Rudolph Hermann Lotze
Medizinische Psychologie
Rudolph Hermann Lotze

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§. 7. Vom psychologischen Werte des Leibes.

64. Die gewöhnliche Erfahrung zeigt uns jede Wechselwirkung zwischen der Seele und der äußeren Welt beständig an das Mittelglied physischer Prozesse gebunden. Keine Kenntnis der Ereignisse um uns geht uns anders als durch Vermittlung der Reize zu, die durch physische Kräfte unsere Sinnesorgane erregen; keine Veränderung bringen wir in unserer Umgebung anders hervor als durch Übertragung von Bewegungen, welche die Seele zunächst nur in den Gliedern des eigenen Körpers unmittelbar erzeugte. Neben dieser beständigen Erfahrung des täglichen Lebens laufen jedoch durch alle Zeitalter hindurch noch Sagen von einem unmittelbaren Bande der Seelen untereinander oder von einer Kraft derselben, ohne physische Vermittlung von Entferntem zu leiden oder auf Entferntes zu wirken. Entstanden aus der meist sehr unvollständigen Beobachtung einer im Vergleich zu den täglich wiederkehrenden Ereignissen unendlich kleinen Minderzahl ungewöhnlicher Begebenheiten, haben diese Ansichten von einer unmittelbaren Sympathie der Wesen untereinander nicht nur so tief in einzelnen Gemütern Wurzel geschlagen, sondern sie haben selbst so vielfältig Ansätze zu wissenschaftlicher Gestaltung gemacht, dass wir unsere Stellung ihnen gegenüber wenigstens mit einigen Worten andeuten müssen.

65. So lange man behauptet, die Seele vermöge Ereignisse, die gänzlich außerhalb des Wirkungskreises ihrer leiblichen Sinnesorgane liegen, unmittelbar wahrzunehmen, und ohne dass irgend eine andere physische Vermittlung die hier ungenügend gewordene jener Organe ersetze; so lange man ferner behauptet, die Seele sei ebenso im Stande, auf andere Seelen oder auf Objekte der unbelebten Natur zu wirken, ohne die Vermittlung irgend einer jener mechanischen Kräfte, die durch die leibliche Organisation ihr ein für allemal zu Gebot gestellt sind: so lange gehören diese Meinungen in keiner Weise zu dem Gegenstande unserer Betrachtung. Denn unsere Aufgabe ist es nur, diejenigen Phänomene des Lebens darzustellen, die eben aus beständiger Wechselwirkung des Geistes und des Körpers entspringen; Alles, was die Seele ohne Körper vermag, liegt außerhalb des Gebietes einer physiologischen Psychologie. Wenn wir indessen aus diesem Grunde uns billig der Mühe überheben, jenen Erzählungen über den sympathetischen Rapport der Dinge hier ins Einzelne nachzufolgen, so ist es doch auch für unsern Zweck wichtig, im Allgemeinen über die mögliche Begründung jener Geschichten eine Überzeugung zu fassen. Denn offenbar würde eine physiologische Psychologie, welche das Leben der beseelten Wesen stets nur auf die Wechselwirkung zwischen Seele und Körper zurückführte, einer wunderlichen Unsicherheit unterliegen, wenn neben all den gesetzmäßigen Zusammenhängen, welche sie lehrt, überall noch die allgemeine Möglichkeit stände, dass in einzelnen Fällen, und zwar in solchen, deren nähere Bedingungen sich gar nicht nachweisen ließen, die wichtigsten Ereignisse desselben Lebens auch einmal mit Umgehung des ganzen physisch-psychischen Mechanismus zu Stande kommen könnten.

66. Wir müssen nun zugestehn, dass wir die Möglichkeit jenes oft behaupteten unmittelbaren Rapports keineswegs so ganz kurz abweisen können, als wohl eine übel begründete Zuversicht zu den Resultaten unserer bisherigen Naturwissenschaft sich einbilden mag. Allerdings muß das, was auf einander wirken soll, in irgend einem Zusammenhang stehn; aber zunächst doch nur in einem dynamischen, von dem sich nicht von selbst versteht, dass er stets identisch mit räumlicher Berührung sein müsse. Es ist wahr, dass ein bewegter Körper einen ruhenden erst dann in Bewegung setzt, wenn er ihn stößt, dass er dagegen für ihn wie nicht vorhanden ist, so lange er ihn nicht berührt. Aber diese Tatsache ist auch nicht mehr als eine Tatsache, wir wissen durch sie nicht besser als vorher, warum der gestoßene Körper sich fortbewegt, und was eigentlich das ist, was wir Mitteilung der Bewegung nennen. Können wir daher in der Natur der räumlichen Berührung kein Motiv nachweisen, warum gerade sie eine sonst unmögliche Wechselwirkung ermögliche, so können wir sie auch nicht als die allgemeine erzeugende Bedingung jeder Wechselwirkung, sondern nur als diejenige Lage der äußern Umstände bezeichnen, welche in diesem Falle des Stoßes zur Erzeugung der Bewegung nötig ist. Man muß sich nicht die Illusion machen, als enthielten die gewohnten Grundsätze unserer physischen Mechanik irgendwie eine Erklärung der einfachsten Naturwirkungen; sie sind überall nur Beschreibungen, oder vielmehr genaue Definitionen der Umstände, unter welchen wir unbegriffenerweise gewisse Naturwirkungen eintreten sehen. An welcherlei Umstände jeder Kreis dieser Wirkungen gebunden sei, läßt sich daher nur empirisch ermitteln, und eben deswegen ist selbst die ausschweifendste Vorstellung von einem völlig unmittelbaren Wirken der entferntesten Wesen auf einander durch die Grundsätze der Naturwissenschaft niemals auf so kurzem Wege zurückzuweisen.

67. Wer überdies mit uns die Ansicht teilt, dass in allem Materiellen das wahrhaft wirksame Reale doch ein Übersinnliches sei, und dass die primitiven Ereignisse stets in Veränderungen dieser übersinnlichen Welt bestehen, wovon aller sinnliche Naturlauf nur ein sekundärer Widerschein ist, der wird um so weniger die abstrakte Möglichkeit eines innern sympathischen Zusammenhangs der Dinge leugnen, welcher keinen Mechanismus voraussetzt, wohl aber mechanische Wirkungen aus sich entstehn lassen könnte. Vor langer Zeit schon hat Kant in seinen Träumen eines Geistersehers diese weitverbreitete und uralte Vorstellung ausgeführt; mit einer humoristischen Laune freilich, die in der Behandlung dieser Frage nicht ganz angemessen war; denn nicht dies allein war darzustellen, dass diese Hypothese kein Objekt wissenschaftlicher Bejahung, sondern auch dies, dass sie kein Gegenstand voreiliger Verneinung sein darf. Zu der Annahme, dass alles Geschehen in der Welt auf Verhältnissen zwischen den inneren Zuständen der Dinge beruhe, werden wir mit Notwendigkeit durch viele Gründe gedrängt, und der wahre Weg der Wissenschaft, wenn er uns offen stünde, könnte nur sein, aus der Natur dieser Verhältnisse selbst den Grund zu entwickeln, warum unmittelbare Sympathie nicht schrankenlos stattfinden kann und darf, warum vielmehr der physische Mechanismus die Aufgabe erhält, die Gemeinschaft zwischen den Wesen ebenso sehr herzustellen als zu beschränken. Umgekehrt dagegen werden gewiß alle Maschinerien fruchtlos sein, um eine Möglichkeit der Wechselwirkung zu erklären, die man nicht schon vor ihnen voraussetzt.

68. Zwischen dem Zugeständnisse, dass man gegen das Prinzip einer Ansicht einen logischen oder physischen Beweis nicht besitze, und dem Entschlusse, diesem Prinzip beizutreten, liegt jedoch noch eine große Kluft und diese werden auch wir hier nicht überspringen. Vieles läßt sich abstrakterweise als möglich und denkbar hinstellen, während man doch gute Gründe hat, den Glauben an seine wirkliche Existenz durchaus zu versagen. So müssen wir auch hier, obgleich im Allgemeinen die Möglichkeit unvermittelter Wechselwirkung zwischen Allem als denkbar zugebend, doch behaupten, dass die vorhandene Ordnung des Weltlaufs, so wie wir sie empirisch kennen, uns die Realisierung jener Möglichkeit auszuschließen scheint. Niemand wird bezweifeln, dass nach aller gewöhnlichen Erfahrung das Ganze des geistigen Lebens auf einer beständigen Vermittlung seiner rezeptiven so wie seiner spontanen Funktionen durch leibliche Zustände und physische Prozesse beruht; aller jener unmittelbare Rapport dagegen erscheint selbst in den Erzählungen der Gläubigsten nur als ein seltner hier und da auftretender Zufall, nicht als ein System, auf welches sich eine geordnete und zweckmäßige Entwicklung eines vernünftigen Geisteslebens gründen könnte. Die Organe des Körpers sind nicht nur in ihrer vollendeten Gestalt auf die Erfüllung geistiger Bedürfnisse mit größter Sorgsamkeit berechnet, sondern auch ihre allmähliche Entwicklung erfolgt so, dass ihr Rhythmus, ihre Geschwindigkeit und Richtung überall auf den Gang der geistigen Ausbildung einen leitenden Einfluß ausübt. Dem gegenüber zerfahren die Erzählungen unmittelbarer Sympathien in einzelne Anekdoten: wir sehen sie hie und da bald unter den ernstesten, bald unter den einfältigsten Umständen auftreten, nirgends mit Konsequenz an Vorgänge geknüpft, deren Wichtigkeit diesen unmittelbaren Wechseleinfluß auch nur als Ausnahme motivierte.

69. Wir können nicht glauben, dass neben dem Tagleben der Welt eine so regellose "Nachtseite" des Daseins vorhanden sei; wir müßten mindestens verlangen, dass auch ihr zeitweiliges Hervortreten an bestimmte Bedingungen geknüpft sei, die im Gange des Naturlaufs vielleicht nur selten eintreten. Man hat auch dies glaublich zu machen gesucht; man hat gemeint, es gebe eine geistige Zucht und Sammlung, eine eigentümliche Fixierung des Willens, eine moralische Läuterung, die es Auserwählten möglich mache, über den gewöhnlichen Wirkungskreis des Körpers hinaus unmittelbar zu empfinden und zu handeln. Andere, prosaischer, haben von Krankheitszuständen gesprochen, welche die Festigkeit des psychisch-physischen Mechanismus lösen, und die Seele gleichsam durch die zerbrochene Hülle des Leibes hindurch ungemessene Kräfte der Ahnung und der Wundertätigkeit ausüben lassen. Wir wollen nun nicht in Abrede stellen, dass unsere gewöhnliche wissenschaftliche Auffassung von dem psychischen Werte des Leibes etwas einseitig ist. Wir betrachten ihn stets unter dem Gesichtspunkt eines dienenden Instruments, das der Seele eine Ausdehnung ihrer Wirkungen auf größere Gebiete der Außenwelt möglich macht; aber allerdings läßt dies Gebäude körperlicher Massen sich zugleich auch als ein System von Schranken fassen, welches die immer vorhandene unmittelbare Wirkungsfähigkeit der Wesen auf einander eingrenzt, und auf bestimmte Wege zurückdrängt. So hat die gewöhnliche religiöse Ansicht gewiß nicht Unrecht, wenn sie mit freilich noch viel größerer Einseitigkeit von Banden des Leibes spricht, die entweder in einem künftigen Leben oder kraft geheimnisvoller Weihen schon in diesem überwunden werden sollen. Um jedoch hieraus für die Wissenschaft irgend Nutzen zu ziehn, würde es nötig sein, dass dies ganze dunkle Gebiet sich der Herrschaft des Experiments ebenso unterwerfen ließe, wie die Entdeckung der Ätherwirkungen ein anderes nicht minder wunderbares Gebiet psychischer Erscheinungen der zweifellosesten Beobachtung zugänglich gemacht hat.

70. Man hat jedoch keineswegs die außergewöhnlichen Zufälle, die man in einzelnen Fällen eintreten zu sehn glaubte, stets auf einen unmittelbaren Zusammenhang der Seele mit andern Wesen geschoben, sondern sie ebenso häufig auf das Vorhandensein anderer, als der gewohnten physischen Vermittlungen zurückzuführen gesucht. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, denn in der Tat könnten wir nicht a priori bestimmen, welche physischen Prozesse im Stande sind, auf unsere Seelenorgane zu wirken, und welche andere zu schwach dazu oder ungeeignet sind. Was man daher auch immer in den Geschichten des magnetischen Leidens, des Somnambulismus, der Clairvoyance über dergleichen Vorgänge erwähnt, das Alles ist in so fern Gegenstand unserer Untersuchung, als es auf irgend eine physische Vermittlung, sei sie auch der ungewöhnlichsten Art, zurückgeführt wird. Wir werden die Wahrscheinlichkeit der darüber gemachten Voraussetzungen zu prüfen haben, und werden am meisten nur dadurch in der Untersuchung aufgehalten werden, dass uns Mittel abgehen, vorher die Wahrheit der zu Grunde gelegten Tatsachen zu beurteilen. Gewiß ist es, dass in diesem Gebiete der eine Teil der Beobachter zwar eine große Virtuosität entwickelt in Erklärung von Ereignissen, die nie existieren, dass dafür aber der andere Teil in einem völlig unbegründeten Zutrauen zu gewissen naturwissenschaftlichen Gemeinplätzen die Unmöglichkeit dessen beschließt, was nicht ganz selten zu beobachten sein dürfte.

71. Indem wir die Anwendung dieser allgemeinen Gesichtspunkte dem Folgenden überlassen, dürfen wir uns nun hier im Gegensatz zu den Ansichten, welche der physischen Vermittlung des geistigen Lebens fast entbehren zu können glaubten, nicht durch andere Meinungen dieser Vermittlung zu viel aufdrängen lassen. Wir sehen den Körper als ein System organisierter materieller Hilfsmittel an, geschickt, allerhand äußere Reize zur Wirkung auf die Seele zu konzentrieren, und umgekehrt ihre Impulse auf die umgebende Welt wieder zu zerstreuen. Suchen wir nun näher zu bestimmen, in welchen einzelnen Verrichtungen diese Arbeit des Körpers für den Geist besteht, so müssen wir zugeben, dass die materialistischen Ansichten allein, welche gewisse Nerventeile geradezu für die Subjekte der psychischen Tätigkeiten nehmen, hierüber klar sind, wogegen die Meinungen, welche den Körper und seine Teile als Organe der Seele bezeichnen, sich wenig darüber Rechenschaft geben, in welcher Weise überhaupt Werkzeuge dem zu nützen pflegen, der sie anwendet. Wir werden untersuchen müssen, wozu überhaupt die Seele der Werkzeuge bedarf, d. h. welche ihrer Tätigkeiten sie nicht ohne Beihilfe körperlicher Mittel auszuführen vermöchte; dann, wie gestaltet und geartet diese Mitwirkung sein müsse, um jene Bedürfnisse der Seele zu decken; endlich werden wir zu fragen haben, auf welche Weise die Seele überhaupt über ihre Werkzeuge die Gewalt besitzt, sich ihrer zu bedienen und sie zu handhaben.

72. Wir haben in Bezug auf die erste Frage schon früher gesehen, wie wenig die Wirkung, die irgend ein reizender Anstoß in einem gereizten Objekt erregt, von ihm fertig in dieses übergetragen wird, wie vielmehr stets der Reiz nur Bedingungen herstellt, unter denen das Gereizte aus seiner eigenen Natur heraus die spezifische Form der Wirkung entwickelt, die wir beobachten. Wir haben zugleich gesehen, wie wenig außerdem gerade die eigentümliche Qualität der psychischen Vorgänge analytisch aus der Art der Eindrücke zu erklären ist, denen wir sie folgen sehn. Kaum wird man daher auf den Einfall geraten, die Seele sei an und für sich unfähig, die spezifischen Formen ihrer Tätigkeit, Vorstellen, Fühlen und Wollen aus sich zu erzeugen, sie bedürfe vielmehr dazu eines Organs oder einer körperlichen Mitwirkung irgend einer Art. Man wird vielmehr zugeben, dass, wenn irgend etwas, so gerade diese besondere Qualität ihrer innern Zustände gänzlich und allein aus der Natur ihres Wesens fließe, und in der Tat würde eine an sich des Bewußtseins unfähige Seele ein ebenso seltsamer Gedanke sein, als unbegreiflich die Art, wie ein des Denkens gewiß nicht minder unfähiges Körperorgan es anfangen sollte, ihr zur Fähigkeit des Bewußtseins oder Wollens zu verhelfen. Wir haben gleiche Betrachtungen auch im Einzelnen durchzuführen. Die Fähigkeit, Licht und Farben zu empfinden, Töne zu hören, können wir nicht ansehn als mitgeteilt der Seele durch die Reize der Licht- und Schallwellen; wie man beide letztere auch analysieren möge, es liegt nichts in ihnen, was sie berechtigte, diese Art des Empfundenwerdens um ihrer selbst willen zu fordern. Dass sie leuchtend und tönend erscheinen, kann nur in der Natur der Seele selbst liegen, die durch gerade diese Reize in gerade solche Zustände versetzt wird, welche ihr nach Gesetzen ihrer eigenen psychischen Natur nur unter diesen Formen der Empfindung erscheinen können.

73. Wir haben von Fähigkeiten der Seele gesprochen; in der Tat konnte nur von ihnen, nicht von Tätigkeiten die Rede sein. Wie vielerlei auch in der Natur der Seele vorgebildet sein mag, so können wir doch nur annehmen, dass sie, am Anfange ihrer Entwicklung, keinen Grund in sich selbst haben kann, irgend eine dieser allgemeinen Fähigkeiten der Wirkung mehr nach dieser als nach jener Seite, mehr auf dieses als auf jenes Objekt bezogen, anzuwenden. Alles, was in der Seele an Lebensfähigkeit vorhanden ist, wird, um in physiologischem Sprachgebrauch zu reden, latent sein, bis äußere Reize hinzutreten, welche dem allgemeinen Vermögen der Seele eine bestimmte einzelne Richtung, und damit erst die Möglichkeit einer wirklichen Äußerung geben. Diese äußern Anstöße können nur vermittelst des Leibes ihr zugeführt werden und da die Seele bestimmt ist, nicht nur eine Welt der Wahrnehmungen in sich zu konstruieren, welche der äußeren Welt der Objekte in ihren Verhältnissen und ihrer Zeichnung entspricht, sondern auch in Übereinstimmung mit der wirklichen Lage der Dinge zu handeln, so wird die größte und bedeutendste Aufgabe körperlicher Mitwirkung ohne Zweifel darin bestehen, eine Kombination gleichzeitiger und sukzessiver Reize so zu bewirken, dass auf ihre Anregung die Seele zu einem Bilde der äußern Welt gelangt, und umgekehrt eine Summe körperlicher Bewegungen so passend zu einander zu verflechten, dass ihre Erfolge den inneren Impulsen der Seele entsprechen. Die Höhe und das eigentümliche Timbre des Tons, den eine Saite geben wird, hängt nur von ihrer Länge, ihrem Metall und ihrer Spannung ab, die Stärke dagegen und die Dauer des Halles und alle Modulationen seines Anschwellens und Verklingens von der Art des Anschlags, das wirkliche Eintreten des Tones endlich von dem wirklichen Geschehen dieses Anschlags. Ebenso gehört die Fähigkeit und der Grund zu der eigentümlichen Qualität des Vorstellens, Empfindens, Fühlens, Begehrens, lediglich der Natur der Seele selbst und keine körperliche Hilfe vermöchte sie ihr mitzuteilen; aber der Grund der wirklichen Ausübung dieser Fähigkeit liegt in der wirklichen Tatsache des äußern Reizes; Melodie endlich und Fortschritt des geistigen Lebens wird jenen Anlagen nur durch die Anstöße abgewonnen, welche vermittelst der körperlichen Prozesse ihnen bald diese bald jene Richtung, Stärke, Dauer und Wiederkehr geben.

74. Nehmen wir nun einen Augenblick lang an, dass übrigens in der Natur der Seele selbst kein Motiv zu einer weitern selbständigen Verarbeitung und Verknüpfung der gewonnenen Eindrücke liege, so würde die Seele in jedem Augenblicke ihrer Existenz nur ein eigentümliches Echo dieser physischen Reize sein, ein solches nämlich, welches jeden einzelnen in der fremden und unvergleichlichen Form einer Empfindung oder Vorstellung wiederholte und so die äußern Eindrücke nur in eine andere Sprache übersetzte, ohne ihnen etwas hinzuzufügen oder ihren Zusammenhang umzugestalten. Aber diese Annahme eines Mangels eigentümlicher Tätigkeit im Geiste ist nicht haltbar. Wir wissen, dass wir hiermit einen Gegenstand berühren, der vielbezweifelt und den verschiedensten Meinungen unterworfen, an dieser Stelle nicht erschöpfend von uns behandelt werden kann. Späteren Orten dies überlassend, müssen wir uns begnügen, unsere Ansicht mindestens zu verdeutlichen. Wir gaben bereitwillig zu, dass die Eindrücke, welche das Material unserer Vorstellungswelt bilden, uns nur durch Hilfe körperlicher Sinneswerkzeuge zukommen, und nicht minder, dass selbst die Kombination dieser Elemente in der Anschauung durch eine ähnliche Kombination der Reize, von denen sie ausgehn, vorgearbeitet werden muß. Aber wir glauben nicht, dass die Gesamtheit aller dieser Arbeit der Verflechtung, Verknüpfung, Scheidung und Anordnung der Elemente durch die Tätigkeit der körperlichen Organe erledigt werde, so dass die Seele stets nur das fertige Resultat dieser physischen Prozesse in die Sprache des geistigen Lebens übersetzte, ohne dies so Übersetzte noch zu weiteren Gestaltungen zu verarbeiten. Gäbe es einen solchen Bereich unabhängiger Tätigkeit nicht, so würde der ganze Ablauf eines geistigen Lebens in jedem einzelnen Stücke, so wie in der ganzen Folge aller, vollkommen als ein nebenherlaufender Schatten, als ein Echo des physischen Lebenslaufs erscheinen, stets sekundär das wiederholend, was in diesem geschah, aber nie auf ihn mit einer Kraft zurückwirkend, die nicht aus ihm selber entsprungen wäre. Dem entgegengesetzt meinen wir, dass zwar die Tätigkeiten des Körpers zuerst die der Seele hervorrufen, dass aber das Leben der Seele, einmal erweckt, sich weit über die Grenzen des ersten Anstoßes erstreckt und nach eigenen Gesetzen sich zu Ereignissen weiter entwickelt, die weder nach physischen Begriffen erklärbar sind, noch eine Mitwirkung körperlicher Tätigkeiten erfordern oder gestatten. Wie weit sich dieses Gebiet unabhängiger Tätigkeit erstreckt, ist eine Frage von so großer Schwierigkeit, dass sie in jedem einzelnen Fall einen Teil unserer speziellen Untersuchungen in Anspruch nehmen wird. Wir werden im Allgemeinen finden, dass unbeschadet aller Selbständigkeit der Seele und ihrer ursprünglichen Tätigkeiten die Nachwirkung leiblicher Zustände ungemein weit reicht: kaum irgend ein Teil des geistigen Lebens wird ihr entzogen sein. Aber eben die volle Voraussicht dieser weitreichenden Verkettung des Physischen und Psychischen fordert uns am so bestimmter auf, die Anerkennung jenes Gebietes unabhängigen Geisteslebens zu sichern.

75. Mit der Vorstellung eines physisch-psychischen Mechanismus hängt natürlich die Frage nach der Freiheit der Seele zusammen. Sie hat jedoch eine doppelte Bedeutung. Es kann uns nicht darauf ankommen, hier die Frage entscheiden zu wollen, ob der menschliche Wille, von dem allein in dieser Hinsicht die Rede sein könnte, innerhalb eines rein geistigen Lebens vollkommne Freiheit seiner Hinneigung zu einem oder dem andern Entschlusse habe, und ob er nicht vielmehr durch die Gesamtheit aller übrigen, rein geistigen Zustände, die ihm vorangingen und den Augenblick der Entscheidung füllen, in seiner Wahl notwendig determiniert sei. Mit einer physiologischen Psychologie hängt nur die andere Untersuchung zusammen, ob die Glieder jener Kausalkette, welche etwa den Willen mit Notwendigkeit bestimmte, ununterbrochen aus körperlichen Funktionen zusammengesetzt sind, oder ob dazwischen als einzelne Glieder auch geistige Zustände auftreten, die, obgleich leiblich angeregt, doch eine Strecke weit den Kausalzusammenhang nach ihren eigenen, nicht nach physischen Gesetzen fortführen. Wir nehmen keinen Anstand, diese letztere Annahme zu bejahen, und dadurch der Seele wenigstens eine Freiheit von physischer Determination zu sichern, unbekümmert darum, ob eine metaphysische Untersuchung sie noch überdies von aller Kausalität überhaupt befreien werde. Auch diese Annahme haben wir mehr zu verdeutlichen, als zu beweisen: es wird uns genügen, wenn sie einstweilen als Hypothese zulässig ist, bis die Betrachtung der Einzelheiten des geistigen Lebens ihr weitere Stützen gibt.

76. Bekanntlich ist die Ansicht eines konsequent ausgebildeten Materialismus diese, dass die ganze Mannigfaltigkeit des Seelenlebens auf einer ununterbrochenen Kette mechanisch notwendiger und mit strengster Kausalität zusammenhängender physischer Prozesse der Nervenelemente beruhe. Zwar können wir auch aus dieser Lehre keinen Augenblick die Gegenwart einer eigentümlichen, neben den übrigen Teilen des Körpers bestehenden Seele hinwegdenken; ihre Annahme war auch für den Materialismus notwendig, um den individuellen Schlußpunkt zu gewinnen, auf welchen sich alle Wirkungen der Teile zur Bildung resultierender Effekte übertragen. Der Geist der Ansicht wird hierdurch nicht geändert; die Seele erscheint als ein an sich träges Subjekt, das nur in dem Augenblick eines physischen Reizes auffährt und eine Empfindung erlangt; dessen Vorstellungen nur so lange dauern, als sie durch die beständige Mitwirkung andauernder Erregungen in den Zentralorganen unterhalten werden; dessen Gefühle ferner nicht aus sich selbst zu Strebungen und Willensbestimmungen übergehn, sondern nur deswegen, weil es in der Natur der Zentralorgane liegt, dass diejenigen ihrer Erregungsprozesse, welche Gefühle erzeugten, sich nach gewissen physischen Gesetzen in andere und solche umwandeln, welche nun Strebungen hervorbringen. So viele solche gleichsam chemische Umsetzungen der physischen Prozesse in diese oder jene andere Gattung die Umstände herbeiführen, so viele Umformungen der Gemütslage treten ein, so viele Gefühle, so viele Strebungen hat der Mensch; ein Toben der Nervengeister erregt Affekte, tobten sie aber nicht physisch, so würde der unnennbarste Wert und die Gefahr der Gefühle oder Gedanken nichts Leidenschaftliches aus sich selbst erzeugen. Auf diese Weise ist im Seelenleben das eigentlich Geschehende und Primitive ein unermesslicher Wirbel immer neu sich gestaltender physischer Ereignisse in den Nervenorganen, die Seele übersetzt jede einzelne Bewegung des Wirbels einzeln, hat so viel Abwechselung als er ihr gibt, ohne je aus ihrem eigenen Innern etwas zur Gestaltung ihres Lebens beizutragen. Nach einer solchen Ansicht ist es nun leicht nachzuweisen, wie jede Handlung nichts anderes ist, als die letzte resultierende Endwirkung einer Reihe von Oszillationen oder anderer äußerer Bewegungsprozesse, welche die Sinnesorgane reizten, mit gleichzeitigen andern mancherlei resultierende Mittelbewegungen im Gehirn hervorbrachten und immer weiter fortwogend sich zuletzt mit mechanischer Notwendigkeit in der Kontraktion gewisser Muskelpartien Luft machten, und zwar in derjenigen Größe und Richtung, dass eine gewisse Folge, eine Wohltat oder ein Verbrechen entstehn mußte. Es ist wohl nicht nötig, diese Geschichten, und das verwunderte Zusehn, welches die Seele dabei hat, weiter zu schildern; zu dieser Art der Determination wird kaum Jemand sich bekennen wollen: diejenigen vielmehr, die da glauben, dass die Strenge des Kausalnexus durch das ganze geistige Leben festgehalten werden müsse, werden doch zugeben, dass ein Teil desselben aus dem physischen Gebiete heraus, und ganz in die Natur der Seele fällt. Sie werden zugeben, dass zwar Lichtwellen es sind, die jeden Anblick vermitteln, aber dass das Lachen, das ein komisches Bild erregt, nicht nach physischen Gesetzen durch Irradiation des optischen Eindrucks auf die Zwerchfellsnerven, sondern dadurch erzeugt wird, dass das Gesehene in eine Gedankenwelt aufgenommen, dort mit allgemeinen Tendenzen des Geistes, die durch nichts Physisches kommensurabel sind, verflochten wird und zuletzt einen Gemütszustand erregt, mit dem nun erst wieder die Natur einen Impuls zu körperlicher Funktion, zum Lachen, verbunden hat.

77. Diese Fälle jedoch, so wohl die, in denen eine Unterbrechung des physischen Kausalnexus, obwohl natürlich nicht aller Kausalität überhaupt stattfindet, als auch jene, in denen sich in der Tat eine unvermutet feine Fortsetzung desselben durch alles geistige Geschehn hindurch findet, werden wir bald ausführlicher zu betrachten haben. Unsere Vorstellungsweise ist einem Einwurfe ausgesetzt, den wir im Allgemeinen hier zurückweisen müssen. Physikalische Ansichten werden an zwei Punkten Anstoß nehmen, daran sowohl, dass die einmal entstandenen Erregungen der Sinnesnerven wieder verklingen sollen, ohne irgend ein sichtbares Produkt zu hinterlassen, und nicht minder daran, dass physische Erregungen in den Bewegungsorganen entstehen sollen, ohne irgendwie durch vorangehende ebenfalls physische Prozesse hervorgerufen zu werden. Wir haben in der Physiologie des körperlichen Lebens (Leipz. 1851. §. 35) nachzuweisen versucht, auf wie vielerlei Weise die unendlich vielen Erschütterungen, die unsere Sinnesnerven in jedem Augenblicke erfahren, ausgeglichen werden und zur Ruhe kommen können. Es ist deshalb nicht nötig, sie als beständig wirksame Elemente zu denken, die durch das ganze geistige Leben fortwirkend, nur in Handlungen sich zuletzt erschöpfen könnten, obgleich wir finden werden, dass auch diese Verwendungsweise derselben ihr bestimmtes Vorkommen hat. Dagegen verlangt die Entstehung von Muskelbewegungen auf den Anstoß des Willens allerdings eine andere Vorstellungsart. Wir sehen hier eine meßbare Größe mechanischer Bewegung entstehn und leiten sie aus einem innern Zustande eines an sich übersinnlichen Wesens ab. Diese Ansicht ist es wohl hauptsächlich gewesen, deren Schwierigkeit den Materialismus vermochte, einen solchen innern Impuls zu leugnen, und jede Handlung in direkter Linie als die Abkommenschaft anderer physischer Nervenprozesse zu betrachten. Nach unseren früheren Behauptungen liegt jedoch hierin durchaus nichts Unmögliches oder Befremdliches.

78. Jene Naturansicht ist längst aufgegeben, die von einer Unerzeugbarkeit der Bewegung träumte, und eine gewisse einmal vorhandene Menge derselben in der Welt annahm, die nur durch Mitteilung übertragen und anders repartiert werden könne. Man muß vielmehr zugestehn, dass innere Zustände der Massen, welche als solche nicht in Gestalt von Bewegungen in unsere Beobachtung fallen, doch die erzeugenden Ausgangspunkte räumlicher Bewegungen bilden können, so dass diese zwar nie ursachlos überhaupt, aber doch ohne eine gleichartige Ursache, nämlich eine schon bestehende und nur mitgeteilte Bewegung, aufzutreten vermögen. Gehen wir von unserer allgemeinen Ansicht über die Unselbständigkeit der Materie und ihrer äußerlichen Verhältnisse aus, so erscheint ohnehin diese Annahme unbedingt notwendig, und wir können deshalb auch in der Hervorrufung von Bewegungen der Massen durch innere Zustände der Seele nichts finden, was den allgemeinen Grundvorstellungen der Naturwissenschaft widerspräche. Nur jenen häufigen Irrtum muß man verbannen, als sei ein Gedanke, ein Gefühl, eine Strebung, den Massen und ihren Zuständen gegenüber, etwas nur Ideelles in dem Sinne einer Unwirklichkeit; sie sind vielmehr, so fern sie eben Zustände einer realen Seele sind, in ganz gleichem Sinne etwas Wirkliches, durch ein substantielles Dasein getragenes, als die Zustände der Massen. Obgleich wir daher gern zugeben, und es stets behauptet haben, dass Ideen und Typen, die Niemandes, keiner Seele und keiner Substanz wirkliche Zustände sind, auch auf andere Wesen, Massen und Seelen mit keinem mechanischen Wirkungsmoment Einfluß üben können, so gilt dies doch nicht von ihnen, sofern sie Zustände einer substantiellen Seele sind. Als solche stehen sie vielmehr mit den Zuständen der Massen auf gleichem Boden der Wirklichkeit und vermögen neue Veränderungen in diesen hervorzubringen.

79. So wie wir nun annehmen, dass aus inneren Erregungen der Seele sich Bewegungen der körperlichen Massen entspinnen können, so müssen wir umgekehrt auch die Möglichkeit zugeben, dass solche Bewegungen, von außen angeregt, und auf die Seele übergehend, verschwinden können, indem sie sich in innere Zustände derselben verwandeln. Die gewöhnliche Ansicht der Naturwissenschaft setzt allerdings voraus, dass eine entstandene Bewegung nur entweder durch Mitteilung auf eine immer größere Menge von Substraten unmerklich, oder durch entgegengesetzte Bewegung aufgehoben und zu einem Gleichgewicht der Ruhe verwandelt werden könne. Man würde daher jeden Impuls, der auf die Sinneswerkzeuge etwa geschehen ist, so weit verfolgen müssen, bis man begreift, durch welche Mitteilung oder Aufhebung er für den Organismus verschwindet. Ich halte es jedoch für möglich und sogar für notwendig anzunehmen, dass ein Teil der physischen Bewegungsgröße, in welcher eine solche Erregung der Organe besteht, direkt durch Übergang in innere Zustände der Seele absorbiert werde. Jedenfalls können wir nicht glauben, dass die Seele ihre inneren Tätigkeiten des Empfindens und Vorstellens nur nach dem Eindrucke des Reizes oder bei Gelegenheit desselben entwickelt, ohne dass der Reiz selbst, indem er der Seele eine Art des Leidens zufügt, einen Teil seiner Stärke zur Erzeugung eben dieses Leidens aufzuopfern hätte. Wir können dies leicht durch ein Gleichnis verdeutlichen. Wenn wir Etwas sehen oder hören, so bilden wir uns ein, dass dieses Wahrnehmen eine nur nebenher laufende Tätigkeit unsererseits ist, welche den Tatbestand des Reizes, bei dessen Gelegenheit sie ausgeübt wird, gar nicht verändert. Aber dies ist nicht der Fall. Indem wir sehen oder hören, dringt ein Teil der Licht- und Schallwellen, die von einem Objekte sich verbreiten, in unsere Sinnesorgane ein; teils nun verhindert die Struktur derselben diesen Anteil fast ganz, wieder in die äußere Umgebung auszutreten; teils geht er zu Grunde, indem er eine Erregung der Nerven hervorbringt, die als umgeformtes Äquivalent seiner Wirkungsgröße anzusehen ist; er geht mithin für die Außenwelt verloren, und ist für die Erzeugung unserer Empfindung aufgeopfert. Obgleich diese Opfer so minutiös sind, dass ihr Wegfall nie bemerklich wird, so ist es doch gewiß, dass das Licht, das in unserm Auge absorbiert wird, zu größerer Erleuchtung des Weltraums beigetragen hätte, wenn es statt dieses Schicksals von einer nicht absorbierenden Spiegelfläche zurückgestrahlt worden wäre. Was hier sich zwischen dem äußern physischen Reize und dem Sinnesorgan ereignet, scheint auch zwischen den Nervenerregungen und denen der Seele stattfinden zu müssen. Eine Bewegung des Nerven, die für die Seele etwas sein, auf sie einwirken und nicht nur gleichgültig an ihr vorüberstreichen soll, muß einen Teil wenigstens von ihrer Intensität zur Erzeugung dieses innern Seelenzustandes auf dem die Empfindung oder Wahrnehmung beruht, aufopfern. Kaum würde es übrigens möglich sein, ohne diese Hypothese zu verstehen, wie so allgemein die Stärke der Empfindungen sich nach der der Reize und der Nervenerregungen richten kann. Dass wir übrigens diese Absorption der physischen Bewegung in innere Zustände nur in Bezug auf einen Teil derselben verlangen, wird seine genügende Erklärung finden, wenn wir im Folgenden sehen, dass die Organisation einen anderen Teil jener Bewegung allerdings zweckmäßig und notwendig zur ununterbrochenen Erzeugung anderer physischer Erregungen der Organe verwenden mußte.

80. Meine Absicht bei diesen Betrachtungen war, wie ich erwähnte, diese, für die Beantwortung der Frage nach der Freiheit des Willens das offene Feld zu lassen, das ihr gebührt. Liefe der Mechanismus der Nervenerregungen beständig in demselben Mittel fort, d. h. hinge jede körperliche Handlung durch eine stetige Kette physischer Bewegungsprozesse in den Nerven von einer Anzahl eben solcher Bewegungen ab, die aus der Außenwelt her den Körper trafen, dessen Zentralteile mithin für sie nur ein eigentümlich gestalteter Durchgangspunkt wären: so würde von irgend einer Freiheit nicht die Rede sein können. Nachdem wir Möglichkeit und Notwendigkeit eines besondern, nicht mehr physischen, sondern eigentümlich psychischen Gesetzen unterworfenen Mittelgliedes dieses Mechanismus kennen gelernt, hat die physiologische Psychologie das ihrige in Bezug auf diese Frage getan. Sie kann der Metaphysik überlassen zu entscheiden, ob diese innern Zustände der Seele ihrerseits wieder einen ähnlichen freiheitlosen Mechanismus kausaler Determination bilden, wie wir ihn in dem Naturlaufe voraussetzen. Eine allgemeine Bemerkung muß ich jedoch noch hinzufügen. Man muß nicht glauben, dass unsere Ansicht, eben so weit wir sie hier aufgestellt, einem strengen Kausalzusammenhang widerspreche. Wenn auch immer an einem gewissen Punkte eine physische Bewegung aufhört, eine neue ähnliche zu erzeugen und in innere Zustände des Realen übergeht, oder wenn an einem andern Punkte dieses Innere sich wieder zum Anfang einer physischen Bewegung gestaltet, so ist doch hier kein Bruch in dem Zusammenhang der Kausalität, sondern nur eine Umgestaltung in der Form der Wirkung vorhanden, wie sie denn auch auf dem Gebiete des unbeseelten Naturlaufs häufig genug vorkommt. Wir würden jede Empfindung als ein umgeformtes Äquivalent der Wirkungsgröße betrachten müssen, die vorher in Gestalt einer Oszillation oder einer andern Bewegung vorhanden war; jede Kontraktion eines Muskels als ein Äquivalent der Erregung, die in der Form eines psychischen Strebungsprozesses voranging.

81. Zöge dagegen Jemand die Annahme einer Freiheit des Willens vor, die seine Entschließungen erfolgen ließe, ohne irgendwie durch vorangehende innere Erregungen determiniert zu sein, so würde dagegen wenigstens nicht jener ungereimte Einwurf streiten, den wir so oft hören, dass nämlich solche Freiheit den gesetzlichen Lauf der Natur und alle Kontinuität ihrer Entwicklung zerstören würde. Denn gesetzt, jede unserer Handlungen werde mit Notwendigkeit durch die Kette unserer vorangegangenen Zustände bestimmt, so würde doch die Gesamtheit dieser Zustände für jedes Individuum eine andere sein, mithin doch nicht jeder Entschluß gleich gut mit den Gesetzen des äußern Naturlaufs stimmen, mit denen ohnehin ja die Motive, nach denen unsere Entscheidungen zu erfolgen pflegen, nicht den geringsten notwendigen Zusammenhang haben. Und gibt es nicht Wahnsinnige genug, deren gewaltsame Handlungen, nicht einmal nach den allgemeinen Analogien des gesunden Lebens berechenbar, als völlig irrationale Impulse in das Getriebe der natürlichen wie der sittlichen Welt einwirken? Bestände eine vollkommen motivlose Willensfreiheit, so könnten die lebenden Wesen kaum mutwilliger, unvernünftiger, dem Plan und den Entwicklungsgesetzen der Natur so wie der sozialen Ordnung mehr zuwider, in sie eingreifen, als sie wirklich tun. Darüber geht jedoch die Natur weder zu Grunde noch gerät sie in allgemeine Verwirrung, und zwar einfach deswegen, weil zwar vielleicht der Wille frei, aber seine Kraft zu wirken nicht schrankenlos ist.

82. Fassen wir die Resultate dieser Betrachtung zusammen, so haben wir folgende Ansicht gewonnen. Das geistige Leben beruht überall auf einer Wechselwirkung zwischen der Seele und einem organisierten Körper. Die körperlichen Funktionen begründen jedoch die eigentümliche und spezifische Qualität der geistigen Verrichtungen nicht, sondern setzen die Fähigkeit zu ihnen als das ursprünglichste Eigentum der Seele in dieser selbst voraus; ihre Eindrücke geben jedoch diesen unentschiedenen Fähigkeiten Gegenstände der Anwendung und bestimmen die Richtung, in welcher die einzelnen Akte derselben kombiniert werden. Auch dies jedoch nicht durchgängig. Abgesehn vielmehr von dieser Verarbeitung der Eindrücke durch den Körper wird das Resultat dieser Arbeit noch einer selbständigen Behandlung von Seiten der Seele unterwürfen, und großenteils erst dann, wenn die Summe der Eindrücke dieser innern psychischen Umformung unterlegen hat, tritt sie wieder als Anreiz für die Erzeugung physischer Prozesse in dem Körper hervor. Unsere nächste Bemühung muß es sein, im Allgemeinen die Anordnung zu zeigen, nach welcher in dem wirklichen Seelenleben alle diese Ereignisse zu einem ineinandergreifenden Ganzen organisiert sind.


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