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43. Wir haben unsere bisherigen Betrachtungen mit einer kurzen Aufzählung der Gründe begonnen, welche die lebendige Bildung der Sprache bewogen, in dem Begriffe der Seele den Gedanken eines eigentümlichen substantiellen Prinzips für das geistige Leben auszuprägen. Gegen dieses natürliche Vorurteil aller menschlichen Anschauung erhoben sich verschiedenartige Zweifel, alle von einem mißverständlichen Verlangen nach Einheit geleitet, das jeder Trennung der Welt oder der einzelnen Organismen in Körperliches und Geistiges widerstrebte. Doch gestalteten sich diese Anfeindungen unserer Annahme in doppelter Weise. Den einen lag die feste Überzeugung von der alleinigen Realität der sinnlich anschaulichen Materie zu Grunde, und sie suchten jene Einheit dadurch herzustellen, dass sie alles Geistige nur als sekundäre Erscheinung aus den physischen Wirkungen der Elemente hervorgehn ließen. Die zweite Gruppe von Ansichten war dem Seelenleben günstiger gesinnt, und sah dieselbe Einheit in der beständigen Verknüpfung des Ideellen und Reellen in einem gemeinsamen Wesen, dessen zwei verschiedene, aber gleich ursprüngliche Attribute beide bildeten. Eine dritte Ansicht ist denkbar, welche auch über dieses Gleichgewicht noch hinausgeht, und indem sie den Schwerpunkt in das Geistige verlegt, gerade das Materielle, dessen ursprüngliche Realität beide vorige Auffassungen unangetastet ließen, als das Sekundäre und Abhängige betrachtet. Diese spiritualistische Lehre ist fast stets die gemeinschaftliche Überzeugung der Philosophie, in ihren verschiedensten Systemen, gegenüber der gewöhnlichen Meinung der Naturwissenschaften gewesen, und auch wir müssen ihr, die wir für die allein richtige halten, hier eine weitere Betrachtung widmen. Bisher haben wir die selbständige Realität der Materie zugegeben; wir haben uns begnügt, ihr die Seele als eine ebenso selbständige, aber anders geartete Realität gegenüberzustellen, die nur die allgemeinsten Gesetze des Verhaltens mit jener teilt. Obgleich wir indessen für die einzelnen Untersuchungen der Psychologie diese Anschauungsweise als die allein klare und bequeme beibehalten werden, müssen wir doch hier für einen Augenblick auf die Prinzipien der Sache zurückgehn, um die anwendbaren und übersichtlichen Vorstellungen eines physisch-psychischen Mechanismus, die wir in einem folgenden Abschnitte zu entwickeln haben, als Abbreviaturen des wahren Verhaltens zu rechtfertigen.
44. So sehr sind wir im Laufe des Lebens an sinnliche Anschauungen gewöhnt, dass uns das Allerdunkelste, der bloß vorhandene, passive, träge Stoff als das Klarste erscheint, und auch methodologisch reflektierende Theorien sehen es häufig als den ersten Schritt unwissenschaftlicher Träumerei an, den Begriff der Materie, den festesten Anker aller Überlegung, fahren zu lassen und von übersinnlicher Wirklichkeit zu sprechen. Finden wir doch, dass selbst Ansichten, die mit dem besten Willen den Begriff der Seele in ausdrücklichem Gegensatz zu allem Sinnlichen fassen möchten, in der weitern Ausführung gar oft dies ungreifbar übersinnliche Wesen durch eine feine Materialisierung doch wieder der Materie als dem Quelle aller Klarheit anzunähern suchen. Dieser ausschließliche Glaube an das Sinnliche, die Zuversicht zu seiner alleinigen Realität, deren Ausdrücke uns an allen Enden der wissenschaftlichen Welt begegnen, bildet, aus vielerlei Quellen entsprungen, in unserer Zeit einen so breiten und imposanten Strom des Irrtums, dass wir in der Kürze, in der uns hier auf die Prinzipien zurückzugehn verstattet ist, ihn weder zu hemmen noch zurückzudrängen vermögen werden. Auch ist es nicht unsere Aufgabe, alle jene theoretischen Gründe hier aufzuführen, um derentwillen die Philosophie, in diesem Punkte fast überall einstimmig, die unabhängige und ursprüngliche Realität einer räumlich ausgedehnten und teilbaren Materie leugnen muß. Indem wir vielmehr die Berücksichtigung dieser Reflexionen dem Studium der Metaphysik überlassen müssen, können wir hier nur auf wenige Punkte eingehn, deren Betrachtung jedoch hinreichend für uns das Folgende motivieren wird.
45. Als wir oben die Materie das Allerdunkelste nannten und dadurch vermuten ließen, dass wir umgekehrt den Geist für das Klarste halten, geschah die erste Behauptung nicht bloß um jener hier zu übergehenden theoretischen Widersprüche willen, welche die Vorstellung der Materie einschließt. Es läßt sich vielmehr, auch abgesehen von ihnen, sehr leicht wahrnehmen, wie wenig wir von dieser eigentlich verstehen. Unser Wissen nämlich von den Dingen ist überhaupt von zweierlei Art; es betrifft teils die wesentliche Natur des Gegenstandes selbst, teils die Mannigfaltigkeit der Relationen, die ihm äußerlich begegnen können. Von jenem ersten Wissen, von einer cognitio rei kann nur da die Rede sein, wo unserer Wahrnehmung ein Objekt nicht bloß in seinem äußerlichen Verhalten gegenübersteht, sondern uns in so unmittelbarer Anschauung gegeben ist, dass wir den Mittelpunkt seiner eigentümlichen Natur in unser Gefühl gleich sehr wie in unsere Vorstellungen aufnehmen können, dass wir uns in sie hinein zu versetzen und nachzuempfinden wissen, wie einem solchen Dasein vermöge seines innerlichen spezifischen Wesens zu Mut sein muß. Das andere äußerliche Wissen um die Dinge dagegen, eine cognitio circa rem, besteht vorzugsweis in einer hellen und deutlichen Kenntnis jener Bedingungen, unter denen uns die Erscheinung des Gegenstandes überhaupt zu Teil wird, und unter welchen sie sich in ihren Wechselwirkungen mit andern gesetzmäßig verändert. Beide Arten der Erkenntnis sind nicht überall vereinigt, sie teilen sich auch in die beiden Gegenstände, die uns beschäftigen, die Materie und den Geist.
46. Die Naturwissenschaften haben über die Erscheinung der Materie eine außerordentliche Anzahl von Wahrnehmungen äußerlicher Art entwickelt, und wir kennen mit großer Genauigkeit eine Menge von Relationen, nach deren Veränderlichkeit auch die scheinbaren Eigenschaften der Materie, ihre Zustände und Wirkungen sich abändern. Hierdurch ist die Vorstellung von ihr eine so geläufige, eine praktisch so anwendbare geworden, und innerhalb des gewohnten Kreises naturwissenschaftlicher Reflexionen führt sie so ausreichend zu richtigen Ergebnissen, dass uns das unbedenkliche Zutrauen nicht befremden kann, mit welchen die gewöhnliche Meinung sich ihrer allenthalben bedient. Aber so wie Niemand im alltäglichen Leben Wert und Nutzbarkeit der Geldmünzen bezweifelt, mit denen wir umgehen, und doch bei näherer Betrachtung gar viele die verworrensten Vorstellungen über Ursprung und Sitz dieses Wertes offenbaren, so wird auch die Materie uns immer dunkler, wenn wir von ihrem Rechnungswert für die physische Mechanik absehn und uns fragen, was sie wohl nun an sich selbst sein möge. Dann zeigt sich bald, dass ein träges, passives Dasein, in Undurchdringlichkeit und Raumerfüllung bestehend, tatlos mit Kräften begabt, die irgend einem beständigen Gesetze folgen, für unsere Erkenntnis ein völlig undurchdringlicher Gedanke ist, und dass wir nie dahinter kommen können, worin das Dasein eines solchen Elementes bestehen und wie ihm wohl bei dieser Form der Existenz zu Mute sein möge. In jenes Tote und Ruhende, das uns zuerst am klarsten schien, weil es sich äußerlich freilich am leichtesten zum Anknüpfungspunkt mannigfacher Relationen hergibt, dringt unsere Erkenntnis gar nicht ein; eine positive und unmittelbare Anschauung besitzen wir nur von dem Lebendigen und Tätigen. Dies allein verstehen wir und können sein Wesen durchdringend mitempfinden, das Materielle ist stets für uns eine fremdartige Larve. Wenn auch noch so wohl und scharf gezeichnet durch die Beziehungen der Form, der Lage, der Bewegung und anderer Wirkungen, die sich an sie knüpfen, bleibt daher die Materie dennoch in allen unsern Anschauungen ein vollkommen dunkler Kern, der in einem hellen Netze von Relationen sich hin und her bewegt, nach Gesetzen, die wir allerdings großenteils kennen und die uns oft verstatten, sein Erscheinen hier oder dort und die Formen die er annehmen wird, vorauszusagen, ohne dass jedoch die Finsternis, die in ihm selbst herrscht, dadurch irgend erhellt würde. Die Physik ist die großartigste Entwicklung einer solchen cognitio circa rem, welche die eigentümliche Stellung des Objekts zu unserer Erkenntnis uns hier allein verstattet.
47. Von dem Geiste haben wir das Umgekehrte zu sagen. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, wie wir mit fast gleichem Rechte uns die innigste Kenntnis desselben, wie die völligste Unwißenheit über ihn zuschreiben können. Was der eigentliche Sinn und Wert des geistigen Lebens sei, was es heiße, zu fühlen und zu streben, zu lieben, zu hassen, sich zu sehnen und befriedigt zu sein, davon haben wir die unmittelbarste und vollste Anschauung und nie wird die Wissenschaft uns in dem allen, was den wesentlichen Gehalt des geistigen Lebens ausmacht, irgend etwas von jenem unmittelbaren Bewußtsein noch Unentdecktes nachweisen können. Keine von diesen Erscheinungen ist in dem, was sie ist, irgend rätselhaft, wo sie uns dunkel erscheinen, ist es nur, weil wir an eine mittelbare, aus Bruchstücken das Ganze zusammensetzende Erkenntnis gewöhnt, die mühelose Gewißheit in diesen Dingen für zu wenig wissenschaftlich halten, oder weil wir in der Tat etwas Anders zu wissen verlangen, was wir nicht richtig das Wesen der Sache nennen, sondern richtiger gerade als ihre formellen Beziehungen bezeichnen würden. Mit Recht nämlich sehen wir bei aller dieser Klarheit der unmittelbaren Anschauung eine große Dunkelheit in dem geistigen Leben, und zwar eben in Betreff aller derjenigen Seiten, über welche in den Verhältnissen der Materie die größte Helligkeit verbreitet ist. Durch ihre Lage im Raume, durch ihre beständige Dauer in der Zeit, durch die bestimmte Zeichnung ihrer räumlichen Gestalt erscheint uns die Materie als ein wohl lokalisierter und begrenzter Kern, der von selbst nach allen Seiten hin geeignete Punkte zum Ansatz vielfältiger Beziehungen darbietet. Die Seele, zwar nicht ortlos, aber an eine unbekannte Stelle im Innern der sichtbaren Organisation gebannt, an sich zwar vielleicht unvergänglich, für unsere Erfahrung aber dennoch eine vorabergebende Erscheinung, in ihrer spezifischen Qualität wohl von uns verstanden, aber jeder bildlichen Anschauung ihrer Form entzogen, kommt uns wenig einheimisch in der räumlich zeitlichen Welt der Ereignisse vor, in die sie doch allseitig verflochten sein soll. Verwickelte Formen physischer Bewegung aus dem Zusammentreffen einfacher Anstöße zu erklären, besitzen wir Grundsätze genug, die nicht nur im Ungefähren ein Bild des entstehenden Erfolgs gewähren, sondern die genaue Bestimmung der Größen und Richtungen gestatten, in denen er sich zeigen wird. In dem psychischen Leben fehlt uns dagegen eine deutliche Wahrnehmung des Weges, auf welchem sich einzelne Elemente des Geschehens allmählich zu jener Mannigfaltigkeit zusammensetzen, die in der ausgebildeten Seele uns entgegenkommt. Und wenn uns endlich naturwissenschaftliche Grundsätze erlauben, selbst die in der Zeit wechselnden Erscheinungen des organischen Daseins, die Einflüsse neuer Reize auf die Ergebnisse der vorangegangenen zu einer erklärenden Entwicklungsgeschichte zu vereinigen, so verstehen wir dem gegenüber in dem geistigen Leben zwar wohl die poetische Notwendigkeit, mit welcher eine wesentliche Stufe desselben die Konsequenz einer andern bildet, ohne jedoch den kausalen Verlauf ihres Hervorgehens nach Analogie der Naturwirkungen Schritt für Schritt verständlich machen zu können. So sehen wir denn in der Natur die unserm Erkennen undurchdringliche Materie als einen finstern Kern sich in wohlgeordneten Bahnen bewegen, die überall das scharfe Anlegen eines bestimmten Maßstabes gestatten; die Seele dagegen erscheint uns als ein Licht, dessen Klarheit und dessen verschiedene sich ablösende Färbungen uns in dem, was sie ausdrücken wollen, wohl begreiflich sind, während doch seine Gestaltlosigkeit es uns unmöglich macht, ihm die gewohnte Fassung durch Begriffe und Anschauungen zu geben. Warum sollte ich nicht hinzufügen, was die Gegner unserer Ansichten gern als Konsequenz dieser Bemerkungen aussprechen werden: die Seele erscheine uns als ein Irrlicht, blendend, aber ohne erkennbare Wurzel und Zeichnung? Hört doch ein Irrlicht durch seine Unklarheit für uns nicht auf zu existieren; auch der Glaube an das Dasein der Seele erleidet durch diese Schwierigkeiten keine Beeinträchtigung, sondern nur die Aufforderung fühlen wir, die Mängel unserer gewöhnlichen Vorstellung von ihr zu bessern. Nur darauf läßt uns dies eigentümliche Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Psychologie schließen, dass die erste in dem Begriffe der Materie ein völlig fingiertes, an sich unwahres Prinzip zu Grunde legt, das sie jedoch durch eine geniale Kombination anderer Hilfsvorstellungen für einen großen Kreis von Untersuchungen höchst nutzbar zu machen versteht; dass dagegen die gewöhnliche Meinung vom geistigen Leben in dem Begriffe der Seele ein an sich völlig wahres Prinzip besitzt; aber ihm nur schwer die nötige Fassung und die erforderlichen äußern Beziehungspunkte zu geben vermag, die für seine Anwendung zur Erklärung der einzelnen Erscheinungen unentbehrlich sind. Die Tilgung dieses Mangels dem Folgenden überlassend, wenden wir uns noch zu einem zweiten Punkte dieser allgemeineren Überlegung.
48. Zur Befestigung unserer Ansichten über die Natur der Dinge ist es von großer Wichtigkeit, zuweilen aus dem Kreise von Vorstellungen herauszutreten, in welchen uns die fortwährende konsequente Untersuchung eines bestimmten Gebietes von Erscheinungen gebannt hat. Indem wir unsern Blick auf das Ganze der Welt richten und alle jene notwendigen Voraussetzungen über ihren Zusammenhang vereinigen, von denen in einer bestimmten wissenschaftlichen Untersuchung stets nur einige vorwiegend zu Grunde gelegt werden, haben wir uns zu fragen, ob unser ganzer Geist Glauben und Zutrauen an die reelle Existenz dessen haben kann, was eine einzelne Richtung unserer Intelligenz zur Erläuterung einzelner Gebiete der Wirklichkeit annahm. Diese Besinnung über unsere wissenschaftliche Tätigkeit stellt nicht überall deren Resultate, sondern oft nur ihre Prinzipien in Frage, und wir werden jene beibehalten können, obgleich wir die letzten vielleicht nicht als an sich richtig, sondern nur als paßliche Abkürzungen eines anderen wahren Sachverhaltes anerkennen müssen. Richten wir denselben prüfenden Blick auf den Begriff der Materie, so werden wir uns sagen müssen, dass, wie groß immer sein Nutzen für die Entwicklung der Naturwissenschaften sei, wir doch jenes unmittelbare Zutrauen zu der objektiven Wahrheit und Gültigkeit desselben nicht besitzen. Dass ein großer Teil aller Wirklichkeit nur in einem tatlosen, aller inneren Zustände entbehrenden, seine eigenen Lagen weder wissenden, noch genießenden, den Raum ausstopfenden Substrate bestehe, das nur für andere Wesen Gegenstand einer doch niemals erschöpfenden Anschauung wäre, eine solche Annahme widerspricht der allgemeinen ethischen Voraussetzung, nach der wir in dem Zusammenhang der Dinge Vernünftigkeit und die Realisierung der größten Güter voraussetzen. Dieser zweite Gesichtspunkt vereinigt sich mit dem vorigen, um uns den Geist allein als die ursprüngliche Existenz, die Materie als ein Sekundäres ansehn zu lassen, das nun natürlich seine Wurzeln nirgends anders, als in dem Geiste selbst haben kann.
49. Um nun unsere Gedanken darüber, wie überhaupt eine Ableitung der natürlichen Welt ans der geistigen möglich sei, zu dem vorläufigen Abschluß zu bringen, der uns hier erreichbar ist, müssen wir der falschen Begeisterung für die Exaktheit naturwissenschaftlicher Vorstellungen den letzten Boden durch die Erinnerung entziehn, dass ja die Materie selbst durchaus kein gegebenes und feststehendes Prinzip, kein Gegenstand der Wahrnehmung, sondern nur das Geschöpf einer sehr willkührlichen Hypothese ist. Die Erfahrung zeigt uns nichts, als die Erscheinungen mannigfach verschiedener Körper, an denen sich jedoch trotz ihrer vielfachen qualitativen Unterschiede eine Summe analoger Eigenschaften und ein ähnliches Verhalten unter ähnlichen Umständen bemerken läßt. Diese allgemein den verschiedenen Körpern anhaftenden Eigenschaften kann man unter dem Namen der Materialität, d. h. einer bestimmten Form des Verhaltens zusammenfassen, und die Wissenschaft wird die Frage zu lösen haben, welcher nicht in der Erfahrung gegebene Grund irgend welcher Art zur Erklärung dieser allein in der Erfahrung vorliegenden Form der Materialität hinzuzudenken sei. Dass nun dieser Grund in einem bestimmten Wesen, in einer allgemeinen Materie liege, welche gleichmäßig in allen diesen Körpern vorhanden, obwohl zu verschiedenen Modifikationen ausgeprägt sei, diese Annahme ist eine der gewöhnlichen Manier des Nachdenkens zwar sehr nahe liegende, aber logisch durchaus nicht ausschließlich berechtigte. Warf doch auch uns früher der Materialismus ein, dass die Eigentümlichkeit der psychischen Erscheinungen nicht notwendig sogleich auf eine besondere Sorte von Substanzen, die Seelen, sondern nur auf besondere und eigentümliche Bedingungen überhaupt hinweise, die indessen recht wollt vielleicht auch in denselben materiellen Substraten sich finden könnten, welche die übrige Natur zusammensetzen. In derselben Form des logischen Einwurfs behaupten wir umgekehrt: Materialität weise nicht notwendig auf eine besondere Sorte von Substanz, auf Materie hin, sondern ebenso möglich nur auf eigentümliche Eigenschaften oder Bedingungen überhaupt, die ganz wohl auch an übersinnlichen Wesen haften oder in ihnen realisiert sein können. Materie und Seele erscheinen in diesem Betracht zunächst als logisch gleich unbeglaubigte Einfälle; aber andere Überlegungen erfordern die Annahme der zweiten, während sie die der ersten entbehrlich und unmöglich machen.
50. Wir haben gesehen, welchen Einspruch unser unbefangener Verstand gegen den Glauben an die Existenz einer Materie als eines ursprunglichen Wesens tut; aber auch methodologisch erscheint ihre Annahme nicht als eine Erklärung, sondern als eine tautologische Wiederholung des Fragepunktes. Um die Erscheinungen der Materialität zu erklären, wurde sie gemacht; aber der Begriff der Materie bezeichnet nicht irgend ein an sich bedeutungsvolles und glaubliches Wesen, aus dessen Natur sich als weitere Konsequenzen die Eigenschaften ergeben, die man zu erklären wünscht; ihre ganze Natur erschöpft sich vielmehr darin, eben das zu sein, was diese Eigenschaften faktisch hat. Dass es ferner unmöglich ist, aus dieser Vorstellung der Materie zugleich das geistige Leben zu erzeugen, haben wir früher gesehen; die äußerlichen Verhältnisse der Körper, zu deren Erläuterung sie geschaffen ist, enthalten nichts, woraus ohne völlige Umänderung des Begriffs durch Hinzufügung ganz neuer Eigenschaften irgend etwas dem psychischen Dasein Analoges hervorgehn könnte. Umgekehrt dagegen sind alle Eigenschaften der Materie, eben da sie nichts als Formen des äußerlichen Verhaltens mehrerer Subjekte gegeneinander sind, wohl geeignet, aus Beziehungen von Wesen überhaupt abgeleitet zu werden, auch wenn diese Wesen an sich nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem späteren Bilde eines materiellen Substrates und seiner Wirksamkeit zeigen. Anziehung und Abstoßung sind Formen des Benehmens, die aus den inneren Zuständen, der Verwandtschaft oder dem Gegensalze jeder zwei Wesen fließen können, und die aus der Natur psychischer Substanzen nicht minder leicht als aus der vorausgesetzten und doch unbegreiflichen Natur einer Materie zu verstehen sind. Erfüllung eines Raumes und Undurchdringlichkeit, die anschaulichsten Kennzeichen der Materie, sind nichts als Wirkungen zurückstoßender Kräfte, als deren Subjekt jedes Wesen, das im Raume einen Ort haben kann, hinlänglich, keineswegs aber erforderlich ist, dass dieses Subjekt schon an sich im Raume auch eine Ausdehnung besitze. Die qualitativen Eigenschaften der Sinnlichkeit endlich, mit denen sich die Körper ausgestattet zeigen, hat schon die Naturwissenschaft selbst als subjektive Erscheinungen in unserm Geiste anerkannt, und so bleibt als wesentlicher Charakter der Materie nichts übrig, was nicht als notwendige Konsequenz von Beziehungen sich ansehn ließe, die zwischen immateriellen Substanzen obwalten.
51. Obgleich indessen dem Prinzip nach die Möglichkeit und die Notwendigkeit dieser spiritualistischen Ansicht der Natur leicht nachzuweisen war, so ist doch die wirkliche Ausführung derselben durch die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nicht ebenso möglich. So sehr die verschiedenartigsten Philosophien darin übereinstimmen, die Materie als eine Erscheinungsform eines an sich übersinnlichen Realen anzusehen, so sind doch die näheren Versuche zur Bestimmung der Bedingungen, unter denen uns diese Erscheinung entsteht, noch ziemlich abweichend von einander. Noch viel weniger ist es bis jetzt gelungen, die bestimmten Naturgesetze, welche uns die Erfahrung kennen gelehrt hat, als notwendige Konsequenzen innerlicher, geistiger Zustände der Wesen zu fassen. Allerdings müssen wir daher, wenn wir ein Ideal der Wissenschaft in unserm Sinne zeichnen wollen, die Psychologie als die Lehre von den wesentlichen Prinzipien alles Daseins und Wirkens, die Physik dagegen nur als Nachweisung der besondern Formen anführen, welche die Regsamkeit des geistigen Lebens innerhalb des Gebietes räumlich zeitlicher Anschauungen entwickelt. Für unsere wirkliche Ausführung der Wissenschaft jedoch müssen wir uns, wie so oft in der lückenvollen menschlichen Erkenntnis begnügen, einerseits dies Prinzip zu besitzen, anderseits die Fülle der empirischen Mannigfaltigkeit zuerst durch ihnen näher liegende Abstraktionen zu beherrschen und sie allmählich erst zur Ableitung aus dem höchsten und wahren Grunde ihrer Existenz vorzubereiten. Versuchen wir also, die Summe unserer bisherigen Betrachtungen zu ziehen, so sind unsere Ergebnisse folgende.
52. Wir haben gefunden, dass die Vorstellung der Materie, von der, als der klarsten und sichersten, man in der Erforschung des Seelenlebens ausgehn wollte, im Gegenteil das dunkelste und unsicherste Erzeugnis unserer Reflexion ist, und dass ohne eine völlige Umgestaltung ihr Begriff nichts enthält, was als Prinzip zur Erklärung des Seelenlebens benutzt werden könnte. Wir haben ferner bemerkt, dass eine Vereinigung zweier ursprünglichen Quellen der Erscheinungen, eines idealen und eines realen Attributes in derselben Substanz weder im Einzelnen Vorteile der Erklärung gewährt, noch im Ganzen eine befriedigende Ansicht gibt, da eine Doppelheit unvergleichbarer, ihrem Inhalte nach völlig selbständiger Attribute in demjenigen, was als die letzte Grundlage der Dinge gelten soll, unter allen Beleidigungen unserer Sehnsucht nach Einheit die empfindlichste sein würde. Dagegen haben wir in der Vorstellung der Seele ein Prinzip angetroffen, dessen wesentliche Bedeutung uns trotz der Dunkelheit seiner formellen Fassung verständlich und durchsichtig war, und aus dessen Beziehungen zu gleichartigen Wesen nicht nur die Gesamtheit des geistigen Lebens, sondern auch alle jene physischen Formen des Daseins und Wirkens erklärlich scheinen, welche wir unter dem Namen der Materialität zusammenfassen. Den Glauben an eine Gleichheit des Wesens in allem Wirklichen, den jene beiden von uns zurückgewiesenen Ansichten verfochten, haben mithin auch wir nicht nötig aufzugeben, und können der Sehnsucht nach Einheit ihre Befriedigung lassen. Aber wir müssen es in einer Weise tun, welche den Kern unserer Polemik gegen jene andern Auffassungen ungeschmälert erhält. Gegen den Materialismus müssen wir behaupten, dass gerade aus jenen Eigenschaften und Wirkungen der Dinge, die wir mit dem Namen der Materialität bezeichnen, das Geistige nie zu erklären sei und deshalb die Psychologie nie sich in Naturwissenschaft verwandeln lasse. Gegen die Meinungen von einer Identität des Geistes und des Körpers müssen wir erinnern, dass trotz möglicher Analogie ihrer wesentlichen Qualität beide doch verschiedene Elemente sind, die höchstens innerlich gleich, aber nie dasselbe sein können. Da wir endlich gesehen haben, dass alles psychische Geschehen, das etwa in den einzelnen Bestandteilen des Körpers angetroffen werden möchte, wirkungslos für die Erklärung unsers Seelenlebens ist, dass mithin der Körper nur in seiner Eigenschaft eines Systems materieller Teilchen für uns in Betracht kommt, so bleibt für alle praktische Ausführung der Wissenschaft nach wie vor jene scharfe Trennung zwischen Seele und Leib bestehen, von der wir ausgingen und die uns nun nötigt, zur Erläuterung der Wechselwirkung beider die Vorstellung eines physisch-psychischen Mechanismus auszubilden.