Rudolph Hermann Lotze
Medizinische Psychologie
Rudolph Hermann Lotze

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§. 4. Die Identität des Realen und des Idealen.

34. Wir haben bisher die Einwürfe jener Lehren zurückgewiesen, die von einseitiger Bewunderung für die Prinzipien der mechanischen Naturwissenschaft ausgegangen, gegen den Glauben an die Existenz der Seele als eines eigentümlichen Wesens kämpften. Ihnen gegenüber und im lebhaftesten Streit mit ihnen suchen andere Ansichten jenes mißverständliche Bedürfnis nach Einheit in anderer Weise unsern Annahmen entgegenzustellen, indem sie eine beständige Identität des Realen und des Idealen in der Well als den Grund des Doppellebens fassen, das in den beseelten Körpern sich entfaltet. Während der Materialismus auf eine unbegreifliche Weise das Geistige von dem Körperlichen absorbieren ließ, soll hier in richtigerem Gleichgewicht beides gleich ursprünglich, gleich wesenhaft, aber in beständiger unlösbarer Einheit begriffen sein. Diese Einheit ist jedoch nicht diejenige, zu der sich allenfalls auch der Materialismus verstand; nicht jedem einzelnen Atom der Materie soll ein seiner Masse und seinen spezifischen Eigenschaften etwa korrespondierendes Quantum geistigen Lebens inhärieren, so dass aus der Zusammensetzung der materiellen Wirksamkeiten der Moleküle das körperliche, aus der Wechselwirkung ihrer psychischen Tätigkeiten das geistige Leben eines Organismus hervorginge. Der reale Grund des einen und der ideale des andern sollen vielmehr zusammen eine unteilbare und ursprüngliche Einheit bilden, die an der Zersplitterung der einzelnen Bestandteile zwar sich betätigt, aber nicht aus ihnen hervorgeht. Jene Prinzipien und Methoden der Mechanik, auf welche der Materialismus stolz ist, als auf das feinste und ergiebigste Mittel, durch allmähliche Zusammenfügung einzelner wirksamer Teilchen und einfacher Kräfte zuletzt das vielfach verwickelte Gewebe des körperlichen und geistigen Lebens hervorzubringen, sind diesen Ansichten vielmehr ein Gegenstand des Abscheus, und sie setzen dieser ganzen mechanischen und äußerlichen Behandlungsweise eine "höhere organische Auffassung" aller Dinge, am meisten aber des geistigen Lebens und seines Wechselverkehrs mit dem physischen entgegen. Die bedeutsamen Formen der Erscheinungen, welche der mechanische Materialismus nur als letzte Ergebnisse der Zusammensetzung einfacher Elemente kennt, gelten diesen Ansichten vielmehr für die vorher vorhandenen treibenden Mächte, die mit strenger Einheit ihres Plans und Wirkens als Ganze das Ganze jedes Organismus beherrschen und gestalten. Wie sie daher in der körperlichen Physiologie der Annahme einer einzigen Lebenskraft geneigt sind, so lassen sie auch die Erscheinungen des geistigen Lebens nur als nach anderer Seite hin gerichtete Manifestationen derselben Kraft gelten.

35. Um diese Ansichten zu beurteilen, müssen wir den Punkt hervorheben, der durch sein lebendiges Interesse die Leidenschaftlichkeit, mit der auch sie verfochten werden, erklärt. Die mechanischen Naturauffassungen leiden allerdings in gewissem Sinne an einer Äußerlichkeit ihres Verfahrens und ihrer Ergebnisse; sie verstehen nur Aggregate aus an sich unerklärbaren Elementen zu erklären. Sie nehmen die Gestalt der kleinsten Teilchen, die Wirkungsweise der ihnen inhärierenden einfachen Kräfte als erste Tatsachen an und zeigen, wie unter gewissen Umständen daraus die verwickelten Gestalten, Bewegungen und Kraftäußerungen ganzer Systeme von Elementen hervorgehn: sie zeigen, wie die einmal vorausgesetzten Elemente sich zu solchen Systemen sammeln, wie die einmal angenommenen Bewegungen sich an ihnen zu Resultanten verschmelzen. Aber alle diese Ereignisse dringen nicht in das Innere der Dinge, sie werden von den Objekten, an denen sie sich ereignen, weder wahrgenommen, noch genossen, noch eigentlich in ihrer Totalität hervorgebracht. Denn ein großer Teil der Bedingungen eines Ereignisses pflegt in den vorhandenen Umständen zu liegen, nur ein anderer Beitrag zu der Gestalt des Erfolgs geht aus der Natur der Substrate hervor, als deren Zustand oder Prädikat jener zuletzt erscheint. Daher ist einesteils das, was geschieht, eigentlich nur für einen Beobachter, nicht für die Dinge vorhanden, durch die und denen es geschieht; sie erfahren zwar wohl von der veränderten Lage der Verhältnisse neue Einwirkungen, aber doch nicht solche, in denen ein Bild, eine Anschauung oder ein Genuß irgend welcher Art von der Totalität des Geschehenden läge. Der sinnige Umlauf der Gestirne ist nach mechanischer Auffassung nur ein erhebendes Schauspiel für uns; der einzelne Planet erfährt wohl an jeder Stelle und in jedem Zeitpunkt dieses Laufs physische Einflüsse, welche den vereinigten Eindruck der ganzen übrigen Konstellation auf ihn repräsentieren, aber diese Summe von Anziehungen nach verschiedenen Richtungen ist doch kein Bild und kein Genuß des Gedankens, der sich in dem Ganzen der himmlischen Kreisbewegung ausspricht. Anderseits, so lange den wirksamen Elementen ihre Erfolge von Punkt zu Punkt durch allgemeine Gesetze zugemessen werden, scheinen sie eigentlich in all ihrem Wirken nicht tätig; so wie alle ihre Veränderungen nicht in ihr Inneres hineindrangen, so geht auch nichts aus ihrem Innern hervor, und der ganze Weltlauf bewegt sich äußerlich um sie herum, die nichts als gewissermaßen Anknüpfungspunkte darstellen, an welche sich Wirkungen aller Art konvergierend ansetzen, von denen sie divergierend ausgehn.

36. Eine solche Sehnsucht nun nach innerlicher Lebendigkeit und nach eigentlicher Tätigkeit der wirksamen Elemente hat andre Auffassungen zunächst zu jener Annahme einer einzigen Lebenskraft getrieben, deren Unmöglichkeit und Fruchtlosigkeit wir in der Physiologie des körperlichen Lebens ausführlicher nachzuweisen suchten. Ohne Zweifel zwar werden wir zugeben, dass ein Weltlauf, der in allen Stücken nur in jenem Sinne mechanisch wäre, nicht bloß eine vollkommne Absurdität, sondern auch eine Unmöglichkeit wäre; es kann nicht Alles zwischen den Wesen geschehen, sondern notwendig geht ein Teil des Geschehens in ihnen vor und aus ihnen heraus. Aber diese Behauptung ist nicht gleichbedeutend mit dem Extrem, zu welchem diese Auflassungen sie treiben, nämlich mit der Annahme, dass überhaupt nirgends ein äußerliches Aufbauen von Erscheinungen durch Aggregation von Elementen oder durch Kombination einfacher Wirkungen stattfände. Es würde sich im Gegenteil, wenn wir hier in so abstrakte Untersuchungen zurückgehn könnten, leicht nachweisen lassen, dass jedes solche innerliche organische Handeln vielmehr ein Reich aggregierbarer und äußerlich gestaltbarer Elemente notwendig voraussetzt. Das leibliche Leben ist nun, wie wir an jenem Orte gezeigt haben, in der Tat ein solches Aggregat von Wirkungen, das aus der gleichzeitigen Tätigkeit eines Systems verbundener Massen verständlich ist, aber nirgends eine einzige dirigierende Ursache voraussetzt. Nirgends verlangt das Leben ein anderes alle seine Erscheinungen innerlich zusammennehmendes Subjekt, als eben die Seele selbst, für welche der Leib ein wohlorganisiertes Reich äußerlicher Hilfsmittel ist. Dagegen müssen wir mit jener Ansicht darin übereinstimmen, dass die Seele nun auch wirklich jene Einheit, Innerlichkeit und Tätigkeit besitzen muß, und in dem Streit gegen den Materialismus behaupten wir mit ihr gemeinschaftlich, dass ein mechanisches Erzeugen des Seelenlebens aus den Wirkungen einzelner Teile widersinnig ist. Was uns nun von dieser Ansicht unterscheidet, die Behauptung nämlich, dass die gesuchte Einheit ausschließlich in der Seele, nicht in dem Körperleben zu suchen, und dass noch weniger die Identität der Seele mit dem organisch Einen Körper haltbar sei, wollen wir in den folgenden Betrachtungen allmählich zu erläutern suchen.

37. Von den unendlichen Verschiedenheiten der Erscheinungen abstrahierend, pflegen wir alle in weiter Entfernung über dem Wirklichen eine Einheit aller Gegensätze vorauszusetzen. Für die Wissenschaft hat diese Sehnsucht jedoch nur Wert, wenn wir aus dem geahnten Prinzip der Einheit auch rückwärts die bestehende Mannigfaltigkeit der Welt erklären, oder sie doch mindestens mit der Annahme des Prinzips selbst vereinigen können. Geben wir einstweilen zu, dass eine einzige ideale und zugleich reale Macht oder Substanz sich in allen Wesen und allen Erscheinungen offenbare, so müssen wir doch ebenso zugeben, dass diese ihre einzelnen Offenbarungen neben dem gemeinschaftlichen Ursprunge aus jener Einheit zugleich in dem wirklichen Weltlauf eine harte und spröde Selbständigkeit gegeneinander besitzen. Es mag wahr sein, dass dieselbe allgemeine organisierende Kraft der Natur, dasselbe Absolute sich in der Schöpfung des Menschen wie in der des Tieres und des Gesteines zeigt, aber nachdem diese drei einmal da sind, wird in dem Verlaufe ihrer Wechselwirkungen, welcher doch eben ihr wirkliches Leben ausmacht, diese Verwandtschaft wenig respektiert. Wo der Mensch die Tiere zähmen und die unorganischen Massen zu seinem Gebrauche beherrschen will, beruht seine Hoffnung stets auf der Kraft mechanischer Mittel, die er gegen sie wendet, und denen sie lediglich um deswillen unterworfen sind, weil sie als Aggregate körperlicher Elemente ihnen nach mechanischen Gesetzen nicht widerstehen können. Dass dagegen alle aus demselben Schoße des Absoluten entsprangen, dieser Umstand bietet hier keine Basis für die bestimmten Formen, Größen und Richtungen ihrer Wechselwirkung, obgleich er als gemeinsamer höchster Grund ihrer Existenz die allgemeine Möglichkeit ihres gegenseitigen Einflusses überhaupt begründen mag. Trotz der Identität des idealrealen Grundes alles Werdens ist also doch das Gewordene verschieden, und eine Wissenschaft, welche erklären will, wie im wirklichen Leben der noch fortgehende Wechselverkehr zwischen den Dingen zustande kommt, hat sie nur als Objekte eines Mechanismus vor sich.

38. Diese Betrachtung müssen wir nun auf unsern Fall anwenden. Man behauptet, indem wir nämlich von dem allgemeinen Grunde der ganzen Natur hier gern absehen, es sei auch jeder einzelne Organismus als ein Mikrokosmus zu fassen, in welchem wiederum eine einzige idealreale Substanz oder Macht die Ursache aller Erscheinungen und der ganzen Form des körperlichen und des geistigen Lebens sei. Nun wissen wir aber, dass der Organismus nicht von Anbeginn der Welt eine in ihrem Bestande unveränderliche Gruppe von Materie ist, dass vielmehr die Stoffe des Körpers aus der äußerlichen Natur von allen Enden zusammengelesen, sich nur allmählich und vorübergehend zu dem verbinden, was wir den organischen, lebendigen Körper nennen. Aus den Feldern und Wäldern suchen wir unsere Nahrung zusammen; aus den Tiefen der Erdrinde führen uns die Quellen die mineralischen Bestandteile zu, die unser Knochengerüst bilden helfen, aus entfernten Gegenden bringt der Handel die Produkte vegetabilischer und tierischer, von der unserigen weit verschiedener Organisationen herbei, die oft vielfach noch durch künstliche Tätigkeit verarbeitet, zur Entwicklung unsers Körpers beitragen. Unstreitig liegt in allen diesen Bestandteilen unseres Organismus nicht die geringste Prädestination oder Vorliebe gerade zur Bildung der einen und unteilbaren Manifestation der Natur, die wir den Menschen nennen; sie sind nicht bloß räumlich sonderbarerweise zerstreute, insgeheim aber solidarisch verbundene Teile dieses Menschen, die durch innerliche Sympathie sich suchen; sondern sie sind offenbar nur benutzbare Materialien, die sich im mechanischen Weltlauf zu einem Aggregat verknüpfen können, das nach Umständen bald diese, bald jene Form trägt. Was wird nun aus jener organisierenden unteilbaren Lebensidee, die mit dem ganzen Körper identisch, nur eben seine ideelle "Seite" sein sollte? Sie kann offenbar nicht mehr mit dem ganzen Körper identisch sein, sondern innerhalb des einen Organismus zeigt sich uns nun doch eine Spaltung. Der größte Teil des lebendigen Körpers ist ein innerlich von dieser organisierenden Tendenz ganz entblößtes mechanisches Material, welches äußerlich die gestaltende Herrschaft eines andern materiellen Kernes erfährt, des Keimes, um den es sich allmählich wachsend und in seinen Formen sich ausbildend anlagert. In dem Keime der organischen Geschöpfe allein, da er der notwendige Ausgangspunkt jeder Gestaltung ist und im Leben der Organismen stets widererzeugt wird, würde die Theorie jene konzentrierte idealreale Lebenskraft zu suchen haben; mit allen andern Körperbestandteilen ist diese Kraft nicht identisch, sondern herrscht nur über sie.

39. Aber auch der Keim bleibt einesteils im Verlauf des Lebens nicht was er war, sondern vergeht in der sich ausbreitenden Gestalt des wachsenden Körpers, anderseits wird er selbst in der Generation wieder erzeugt. Man hat mithin nur die Wahl, die gestaltende Macht, die er ausübt, entweder von einer gewissen Zusammensetzungsform seiner Moleküle abzuleiten, die im Verkehr mit den Wachstumsmitteln der äußern Natur gerade diese bestimmte Form der Entfaltung mechanisch notwendig machte, oder man leitet sie ab von der beständigen Dauer eines einzigen, unteilbaren Elementes, das in dem Keime schon sich zu dessen übrigen Elementen in dem Verhältnisse eines hevorzugten Herrschers zu dienstbaren Materialien befindet. Im ersten Falle, den wir für die Betrachtung des bloß körperlichen Lebens in der allgemeinen Physiologie als eine vollkommen zureichende Annahme kennen gelernt haben, würde nicht nur die reale Lebenskraft, sondern auch die ideale, d.h. die Beseelung, nur eine mechanische Resultante ans der Wechselwirkung vieler Einzelkräfte sein, ein Ergebnis, welches dem Verlangen der Ansichten, die wir hier schildern, ganz und gar entgegengesetzt wäre. Sie könnten daher folgerecht nur die andere Annahme begünstigen, und würden durch die Berücksichtigung der erfahrungsmäßigen Tatsachen zuletzt dazu gezwungen sein, die zugleich ideale und reale Macht, von welcher die ganze Organisation durchdrungen sein sollte, auf ein einziges und unteilbares Element zu beschränken, welches sich zu allen übrigen Bestandteilen des lebendigen Wesens in einem scharfen Gegensatz befindet. Denn in ihm allein würde der Grund für die Form der künftigen Lebensentfaltung liegen, während alle andern nur als benutzbare Materialien in Betracht kämen, die durch den mechanischen Naturlauf sich dieser Form zu fügen gezwungen wurden. In Betracht kämen, sagten wir; denn allerdings machen diese Schlüsse die Annahme nicht unmöglich, dass auch jedes dieser dienenden Elemente in sich selbst wieder eine Einheit von Realem und Idealem sei, aber diese innere Natur desselben ist ganz wirkungslos, wo es sich um die Dienste handelt, die es nach außen erweist, und die Innerlichkeiten von Millionen Molekülen rinnen nicht zu dem einen Innern einer einzigen unteilbaren Wesenheit zusammen.

40. Vergleichen wir nun, abgesehn von der Unmöglichkeit dieser Hypothese, die zu Tage liegt, die Vorteile, welche sie für die Erklärung des Seelenlebens zu bieten scheint, so zeigen sich diese ebenso wie bei dem Materialismus am meisten bei Betrachtung der Fragen über den beständigen Zusammenhang der Seelen mit den Körpern im Laufe der Generationen. Wer das Geistige entweder als Resultat materieller Organisation, oder als beständig mit allem Realen verbunden ansieht, wird natürlich überall, wo im Verlaufe der physischen Wechselwirkungen eine gleiche körperliche Organisation sich wieder erzeugt, auch das geistige Leben als Resultante derselben wieder erstehen sehen. Oder er wird wenigstens behaupten können, dass für jene noch unentwickelte Anlage des psychischen Lebens, die in aller Materie liegt, durch ihre Kombination mit andern wieder die günstigen Bedingungen der Weiterbildung eingetreten sind, deren sie bedarf. Indessen, die erste Ansicht haben wir einmal unmöglich gefunden und können nicht deshalb zu ihr zurückkehren, weil sie etwas zu erklären verspricht; die andere, welche Erklärung gibt sie eigentlich? Im Grunde doch nur eine tautologische; indem sie die beständige Gemeinschaft des Realen und Idealen behauptet, läßt sie dieselbe natürlich auch für den Fall fortdauern, dass aus einer solchen doppeldeutigen Organisation eine neue entsteht, aber bestimmtere Aufschlüsse über den Hergang dieser Entwicklung des einen aus dem andern gibt sie in keiner Weise; sie erläutert die Fortpflanzung des Geistes ebenso wenig als die des Körpers. Prinzipien aber, die nur so ganz im Allgemeinen eine Möglichkeit für ein Ereignis offen lassen, ohne es bestimmter konstruieren zu können, würden nur dann festzuhalten sein, wenn sie notwendig und unvermeidlich aus andern zwingenden Gründen wären. Dies gilt, wie wir gezeigt haben, von dieser Hypothese nicht, die vielmehr guten Teils gerade nur, um den Schwierigkeiten dieser hier berührten Fragen zu entgehn, angenommen worden ist. Führt man sie auf das zurück, was in ihr möglich ist, d. h. beschränkt man jene Identität des Realen und Idealen auf die einzelnen Elemente der Welt, läßt dagegen die Behauptung fallen, dass der Organismus im Ganzen identisch mit seiner Seele sei, so ist das Ergebnis dieses. Alle Elemente der Natur haben neben jenen Eigenschaften, durch die sie sich als Materien darstellen, zugleich ein inneres Leben psychischer Art, das mit jenen Eigenschaften in irgend einem hier nicht weiter zu verfolgenden Verhältnisse steht. Die Entwicklung dieser Anlage zum geistigen Dasein aber hängt von der Einwirkung günstiger Bedingungen ab, die sich uns unter der Form körperlicher Organisation darstellen. Alle Teile eines organisierten Leibes haben, jeder nach seiner Situation, einen bestimmten Grad dieses geistigen Lebens, nur ein Teil aber, an den günstigsten Punkt der Organisation gestellt, empfängt alle Anstöße des Äußern so geordnet, und vermag so auf alle reizbaren Teile des Körpers zurückzuwirken, dass er als das beherrschende Element dieses Ganzen sich verhält. So oft eine körperliche Organisation sich erzeugt und demgemäß auch ein bestimmtes Element jene bevorzugte Stelle einnimmt, so oft wird auch in ihm durch diese Gunst der Umstände die Entwicklung eines dem Typus der Gattung entsprechenden Seelenlebens möglich.

41. Ohne jetzt den Gewinn beurteilen zu wollen, den uns diese notwendige Umdeutung der genannten Ansichten bringen würde, wollen wir nur noch auf eine andere sehr üble Folge für die Erklärung des Seelenlebens aufmerksam machen, die aus der Annahme einer Identität zwischen Organisation und geistigem Leben hervorgeht. Ich habe früher schon bemerklich gemacht, welche Quelle beständiger Unklarheiten in der Angewöhnung liegt, aus Ereignissen oder aus Qualitäten der Dinge neue Ereignisse oder neue Qualitäten abzuleiten, ohne die Gestalt und die Fassungsweise der Substrate oder der Subjekte scharf zu bestimmen, an welchen doch stets Ereignisse und Qualitäten haften müssen. Diese Unklarheit findet sich schon in dem Prinzip jener Identitätsansichten. Behauptet man, dass Ideales und Reales stete zusammen seien, so kann dies nur eine doppelte Bedeutung haben; entweder man sieht beide als gesonderte Wesen oder Substanzen an, die, obwohl logisch jedes für sich denkbar ist, doch in Wirklichkeit durch ein tatsächliches Band stets verbunden sind; oder man sieht beide für prädikative Bestimmungen an, deren keine für sich existieren kann, ohne ein Subjekt, dessen Natur sie bezeichnet, und die nun auch in ihrer Vereinigung nicht existieren können ohne ein drittes Subjekt, an dem sie verbunden sind. Diese Forderung ist um so notwendiger, als in der gewöhnlichen Redeweise dieser Ansichten der Ausdruck real gar nicht wie sonst, das Substantielle oder Wirkliche im Gegensatz des bloß Prädikativen oder Abstrakten, sondern jene Eigentümlichkeit eines Seienden bezeichnet, durch die es befähigt wird, im Gegensatz zu psychischen Tätigkeiten sich auch als räumlich ausgedehnte Materie darzustellen, und durch physische Wirkungen sich im Kreise der Naturobjekte geltend zu machen. Bedeutete die "Realität" jener Ansichten die Wirklichkeit, so würden sie behaupten, alles Wirkliche sei ideal, eine Behauptung, die zwar vollkommen richtig ist, aber nicht im mindesten im Sinne dieser Identitätslehren liegt. Sie sehen vielmehr Realität als dasjenige Attribut an, aus dem der Komplex aller physischen Eigenschaften einer Erscheinung, Idealität als jenes andre, aus dem die Mannigfaltigkeit alles geistigen Lebens entspringt. Attribute aber setzen Substanzen voraus, denen sie angehören. Die erste Auslegung nun, die nämlich, dass Ideales und Reales zwei zwar verbundene, doch nicht identische Substrate, Körper und Seele seien, perhorreszieren diese Lehren durchaus; indem sie aber der zweiten sich hingeben, sie nur für Attribute zu halten, machen sie doch das dritte substantielle Wesen nicht namhaft, dem sie gehören. Fragt man, was der Körper sei, so hören wir, er sei die reelle Seite, der Geist? er sei die ideelle Seite; aber wessen Seite? Dieses Subjekt bleibt unbestimmt, oder man antwortet höchstens: des Organismus. Aber diese Antwort lehrt nichts, denn den Organismus bestimmt man nicht unabhängig durch andere Begriffe, sondern tautologisch dadurch, dass er die Einheit eines bestimmten Reellen und eines Ideellen sei.

42. Aus dieser Subjektlosigkeit der ganzen Ansicht geht nun eine Menge von einzelnen Dunkelheiten hervor, an die, als an die peinlichsten Hemmungen des Verständnisses vieler Schriftsteller, hier erinnert zu haben hinreicht. Der Organismus soll nach einer Seite hin Materie, nach der andern Geist sein; er "manifestiert" sich bald in chemischen Verdauungsprozessen, bald in Phänomenen des Bewußtseins; die vielbeliebten und nichtssagenden Ausdrücke des Innern und Äußern, der Form und des Inhalts, des Intensiven und des Extensiven spielen unbegreifliche Rollen; allerhand "fällt zusammen", was wir zur Klarheit notwendig scheiden müßten; in seltsamen Lebensinnerungen und Äußerungen innert und äußert sich, man weiß nicht was und wohin, wenn es nicht jene Psyche ist, deren griechischen Namen mit Recht diese Schriftsteller für ihr dunkles Prinzip anwenden, zu dessen Bezeichnung der deutsche Name der Seele zu bestimmt und edel ist. Aber mit all diesem Aufgebot einer ewig zuckenden Relativität zwischen den beiden Seiten des unbekannten Einen haben wir diese Psychologien nie zu netten und runden Antworten auf die Frage gelangen sehen, wie dieser oder jener einzelne psychische Prozeß durch die Verknüpfung bestimmter geistiger Tätigkeiten, körperlicher Funktionen und äußerer Reize hervorgebracht, oder in seiner Form, Größe und Dauer bestimmt werde. Lassen wir sie daher einstweilen, bis ein späterer Zusammenhang uns auf einige der Motive, die ihnen zu Grunde liegen, zurückführen wird.


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