beiden Eindrücke nicht zu einem einzigen, aber wir werden durch die nahe Nachbarschaft der Finger sehr in der Vergleichung der beiden Temperaturen gestört. Schon weniger ist dies der Fall, wenn wir die beiden Daumen gleichzeitig in beide Gefäße eintauchen. Indessen findet auch dann noch einige Störung statt und viel vollkommner führen wir die Vergleichung aus, wenn wir beide Daumen abwechselnd in beide Gefäße tauchen; am allervollkommensten aber, wenn wir denselben Finger oder dieselbe Hand bald in das eine, bald in das andere Gefäß bringen. Unter diesen Umständen kann man mit der ganzen Hand noch die Verschiedenheit zweier Temperaturen entdecken, die nur 0,2 eines Grades der Réaumurschen Skala beträgt. (Weber in Wagners HWBch. III. 2. S. 554.) Diesen sinnreichen Versuchen fügt Weber die folgende Betrachtung hinzu: "Je näher die Hautstellen einander liegen, auf welche die Eindrücke gleichzeitig gemacht werden, und vermutlich also auch, je näher einander die Teile des Gehirns liegen, zu welchen die Eindrücke fortgepflanzt werden, desto leichter fließen die Empfindungen in eine zusammen; je entfernter sie aber von einander sind, desto weniger ist dies der Fall." Indessen kann wohl die Nachbarschaft der zentralen Nervenenden kein zwingender Grund für eine Vermischung der Eindrücke sein, obgleich gewiß ein begünstigender Umstand für sie in Fällen, wo andere Motive für ihr Entstehen vorhanden sind. Die Primitivfasern, welche zwei um 0,5 Par. Linie entfernte Punkte der Lippen beherrschen, liegen doch wohl im Gehirn so nahe an einander als möglich; nichts destoweniger wird ihre gleichzeitige Erregung durch eine doppelte örtliche Empfindung wahrgenommen; sind nun zwei Orte trotz so großer Nähe der zentralen Faserenden Gegenstände ungemischter Wahrnehmung, warum sollten die Qualitäten der Empfindung sich mischen, die ja doch das eigentlich sind, was auf diese Weise örtlich wahrgenommen wird?

353. Gehen wir von allgemeinen Überlegungen aus, die unsern früher überall festgehaltenen Grundsätzen entsprechen, so werden wir zu einer andern Erklärung geführt. Notwendig müssen zwei Empfindungen rücksichtlich ihres qualitativen Inhalts, zu welchem wir hier auch die Grade der Temperatur rechnen, um so genauer vergleichbar sein, je reiner jede für sich dem Bewußtsein überliefert wird, und je weniger sie mit Nebenbestimmungen irgend welcher Art behaftet ist, welche ihrer Qualität, dem Gegenstande der Vergleichung, fremd sind. Zu so schädlichen Nebenbestimmungen gehören auch jene Einflüsse, durch welche die Beziehung einer Empfindung auf irgend eine Örtlichkeit des Leibes vermittelt wird; sie trüben stets, wenn auch meist nur in unmerklicher Weise die Auffassung der reinen Qualität dessen, was sie an eine bestimmte Raumstelle zu lokalisieren behilflich sind. Sollen daher mehrere gleichzeitige Eindrücke verglichen werden, so muß dies am besten geschehen, wenn wenigstens der noch größere störende Einfluß vermieden wird, den der Widerstreit verschiedener Örtlichkeiten ihrer Entstehung mit sich führen würde. Sie müssen wo möglich durch dieselbe Körperstelle einwirken, oder wenigstens auf zwei einander so nahe gelegene, dass die Verschiedenheit der Lokalgefühle, die beiden Stellen entsprechen, nicht in Betracht kommt. Zwei ähnliche Farbennüancen unterscheiden wir durch das Auge leichter, je unmittelbarer sie aneinander gerückt werden; auch die Spitze eines Fingers, ruhend auf die Oberfläche eines ungleich erwärmten Gegenstandes gelegt, empfindet örtlich den Übergang aus einer Temperatur in die andere. Aber die Unterscheidung kann hier nie so fein sein, wie im Auge; denn die Art der Wärmeeinwirkung und die Natur der Wärme selbst begünstigt die Irradiation des Eindrucks nach allen Seiten zu sehr, als dass eine scharfe Grenzlinie zwischen zwei Temperaturen durch benachbarte Hautstellen möglich bliebe. Die Erfahrung Webers, dass die vollkommenste Vergleichung verschiedener Wärmen durch sukzessive Prüfung mit demselben Organ gelinge, bestätigt dagegen unsere Annahmen; denn hier sind alle Einflüsse der Lokalgefühle durch völlige Gleichheit derselben beseitigt. Annähernd tritt derselbe Fall ein, wenn wir gleichgebaute Teile beider Körperhälften als Organe der Auffassung benutzen; so werden beide Daumen die Wärmegrade besser vergleichen, als verschiedene Finger derselben Hand, deren Bau, auch wenn wir sonst gleiche Reizbarkeit für Wärme in ihnen voraussetzen, doch zu verschiedenartige Lokalgefühle mit sich führt. Vielleicht kommen selbst verwickeltere Umstände bei diesen Schätzungen in Betracht. Wenn die Radialseite des Daumens einen kalten, die Ulnarseite des Zeigefingers einen warmen Gegenstand berührte, so schienen mir beide Empfindungen deutlicher auseinanderzutreten als wenn beide Finger in der Stellung, in welcher sie ein und denselben Gegenstand zwischen sich zu fassen pflegen, der eine das kalte, der andere das warme Objekt berührten. Ohne hierauf jedoch Gewicht zu legen schließen wir mit dem allgemeinen Satze, dass alle Vergleichung am besten gelingt, wenn zur Prüfung zweier Objekte dasselbe Organ angewandt wird und dass deshalb sukzessive Eindrücke oft deutlicher verglichen werden als simultane, die auf denselben Punkt desselben Organs nicht einwirken können.

354. Neben den Empfindungen der Wärme gehören die des Druckes und des Gewichts widerstandleistender Körper zu dem Bereiche des Tastsinns. Von jenen ist früher bereits erwähnt worden, dass sie nicht in allen Hautstellen mit gleicher Schärfe erregt werden; doch sind die lokalen Verschiedenheiten in der Feinheit des Drucksinnes weit geringer als die in der Feinheit des Ortsinns. Zwei unterscheidbare Orte für den Oberarm müssen eine Distanz von 9 haben, wenn die Entfernung zweier unterscheidbarer Punkte auf den Fingern gleich der Einheit gesetzt wird; ein Gewicht auf dem Arm dagegen braucht nur = 7 zu sein, um gleich schwer mit einem andern auf den Fingern zu scheinen, dessen wirklicher Wert = 6 ist. Indem Weber diese Verhältnisse mitteilt, erwähnt er zugleich den Grund derselben; es kommt für den Drucksinn lediglich auf die Größe der erzeugten Wirkung an, aber weder auf die Anzahl der Nervenfasern, auf die sie ausgeübt wird, noch auf die Art ihrer Verbreitung. (Weber a. a. O. S. 549.) Doch kann die verschiedenartige Struktur der Hautstellen, indem sie die Übertragung der geschehenen Druckwirkung auf die Nerven bald begünstigt bald mindert, bald einen Teil der Pressung durch feste Unterstützung aufhebt, zu den Verschiedenheiten des Drucksinns beitragen. Die Unterscheidungsfähigkeit für Gewichte, so weit sie dem Hautgefühl allein gehört, ist nicht so groß, als wo dieses durch Muskelgefühl unterstützt wird. Während, wie früher erwähnt, durch Druck auf die ruhende und unterstützte Haut Gewichte, die sieh verhalten wie 29 : 30, nur mit der größten Mühe unterschieden werden, kann die Mehrzahl der Menschen auch ohne vorausgegangene längere Übung durch das Muskelgefühl zwei Gewichte unterscheiden, die in dem Verhältnis von 39 : 40 stehen. Die vorzügliche Darstellung, die E. H. Weber von diesen Versuchen, sowie von den mancherlei nötigen Vorsichtsmaßregeln bei ihrer Anstellung gegeben hat, erlaubt uns, über das weitere Detail derselben zu den Anwendungen hinwegzugehen, welche von allen diesen anatomisch-physiologischen Mitteln des Tastsinns in der weitem Ausbildung der sinnlichen Weltauffassung gemacht wird.


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