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(Vgl. Charpentier VII, 121-126.)
Die beiden nachstehend wiedergegebenen Briefe wurden von Linguet aus der Bastille der erste an den Kommissar des Schlosses Chenon, der andere, wie wir vermuten, an den königlichen Hausminister de la Vrillière geschrieben. Beide wurden in der Bastille vorgefunden, sind also, nicht an ihre Adressen gelangt.
Das Schreiben an Chenon hat folgenden Wortlaut:
» Bastille, 19. September 1781.
»Sie sind von dem Minister beauftragt, mein Herr, mich zu besuchen und mir den einzigen Schimmer von Erleichterung zu verschaffen, den ich empfangen habe, seitdem ich mich hier befinde. Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß Sie sich nicht weigern werden, mein Dollmetscher bei ihm zu sein und die Stelle einer Audienz zu vertreten, die er mir seit mehr als sechs Monaten erbarmungslos verweigert.
»Ganz ebenso lange habe ich nicht die Ehre gehabt, Herrn Le Noir bei mir zu sehen: woher mag diese Vernachlässigung von seiner Seite rühren? Ich habe ihm unverdächtige Zeichen meiner Anhänglichkeit an ihn gegeben und bin zu Anfang mit Güte und Teilnahme von ihm aufgenommen worden. Hat man mich bei ihm verleumdet? Ich vermute es, aber ich bin sicher, keinen Anlaß dazu gegeben zu haben.
»Sein gegenwärtiges Verfahren gegen mich ist um so niederdrückender, je weniger ich darauf gefaßt sein konnte. In den letzten Tagen des Januar hat er sich der Mühe unterzogen, mich zu besuchen und mir anzuzeigen, daß er die Gemüter in Bezug auf mich besänftigt gefunden habe: er berechtigte mich zu Hoffnungen, deren Erfüllung ihm nahe schien; und schon im Dezember hatte er mir versprochen, daß ich Herrn Le Quesne sehen würde, sobald derselbe von Brüssel zurück wäre.
»Seit jener Zeit sind indessen meine Fesseln nur schwerer anstatt leichter geworden. Ich habe Herrn Le Quesne nicht zu sehen bekommen, und Herr Le Noir hat sich vollständig von mir zurückgezogen. Woher mag diese unbegreifliche Veränderung rühren? Hatte man den Polizei-Direktor getäuscht, als er mir jene Versprechungen machte und jene Hoffnungen bei mir erweckte? Täuschte er mich? Das eine ist so wenig möglich wie das andere. Thatsache ist jedoch, daß jene Versprechungen nicht gehalten, noch jene Hoffnungen verwirklicht worden sind.
»Werde ich nicht endlich genau erfahren, welches Verbrechen man mir zum Vorwurf macht? Man hat über diesen Punkt noch nichts zu mir dringen lassen. Im Anfang war von dem Briefe an den Herrn Marschall de Duras die Rede, aber das ist acht Monate her, und Herr Le Noir hat eingeräumt, daß dieser Fehler gesühnt und mehr als gesühnt war. Um was handelt es sich denn nun jetzt? Alles, was vor meiner Rückkehr aus England geschehen ist, darf ich doch für ausgelöscht halten:
»Zunächst durch diese Rückkehr selbst und das freiwillige Opfer, das ich damit der Liebe zum Vaterlande brachte, indem ich Vorteile ausschlug, die im höchsten Grade geeignet waren, einen weniger gutgesinnten Franzosen in Versuchung zu führen,
»Sodann durch das Vertrauen, das ich zur Großmut des Ministers hegte,
»Und endlich durch die ausdrückliche Versicherung, die der Herr Graf de Vergennes mir im Namen des Herrn Grafen de Maurepas gegeben hat, daß alles vergessen sei. Was hat man mir nun seit jener Zeit vorzuwerfen?
»Die Annalen? Aber niemand weiß besser als Herr Le Noir, welche feierliche Genehmigung denselben von der Regierung erteilt worden ist. Man hat es für angebracht gehalten, die Nr. 59 und 60 zu konfiszieren – ich habe sie nicht verteilt. Ohne die Nachdrucker würden sie nicht bekannt geworden sein.
»Überdies: in welchem Werke des gegenwärtigen Jahrhunderts werden die Sitten besser respektiert, die wahrhafte Philosophie ehrenvoller dargestellt, die Gesetze und die Autorität des Königs kühner verteidigt und die Ehre des französischen Namens eifriger verfochten? Und was ist der Lohn dafür? Das Gefängnis!
»Wenn ich Brüssel nicht verlassen hätte, würden sie heute noch ausgegeben werden. Wie kann man mir nun ein so grausam bestraftes Verbrechen aus einer Schrift machen, die noch immer dem Gesetz gemäß sein und noch immer mit gesetzlicher Genehmigung verbreitet werden würde, wenn ich dem Worte des Ministers und der Gerechtigkeit der Regierung mißtraut hätte?
»Endlich aber, wenn ich auch annehme, daß mannigfache Rücksichten diese Erwägungen in den Hintergrund gedrängt haben und man sich für verpflichtet gehalten hat, mich die Annalen büßen zu lassen, so muß diese Buße doch wenigstens, was die Härte anlangt, ein bestimmtes Maß, und was die Dauer anlangt, eine bestimmte Grenze haben. Ich bin nun ein ganzes Jahr in Haft, und in was für einer Haft! Wenn ich angeklagt wäre, Frankreich seinen Feinden haben überliefern zu wollen, die Vernichtung der königlichen Familie geplant zu haben u. s. w., so könnte ich nicht härter gehalten werden, ja, meine Gefangenschaft würde sogar minder hart sein, denn man würde mir Verteidiger und Richter geben, ich würde die mir aufgebürdeten Verbrechen kennen, ich würde meine Verteidigung führen dürfen und würde weder die Verfügung noch das Eigentumsrecht an meinem Vermögen verlieren: hier aber verliere ich sicherlich ohne schwere Schuld, ohne Anklage, ohne Prozeß alles. Gesundheit, Vermögen, Talent, alles fühle ich sich verflüchtigen: welche grausamere Konfiskation könnte denn wegen erwiesener Frevel schlimmster Art verhängt werden?
»Wird Herr Le Noir das niemals bedenken und zu bedenken geben? Er läßt mir die Gerechtigkeit widerfahren, anzuerkennen, daß mein Herz gut sei, und überzeugt zu sein, daß man mich mit Güte zu allem bringen könne: er hat gute Beweise dafür bei der Hand. Aber wie behandelt man mich? Ich kenne mein Vaterland nur erst von seiner rauhen Seite.
»Ich verlange Herrn Le Quesne zu sehen. Meine täglich zunehmende Schwäche nötigt mich, an die Aufsetzung eines Testaments zu denken. Er allein hat den Schlüssel zu meinem kärglichen Vermögen, er allein kann die Trümmer desselben zusammenlesen: aber um ihm Kenntnis davon zu geben und ihn dazu anzuleiten, muß ich ihn sehen.
»Sie werden mir erwidern, daß dem die Hausordnung entgegenstehe. Ei! mein Herr, niemand weiß das Gegenteil besser als Sie und Herr Le Noir.
»Das ist die Bitte, mein Herr, die ich Sie dem Polizei-Direktor vorzulegen ersuche, und der Sie alles hinzufügen mögen, was Ihr Gefühl und Ihre Freundschaft Ihnen eingiebt. Ich hoffe, er wird sich mit Ihnen über diese Angelegenheit auseinander zu setzen belieben und Ihnen gestatten, mir seine Antwort zu überbringen.
»Ich bin u. s. w.
Gezeichnet: Linguet.«
Der zweite Brief ist ohne Datum und Adresse. Aus dem Inhalte ergiebt sich indessen, daß er wenige Tage nach der Geburt des Dauphin (27. Oktober 1781) geschrieben sein muß und aller Wahrscheinlichkeit nach an den Minister des königlichen Hauses, Herrn de la Vrillière, gerichtet war. Der Wortlaut dieses Billets ist folgender:
»Gnädiger Herr,
»Wie man mir versichert, weiß niemand, wo ich mich befinde, und es kostet mir keine Mühe, das zu glauben. Der König indessen, Sie und ich, wir wissen um dies Geheimnis: Sie werden daher über die beiliegenden Verse nicht erstaunt sein.
»Ich bitte Sie inständig, dieselben Sr. Majestät mit den Gelübden des vielleicht unbesonnensten, aber auch ergebensten und unglücklichsten seiner Unterthanen zu Füßen legen zu wollen.
»Der Augenblick ist günstig, um eine Gnade zu erlangen, und der Rest meiner Tage soll dazu verwandt werden, die Gewährung derselben zu rechtfertigen.
»Ich bin u. s. w.
Gezeichnet: Linguet.«
Das beigelegte Gedicht mit der Überschrift Au Roi lautete:
J'apprends de ces canons qui roulent sur ma tête,
En ébranlant tout mon plancher,
Que la reine vient d'accoucher
Qu'un dauphin nouveau né met le royaume en fête.
Louis, c'est le temps du pardon:
Permets, pour te fléchir, que j'implore le nom
Du gage précieux qui grossit ta famille.
De montrer du plaisir mon coeur français pétille:
Mais en sonscience peut-on
Se réjouir à la Bastille?
*