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Dritter Abschnitt.
Über die Einrichtung der Bastille.

Ich lasse hier für den Augenblick eine mißliche Frage unberührt, deren Erörterung von größerer Schwierigkeit sein würde, als ihre Lösung Nutzen bringen könnte, d. h. ich untersuche hier nicht, ob die Staatsgefängnisse für eine Regierung unbedingt notwendig sind, ob alle Staatsverwaltungen dieser der gesetzlichen Beaufsichtigung entrückten Verwahrungsorte bedürfen, ob diese straff gespannte und allzeit gefährliche Feder als unerläßlich betrachtet werden kann an Maschinen, die, um sich zu erhalten, hin und wieder ungemein starke Stöße zu ertragen haben, endlich ob das, was man in Frankreich mit dem seltsamen Namen Lettre-de-cachet bezeichnet, eine besondere und diesem Reiche eigentümliche Krankheit ist, etwa wie die Pest in Ägypten, die Blattern in Arabien, der glühende Aschenregen in der Umgegend der Vulkane u. s. w. Dies Problem ist nahezu durch die Thatsachen gelöst, und wenn die Lösung auch keine solche ist, wie eine humane Philosophie sie anerkennen würde, so ist sie dessenungeachtet doch von der allgemeinen Staatskunst angenommen worden.

Es giebt keine Nation, bei der die Obrigkeit sich nicht dieses Mittels oder doch eines gleichwertigen bedient hätte. Rom hatte zur Zeit seiner unverkümmertsten Freiheit Diktatoren. Die Befehle dieses höchsten Beamten wogen ganz wohl die Lettres-de-cachet auf, denn er verfügte, ohne eine Berufung zu gestatten und ohne Rechenschaft zu geben, nicht bloß über die Freiheit, sondern auch über das Leben der Bürger.

In Sparta trieb sozusagen die Staatsklugheit den Despotismus noch weiter. Hier waren sogar die Könige, d. h. die Häupter der Nation, demselben unterworfen: die Ephoren konnten sie ins Gefängnis schicken. Das war nun freilich das Gegenteil einer Lettre-de-cachet, aber doch immerhin eine Art derselben.

Sogar an dem Orte in der Welt, wo die Regierung am besten überwacht wird und am meisten beschränkt ist, wo es am besten gelungen ist, die machtlosen Privatpersonen gegen den willkürlichen Mißbrauch der Macht sicher zu stellen – sogar in London giebt es einen Turm, der zur Verwahrung der Staatsverbrecher bestimmt ist. Das Parlament, dieser Hüter der persönlichen Freiheit wie der öffentlichen Sicherheit, bezeigt nicht nur keinen Schrecken beim Anblick einer solchen Zwingburg, die beides zu bedrohen scheint, sondern macht bisweilen sogar selber Gebrauch davon: es glaubt die Vorrechte des Volkes dadurch weder zu verletzen, noch preiszugeben (XXII).

Mit um so größerem Rechte könnte also eine derartige Einrichtung in Frankreich zulässig erscheinen, wo man, da die Charaktere heißblütiger, die Ansprüche der verschiedenen, beständig miteinander hadernden Gewalten weniger genau abgegrenzt und die Rechte des Königs ohne bestimmte Grenze und ohne bestimmten Umfang sind, sich zu gewissen Zeiten sehr wohl vorstellen kann, daß es eines Zügels oder eines Schreckmittels bedürfe, das die Vorrechte des Thrones wenn nicht die der Nation schützt. Aber, um es nochmals zu wiederholen, ich gehe hier nicht auf diese Untersuchung ein: ich beschäftige mich in diesem Augenblicke nicht mit der Gesetzmäßigkeit der Bastille, sondern mit ihrer Einrichtung. Diese Einrichtung aber ist grauenvoll: sie ähnelt in keiner Hinsicht dem, was je in der Welt üblich war oder heutigen Tages darin üblich ist (XXIII).

Wenn man in den Berichten über jene Reisen, die eine vorübergehende Kraftaufwallung in den letzten Jahren so sehr vervielfältigt hat, liest, daß in Australien, auf einer jener Inseln, die die Natur dort vor der übrigen Welt versteckt zu haben schien, ein seinem Wesen nach sorgloses, gutmütiges und sogar leichtfertiges Volk lebt, dessen Regierung durchaus nicht blutdürstig ist, und bei dem die ernsthaftesten Dinge immer einen heitern Anstrich annehmen, in dessen Hauptstadt aber nichtsdestoweniger sorgfältig ein Abgrund erhalten wird, in den alle Bürger ohne Ausnahme in jedem Augenblicke gestürzt werden können, und in den in der That täglich einige gestürzt werden auf Befehle hin, deren vernichtender Strahl nicht zu vermeiden, deren Prüfung nicht zu erhoffen, ja, deren Grund oder Vorwand oft nicht zu entdecken steht Daß in der That zahlreiche Verhaftungen und Einkerkerungen auf die seltsamsten und nichtigsten Gründe, ja auf einen bloßen Verdacht hin stattfanden, beweisen die Gefangenenregister der Bastille; s. im Anhang unter Z die Nr. 3. 25. 31. 34. 46. 54. 74. 80. 82. 88. 101. 103.
D. Übers.
;

Wenn man ferner liest, daß der auf solche Weise verschwundene Unglückliche alsdann von der ganzen Welt geschieden und weiter von seinen Freunden, seinen Verwandten, besonders aber von der Gerechtigkeit entfernt ist, als wenn er auf einen andern Planeten versetzt wäre, daß seine Beschwerden rettungslos unterdrückt werden oder wenigstens nur einen einzigen Vermittler nach außen haben, den ihre Unterdrückung um so mehr interessiert, je ernsthafter und greifbarer ihre Ursache d. h. die Bedrückung ist, die sie notwendig macht;

Wenn man erfährt, daß er, wenigstens lange Zeit hindurch, ohne Bücher, ohne Papier, ohne Verkehr mit irgend einem menschlichen Wesen der Marter überlassen bleibt, nichts von dem zu wissen, was draußen vorgeht, was aus seiner Familie, seiner Ehre, seinem Vermögen wird, wessen man ihn beschuldigt hat, wessen man ihn beschuldigen wird, und welchem Schicksale er entgegengeht – eine Marter, deren Qualen eine Einsamkeit, die von keiner Zerstreuung unterbrochen wird, mit jeder Minute empfindlicher macht, und deren Gefühl sie mit jeder Minute steigert;

Wenn man ferner erfährt, daß er keine weitere Bürgschaft für sein Leben hat als das zarte Gewissen seiner Wächter, die, da sie trotz des Ehrenzeichens auf ihrer Brust imstande sind, sich für Geld auf einen willkürlichen Befehl hin zu feigen Trabanten zu erniedrigen, gewiß nicht davor zurückschrecken würden, sich zu einem noch feigern und barbarischern Dienste herzugeben, wenn man ihn auf Grund desselben Rechtstitels von ihnen verlangte; daß er also sehr mit Recht in jeder ihm gebotenen Speise den Tod sehen kann, daß ihm jedesmal, wenn seine Thür geöffnet wird, das unheimliche Gekreisch der schweren Riegel wie der Vorbote eines Todesurteils, wie das Signal für den Eintritt der Vermummten vorkommen kann, die ihn hinzurichten bestimmt sind, ohne daß das Bewußtsein seiner Unschuld oder der Gerechtigkeit des Fürsten ein Grund zur Beruhigung für ihn wäre, weil der ersten Überrumpelung, der der Rechtssinn des Herrschers unterlag, eine zweite folgen kann, weil man auf sein Leben dasselbe Recht hat wie auf seine Freiheit, weil dieselben Hände, die sich dazu hergeben, ihn auf Grund einer Lettre-de-cachet täglich tausendmal moralisch zu morden, sich ohne Zweifel auch nicht weigern würden, ihn auf Grund einer gleichen Ermächtigung einmal physisch zu tödten, und weil es endlich an einem Orte, wo alles Schmerz und Geheimnis ist, keinen Frevel giebt, der nicht mit derselben Leichtigkeit begangen und zugedeckt werden könnte;

Wenn man endlich liest, daß, im Fall er seine Gesundheit behält, dies nur noch eine Strafe mehr ist, weil dann sein Empfindungsvermögen lebhafter und die Entbehrungen um so schmerzlicher sind, daß aber, im Fall sie, wie fast immer geschieht, dem im Hause befolgten unabänderlichen Systeme erliegt, dieser Umstand ihn hilf- und trostlos der fürchterlichen Vorstellung preisgiebt, der er nicht entrinnen kann, der Vorstellung, daß er seine Familie im Unglück und sein Gedächtnis in Schanden hinterlassen wird, daß seine Asche des letzten Tributs entbehren wird, den die Liebe denen zollt, die sie verlor, daß vielleicht niemand um sein Ende wissen wird, daß vielleicht seine Frau, seine getäuschten Kinder noch Gelübde thun und Anstrengungen zu seiner Befreiung machen werden, während das Grab, in das er lebend hineingestoßen ward, nichts mehr von ihm bewahrt als seine entfleischten Gebeine:

Wenn eine solche Schilderung sich in den Reiseberichten Cooks oder des Admirals Anson fände, welchen Eindruck würde sie da hervorrufen? Würden wir nicht den Berichterstatter für einen Betrüger halten? oder vielmehr würden wir nicht unter heißen Glückwünschen, daß wir in Ländern leben, die von einer solchen Sklaverei frei sind, eine mit Abscheu gemischte Verachtung für eine so barbarische Regierung und ein so verächtliches Volk empfinden?

Ach! dies Bild ist das der Bastille, und es ist noch hinter der Wahrheit zurückgeblieben! Wie wenig giebt es jene Seelenqualen wieder, jene langen Zuckungen, jenen beständigen Todeskampf, der die Schmerzen des Todes verewigt, ohne je dessen Ruhe herbeizuführen, kurzum alle jene Leiden, die die Büttel der Bastille verhängen können, die aber niemand schildern kann.

Die erste Bestimmung ihres Gesetzbuches ist das undurchdringliche Geheimnis, das all ihr Thun umhüllt, ein Geheimnis, das nicht bloß über den Aufenthaltsort, sondern sogar über das Leben eines unter ihren Händen verschwundenen Menschen im Zweifel läßt, das sich nicht darauf beschränkt, den Nachrichten, die ihn trösten oder zerstreuen könnten, den Zugang zu ihm zu versperren, sondern daß auch gleicherweise hindert, daß jemand sich überzeuge, wo er ist, ja ob er überhaupt noch ist.

Von einem Menschen, den er alle Tage sieht und quält, behauptet ein Offizier der Bastille, wenn man ihn draußen fragt, ohne Schamerröten, er habe ihn nie gesehen und gekannt. Wenn meine wahrhaften Freunde den Minister, der der Abteilung für diese Oublietten vorsteht, um die Erlaubnis ersuchten, mich besuchen zu dürfen, so antwortete er wie ein Mensch, der aufs höchste erstaunt ist, daß man mich in der Bastille vermuten könnte. Der Gouverneur aber hat verschiedenen von ihnen mehrmals auf seine Ehre und auf Edelmannswort zugeschworen, daß ich nicht mehr in der Bastille wäre, daß ich nicht acht Tage darin gewesen sei, denn das Aufsehen, welches meine Verhaftung erregt hatte, die man absichtlich am hellen Tage und auf offener Straße vorgenommen hatte, gestattete ihm nicht, mit der Behauptung aufzutreten, ich sei nie hineingekommen, wie er sonst gethan haben würde.

So lügt ein Lakei im Vorzimmer seines Herrn, wenn er Befehl dazu erhalten hat; aber doch nur, um lästige Besuche fernzuhalten: seine Lügen haben einen nützlichen Zweck oder eine angenehme Wirkung, er bekräftigt sie nicht durch Schwüre und eine Miene der Überzeugung – und doch erniedrigt ihn dies Amt. Danach würdige man nun das Amt eines Ministers oder eines Gouverneurs der Bastille, die nur täuschen, um Martern zu bereiten, und deren Lügen nur Schmerzen erzeugen.

Welchen Zweck hat denn aber diese künstliche Ungewißheit, in der man das gesamte Publikum, die Freunde und die Familie über das physische Dasein eines Mannes erhält, den man ihnen geraubt hat? Um ihn leichter zu überführen und seine Bestrafung zu sichern, kann es unmöglich geschehen, denn erstens vervollständigt diese Geheimhaltung die Mittel nicht, die man überdies in Händen hat, um den Prozeß gegen ihn einzuleiten oder um die zuerkannte Strafe an ihm zu vollziehen, und zweitens beweist mein eigenes Beispiel, daß die Bastille oftmals Menschen einschließt, denen man nicht bloß den Prozeß nicht machen will, sondern denen man ihn nicht machen kann, und gerade über das Schicksal dieser breitet man auf künstlichem Wege den dichtesten Schleier – in welcher Absicht? frage ich nochmals.

Da die Einrichtung dieses Zwingers ausdrücklich zu dem Zwecke geschaffen wurde, um die Seelen zu zerreißen, um das Leben sauer zu machen, wie einer jener Folterknechte mit dem Ludwigskreuze, die nicht vor einem solchen Amte zurückschrecken, mir eines Tages offenherzig mitteilte, so begreife ich, daß die unbedingte Abgeschlossenheit, die völlige Unwissenheit, in der ein Gefangener hinsichtlich dessen erhalten wird, was man für oder gegen ihn gethan hat, thut und thun wird, ein dem vorgesetzten Zwecke durchaus angemessenes Mittel ist: nichts ist geeigneter, um einen Menschen alle Stufen der Verzweiflung durchlaufen zu lassen, besonders wenn er das Unglück hat, eins von jenen stolzen und rastlosen Gemütern zu sein, die das Gefühl der Ungerechtigkeit empört, und für die die Thätigkeit ein Bedürfnis, das Abwarten eine Strafe ist. Warum aber müssen seine Verwandten und Freunde seine Strafe teilen, da man sich doch stellt, als wolle man sie nicht zu Teilhabern seines Unglücks machen?

Ist ein Prozeß eingeleitet, so kennt man wenigstens die Art der Beschuldigung, man weiß, bis wie weit sie sich erstrecken kann, man verfolgt den Verlauf des Verfahrens und verliert das Opfer bis zur schließlichen Opferung oder dem schließlichen Triumphe nicht aus den Augen: die Sorge hat eine Grenze und der Schmerz einen Trost.

Hier aber zittern Freunde und Verwandte, während der allen Blicken entrückte Unglückliche sich von ihnen vergessen wähnt, daß man ihnen nicht die Erinnerung an ihn zum Verbrechen mache. Da seine Haft von einer Laune abhängt, da seine Fesseln von einem zum andern Tage fallen oder ihn auf unabsehbare Zeit festhalten können, so ist jeder Tag für die, die ihn wiederzusehen hoffen, wie für ihn selbst ein ganzer Zeitabschnitt, während dessen sie alle Ängste der Erwartung und alle Schrecken der Entbehrung durchkosten. Am Morgen seufzt man bei der Erinnerung an das bereits Erlittene und am Abend bei der Gewißheit, noch ferner leiden zu müssen, ohne daß man ein Ende dieser Marter abzusehen vermöchte – und wenn die Einbildungskraft sich ein solches vorzustellen sucht, so bereitet sie sich damit nur neue Schmerzen.

Vom Standpunkte des ersten Begründers der Hausordnung der Bastille hatte diese fürchterliche Politik einen Zweck: er wollte sich ohne Lärm und Aufsehen der Menschen entledigen, zu deren Beseitigung der Henker ihm seine Dienste verweigert haben würde. Wenn er einen Unschuldigen proskribiert hatte – denn nur diese proskribiert man, die Schuldigen werden gerichtet – wenn er also einen Unschuldigen proskribiert hatte, so sollte der Zeitpunkt des Todes desselben ein Geheimnis bleiben, damit er genau auf den Augenblick festgesetzt werden könnte, der für seine Interessen oder seine Rache der passendste war.

Aber Ludwig XVI. ist nicht Ludwig XI.! Der eine ist ebenso menschlich, wie der, andere barbarisch war, der eine ehrt die Gerechtigkeit und die Gesetze und empfiehlt deren Beobachtung ebenso sorgsam, wie der andere mit Vergnügen zu deren Übertretung anreizte und selbst das Beispiel zu ihrer Verletzung gab. Warum wird nun unter der milden Regierung Ludwigs XVI. die Einrichtung beibehalten, welche die Tyrannei Ludwigs XI. erfand? Warum sind unter dem Fürsten, dem die Gerechtigkeit teuer und das Blut der Menschen kostbar ist, die Unterthanen denselben Katastrophen ausgesetzt wie unter dem Regimente dessen, für den die Hinrichtungen ein köstliches Schauspiel waren, der den Henker seinen Gevatter nannte und immer nur in Begleitung eines Satelliten ging, der ebenfalls sein Gevatter, aber wilder und blutgieriger war als alle Henker zusammen?

Wenn noch die Größe der Vergehen oder die Art der Personen dies sonderbare und gefährliche Inkognito bestimmten, wenn nur Menschen, die infolge der Ungeheuerlichkeit ihrer Verbrechen der nahen Hinrichtung verfallen, oder Intriganten, die durch ihre Geburt, ihren Reichtum oder ihre Verbindungen gefährlich sind, mit diesem Grabtuche bedeckt würden, so hätte man wenigstens eine Entschuldigung oder einen Vorwand.

Aber die Bastille macht wie der Tod alles gleich, was sie verschlingt: der Ruchlose, der das Verderben seines Vaterlandes plante, wie der Beherzte, der sich einzig der allzueifrigen Verteidigung der Rechte desselben schuldig gemacht hat, der Wicht, der die Geheimnisse des Staates verschacherte, wie der, der den Ministern ersprießliche, aber ihren Interessen widerstreitende Wahrheiten gesagt hat, der, den man festsetzt aus Furcht, er möchte seine Familie durch Verbrechen entehren, wie der, an dem man nur das Talent fürchtet – alle werden in das nämliche Dunkel vergraben. Das ist nicht ganz zutreffend. Weiterhin wird man sehen, zu wessen Gunsten und in welchen Fällen sich dies Dunkel lichtet. Ich behaupte also nicht, daß es niemals eine Ausnahme gebe: ich rede hier nur von der Einrichtung überhaupt, von dem, was ich persönlich erfahren habe und was mir beständig als der übliche Brauch und die gewöhnliche Hausordnung bezeichnet worden ist. Man sieht wohl ein, daß diese besonders für den Unschuldigen verderblich sein muß. Bei einer Strenge, die der Willkür anheimgestellt ist, kann nur Gönnerschaft einige Erleichterungen erwirken: nun ist aber klar, daß ein Mensch, der unschuldig in der Bastille sitzt, entweder keine Gönner hat, oder daß seine Gönner weniger einflußreich sind als seine Feinde. Die abscheuliche Einrichtung, die hier in Rede steht, ist also besonders für ihn getroffen.
Linguet.

Und man bedenke wohl, dies Dunkel ist ein zwiefaches: es hindert zu sehen, wie gesehen zu werden. Es entzieht dem Gefangenen nicht nur die Kenntnis alles dessen, was ihn persönlich interessieren kann, die Fähigkeit, seine Angelegenheiten zu regeln und durch endgültige oder einstweilige Anordnungen seinem eigenen und bisweilen dem Ruin seiner Geschäftsfreunde vorzubeugen, sowie namentlich das Vermögen, seine Beschützer zu unterrichten und seine Feinde zu entwaffnen, mit einem Worte alles das, was ihn nützlich beschäftigen könnte, sondern es beraubt ihn auch des Schauspiels der öffentlichen Angelegenheiten, das ihn zerstreuen könnte: nachdem er dem ganzen Weltall fremd geworden, gestattet man ihm nicht einmal mehr, sich über das zu unterrichten, was darin vorgeht. Vielleicht findet sich noch heute in diesen Kerkern irgend ein Gefangener, der täglich Ludwig XV. und den Herzog de la Brilliere mit seinen Bitten bestürmt: er glaubt sich noch von ihnen in Banden gehalten, er kniet unaufhörlich vor diesen beiden Phantomen, von denen nur noch die Erinnerung existiert, und die Offiziere des Hauses, die Zeugen seines Irrtums sind, sind stupid-zartfühlend oder barbarisch-gewissenhaft genug, ihm denselben nicht zu benehmen. Näheres über diesen Punkt s. im Anhang unter R.
D. Übers.

Aus dieser aktiven und passiven Unwissenheit entspringen unendlich traurige Folgen für den auf solche Weise getäuschten Unglücklichen. Ist er z. B. nur der persönlichen Rache eines Mannes in Amt und Würden geopfert worden, so verschafft ihm selbst der Sturz dieses Riesen, dessen Glück ihn zermalmte, keine Erleichterung. Er selbst kann keinen Vorteil daraus ziehen, weil er keine Kenntnis davon erhält, wenn er also keine warmen Freunde hat, wenn seine Familie furchtsam oder ohne Ansehn oder gleichgültig oder weit entfernt ist, so bleibt die Unterdrückung dieselbe, obgleich der Unterdrücker verschwunden ist. Dessen Nachfolger ist mehr darauf bedacht, das nämliche Mittel in Anwendung zu bringen, als das Unrecht wieder gut zu machen, das daraus hervorgegangen ist. Der Gefangene bleibt also in der Bastille, nicht weil jemand es wünscht, sondern weil er einmal drinnen ist, weil man ihn vergißt, weil bei den Ministern keine Bittschriften für ihn eingehen, und weil nichts, wenn nicht die Leichtigkeit hineinzugeraten, der Schwierigkeit gleichkommt, die es macht, aus der Bastille herauszukommen.

Ich kann dafür außer meinen eigenen, und ohne jemand zu schädigen, noch ein anderes Beispiel anführen. Zu meiner Zeit saß in der Bastille ein Genfer, namens Pellissery. Sein ganzes Verbrechen bestand darin, daß er über die Finanzoperationen des Herrn Necker einige Bemerkungen gemacht hatte. Als ich dies infolge eines höchst sonderbaren Zufalls erfuhr, befand er sich bereits seit drei Jahren in der Bastille: vielleicht ist er noch jetzt darin und weiß weder von dem Falle seines Vaterlandes, noch von dem Sturze des Ministers, dem er mit Recht sein Unglück zur Last legt. Linguet wie Pellissery selbst wurden absichtlich über den wahren Grund der Einsperrung des letztern getäuscht. Man sehe das Nähere im Anhang unter X.
D. Übers.
Er wird erst entlassen werden, wenn ein anderer Zufall oder vielleicht diese meine Erwähnung des Falls die Flatterköpfe, welche die Unwandelbarkeit der Bastille aufzuheben vermögen, wieder an ihn erinnern: vielleicht wird man endlich einsehen, wie schändlich es ist, auf solche Weise im Namen des Staates der persönlichen Rache eines zeitlichen Beamten eine ewige Dauer zu geben und einen Ausländer, einen redlichen Mann deshalb zu bestrafen, weil er einsichtsvoll genug war, das vorherzusehen, was zu thun die Regierung selbst nicht hinausschieben durfte – denn was ist schließlich noch von den Operationen des Herrn Necker übrig? Wenn Pellissery dadurch strafbar ward, daß er sie tadelte, was verdienen dann die, welche sie zu nichte gemacht haben? (XXIV)

Erbebt man nicht vor Abscheu, wenn man bedenkt, daß die Abscheulichkeiten, deren peinlich berührendes Bild ich hier entwerfe, die Strafe für eine Unbedachtsamkeit waren, die wenige Monate später nicht bloß eine Handlung der Klugheit, sondern sogar eine Notwendigkeit wurde? Heute würde ohne Frage der Lobredner des Herrn Necker Gefahr laufen, der Genosse des Kritikers zu werden, und während schamlose Willkür die Opfer dieser entsetzlichen Ungereimtheiten nach Belieben vermehrt, verhallen deren Einsprüche in dem unzugänglichen Dunkel, von dem ich rede.

Nochmals: man bedenke wohl, daß nichts aus demselben ans Licht zu treten und nichts in dasselbe hineinzudringen vermag. Sogar die Gesuche, die ein Gefangener etwa an seine Gönner richtet, um sie dafür zu gewinnen, daß ihm eine gerichtliche Untersuchung oder Begnadigung gewährt werde, werden aufgefangen und unterschlagen, und gerade durch diese unbedachtsamen Fingerzeige erhalten die Spürhunde der Polizei Kenntnis von den Orten, von denen er Hilfe erwarten darf, und beeilen sich dann, den Anstrengungen, die zu seinen Gunsten gemacht werden könnten, jeden Zugang zu versperren. Erst wenn er den bittern Kelch, den Haß und Willkür ihm kredenzt haben, bis zum letzten Tropfen geleert hat, läßt man ihm die Freiheit, diejenigen anzurufen, die für ihn sprechen können.

Wenn man ihm die Möglichkeit, zu schreiben, nicht gänzlich abschneidet, so gehen alle seine Briefe der Polizei offen zu oder werden dort erbrochen. Die Lektüre seiner schmerzlichen Klagen ist für die zu diesem Spioniergeschäft Bestellten eine angenehme Unterhaltung: sie ergötzen sich einen Augenblick an der Tonart, in der jeder einzelne von den Eingesperrten seufzt, und dann schnürt man den Briefertrag jedes Tages sorgfältig zu einem besondern Stoße zusammen, nicht um Gebrauch davon zu machen, sondern um ihn in unbekannten Archiven zu vergraben oder um ihn zu verbrennen. Weder der Gefangene, der geschrieben hat, noch die, an welche er geschrieben hat, hören je davon reden.

Ich hatte in der ersten Zeit meiner Gefangenschaft die Güte der Prinzen vom königlichen Hause angerufen (XXV). Da ich von früher her wußte, daß Monsieur Monsieur war der Titel des jedesmaligen ältesten Bruders des Königs, bezeichnet also hier den Grafen von Provence, nachmaligen Ludwig XVIII.
D. Übers.
und Ihre Durchlaucht der Graf von Artois mich mit ihrer Achtung beehrten, so hatte ich mir mit der Hoffnung geschmeichelt, sie würden mir in meinem Unglück ihre Gunst nicht versagen. Ich hatte an sie geschrieben, die Briefe waren versiegelt – einige Zeit später aber sagte mir der Polizeidirektor, daß er sie gelesen, aber nicht abgeliefert habe, daß man ihm das nicht erlaubt hätte. Und als ich ihm darauf bemerkte, daß er, da er doch den Inhalt wisse, diesen den großmütigen Prinzen mitteilen könne, denen er die Briefe vorenthalten hatte, erwiderte er, daß er bei diesen hohen Herrn keinen Zutritt habe. Und dieser Mensch, dem der Zutritt zu jenen hohen Herrschaften versagt war, hatte nichtsdestoweniger die Macht, ihre Briefe zu erbrechen und zu unterschlagen, ihre und des Königs gute Absichten zu vereiteln und mich mit Mauern zu umgeben, die fester waren als all die Zauberburgen, mit denen je die Einbildungskraft die Romane bevölkert hat!

Treten wir nun in das Innere dieser Mauern, sehen wir zu, wie die Höllenhunde, die es bewachen, es anstellen, ihr abscheuerregendes Amt zu erfüllen und vollends das Leben sauer zu machen.

Das Vorspiel, wenn ihnen eine neue Beute zugeführt wird, bildet die Durchsuchung. Die Weise, in der sie von der Person eines Gefangenen Besitz ergreifen, und in der das Eigentumsrecht der Hölle, der er fortan angehören soll, außer Zweifel gestellt wird, besteht darin, daß man ihn all des Seinen beraubt. Er ist ebenso erstaunt wie erschrocken, wenn er sich von vier Männern untersucht und betastet sieht, deren Äußeres dieser Verrichtung widerspricht und dieselbe nur noch schmählicher macht, von vier Männern, deren Tracht zur Hoffnung auf ein rücksichtsvolles Benehmen berechtigt, und die mit einem Ehrenzeichen geschmückt sind, das – ich wiederhole es – einen makellosen Dienst zur Voraussetzung hat. Die im Anhang unter T mitgeteilten Berichte bezeugen, daß Linguet sich hier keiner Übertreibung schuldig gemacht hat.
D. Übers.

Sie nehmen ihm sein Geld, aus Furcht, er möchte sich desselben zur Bestechung eines von ihnen bedienen, seine Kleinodien, aus dem nämlichen Grunde, seine Papiere, aus Furcht, er möchte darin ein Mittel gegen die Langeweile finden, der man ihn hingeben will, seine Schere, sein Messer u. s. w., aus Furcht, er möchte sich den Hals abschneiden oder seine Wärter umbringen, wie ihm gesagt wird, denn der Grund für alle diese Beraubungen wird ihm ganz kaltblütig auseinandergesetzt. Nach dieser Ceremonie, die ziemlich lange dauert und häufig durch Scherze und Glossen über jedes in das Inventarium aufgenommene Stück unterbrochen wird, führt man ihn nach dem Behältnis, das ihm in dieser Menagerie bestimmt ist.

Alle diese Käfige sind in Türmen angebracht, deren Wände, wie bereits bemerkt, mindestens zwölf Fuß und im untern Teile dreißig und vierzig Fuß stark sind. Jeder besitzt ein einziges, in der Mauer angebrachtes Luftloch, das aber mit drei Eisengittern, einem innen, einem zweiten in der Mitte des Gemäuers und einem dritten an der Außenöffnung, versehen ist. Die Gitterstäbe stehen im Kreuz zueinander und sind einen Quadratzoll stark, infolge eines raffinierten Kunstgriffs aber, der von dem überlegenen Genie der Erfinder zeugt, paßt der feste Teil jedes einzelnen dieser eigentümlichen Geflechte genau auf die Lücken des andern, so daß für den Durchblick kaum ein Raum von zwei Zoll übrig bleibt, obschon die einzelnen Maschen nahe an vier Zoll breit sind.

Früher hatte jede von diesen Höhlen drei oder vier Öffnungen, die allerdings alle klein und alle mit dem nämlichen Netzwerk geschmückt waren, aber diese Vielzahl von Luken beförderte doch die Cirkulation der Luft und verhütete das Feuchtwerden und die Verpestung derselben u. s. w. Ein durch Menschenliebe ausgezeichneter Gouverneur hat sie jedoch bis auf je eine zumauern lassen, und selbst an den sonnenhellsten Tagen kann das bißchen Licht, das diese in das Zimmer dringen läßt, nur dazu dienen, die Dunkelheit desselben besser bemerkbar zu machen.

Im Winter sind daher diese traurigen Grüfte wahre Eisgruben, weil sie hoch genug liegen, um die Kälte eindringen zu lassen; im Sommer dagegen sind sie feuchte Schwitzkasten, in denen man erstickt, weil die Wände zu dick sind, als daß die Hitze sie austrocknen könnte.

Ein Teil derselben, und dazu gehörte die meine, liegt unmittelbar über dem Graben, in den die große Kloake der Rue Saint-Antoine einmündet, so daß er, wenn man ihn reinigt, oder wenn im Sommer die Hitze etwas lange anhält, oder wenn eine Überschwemmung eintritt, die bei diesen unter dem Niveau des Flusses liegenden Gräben im Herbst und Frühjahr etwas Gewöhnliches ist, einen pestilenzialischen Gestank aushaucht. Und hat dieser sich erst einmal in den Löchern, die man Zimmer nennt, verfangen, so verfliegt er nur äußerst langsam wieder.

In dieser Atmosphäre atmet der Gefangene, und um nicht völlig zu ersticken, ist er genötigt, den Tag und häufig auch die Nacht wie angepicht an dem innern Gitter zuzubringen, das ihn, wie erwähnt, sogar von der in Form eines Fensters ausgebrochenen Öffnung fernhält, durch welche ihm ein Schatten von Licht und Luft zukommt. Seine Anstrengungen, durch dies enge Blasrohr ein wenig frische Luft hereinzupumpen, dienen aber häufig nur dazu, den Gestank, der ihm den Atem benimmt, noch zu verdicken.

Wehe dem Unglücklichen, der im Winter nicht das nötige Geld beschaffen kann, um den Holzvorrat, der im Namen des Königs geliefert wird, zu ergänzen. Früher wurde das Brennmaterial ungezählt und ungemessen nach Maßgabe des Verbrauchs jedes einzelnen ausgeteilt. Man peinigte Leute, die überdies alles entbehrten und zu einer so grausamen Unbeweglichkeit verurteilt waren, nicht noch wegen der Menge Feuerung, die sie für notwendig hielten, um ihr infolge der Unthätigkeit erstarrtes Blut vor dem Gerinnen zu bewahren oder den Niederschlag der Dämpfe an den Wänden zu verflüchtigen. Der Fürst wollte sie diese Erleichterung oder Zerstreuung genießen lassen, ohne die Kosten irgend einer Beschränkung zu unterwerfen.

Die Absicht ist ohne Zweifel noch dieselbe, das Verfahren aber hat sich geändert. Der gegenwärtige Gouverneur hat den Holzverbrauch für jeden Züchtling auf sechs Scheite, gleichviel von welcher Größe, festgesetzt. Bekanntlich sind aber in Paris die Scheite zur Zimmerheizung um die Hälfte kleiner als die im Handel üblichen, weil sie in der Mitte durchgesägt werden: sie sind nur ungefähr achtzehn Zoll lang. Überdies sorgt der sparsame Spender noch dafür, daß auf den Holzplätzen das kleinste und, unglaublich, aber wahr, schlechteste Holz ausgewählt wird, das nur aufzutreiben ist. Er läßt vorzugsweise die untersten Lagen der Holzstöße und die Lagerreste aussuchen, denen Zeit und Feuchtigkeit Saft und Kraft geraubt haben, und die aus diesem Grunde zu niedrigem Preise an die Handwerker, wie z. B. Brauer und Bäcker, verkauft werden, die ein mehr loderndes als kräftiges Feuer brauchen. Sechs solcher Zündhölzchen machen den Vorrat eines Bewohners der Bastille für vierundzwanzig Stunden aus.

Man wird fragen, was diese anfangen, wenn der Vorrat verbraucht ist. Sie thun das, was ihnen der brave Gouverneur mit eigenen Worten anrät: sie leiden. (S. hinten die Anmerkung XXIX.)

Die Möbel sind des Lichtes, das sie beleuchtet, und der Wohnung, die sie schmücken sollen, durchaus würdig. Es muß von vorn herein bemerkt werden, daß der Gouverneur dieselben kraft seines Vertrags mit dem Ministerium liefern und auf seine Kosten erhalten muß: es ist dies eine von den äußerst geringen Lasten, die mit seinem ungeheuren Einkommen verknüpft sind, von dem ich weiter unten sprechen werde. Bezüglich der Unbequemlichkeiten der Wohnung kann er sich damit entschuldigen, daß er die Lage der Örtlichkeiten nicht zu ändern vermag, die häßliche Knauserei mit dem Holze, von der ich eben sprach, kann er damit beschönigen, daß er bestrebt sei, dem Könige Kosten zu ersparen: bezüglich der Möbel aber, die nur ihn angehen, und die ihm bezahlt werden, giebt es weder eine Entschuldigung noch eine Beschönigung. Seine Ersparnisse auf diesem Gebiete sind notwendigerweise zugleich ein Diebstahl und eine Grausamkeit.

Zwei von den Motten zerfressene Matratzen, ein Rohrstuhl, dessen Sitz mit Bindfaden unterbunden war, ein Klapptisch, ein Wasserkrug, zwei Steinguttöpfe, von denen der eine als Trinkgeschirr diente, und zwei Pflastersteine als Stützpunkte für das Feuer – das ist das ganze Inventar, wenigstens war es das in meinem Zimmer. Eine Feuerzange und eine eiserne Schaufel hatte ich mehrere Monate später nur dem Mitleid des Schließers zu verdanken. Aber Feuerböcke zu erhalten, war keine Möglichkeit, und, sei's Politik, sei's Grausamkeit, was der Gouverneur nicht liefern will, darf der Gefangene sich auch nicht auf seine eigenen Kosten verschaffen. Erst nach acht Monaten durfte ich mir eine Theemaschine kaufen, um für mein Geld einen gewöhnlichen, festen Lehnstuhl zu erhalten, waren zwölf Monate nötig, und fünfzehn, um das schmutzige, ekelhafte Zinngeschirr, das allein im Hause in Gebrauch ist, durch gewöhnliches Steingut ersetzen zu dürfen.

Der einzige Hausrat, den anzuschaffen mir gleich in den ersten Tagen verstattet ward, war eine wollene Bettdecke: man höre, was den Anlaß dazu bot.

Der September ist bekanntlich der Monat, in welchem die Eier der die Wollenstoffe zerfressenden Motten sich in Schmetterlinge verwandeln. Beim Eintritt in die mir bestimmte Höhle erhob sich nun von dem Bette nicht eine Anzahl, nicht eine Wolke von diesen Insekten, sondern eine dicke und dichte Säule, deren Auseinandergehen in einem Nu das ganze Zimmer überschwemmte. Ich fuhr vor Abscheu zurück. »Nun, nun,« bemerkte einer meiner Führer lächelnd, »Sie werden nicht zwei Nächte hier geschlafen haben, und es wird keine einzige mehr da sein.«

Am Abend kam der Polizei-Direktor, um mir dem Gebrauche gemäß den Willkomm zu bieten. Ich bezeigte ihm einen so heftigen Widerwillen gegen ein derartig bevölkertes Lager, daß man die Gnade hatte, mir eine neue Decke zukommen zu lassen und zu gestatten, daß die Matratzen ausgeklopft würden, alles auf meine Kosten natürlich. Da Federbetten in der Bastille verboten sind, ohne Zweifel weil dergleichen Bequemlichkeiten sich nicht für Leute schicken, denen das Ministerium hauptsächlich in der Kunst der Abtödtung des Fleisches Unterricht erteilen will, so hätte ich wenigstens alle drei Monate meinen elenden Matratzen diese Art von Verjüngung zu teil werden lassen mögen – dem widersetzte sich aber der Gouverneur, obgleich es ihn nichts kosten sollte, aus allen Kräften, weil dies Verfahren sie abnutzt, wie er sagte.

Frau von Staal erzählt, daß sie ihr Zimmer mit einer gewirkten Tapete ausstatten ließ. Mémoires de Madame la baronne de Staal. t. II, p. 240.
D. Übers.
Ob sie diese Vergünstigung ihrer Eigenschaft als Favoritin einer hohen Prinzessin verdankt, oder ob die Sitten jener Zeit die Menschlichkeit sogar in der Bastille zur Geltung kommen ließen, wie die übrigen Einzelheiten ihrer Gefangenschaft beweisen, muß ich dahingestellt sein lassen. Das aber steht fest, daß Vergünstigungen dieser Art zu den Mißbräuchen gehören, denen die Ordnungsliebe der neuern Zeit ein Ende gemacht hat. Meine dringenden Gesuche, für mein Geld Leinwand, die den traurigen Farbenton der Wände verdeckt und zugleich deren Feuchtigkeit absorbiert haben würde, oder Papier anschaffen zu dürfen, das die nämliche Wirkung erzielt und mir überdies die Zerstreuung, es eigenhändig aufzukleben, bereitet haben würde, waren völlig fruchtlos.

Der Anblick dieser Wände hatte in meinem Zimmer etwas Schreckliches. Einer meiner Vorgänger, augenscheinlich ein Maler oder Liebhaber der Malerei, der weniger alles dessen beraubt war, was seine Seele oder seine Hände beschäftigen konnte, hatte die Erlaubnis erhalten, das Gelaß nach seiner Weise zu verschönern. Das Zimmer bildet ein Achteck mit vier großen und vier kleinen Seiten, und jede von diesen ist mit einem durchaus der Örtlichkeit entsprechenden Gemälde versehen: mit Scenen aus der Leidensgeschichte.

Aber mag nun sein besonderer Geschmack die Ursache gewesen sein, oder mag man ihm nur eine einzige, dem Gegenstande und dem Orte angemessene Farbe verstattet haben, kurzum, er hat sich ausschließlich des Ochers bedient und nur einfarbige Gemälde hergestellt, deren Schattierung man sich wird vorstellen können. Als nach dem Aufsteigen des Mottenschwarms meine Blicke zum erstenmal auf diese Flächen fielen, deren Farbenton das Dämmerlicht noch härter erscheinen ließ, und auf denen ich nur im allgemeinen Schmerzgeberden und Martergeräte gewahr wurde, ohne den eigentlichen Gegenstand unterscheiden zu können, kam mir plötzlich alles in den Sinn, was man von den Oublietten erzählt und was man von den Sanbenitos weiß. Ich glaubte steif und fest, diese Felder enthielten Sinnbilder des Loses, das meiner harre, und man hätte mir gerade dies Zimmer angewiesen, um mich darauf vorzubereiten. Ich empfahl meine Seele Gott. Empfindende Gemüter, würdigt diesen Augenblick nach seinem Werte!

Wenn nun bei einem solchen Quartiere und einem solchen Hausrat den Gefangenen wenigstens die Freiheit bliebe, die sie früher hatten, und die selbst den Verbrechern in den unter der alleinigen Leitung der Gerichte stehenden gewöhnlichen Gefängnissen nicht versagt wird, die Freiheit, miteinander zu verkehren, einander zu sehen und jene Verbindungen anzuknüpfen, welche in den übrigen Gefängnissen die Not entschuldigt, sogar wenn dabei der Ehrenhafte zu dem Nicht-Ehrenhaften in Beziehung tritt, die sich aber in der Bastille häufig auf gegenseitige Achtung gründen würden – wenn, sage ich, den Gefangenen wenigstens diese Freiheit bliebe, so würden sie, ohne darum ihr Elend zu vergessen, dasselbe doch leichter ertragen können. Wie gewisse Getränke, jedes für sich genommen, einen unangenehmen Geschmack haben, aber durch Vermischung miteinander einen Teil ihrer Widrigkeit verlieren, so ist es auch mit dem Unglück. Aber gerade dies Verschmelzen der Klagen suchen die Herrn der Bastille sorgfältig zu verhüten: jede Minderung der Bitterkeit der Gefangenschaft würde zugleich eine Minderung ihres Genusses sein. Ihr Wahlspruch ist das Wort Caligulas an seine Schergen, wenn er ihnen Befehl zu einem Morde gab: » Trefft so, daß er das Sterben fühlt

Von dem Augenblicke an, wo ein Mensch ihnen überliefert wird, ist er, wie erwähnt, für die ganze übrige Welt verloren. Er existiert nur noch für sie allein, und sie bemühen sich nicht weniger eifrig, jede Art innern Verkehrs zwischen ihren Opfern zu verhüten, als ihnen jede Mitteilung nach außen hin zu untersagen. La Porte und andere erzählen von dem Verkehre, den sie durch die Schornsteine u. s. w. miteinander unterhielten. Die Weise, in der La Porte mit den übrigen Gefangenen und der Außenwelt verkehrte, ist von ihm sehr ausführlich beschrieben worden: wir teilen diese Stelle seiner Memoiren im Anhang unter V mit. Die Schornsteine wurden von La Porte und seinen Genossen nicht benutzt.
D. Übers.
Das mochte, wie gesagt, zu ihrer Zeit möglich sein, heutzutage aber sind die Kaminröhren ganz wie die Fenster in ihrer Länge mit drei übereinander angebrachten eisernen Gittern verwahrt, von denen das erste sich drei Fuß über dem Herde befindet, und ihre Mündung ragt um mehrere Fuß über die Terrasse empor. Die Aborte, hier eine seltene Bequemlichkeit, denn ich glaube, es giebt im ganzen Schlosse nur zwei Zimmer, die damit versehen sind, sind auf die nämliche Weise verwahrt, und ein großer Teil der Zimmer ist gewölbt, die übrigen aber haben einen doppelten Fußboden.

Wenn man es für passend erachtet, einen Gefangenen herabkommen zu lassen, entweder eines Verhörs wegen, wenn er das Glück hat, einem solchen unterworfen zu werden, oder um zum Arzt zu gehen, wenn er nicht krank genug ist, um denselben in seiner Höhle erwarten zu müssen, oder wegen der sogenannten Promenade, von der sogleich die Rede sein wird, oder auch nur um einer Laune des Gouverneurs zu genügen, so findet er überall nur die Stille der Wüsten und Dunkelheit. Ein Unkenruf des ihn führenden Schließers verscheucht alles, was ihn sehen oder von ihm gesehen werden könnte. Die Fenster des Gebäudes, in welchem der Stab seine Wohnung hat, in dem die Küchen liegen, und zu welchem Fremde Zutritt erhalten, werden sogleich mit Vorhängen, Läden und Jalousien verpanzert, und dabei ist man grausam genug, diese Verrichtung erst dann vorzunehmen, wenn er nahe genug ist, um sie wahrnehmen zu können. Alles erinnert ihn also daran, daß es wenige Schritte von ihm Menschen giebt, und zwar Menschen, die zu sehen vielleicht von größtem Interesse für ihn wäre, da man sie so sorgfältig vor ihm verbirgt, was seine Besorgnisse nach Maßgabe seiner Anhänglichkeit vermehrt.

Ich glaubte lange Zeit eine Person zum Schicksalsgenossen zu haben, deren Erhaltung mich allein über meine übrigen Verluste trösten konnte, und deren Gefangenschaft, wenn man eben ihre Wachsamkeit hätte täuschen können, mein Unglück auf den Gipfel getrieben haben würde. Die Antworten, die ich auf meine Fragen bezüglich dieses Punktes erhielt, waren nur geeignet, meine Besorgnis zu bestätigen, denn wenn diese in der Kunst der Seelenquälerei geübten Menschen eine Gelegenheit finden, das gewöhnliche Stillschweigen, welches den Gefangenen martert, durch eine erheuchelte Offenheit zu ersetzen, die ihn in Verzweiflung stürzen kann, so versäumen sie nicht, dieselbe zu benutzen: sie mögen reden oder schweigen, immer tragen sie dafür Sorge; daß ihre Thätigkeit grausam wirke wie ihre Unthätigkeit.

Diese Kunstgriffe haben zur Folge, daß möglicherweise Vater und Sohn, Gatte und Gattin, ja ganze Familien gleichzeitig die Bastille bevölkern, ohne zu ahnen, daß so teure Wesen ganz in ihrer Nähe sind, oder daß sie darin hinsiechen in der Überzeugung, daß ihre ganze Familie in ihr Unglück verwickelt sei, während in Wirklichkeit ein Teil derselben sich dem entzogen hat. Man vergleiche hierzu die folgende Stelle aus einem Briefe Cagliostros, der sich in den Mémoires historiques (t. III, p. 281) mitgeteilt findet. »Cynische Unverschämtheit,« sagt der berühmte Abenteurer, »gehässiger Trug, falsches Mitleid, bitterer Spott, zügellose Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Tod haben in diesem Staatsgefängnis ihren Sitz, und eine barbarische Verschwiegenheit ist das geringste von den Verbrechen, die dort begangen werden. Ich befand mich sechs Monate lang nur fünfzehn Fuß von meiner Frau entfernt und wußte es nicht. Andere liegen seit dreißig Jahren darin begraben, gelten für tot und fühlen sich unglücklich, daß sie es nicht sind, da sie wie die Verdammten Miltons nur soviel Licht in ihrem Abgrunde haben, wie nötig ist, um die undurchdringliche Finsternis zu unterscheiden, die sie umhüllt: sie würden allein sein un Universum, wenn der Ewige nicht existierte, der allgütige und wahrhaft allmächtige Gott, der an Stelle der Menschen ihnen eines Tages Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Ja, teurer Freund, als Gefangner habe ich es zuerst ausgesprochen und als freier Mann wiederhole ich es: es giebt kein Verbrechen, das nicht durch sechs Monate Bastille völlig gesühnt würde.«
D. Übers.
Als ein Gouverneur von St. Domingo es vor einigen Jahren zweckmäßig fand, sich eines schönen Morgens der gesamten Justiz einer seiner Städte zu entledigen und einen ganzen Gerichtshof auf ein Schiff zu packen, um ihn nach Frankreich hinüberzuschicken, wurde dies amerikanische Parlement sogleich bei seiner Ankunft in die Bastille gesteckt.

Diese armen Leute fanden da eine noch ganz andere Sklaverei als die, in der sie ihre Neger halten: sie saßen acht Monate eingesperrt, ohne daß einer von dem Schicksal des andern wußte. Und doch wurde währenddessen ihr Prozeß verhandelt, und schließlich wurden sie für unschuldig erkannt, erhielten aber keine andere Entschädigung als die Erlaubnis, ihre Ämter wieder einnehmen zu dürfen. Wir teilen im Anhang unter W die Einzelheiten dieser merkwürdigen Amtsentsetzung des Ober-Kollegiums von Le Port-au-Prince mit.
D. Übers.

So sorgfältig man aber auch verhütet, daß die Gefangenen Verkehr miteinander haben oder sich nur erkennen, so denkt man doch durchaus nicht daran, ihnen zu verheimlichen, daß sie nicht allein sind. Die doppelten Fußböden, die für jedes Wort des Trostes undurchdringlichen Wölbungen geben getreulich die Zeichen wieder, an denen ein Unglücklicher erkennt, daß sich über oder unter ihm ein anderer, nicht minder beklagenswerter Unglücklicher befindet. Nicht verschwiegener sind die Thüren, die Schlüssel und ebenso die Riegel. Das Dröhnen der einen, das Klirren der andern, das dumpfe Gekreisch der dritten widerhallt weithin in den steinernen Schnecken, welche die Treppen bilden, und pflanzt sich auf eine schreckenerregende Weise in der ungeheuren Leere der Türme fort. Ich konnte danach mit Leichtigkeit berechnen, wieviel Nachbarn ich hatte, und das war eine neue Quelle des Leidens. Ein anderes Mittel, die Zahl seiner Leidensgefährten in der Bastille festzustellen, fand und benutzte Dumouriez. »Seit seiner Wiedervereinigung mit seinen Bedienten,« erzählt er (wie Cäsar spricht er von sich selbst immer in der dritten Person), »hatte Dumouriez die Zeit seiner Promenade anders bestimmt und sie auf die Mittagsstunde verlegt. Ein Gefangener bemerkt alles und zieht aus allem Nutzen. Bis dahin einzig mit seinem Prozeß und seiner Lektüre beschäftigt, hatte er noch keine Neugier bezüglich dessen empfunden, was im Hause vorging. Jetzt wurde er neugieriger. Es war im Winter, und jeden Sonnabend schichtete man am Fuße jedes Turmes soviel Haufen Holz auf, wie der Turm besetzte Zimmer enthielt. Nach diesen seinen Beobachtungen berechnete er, wieviel Unglücksgefährten er in jedem Turme hatte. Ebenso setzte man täglich um die Mittagsstunde am Fuße jeder Treppe soviel Körbe mit Schüsseln nieder, als Gefangene oben waren. Diese waren damals wenig zahlreich, denn nie gab es zu seiner Zeit mehr als neunzehn und einige Tage lang sogar nur sieben. Die gefürchtete Bastille verschlang also, wenigstens zu dieser Zeit (1773-1774), nicht soviel Unglückliche, wie man glaubte.« ( Vie du géneral Dumouriez).
D. Übers.

Zu spüren, daß sich über unserm Kopfe oder unter unsern Füßen ein unglückliches Wesen befindet, dem man Trost spenden oder von dem man solchen empfangen könnte, es gehen und seufzen zu hören, denken zu müssen, daß man nur eine halbe Klafter von ihm entfernt ist, unaufhörlich das Vergnügen, welches das Zurücklegen dieses Zwischenraums gewähren würde, und die Unmöglichkeit der Ausführung im Sinne zu tragen, sich gleichmäßig über das Geräusch, welches die Ankunft eines neuen Ankömmlings verkündet, der unsere Haft zu teilen verdammt ist, ohne sie zu erleichtern, wie über die Stille jener Kerker betrüben zu müssen, die uns verrät, daß einer unserer Genossen mehr vom Glück begünstigt ward als wir: das ist eine Marter, von der man sich keine Vorstellung machen kann. Das sind die Qualen des Tantalus, Ixion und Sisyphus zu einer vereint.

Und zuweilen entspringt daraus eine noch schrecklichere. Ich kann nicht bezweifeln, daß der Leidensgenosse, der das Zimmer unter mir innehatte, während meines Aufenthaltes in der Bastille auf natürliche Weise oder nicht verblichen ist. Eines nachts, gegen zwei Uhr morgens, hörte ich ein starkes Getöse auf der Treppe: eine große Anzahl Menschen stieg geräuschvoll herauf, vor jener Thür wurde Halt gemacht, dann hörte man reden, streiten, hin und wieder laufen – ich vernahm ganz deutlich das Geräusch heftiger Kraftanstrengungen und leises Gewimmer.

War das ein Hilfe bringender Besuch oder eine Hinrichtung? Führte man einen Arzt oder einen Henker in das Gelaß? Ich weiß es nicht, drei Tage später aber, um dieselbe Stunde, hörte ich an derselben Thür ein weniger lautes Geräusch: ich glaubte zu unterscheiden, wie man eine Bahre heraufbrachte, niedersetzte, belud und in Ordnung brachte. Auf diese Formalitäten folgte ein starker Geruch von Wachholderbranntwein. Anderwärts würde das ein ganz einfaches Begebnis sein – aber in der Bastille, und zu einer solchen Stunde, und in einer Entfernung von nur wenigen Schritten! Die Furcht vor einer heimlichen Hinrichtung scheint zu allen Zeiten bei den Bewohnern der Bastille geherrscht zu haben. Man vergleiche im Anhang unter C die Auszüge aus den Memoiren La Portes und der Frau von Staal.
D. Übers.

Wenn dergestalt die Hausordnung der Bastille durch dies und noch ein zweites Mittel, von dem sogleich die Rede sein wird, das Leben jedes Eingekerkerten dem Belieben seiner Wächter anheimgiebt, so verlangen diese auch, daß es unbedingt nur von ihnen allein abhange. Sie wissen – und das bildet einen ihrer köstlichsten Genüsse! – daß ihre Einrichtungen zur Verzweiflung bringen müssen, sie wissen, daß es tausend Momente giebt, wo namentlich die unter ihren Opfern, deren Mut keine sträfliche That gebrochen und deren Empfindlichkeit nicht die knechtische Gewohnheit des Gehorsams abgestumpft hat, in Versuchung geraten, sich durch eine rasche That dieser langen Reihe von Todesmartern zu entziehen – und gerade das wollen sie nicht haben: sie besorgen weit mehr, ein Gefangener möchte sich den Abscheulichkeiten, die sie ihm als tägliche Nahrung reichen, durch den Tod als durch die Flucht entziehen. Diese Phalarisse fürchten, vor allem, daß man die Glut ihres Stieres nicht lange genug empfinde, und vermöge einer Kunstgeübtheit die eben nur in der Bastille gefunden wird, sind sogar die Vorsichtsmaßregeln, die sie gegen diese vermeintlichen Unfälle treffen, ebenso demütigend wie schmerzhaft, ebenso geeignet, das Verlangen nach der Katastrophe, die sie verhüten, lebendig zu erhalten, wie deren Herbeiführung zu verhindern.

Ich habe erwähnt, daß man dem Gefangenen weder Scheere, noch Messer, noch Rasierbesteck läßt. Wenn ihm daher die Speisen gebracht werden, die er mit seinen Thränen benetzt oder durch seine Seufzer von sich weist, so muß der Schließer ihm jedesmal die Bissen vorschneiden, und dazu bedient er sich eines an der Spitze abgerundeten Messers, daß er nach jedesmaligem Gebrauche wieder sorgfältig in die Tasche steckt. Als Seitenstück zu dieser Schilderung geben wir hier eine Stelle aus den » Lettres-de-cachet«, in der Mirabeau ein Zwiegespräch mit de Rougemont, dem Gouverneur von Vincennes, berichtet.
»Genötigt, das Fleisch mit den Fingern und einer schmutzigen Zinngabel zu zerlegen, verlangte er (Mirabeau) ein abgestumpftes, schwaches, dünnes, kurzes Messer. – »O, mein Herr, ein Messer? Sie spaßen! Einem Gefangenen ein Messer geben! Hat man etwa in der Bastille Messer?« – »Ei, mein Herr, was geht mich die Bastille an? Was für Unheil kann ich denn mit einem solchen Messer anrichten, wie ich es zu haben wünsche? Löcher bohren, Gitter zersägen? Das ist unmöglich. Mich töten? Nun, könnte ich das nicht zu jeder Zeit? Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, ist die einzige, an der der Despotismus sich nicht vergreifen kann. Meinen Schließer töten? Könnte ich ihn nicht mit einem Holzscheit Niederschlagen, wenn ich rasend wäre?« – »Alle diese Gründe sind überflüssig, mein Herr: es ist einmal nicht Regel« ... Aber wer hat diese Regel aufgestellt? Er, nur er allein, der nicht besser schmeicheln zu können glaubt, als indem er die Gefangenen mit Kleinigkeiten peinigt, und beträfe es auch die Luft, die sie atmen. Selbst ein Tyrannengemüt, hält er auch Minister und Fürsten für Tyrannen.« ( Mirabeau, Des Lettres-de-cachet, t. I, p. 96).
D. Übers.

Man kann nicht verhindern, daß einem die Nägel und die Haare wachsen, es ist jedoch dem Gefangenen nicht gestattet, sich dieses lästigen Zuwachses zu entledigen, ohne die Möglichkeit dazu durch eine Demütigung zu erkaufen. Er muß um eine Schere bitten, und der Schließer muß anwesend bleiben, so lange er sich derselben bedient, und sie dann sogleich wieder mit fortnehmen.

Was den Bart anlangt, so ist der Chirurg des Hauses mit der Abnahme desselben betraut und genügt dieser Pflicht wöchentlich zweimal. Doch auch dazu mußte erst der Polizei-Direktor seine Erlaubnis geben, wie aus dem nachstehenden Briefe des Major Chevalier an den Polizei-Direktor Berryer erhellt.
» In der Bastille, 31. Mai 1756.
»Mein Herr,
Der Sieur Pizzoni verlangt, an Sie schreiben zu dürfen: wir sehen Ihren Befehlen darüber entgegen.
Dieser Gefangene besitzt nichts, um Kleidung und Wäsche wechseln zu können: wir leihen ihm aus dem Magazin Hemden, Taschentücher, Kragen, Mützen, Nachtmützen und Strümpfe.
Der Sieur Pizzoni befindet sich seit dem 17. dieses Monats hier; er ist noch nicht rasiert worden und sucht um die Erlaubnis dazu nach.
Ich habe die Ehre u. s. w.
Gez. Chevalier
Am Rande dieses Briefes findet sich von Berryers Hand, jedenfalls als Instruktion für seinen Sekretär Duval, die Bemerkung:
» Ich bin's zufrieden ( je veux bien), daß er rasiert wird und mir schreibe.« S. La Bastille dévoilée, 5 5; livr., p. 147.
D. Übers.
Er und der Schließer, der Geschäftsträger und General-Oberaufseher über alles, was in den Türmen vorgeht, wachen sorgfältig darüber, daß die Hand des Gefangenen sich nicht dem Futterale nähert, in welchem die furchtbaren Instrumente enthalten sind: wie das Beil des zur Enthauptung schreitenden Henkers werden diese erst in dem Augenblicke der Hülle entnommen, in welchem man sie braucht. Man erinnert sich in der Bastille noch des Aufruhrs, den die Verwegenheit des Herrn de Lally veranlaßte, wenngleich dieser damals schwerlich schon sein Schicksal voraussah: er bemächtigte sich nämlich eines Tages eines Rasiermessers und weigerte sich lachend, es zurückzugeben. Das verriet noch durchaus keine schlimmen Absichten, aber nichtsdestoweniger kam das ganze Schloß in Aufruhr. Man hatte bereits nach der Wache geschickt, zwanzig Bajonette waren im Anmarsch, vielleicht setzte man sogar schon die Kanonen in Bereitschaft, als die Revolte glücklicherweise mit der Wiedereinfügung des furchtbaren Werkzeugs in sein angestammtes Futteral ihr Ende erreichte.

Es ist lächerlich, wenn man behauptet, diese Wachsamkeit habe ebensowohl die Sicherheit der Wächter wie die des Gefangenen selbst zum Gegenstande. Welche Gewaltthätigkeit befürchtet man denn von einem Menschen, der mit so kunstvoll erschwerten Ketten belastet, durch soviel Mauern eingezwängt, von so vielen Wachen umgeben, mit soviel Ängstlichkeit von aller Welt abgesondert ist? Daß derartige Befürchtungen denn doch nicht so unbegründet waren, wie Linguet annimmt, ergiebt sich aus den im Anhang unter Y mitgeteilten Aktenstücken über einige von einzelnen Gefangenen an sich selbst oder gegen die Beamten verübte Attentate.
D. Übers.
Was aber auch der Grund sein mag, weshalb man so schwache Hilfsmittel im Bereiche seiner Hand zu belassen fürchtet, offenbar scheut man nur seine Verzweiflung: diese Verzweiflung aber ist, wie man weiß, nur die Frucht der wohlüberlegten Martern, die man ihm anthut, und nur weil man ihm ungestraft das Herz zerreißen will, soll auch seine Hand ohnmächtig sein.

Ich habe schon viel von den Schließern gesprochen, ohne deren Amt näher zu bezeichnen. Sie sind Unterbeamte, denen die Bedienung der Türme, d. h. der Gefangenen, obliegt, und diese Bedienung ist wenig zeitraubend: sie beschränkt sich auf die Verteilung des Futters in die einzelnen Käfige des Bezirks, der ihrer Obhut anvertraut ist. Sie kommen täglich dreimal in die Zellen, um sieben Uhr morgens, um elf Uhr mittags und um sechs Uhr abends: es sind das die Stunden des Frühstücks, des Mittagessens und des Abendbrots. Dabei überwacht man sie aber, um sicher zu sein, daß sie sich nicht länger aufhalten, als ungefähr zur Ablieferung ihrer Bürde nötig ist, so daß also der Gefangene während der vierundzwanzig Jahrhunderte, aus denen ein Tag oder vielmehr eine Nacht der Bastille besteht, nur drei kurze Zerstreuungen hat.

Sogar das Bettmachen und das Stubenfegen ist den Schließern erlassen. Als Vorwand für diese Bestimmung dient abermals die Behauptung, man könnte sie während dieser Verrichtungen mißhandeln, ermorden u. s. w. Man wird die Richtigkeit dieses Grundes zu schätzen wissen, die Bestimmung ist aber nichtsdestoweniger unabänderlich. Der Greis, der Gebrechliche, die zarte Frau, der Gelehrte, dem diese häuslichen Verrichtungen fremd sind, der Reiche, der sich um kein Haar besser darauf versteht, alle sind der nämlichen Etiquette unterworfen.

Allerdings kehren die Schließer sich nicht immer daran und erweisen zuweilen dem Gefangenen Dienste, die man nicht von ihnen zu fordern berechtigt ist, aber sie müssen es verheimlichen, als wäre es ein unerlaubter Verkehr. Die als Gouverneur verkleidete Furie, die schon in Unruhe gerät, wenn sie an einem ihrer Kerker vorübergeht und keine Seufzer hört, würde sie ungesäumt für die Erleichterungen strafen, die sie dem Bewohner desselben hätten zu teil werden lassen.

Und in dieser absoluten Stille, in diesem (es muß wiederholt werden) Zustande völliger Entblößung, in diesem Nichts, das schrecklicher ist als das des Todes, weil es den Schmerz nicht ausschließt, sondern im Gegenteil alle Arten von Schmerzen gebiert, in dieser vollkommenen Absperrung von aller Welt, wie man zu wiederholen nicht müde werden darf, bleibt das, was man in der Bastille einen Staatsgefangenen nennt, d. h. ein Mensch, der das Mißfallen eines Ministers, eines Bureaubeamten oder eines ihrer Bedienten erregt hat, Belege für die Richtigkeit dieser natürlich nur teilweise zutreffenden Definition liefert der Auszug aus der Gefangenenliste der Bastille (Anhang Z), namentlich die Nr. 40. 41. 47. 59. 60. 65. 85. 91. 96. 99. 100. 102. 104. 105.
D. Übers.
ohne jede Rettung, ohne andere Zerstreuung als die, welche seine Gedanken und seine Besorgnisse ihm gewähren, dem bittersten Gefühle preisgegeben, das ein nicht durch Laster und Verbrechen entwürdigtes Herz nur immer zerreißen kann, dem Gefühle unterdrückter Unschuld, die ihren Untergang vor Augen sieht, ohne sich offenbaren zu können; dort erschöpft er sich in dem vergeblichen Bemühen, den Schutz der Gesetze zu fordern, die Mitteilung der Anklagepunkte zu verlangen, den Beistand seiner Freunde anzurufen: seine Bitten, seine Klagen, seine Verzweiflung sind nicht bloß nutzlos, sondern er weiß auch, und man sagt ihm, daß sie nutzlos sind – das ist die einzige Kunde, die man ihm zu teil werden läßt. Allen Schrecken des Müßiggangs und der Langeweile preisgegeben, die durch die Ungewißheit der Zukunft noch erhöht werden, fühlt er sich täglich hinsiechen und weiß zugleich, daß man sein Dasein nur erhält, um seine Qual zu verlängern, wobei Spott und Schimpf sich zur Grausamkeit gesellen, um die Bitterkeit der Entbehrungen zu verdoppeln, die sein täglich Brot sind.

Mir kam z. B. nach Verlauf von acht Monaten der Gedanke, das Gefühl meiner Nichtigkeit durch Auffrischung meiner geometrischen Kenntnisse ein wenig zu bannen: ich bat also um ein Reißzeug. Um jedem Vorwand zu einer abschläglichen Antwort zuvorzukommen, hatte ich vorsorglich die Größe des Bestecks auf drei Zoll festgesetzt, aber dennoch mußte ich zwei Monate lang um diese Vergünstigung einkommen: vielleicht mußte erst ein Staatsrat deswegen abgehalten werden. Endlich wird sie bewilligt, das Reißzeug langt an – ohne Zirkel! Ich schreie laut auf vor Unwillen und Verwunderung: man erwidert mir kaltblütig, Waffen seien in der Bastille verboten.

Ich mußte also von neuem einkommen, bitten, lange Eingaben machen, in allem Ernste die Frage erörtern, ob zwischen einem Reißzeug und einer Kanone ein Unterschied sei. Dank der Barmherzigkeit und dem erfinderischen Kopfe des Kommissarius der Bastille sind nach Verlauf eines weitern Monats endlich auch die Zirkel da: aber wie? ... mit knöchernen Spitzen versehen! Man hatte, auf meine Kosten natürlich, alles, was in einem Reißzeuge aus Stahl sein soll, aus Knochen anfertigen lassen. Die Annalen der Bastille zeigen, daß auch diese Vorsicht nicht ganz unbegründet war: der oben erwähnte Graf de Lally hatte nach seiner Verurteilung thatsächlich den Versuch gemacht, sich durch einen Stich mit einem Zirkel zu töten.
D. Übers.

Ich hebe diese neue Art von Reißzeug sorgfältig auf. Nachdem sie zu meinen Lebzeiten mein Arbeitszimmer geschmückt hat, werde ich dafür sorgen, daß sie nach meinem Tode in ein Museum kommt, wo sie Beschauer findet: dort wird sie unter den Denkmälern des Kunstfleißes der wilden Völkerschaften, von denen unsere Reisenden bisweilen Proben mitbringen, einen ehrenvollen Platz einnehmen. Man wird nirgends eine Erfindung eines uncivilisierten Genies antreffen, die in solchem Grade die öffentliche Neugier verdiente. –

In weiterer Verfolgung des Grundsatzes, daß ein auf diese Weise in die Gewalt des Königs oder richtiger der Minister gegebener Mensch absolut unsichtbar sein müsse, hat man ferner, um in keinem Punkte von dieser grausamen Taschenspielerei abzugehen, eine Anordnung getroffen, der zufolge das Dasein der Gefangenen völlig in der Gewalt derer liegt, die dazu gebraucht werden, dies Dasein der Welt zu verbergen. Der Gouverneur übernimmt nämlich vertragsmäßig die Beköstigung der Gefangenen, und diese königliche Speisewirtschaft ist sehr einträglich.

Das Ministerium hat in der Bastille fünfzehn Stellen gestiftet, die, ob besetzt oder nicht, täglich mit zehn französischen Livres oder ungefähr fünf brabanter Gulden oder acht englischen Schillings bezahlt werden, was für den Gouverneur ein Jahreseinkommen von rund zweitausendfünfhundert Louisd'or ergiebt.

Das ist noch nicht alles: wird eine Lettre-de-cachet fabriciert, die ihm einen neuen Tischgast zuführt, so fügt man dem ursprünglich gestifteten Betrage pro Kopf noch eine dem Stande der betreffenden Person angemessene Summe hinzu. Ein fliegender Buchhändler Bei dem völligen Mangel irgend welcher Preßfreiheit war die Verbreitung von Flugschriften und Broschüren satirischen und daneben auch unsittlichen Inhalts ein einträgliches, wenn auch gefährliches Geschäft geworden, mit dem sich nicht wenige Personen befaßten, Die Gefangenenliste der Bastille enthält daher eine nicht geringe Anzahl Namen von Individuen, deren Nahrungszweig die Kolportage bildete. Man vergleiche im Anhang unter Z die Nr. 5-7. 37. 39. 42. 64. 67. 69 u. s. w.
D. Übers.
oder ein Mann niedern Standes trägt demnach außer der festgesetzten Pistole täglich noch einen Thaler Zwei Mark 40 Pfennig. extra für die gemeinsame Speisung bei, ein Bürger oder Gerichtsbeamter niedern Ranges hundert Sols Vier Mark. ein Priester, Finanzbeamter oder ordentlicher Richter zehn Livres Tourisch, Acht Mark. ein Parlementsrat fünfzehn Livres Tourisch Zwölf Mark. ein General-Lieutenant vierundzwanzig Livres Neunzehn Mark 20 Pfennig. ein Marschall sechsunddreißig Livres. Achtundzwanzig Mark 80 Pfennig. Wie hoch in diesem ministeriellen Lagerbuche die Taxe für einen Prinzen von Geblüt angesetzt ist, weiß ich nicht zu sagen. Der Bastille dévoilée zufolge betrug sie fünfzig Livres Tourisch (vierzig Mark). Wie aus der im Anhang unter R mitgeteilten Notiz über den Kolporteur Plany hervorgeht, scheint übrigens dieser Tarif i. J. 1692 noch nicht bestanden zu haben.
D. Übers.

Endlich ist dem Gouverneur noch überdies das Vorrecht gewährt worden, nahe an hundert Faß Wein völlig steuerfrei in seinen Keller einführen zu dürfen, was ebenfalls etwas Beträchtliches ausmacht und unzweifelhaft die Bedienung der Tische erleichtern und sichern sollte.

Aber was thut er? Er verkauft sein Einfuhrrecht an einen Pariser Schenkwirt, namens Joli, der ihm zweitausend Thaler dafür zahlt. Im Austausch entnimmt er dann von diesem den wohlfeilsten Wein zum Gebrauche für seine Gefangenen, und dieser Wein ist, wie man sich denken kann, der reine Essig. Die jährliche Stiftung von zehn Franken für den Tag betrachtet er als festes, mit seiner Stelle verbundenes Einkommen, über das er keine Rechenschaft schuldig ist, und das mit seinen Tischausgaben nichts zu thun hat: dazu verwendet er nur jene Zugabe, jenen Extra-Zuschuß, den die Freigebigkeit des Königs bloß zur Erhöhung derselben bestimmte, und selbst auch nur diesen Zuschuß völlig aufgehen zu lassen, hütet er sich sorglich. Die auf diesen Punkt bezüglichen Einzelheiten sind sicher nicht erhebend, verdienen aber nichtsdestoweniger bekannt zu werden. Es giebt in der Bastille Gefangene, die zu jeder Mahlzeit nur vier Loth Fleisch erhalten: die Portionen sind mehr als einmal gewogen worden. Diese Thatsache ist allen Unterbeamten bekannt, und diese selbst seufzen darüber (XXVI). Nichts wäre also leichter festzustellen, wenn man nur die Untergebenen, die die schmutzige Habsucht des Gouverneurs entlarven könnten, vor dessen Rache schützen wollte.

Es giebt auch besser besetzte Tische, das räume ich ein, und zu diesen gehörte auch der meine. Eine Anzahl anderer Zeugen sprechen sich sehr zu Gunsten der Bastillenkost aus: s. die Auszüge aus den Memoiren Dumouriez' und Marmontels im Anhang unter D. Allerdings waren dies Leute von Stand, denen man Rücksichten erwies, und mit denen der Gouverneur es nicht verderben wollte.
D. Übers.
Ob aber dieser Überfluß ein Gut oder ein Übel für diejenigen ist, denen er zu Teil wird, wage ich nicht zu entscheiden. Wenn er etwas weniger Kränkendes hat, so kann er andererseits auch äußerst gefährliche Fallen verbergen. Ich habe Leute gekannt, die während der ganzen Dauer ihres Aufenthaltes in der Bastille nur von Milch lebten: andere, wie Herr de la Bourdonnais, erbaten und erhielten die Erlaubnis, sich Speisen von Hause kommen lassen zu dürfen. Wir benutzen diese Gelegenheit, um im Anhang unter BB einige Einzelheiten über die Haft La Bourdonnais' mitzuteilen.
D. Übers.
Mir ist diese Erlaubnis fortwährend verweigert und acht Monate lang, wie ich bereits erwähnt habe, sogar die Freiheit versagt worden, mir irgend etwas, was es auch sein mochte, kaufen zu lassen, obschon ich bei den Offizieren des Schlosses Geld in Verwahrung gegeben hatte.

Diesen Mangel ersetzte ich durch eine peinliche Achtsamkeit und dadurch, daß ich nie mehr als einige Bissen von jeder Schüssel aß und alles, was mir verdächtig vorkam, mehrmals in reinem Wasser abwusch, und doch habe ich trotz dieser Vorsichtsmaßregeln dem nicht auszuweichen vermocht, was ich mit nur zuviel Recht befürchtete. Am achten Tage nach meinem Eintritt in die Bastille bekam ich Anfälle von Kolik und brach Blut aus, und das hat fast während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft fortgedauert, wobei die von Zeit zu Zeit stärkern Anfälle auf eine Erneuerung der Ursachen hinwiesen.

Ich habe diese Ursachen weder verkannt, noch verschwiegen. Hundertmal habe ich an den Polizei-Direktor geschrieben, daß man mir Gift reiche, ich habe es mündlich seinem Stellvertreter gesagt, ich habe es dem Arzte, dem Chirurgen und sogar den Offizieren des Hauses gesagt: ein beleidigendes Lachen war die einzige Antwort, die ich je erhalten habe.

»Wenn man sie wirklich hätte vergiften wollen, würden Sie da noch am Leben sein?« haben mir schon mehrere Personen eingeworfen, denen ich diesen sonderbaren Umstand erzählte, und vielleicht werden auch manche von meinen Lesern diesen Einwurf wiederholen: aber nur, wenn man ihn nicht eingehend überdenkt, kann derselbe triftig erscheinen. Sicher würde ich den mörderischen Anschlägen nicht entschlüpft sein, wenn die Regierung es gewollt hätte, aber mein Dasein, die unverwüstliche Lebenskraft meines Organismus rechtfertigen eben auch nur diese. Sind aber wohl die Hände, die ihr einen derartigen schmählichen Dienst nicht abschlagen würden, falls sie fähig wäre, dergleichen zu verlangen – sind diese Hände wohl imstande, gewinnverheißenden Versuchungen zu widerstehen, die etwa von anderer Seite an sie herantreten?

Infolge der unbegreiflichen Einrichtung, von der hier die Rede ist, vermag nichts, was einen Gefangenen trösten oder zerstreuen könnte, zu ihm zu gelangen, während dagegen alles, was seinem Gemüte oder seiner Gesundheit unersetzlichen Schaden zufügen kann, keinem Hindernis begegnet. Der Oberstab besteht aus vier Offizieren, der Unterstab aus vier Schließern, das Küchenpersonal aus vier Köchen. Diese zwölf Menschen wissen sämtlich, wen sie bedienen, trotz der lächerlichen Geheimniskrämerei, durch welche man sich den Anschein giebt, als wolle man ihnen die Wahrheit verbergen. Sie gehen aus, sie knüpfen täglich in Paris Verbindungen an, sie haben ihre Häuser, ihre Frauen, ihre Freunde, ihre Bekanntschaften in der Stadt. Ist es also so sehr schwierig, unter diesem Haufen, dessen Beruf schon weiter nichts als eine Reihenfolge verbrecherischer Verrichtungen ist, einen Schurken ausfindig zu machen? Und wird es diesem, wenn er einmal gewonnen ist, mehr Schwierigkeiten machen, den Speiseanteil herauszufinden, den er vergiften soll, und zu dem nichts ihm den Zutritt verwehrt? Man kann dergleichen Schändlichkeiten nicht als wahrscheinlich voraussetzen – aber würde man denn überhaupt alle die Abscheulichkeiten, um die es sich hier handelt, für wahrscheinlich halten?

Daß die Gefahr nicht etwa bloß in der Einbildung besteht, erhellt daraus, daß früher in der Küche, neben dem Kessel und den Öfen, immer eine Schildwache stand, deren Amt es war, genaue Aufsicht über alle diejenigen zu führen, die jenen Gegenständen nahe kamen. Diese gewiß mehr heilsame als beleidigende Vorsichtsmaßregel ist seit mehreren Jahren außer Gebrauch gekommen: sind etwa die schlimmen Anschläge, deren Möglichkeit sie offenbar bekundete, jetzt schwieriger ins Werk zu setzen?

Der Anschlag, dessen Gegenstand ich war, ist allerdings, nicht zum Vollzug gekommen, aber vielleicht hat nur das Aufsehen, das meine Klagen erregten, die Hand dessen gelähmt, der ihn auszuführen versprochen hatte, und meine Wachsamkeit seine Versuche wenigstens zum Teil fruchtlos gemacht. Ich behaupte keineswegs, daß alle diejenigen, denen ich mich bei dieser traurigen Gelegenheit anvertraute, Mitschuldige an dem Verbrechen waren: aber der wirkliche Schuldige fürchtete vielleicht eingehende Untersuchungen zu veranlassen, falls er allzu, rasch die Richtigkeit meiner Ahnungen bestätige. Überdies ließen auch vielleicht meine beständige Entkräftung, die Gefahr, in der mein Leben gegen Ende des Jahres 1781 schwebte, mein damals für unvermeidlich angesehener Tod weitere Versuche überflüssig erscheinen. So wenig bestritten werden kann, daß zur Zeit der empoisonneurs das sogenannte Successionspulver auch in der Bastille eine Rolle gespielt haben mag, so wenig scheint doch in späterer Zeit irgend ein Umstand für die Befürchtungen Linguets zu sprechen. Man darf vielmehr behaupten, daß die Bastille in dieser Hinsicht besser war als ihr Ruf.
D. Übers.

Und selbst wenn ich mich hinsichtlich so auffallender Zufälle, die noch bei weitem nicht völlig aufgehört haben, getäuscht hätte, selbst wenn diese Befürchtungen und diese Symptome nur Ausgeburten einer zu lebhaft erregten Phantasie gewesen wären, ist es da nicht doch schon ein wahres Verbrechen seitens der Bastille, daß sie zu dergleichen Befürchtungen Anlaß giebt und es unbedingt unmöglich macht, sich den geheimen Manipulationen zu entziehen, die jene Befürchtungen rechtfertigen könnten?

Noch mehr, ist nicht überhaupt das Ganze ein Wortstreit? Ich will gern glauben, daß an dem Orte, wo vor hundert Jahren der Italiener Exili in der Giftmischerei Unterricht erteilte (XXVII), keins von dessen Rezepten aufgehoben worden ist, und daß ein Verbrechen mehr den größten Abscheu bei Leuten erregen kann, deren spezieller Beruf, um es zu wiederholen, die Vollbringung von Verbrechen ist – aber sollte ein zwanzigmonatlicher Aufenthalt, mit all seinen Nebenumständen, an einem Orte, wo das Leben nur ein ewiges Sterben ist, nicht im wesentlichen die Lebensquelle vergiften? Sollten zwei in diesen Kerkern ohne Luft, ohne Bewegung, in den Ängsten der Bekümmernis, und den Krämpfen der Erwartung oder vielmehr der Verzweiflung, verbrachte Jahre weniger Einfluß auf die Organe äußern als das kräftigste Gift? Diese Einwirkung mag langsamer sein – ist sie aber weniger sicher? Besteht zwischen diesen beiden Zerstörungsmitteln ein anderer Unterschied als die Länge der Zeit?

Aber ist man denn völlig der frischen Luft und der freien Bewegung beraubt? werden diejenigen fragen, welche die Berichte meiner Vorgänger gelesen haben, und sogar diejenigen, die das Schloß aus Neugier besuchten. Denn man gewährt den Neugierigen Zutritt zur Bastille: der Gouverneur nimmt dort häufig Besuche an, obgleich er auswärts wohnt, alle seine Kollegen, vom Platz-Kommandanten bis herab zum letzten Küchenjungen, empfangen ihre Bekannten, und an Tagen, wo öffentliche Freudenfeste, Feuerwerke oder Illuminationen stattfinden, wird sogar das Publikum, und zwar in Menge, auf die Türme gelassen, um von dort aus einen Überblick zu genießen.

Bei solchen Gelegenheiten bieten die Türme nur ein Bild der Ruhe und des Friedens. Alle diese fremden Schaulustigen sind ohne Kenntnis von dem, was unter den undurchdringlichen Wölbungen, deren Außenseite sie bewundern, vorgeht und verborgen ist: mancher hat da vielleicht das Grab seines Freundes, Vetters oder Vaters unter seinen Füßen, während er ihn in hundert Meilen weiter Ferne in Ruhe lebend oder mit seinen Angelegenheiten oder seinem Vergnügen beschäftigt wähnt.

Schließlich aber gehen alle, denen diese äußere Besichtigung gestattet wird, wenn sie einen ziemlich großen Garten und sehr hohe Plattformen erblicken, auf denen die Luft rein und die Aussicht malerisch sein muß, und versichern hören, daß dies alles an den gewöhnlichen Tagen zur Benutzung für die Gefangenen bestimmt ist, mit der Überzeugung hinaus, daß, wenn auch das Leben in der Bastille nicht angenehm ist, diese Erleichterungen es doch erträglich machen können. Früher mochte das auch der Fall sein, jetzt aber ist folgendes eingetreten.

Der gegenwärtige Gouverneur, Herr de Launay, ist ein erfinderischer Kopf, der alles zu benutzen weiß. Er hat überlegt, daß der Garten ein wichtiger Ökonomie-Gegenstand für ihn werden könnte: er hat ihn demnach an einen Gärtner verpachtet, der das Gemüse und das Obst daraus verkauft und ihm jährlich eine bestimmte Summe dafür zahlt. Um indessen nicht auf seinem Markte behindert zu werden, erachtete er es für nötig, daß die Gefangenen davon ausgeschlossen würden, und demgemäß ist ein Erlaß, gezeichnet Amelot, erschienen, der den Gefangenen den Garten verbietet.

Was die Plattform der Türme anlangt, so erlaubte man trotz ihrer Hohe, die es nahezu unmöglich macht, erkannt zu werden oder jemand zu erkennen, Daß immerhin sowohl von der Höhe der Türme wie von der Straße aus ein Erkennen möglich war, beweist eine Anekdote aus den Memoiren La Portes.
»Einen oder zwei Tage später,« erzählt La Porte, »kam die Königin nach Paris und passierte die Porte Saint-Antoine, um den König in Saint-Maur aufzusuchen. Da ich davon benachrichtigt war, stieg ich auf die Türme, um sie vorüberfahren zu sehen. Sobald sie mich bemerkte, verließ sie den Rücksitz ihrer Karrosse und setzte sich an den Schlag, um mir mit der Hand ein Zeichen zu geben und mir durch Kopfbewegungen so viel als möglich zu verstehen zu geben, daß sie mit mir und meinem Verhalten zufrieden sei. Da war nun kein Gefangener, dem ich in diesem Augenblicke nicht ebensoviel Neid wie vorher Mitleid einflößte, und der nicht noch mehr hätte leiden mögen, als ich erlitten hatte, um dies wenngleich leichte Zeichen der Dankbarkeit einer großen Königin zu verdienen: so leicht geben die Franzosen sich mit ein wenig Dunst zufrieden.«
Auch der Garten wurde früher zeitweise aus dem nämlichen Grunde verboten wie die Türme: man vergleiche im Anhang unter E, was Frau von Staal über diesen Punkt berichtet.
D. Übers.
den Gefangenen in früherer Zeit doch nur in Begleitung eines Büttels des Hauses, ob nun Offizier oder Schließer, darauf, spazieren zu gehen, da sie nach der Rue Saint-Antoine hinausliegen, von der man das Publikum noch nicht vertrieben hat. In der letzten Zeit, d. h. seit ungefähr drei Jahren, fanden jedoch die Herrn diesen Dienst lästig, überdies ergaben sich dabei Unterhaltungen mit dem Dienstthuenden – Herrn de Launays wachsamer Geist geriet in Unruhe. Zum Teil aus Willfährigkeit gegen die Trägheit seiner Kollegen, zum Teil aus Rücksicht auf seine eigenen Besorgnisse erschien daher ein neuer Erlaß, gezeichnet Amelot, der die Plattformen verbietet wie früher, den Garten.

Bleibt also der Hof zum Spazierengehen. Dieser Hof ist ein Rechteck von sechzehn Klafter Länge und zehn Klafter Breite. Die Mauern, die ihn umgeben, sind über hundert Fuß hoch und haben keine Fenster, so daß er in Wirklichkeit einen weiten Brunnen bildet, in welchem im Winter, da sich der Nordwind darin verfängt, die Kälte und im Sommer die Hitze unerträglich ist, weil die Sonne, da keine Luftzirkulation vorhanden ist, einen wahren Backofen daraus macht. Das ist nun der einzige Platz, auf dem diejenigen von den Gefangenen, denen diese Freiheit zugestanden wird – denn allen wird sie nicht zu Teil – während einiger Minuten des Tages, jeder je nachdem die Reihe an ihn kommt, die verpestete Luft ihres Gelasses von sich abspülen dürfen.

Aber man darf nicht annehmen, daß die kunstvolle Quälerei, welche jene Gelasse so schmerzlich macht, auch nur während dieser kurzen Zeit der Abwesenheit eine Minderung erfahre. Man wird ohne weiteres begreifen, was für ein Spaziergang das in einem solchen Raume sein muß, wo man schutzlos dem Regen ausgesetzt ist, wo man von den äußern Elementen nur die Unannehmlichkeiten zu kosten erhält, wo dem Anscheine eines Schattens von Freiheit zum Trotz die Wachen, von denen man umringt ist, die allgemeine Stille und der Anblick der Uhr, die allein diese Stille unterbrechen darf, nur zu sehr die Knechtschaft ins Gedächtnis rufen.

Eine merkwürdige Beobachtung! Die Schloßuhr geht auf diesen Hof. Man hat dort ein schönes Zifferblatt angebracht – aber wird jemand erraten, was ihm zum Schmuck und Zierat dient? Mit vollendeter Kunst gemeißelte Ketten! Als Träger dienen zwei am Halse, an den Händen, den Füßen und mitten um den Leib mit Ketten belastete Figuren: die beiden Enden dieser sinnreichen Guirlanden, die um das ganze Gehäuse herumlaufen, treffen dann auf der Vorderseite zusammen und bilden dort einen ungeheuren Knoten. Und um anzuzeigen, daß sie gleichmäßig beiden Geschlechtern drohen, hat der Künstler, vom Genius des Orts oder durch einen ausdrücklichen Befehl begeistert, mit größter Sorgfalt einen Mann und ein Weib dargestellt. Man vergleiche zu dieser Stelle die Beschreibung der Uhr auf S. 47.
D. Übers.
Das ist der Anblick, mit welchem die Augen eines Gefangenen, der seinen Spaziergang macht, erquickt werden: eine mit großen goldenen Lettern auf schwarzen Marmor eingegrabene Inschrift belehrt ihn, daß er dies dem Herrn Raymond Gualbert de Sartines etc. zu verdanken hat (XXVIII).

Aber man denke nicht, daß er dessen nach Belieben genieße. Nur sparsam mißt man ihm die Zeit zu, wo es ihm vergönnt ist, den Blick auf den Himmel zu richten, den er nur zur Hälfte erschaut. Dies Maß von Zeit hängt von der Zahl der Bewerber ab, und da der eine immer erst hinuntergeht, nachdem der andere wieder heraufgestiegen ist, und ferner dank den Amelot unterzeichneten Erlassen jener gemeinsame Trichter das einzige ist, was noch unter sie zu verteilen bleibt, so sind die Portionen um so kleiner, je bevölkerter die Bastille ist. Ich merkte die Ankunft eines neuen Gastes oder Spaziergängers immer an dem verhältnismäßigen Beitrage, den ich zu seinem Vergnügen beisteuern mußte. In früherer Zeit gingen die Gefangenen gemeinschaftlich auf dem Hofe spazieren. Es erhellt dies aus folgender Stelle der Memoiren La Portes:
»Nach dem Essen erschien der Hausvogt und sagte mir, daß ich hinuntergehen müsse. Ich fragte warum, er wollte es mir jedoch nicht sagen. Ich stieg also die Treppe hinab: am Fuße derselben fand ich sechs Soldaten, die mich in die Mitte nahmen, damit ich mit niemand spräche. Man führte mich über den Hof, auf dem sich viele Gefangene befanden, die Spalier bildeten, um mich vorübergehen zu sehen, wobei einige die Schulter zuckten, als ob sie sagen wollten, ich würde bald hingerichtet werden, denn dies Gerücht war allgemein in der Bastille und in der ganzen Stadt verbreitet.«
D. Übers.

Ferner hüte man sich vor der Einbildung, als ob der Genuß dieser auf solche Weise verkümmerten Erleichterung ein friedlicher und vollkommener sei. Der Hof ist der einzige Weg für das Küchengesinde und die Besuche, welche die Offiziere empfangen: über ihn hin gehen die Lieferanten, die Arbeiter u. s. w. Da es nun aber vor allem not thut, daß ein Gefangener weder sehe noch gesehen werde, so muß er, sobald sich Fremde zeigen, in das sogenannte Kabinett flüchten, einen schlauchartigen Raum von zwölf Fuß Länge und zwei Fuß Breite, der in einer alten Wölbung angebracht ist. Das ist das Kabinett, in das man sich, sobald nur ein Heubündel naht, aufs eiligste verkriechen und dabei die Thür aufs sorgfältigste hinter sich schließen muß, denn der geringste Argwohn, daß man neugierig sei, würde unbedingte Einsperrung als Strafe zur Folge haben. Und dieser Wechsel zwischen Hof und Kabinett ist nichts weniger als selten: ich habe nachgerechnet, daß von einer Stunde, d. h. von der längsten Dauer einer Promenade, drei Viertelstunden auf die demütigende und grausame Unthätigkeit im Kabinett kamen.

Ich weiß nicht, ob diese Maßregel ebenfalls durch einen Amelot gezeichneten Erlaß gerechtfertigt wird, es steht aber fest, daß sie neu ist. Bis vor kurzem wurde nach neun Uhr morgens kein Fremder ohne die dringendste Notwendigkeit auf den Hof gelassen: die Einkäufe waren dann gemacht, die Besuche wurden draußen empfangen, und das Kabinettsverfahren fand nur bei ernsten Anlässen statt, die es zu entschuldigen schienen.

Aber das ist noch nicht alles: dieser so unzureichende, so grausam verkümmerte Spaziergang, der wie alles übrige statt einer Linderung ein Strafzusatz geworden ist, wird tagweise und willkürlich völlig aufgehoben. Wenn ein Neugieriger die Bastille zu sehen wünscht, wenn Ausbesserungen vorgenommen werden, wobei ein Arbeiter über den Hof gehen muß, wenn der Herr Gouverneur ein Essen giebt, wobei die Bedienten hin und her gehen müssen, weil sein Haus draußen, seine Küche aber drinnen liegt – in allen diesen Fällen findet keine Promenade statt.

Im Jahre 1781, während der Hitze, die den Sommer dieses Jahres denkwürdig gemacht hat, habe ich, von der Jahreszeit entkräftet und mit einem Bluterbrechen und einer Magenschwäche behaftet, die sie nicht hervorgerufen hatte, aber doch unterhielt, die Monate Juli und August völlig auf meinem Zimmer zugebracht, ohne es verlassen zu dürfen. Den Vorwand dafür bildete eine auf der Plattform vorgenommene Arbeit: die Arbeiter hätten von außen hinaufsteigen können und thaten es auch, nur die nötigen Steine mußten ihnen über den Hof zugetragen werden, und das hätte, wie ehedem, täglich vor neun Uhr morgens geschehen können. Herr de Launay hatte das jedoch beschwerlich gefunden; es schien ihm einfacher, den Befehl zu geben: Keine Promenade! und es gab keine Promenade.

Um die Größe dieser Beraubung richtig zu würdigen, muß man erwägen, daß sie im Gefolge aller derer erscheint, durch welche nur immer ein Mensch gemartert werden kann, muß man nicht bloß bedenken, daß ein Gefangener dadurch physischen Gefahren ausgesetzt und notwendigerweise die Zerrüttung seiner Gesundheit herbeigeführt wird, sondern auch, daß man, da die körperliche Bewegung das einzige Mittel ist, seine Seelenschmerzen ein wenig einzuschläfern, diese Schmerzen um so brennender macht, wenn man ihn derselben beraubt, und daß, wenn er tagsüber nicht eine Minute Gelegenheit hat, wenigstens die Art seiner Pein zu ändern, sein stets von Seufzern geschwelltes Herz noch schmerzhafter gegen die Wände anzuhämmern scheint, die ihn von allen Seiten einzwängen.

In den gewöhnlichen Gefängnissen wird daher auch diese Strenge als die schärfste angesehen von allen denen, die gegen die Verbrecher angewandt werden dürfen, um sie zum Geständnis zu bringen. Die sogenannte stille Haft, d. h. eine völlige Abschließung, findet nur während der kurzen Zeiträume statt, wo die Justiz befürchtet, daß dem Angeklagten durch seine äußern Verbindungen Mitteilungen zufließen möchten, die das Verbrechen begünstigen würden. Diese Einschließung wird durch die örtlichen Verhältnisse und mehr noch durch die Rücksicht auf die Menschlichkeit gerechtfertigt, die, da sie allen Gefangenen den freien Verkehr miteinander vergönnt, eine Aufhebung desselben für einen einzelnen nur in der Weise gestattet, daß man ihn für den Augenblick absondert und ihn so lange von den übrigen fernhält, als das Motiv für jene Aufhebung fortdauert: diesem einen muß allerdings die Promenade untersagt werden, wenn man sie nicht allen nehmen will.

Und dabei wird diese vorübergehende Unthätigkeit, besonders wenn er unschuldig ist, noch durch das Fortschreiten der Untersuchung gemildert. Er sieht seine Richter, seine Ankläger, seine Zeugen, er weiß, was ihm zur Last gelegt wird. So lange man ihn verhört, so lange man ihn den Zeugen gegenüberstellt, ist er nicht allein, und nach jedem solchen Kampfe werden die einsamen Zwischenstunden ihm kostbar und sogar notwendig, um sich zur Führung eines zweiten rüsten zu können.

In der Bastille indessen kann keiner dieser Beweggründe vorkommen, keine dieser Erleichterungen stattfinden. Die stille Haft ist hier eine immerwährende. Man ist auf allen Spaziergängen einsam wie in seinem Gelasse: sie können also dem Erfolge der Untersuchung (wenn eine solche stattfindet), ihrer Leichtigkeit wie ihrer Heimlichkeit kein Hindernis bereiten. Und selbst in diesem Falle wäre es die größte Ungerechtigkeit und Grausamkeit, diese Spaziergänge willkürlich zu verbieten und einem Gefangenen die einzige Minute des Tages zu rauben, wo er seine thränengetränkten Augen zur Sonne emporheben kann, die ihn zu fliehen scheint.

Was heißt das also – um es zu wiederholen – wenn keine Untersuchung stattfindet? wenn jenes Verbot Menschen trifft, hinsichtlich derer Haß und Rachsucht nicht einmal einen Vorwand zu einem gerichtlichen Verfahren aufzufinden vermögen? wenn es monatelang in Kraft bleibt? wenn es von der Willkür eines ebenso feigen wie barbarischen Schergen abhängt, der stolz darauf ist, ehrliche Leute in seiner Feste ungestraft beschimpfen zu dürfen, und sich daher nur dann für geschätzt hält, wenn er ihr Elend verhöhnt, und für mächtig, wenn er ihre Seelen zerreißt?

Man wird sagen, daß die letzterwähnten Einzelheiten mehr vom Charakter der gegenwärtigen Befehlshaber, als von der Grundverfassung des Hauses selbst abhängen. Das ist richtig: das Haus würde schon an sich Trübsal genug haben, wenn auch eine vorübergehende Laune diese da nicht noch hinzuthäte. Sie thut sie aber hinzu: auch habe ich zum voraus bemerkt, daß seit einigen Jahren die Barbarei in der Bastille gewachsen wäre. Früher beschäftigte man sich mit den Gefangenen, jetzt treibt man sein Spiel mit ihnen.

Und was seltsam erscheinen dürfte: die entweder unmenschlichen oder schmachvollen Zusätze, mit denen diese schon an sich schmachvolle und unmenschliche Hausordnung bedacht wird, erstrecken sich sogar auf die Mietlinge, die man verwendet. Früher hatten, wie schon bemerkt, die Offiziere vom Stabe das Recht, allein und so oft sie es für angemessen hielten, die ihrer gemeinschaftlichen Wachsamkeit anvertrauten Gefangenen zu besuchen. Da sie alle für gleichmäßig pflichtgetreu galten, so erregten ihre Privatbesuche weder Argwohn noch Besorgnis, und da sie ihrer vier sind, so befand sich unter ihnen doch von Zeit zu Zeit ein weniger Hartherziger, der täglich einige Minuten zu Unterhaltungen opferte, die immer kostbar waren für die, welche daran Teil hatten.

Diese Herablassung mißfiel dem gegenwärtigen Ministerium: es ist also abermals ein Erlaß, wie immer gezeichnet Amelot, erschienen, der den Offizieren verbietet, je allein die Türme zu betreten – sie müssen, den Schließer nicht mitgerechnet, immer mindestens zu zweien sein. Die Besuche des Arztes unterliegen derselben Formalität: diese Doggen dürfen nur noch zusammengekoppelt gehen.

Diese klösterliche Einrichtung hat die Wirkung hervorgebracht, die man davon erwartete, nämlich das völlige Aufhören jener Besuche. Unter einer Meute von dieser Art sind schwer zwei gleich mitfühlende Gemüter anzutreffen. Überdies müßte man sich verabreden, sich zur nämlichen Minute fertig halten. Auch lieben sie einander nicht, sie sind eifersüchtig aufeinander, sie mißtrauen einander: sogar in ihren eigenen Augen durch ihr abscheuliches Handwerk gebrandmarkt, zittern sie vor der Auslegung, die der Amtsgehilfe oder vielmehr der Spion, der sie begleiten soll, den einfachsten Dingen geben könnte. Endlich aber ist diese Neuerung als Zeichen einer erhöhten Härte des Ministeriums für sie ein Grund geworden, ihre Fühllosigkeit zu erhöhen. So ist denn auch diese geringe Erleichterung aus der Bastille verbannt, und zwar erst seit drei Jahren.

So steht's um die Gesundheit. Vielleicht wünscht man zu wissen, was im Falle einer Krankheit geschieht.

Der Polizei-Direktor d'Argenson, der zu Anfang dieses Jahrhunderts der Frau von Maintenon über die Staatsgefängnisse berichtete, schrieb ihr: »Ich kann und muß Sie versichern, daß die Gefangenen hinsichtlich der Nahrung und der Kleidung nichts zu wünschen haben (XXIX). Ich füge noch hinzu, daß die Kommandanten der Bastille und von Vincennes für die ihren eine liebreiche Sorgfalt tragen, die weit über das hinausgeht, was man ihnen in dieser Hinsicht anempfehlen oder vorschreiben könnte. Bei der geringsten Erkrankung gewährt man ihnen alle geistliche und zeitliche Hilfe, die ihrem Zustande angemessen ist, der Verlust der Freiheit aber macht sie für jedes andere Gut unempfindlich« ... »Und scheint die ungerechten Beschwerden und die beleidigenden Vorwürfe zu rechtfertigen, mit denen sie gewöhnlich ihre Eingaben und Gesuche füllen, sobald ihnen dergleichen einzureichen möglich ist. Wenn die Eingabe, die Sie mir zu übersenden geruhten, bestimmtere Tatsachen enthielte, so hätte ich mich derselben auch mit größerm Nutzen bedienen können.« So schließt dieser von Linguet nur auszugsweise mitgeteilte Brief d'Argensons nach Mirabeau ( Les Lettres-de-cachet, p. 382), der daran die Bemerkung knüpft: »Ich muß gestehen, daß hinsichtlich der geistlichen und leiblichen Hilfe in Krankheitsfällen die Versicherung des Herrn d'Argenson sehr zutreffend ist.«
D. Übers.

Obgleich man die Zusammenstellung der beiden Wörter liebreich und Bastille ein wenig seltsam finden darf, obgleich man aus der Gelassenheit und Kälte des letzten Satzes schließen könnte, daß der Polizei-Direktor d'Argenson bei dieser Gelegenheit die Sprache eines Polizei-Direktors führte, d. h. eines Mannes, der durch sein Handwerk zu dergleichen Grausamkeiten verpflichtet und genötigt ist, denen Recht zu geben, die ihr Beruf notwendigerweise zu seinen Mitschuldigen macht, so steht doch nichts der Annahme entgegen, daß in seinen Versicherungen etwas Wahres enthalten sei. In diesem Falle aber hat sich alles sehr verändert: es wäre das also nur ein Beweis mehr für die Verderbnis, die seit kurzem an diesen Orten Fuß gefaßt hat, wo sie doch, wie man glauben sollte, gleich von Anfang an hätte auf dem Gipfel sein müssen.

Was zunächst die leichten Unpäßlichkeiten und die plötzlichen Erkrankungen anlangt, die durch sorgsame Pflege und schnelle Hilfe gehoben werden können, so darf man dergleichen entweder gar nicht bei sich vorkommen lassen, oder man muß ihnen unterliegen, wenn sie ernstlich sind: Hilfe steht hier nicht zu erwarten, wenigstens in der Nacht nicht. Jedes Zimmer ist mit zwei starken, innen und außen mit Eisen beschlagenen Thüren verwahrt, und jeder Turm mit einer noch stärkern und besser beschlagenen verschlossen. Die Schließer schlafen in einem entfernten, völlig abgesonderten Raume: keine Stimme kann bis zu ihnen dringen.

Nun kann man allerdings an die Thür klopfen: aber würden ein Schlaganfall, ein Blutsturz die Kraft dazu übrig lassen? Es ist sogar zweifelhaft, ob das Klopfen gehört würde, oder ob jene Leute, nachdem sie sich einmal niedergelegt haben, es würden hören wollen.

Indessen bleibt für die, welche die Krankheit nicht sogleich des Gebrauchs der Stimme und der Beine beraubt, noch ein Mittel übrig, um Hilfe herbeizurufen. Der Graben, der das Schloß umgiebt, ist nur hundertundfünfzig Fuß breit, und die Bekleidung der gegenüberliegenden Seite trägt einen bedeckten Gang, den man den Rundenweg nennt: auf diesem stehen die Wachen. Die Fenster gehen auf diesen Graben, es ist also dem Kranken nicht unmöglich, um Hilfe zu rufen, und wenn das innere Gitter, das, wie erwähnt, sein Fenster verschließt, nicht zu weit nach innen liegt, wenn er eine starke Stimme hat, wenn kein Wind ist, und wenn die Schildwache nicht schläft, so ist es gar nicht unmöglich, daß sein Geschrei vernommen wird.

Der Soldat ruft nun seinem Nachbar zu, dieser dem seinen, und so gelangt der Lärmruf auf dem Wege rings um das Schloß zum Wachthause. Der dienstthuende Korporal erscheint, um nachzusehen, was es giebt. Nachdem ihm mitgeteilt worden, aus welchem Fenster der Schrei gekommen ist, kehrt er um, um durch das Thor in den innern Hof zu gelangen: das nimmt Zeit weg. Er betritt den Hof und weckt einen Schließer. Dieser weckt den Bedienten des Kommandanten, der nun seinen Herrn weckt, um den Schlüssel zu erhalten, denn alle Schlüssel werden ohne Ausnahme abends bei diesem Offizier abgegeben. In keiner Festung ist der Dienst regelmäßiger als in der Bastille, und gegen wen wird hier Krieg geführt?

Man sucht den Schlüssel und findet ihn. Nun muß noch der Chirurg geweckt werden und ebenso der Bruder Kaplan, der den Zug vervollständigen soll. Alle diese Leute müssen sich erst ankleiden: nach zwei Stunden endlich begiebt sich der ganze Haufe mit großem Geräusche zu dem Kranken.

Man findet diesen in seinem Blute schwimmend (wenn er einen Blutsturz hat) und ohne Besinnung, wie das mir geschehen ist, oder von einem Schlaganfall betäubt, wie das andern begegnete. Was man anfängt, wenn er unwiderruflich tot ist, weiß ich nicht: atmet er aber noch oder kommt er wieder zu sich, so fühlt man ihm den Puls, sagt ihm, er möge sich gedulden, man werde am andern Morgen sogleich an den Arzt schreiben, und wünscht ihm gute Nacht.

Der Arzt, ohne dessen Zustimmung der Chirurg und Apotheker des Hauses auch nicht eine Pille einzugeben wagen würde, wohnt nun aber in den Tuilerien, d. h. drei Stunden von der Bastille. Er besitzt eine starke Praxis, hat eine Stelle beim Könige, eine andere bei Monsieur und befindet sich seines Dienstes wegen häufig in Versailles: man muß auf ihn warten. Endlich kommt er: aber er wird jährlich bezahlt und bezahlt, gleichviel ob er etwas dafür thut oder nicht – ein so redlicher Mann er daher auch immer sein mag, so muß er doch naturgemäß dazu geneigt sein, die Krankheit unbedenklich zu finden, damit weniger Besuche erforderlich scheinen. Man glaubt ihm auch um so bereitwilliger, da man geneigt ist, die Klagen des Gefangenen für übertrieben anzusehen, weil die Nachlässigkeit seiner Kleidung, die gewöhnliche Entkräftung seines Körpers, die nicht minder gewöhnliche Niedergeschlagenheit seines Gemüts keine Veränderung auf seinem Gesichte wie an seinem Pulse erkennen lassen: beide sind immer wie bei einem Kranken beschaffen. Er hat also einen dreifachen Schmerz: erstens den seines Übels, zweitens den, sich des Betrugs verdächtigt zu sehen und Gegenstand der Spöttereien oder der Härte der Offiziere zu sein, denn die Ungeheuer erlauben sich in solchen Fällen dergleichen, und drittens den, jeder Erleichterung beraubt zu sein, bis die Krankheit heftig genug wird, um sein Leben in Gefahr zu bringen.

Selbst dann, wenn man ihm einige Heilmittel zukommen läßt, ist das nur eine Marter mehr für ihn. Man muß nur immer an die Hausordnung denken: jeder gesondert eingesperrte Gefangene ist Tag und Nacht allein und bekommt, ob krank oder gesund, seinen Schließer nur dreimal täglich zu Gesichte. Giebt man ihm etwa eine Arznei ein? Man setzt sie einfach auf den Tisch und geht fort! Es ist seine Sache, sie zu wärmen, sie zuzurichten, sich zu helfen, wenn sie wirkt, und es ist noch ein Glück, wenn der Koch so großmütig ist, der Regel zum Trotz etwas Fleischbrühe für ihn bei Seite zu setzen, wenn der Schließer die Güte hat, sie ihm zu bringen, und der Gouverneur so gnädig ist, dies zu erlauben. Das ist die Art und Weise, in der die gewöhnlichen Kranken verpflegt werden, d. h. diejenigen, welche noch Kraft genug haben, sich vom Bett zum Kamin zu schleppen.

Ist es aber auf das Äußerste mit ihnen gekommen, sind sie so entkräftet, daß sie das wurmstichige Lager, auf dem sie ruhen, nicht mehr verlassen können, so giebt man ihnen einen Wärter. Aber was ist das für ein Wärter! Ein invalider, schwerfälliger, plumper, brutaler Soldat, der zur Aufmerksamkeit, zur sorgfältigen Pflege, zu allem, dessen ein Kranker bedarf, unfähig ist. Bei weitem das Schlimmste aber ist, daß dieser ihnen einmal beigegebene Soldat sie nicht mehr verlassen darf: er wird selbst Gefangener. Zunächst muß also seine Einwilligung erkauft werden, damit er sich für die ganze Dauer eurer Haft mit euch einsperren läßt, und kommt ihr wieder auf, so müßt ihr euch entschließen, die schlechte Laune, die Unzufriedenheit, die Verdrießlichkeit und die Vorwürfe dieses Gefährten zu ertragen, der sich für die anscheinenden Dienste, die er euch während eurer Krankheit erwiesen hat, an eurer Gesundheit schadlos hält. Bisweilen wurden diese Wärter auch als Spione benutzt. So erzählt z. B. der Verfasser der Bastille dévoilée (livr. II, p. 68): »Der Invalide Daury wurde dem Grafen Cagliostro zum Gesellschafter [ compagnie] gegeben (so nennt man nämlich den Wärter, den man einem Gefangenen giebt). Nach einem vierzigtägigen Aufenthalte in der Zelle dieses Gefangenen machten die Langeweile und die schlechte Luft des Gelasses ihn krank. Er war genötigt abzudanken und wurde durch einen andern Soldaten ersetzt, der acht Monate, d. h. bis zur Entlassung Cagliostros aus der Bastille, bei dem Grafen blieb. Jener Danry hat uns gestanden, daß während der Zeit, wo er Gesellschafter war, die Offiziere vom Stabe ihn häufig hatten herunterkommen lassen, um ihn zu fragen, ob er nichts von dem Gefangenen, dem er zum Gesellschafter diente, habe herausbringen können. Der Graf Cagliostro ging täglich auf dem Turme spazieren, in welchem seine Frau gefangen saß. Er wußte ihre Verhaftung nicht, und seinem Soldaten, der davon unterrichtet war, war ganz ausdrücklich verboten worden, ihm davon Mitteilung zu machen.«
D. Übers.
Danach beurteile man nun die Aufrichtigkeit des Polizei-Direktors d'Argenson, als er von der zeitlichen Hilfe in der Bastille und der liebreichen Sorgfalt der Gouverneure sprach.

Was die Seelsorge anlangt – würden diese Männer von Eisen dies Wort überhaupt auszusprechen wagen, wenn sie, die der Scham und des Mitleids unfähig sind, wenigstens eines Gewissensbisses fähig wären? Kann dies Wort an etwas anderes erinnern als an den Schimpf, den sie der Religion anthun? Sie achten dieselbe so wenig wie die Menschlichkeit.

Zunächst geht in der Bastille nicht jeder, der will, zur Messe: es ist das eine besondere Gnade, eine auserlesene Gunst, die nur einer kleinen Anzahl Auserwählter gewährt wird. Mir ward sie, wie ich gestehen muß, angeboten: gleich am ersten Tage lud man mich dazu ein und führte mich zu den Stühlen, in denen man sich verborgen halten muß, wenn man der Messe beiwohnen will – ich hielt mich aber nicht lange auf. Das Empörendste, was Knechtschaft und Gefangenschaft an sich haben, verfolgt uns hier sogar bis an den Fuß des Altares und drückt uns nieder.

Man behandelt in der Bastille die Gottheit ebenso rücksichtslos wie ihre Ebenbilder. Die Kapelle bildet den untern Teil eines Taubenschlages, dessen Bewohner dem Kommandanten gehören. Sie mag sieben bis acht Fuß im Gevierte haben. Auf der einen Längsseite sind vier Käfige oder Nischen angebracht, die gerade nur je eine Person fassen können. Licht und Luft haben diese Nischen nur dann, wenn die Thür geöffnet wird, was nur im Augenblicke des Hereintretens oder Hinausgehens geschieht. In einen solchen Käfig wird nun der unglückselige Andächtige eingesperrt. Im Augenblicke des Meßopfers wird ein kleiner Vorhang bei Seite gezogen, der ein vergittertes Fensterchen bedeckt, und dann kann er wie durch das Rohr eines Perspektivs den das Hochamt verrichtenden Priester erblicken. Diese Art und Weise, an den Ceremonien der Kirche Teil zu nehmen, erschien mir so schmachvoll und betrübend, daß ich der Versuchung, diesen Anblick zu genießen, nicht zum zweitenmale unterlegen bin.

Was die Beichte u. s. w. anlangt, so weiß ich nicht, wie man es damit hält, glaube aber nicht, daß es, selbst die Frommen nicht ausgenommen, viele Gefangene giebt, die dem Verlangen nach diesem Gnadenmittel Folge geben. Der Beichtvater gehört zum Stabe: er ist ein Offizier des Hauses. Danach mag man beurteilen, mit welcher Sicherheit man ihm gegenüber aufrichtig sein dürfte, wenn man sich etwas Ernstliches vorzuwerfen hätte. Sein Amt ist also nur ein Fallstrick oder ein Hohn auf die Religion. Ich begreife wirklich nicht, woher man die Frechheit nimmt, den Bastille-Gefangenen zuzumuten, sie sollten ihre Herzen einem niederträchtigen Amtsverbrecher erschließen, der auf solche Weise die Würde seines Standes schändet, noch wie er selbst als Soldknecht der irdischen Macht, die sie unterdrückt, es wagen kann, im Namen des Himmels zu ihnen zu reden, des Himmels, der ihn verleugnet. Linguet ergeht sich hier in bloßen Mutmaßungen, die möglicherweise unzutreffend sind, wenngleich Renneville in diesem Punkte völlig mit ihm übereinstimmt. Frau von Staal entwirft ein anderes Bild von der Beichte in der Bastille, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß die Verfasserin sechzig Jahre vor Linguet schrieb.
D. Übers.

Ich kann nicht sagen, was geschieht, wenn man, mit oder ohne Beichte, stirbt: ich weiß nicht, wie man sich in diesem Falle an dem Körper für die Flucht der Seele rächt, und wohin man die starren Überreste wirft, sobald man sicher ist, daß man sie nicht mehr martern kann. Das aber steht fest, daß die Leichen nicht an ihre Familien ausgeliefert werden. Sicherlich sind seit dem Bestehen der Bastille Leichenbegängnisse darin vorgekommen: aber ist mit Ausnahme der Urkunde über den Tod des Marschalls de Biron Charles de Gontault, Duc de Biron, wurde 1602 wegen Landes- und Hochverrats im innern Hofe der Bastille hingerichtet und in der Kirche Saint-Paul begraben.
D. Übers.
ein aus der Bastille datierter Totenschein bekannt? Jene Familien werden also unbarmherzig der Verwirrung preisgegeben, die aus der Abwesenheit ihres Oberhauptes entspringt: nachdem sie bei dessen Lebzeiten darunter gelitten haben, mißgönnt man ihnen auch das traurige Rettungsmittel, das die Gewißheit über sein Schicksal bieten würde.

Du glaubst nun am Ziele zu sein, Leser, du, dessen Herz diese Schilderung nur zu oft schmerzlich zusammengepreßt hat. Die Einbildungskraft scheint dir in der Kunst, Martern zu erfinden, über die zahlreichen Raffiniertheiten, die ich dir beschrieben habe, nicht hinausgehen zu können. Ein Areopag von Henkern würde schaudern bei dem Gedanken an die Ruhe und Kaltblütigkeit, mit der diese Maßnahmen ersonnen und berechnet sind, und mit der sie durchgeführt werden. Nun wohl, hier ist noch ein stärkeres Stückchen, noch ein Zug, der mich persönlich angeht, und der alles übertrifft, was du bis jetzt kennen gelernt hast.

Vom 27. September 1780 bis zum Oktober 1781, also zwölf Monate lang, war ich nicht bloß völlig jedes brieflichen Verkehrs mit der Außenwelt beraubt oder doch nur mit einer Korrespondenz begnadet gewesen, die, wie man weiter unten sehen wird, noch schlimmer war als die Beraubung, sondern auch in einer nicht minder völligen Unwissenheit über das geblieben, was auf das Allgemeine oder auf mich selbst Bezug hatte. Man hatte nur solche Nachrichten zu mir gelangen lassen, die geeignet waren, meine Verzweiflung zu vermehren und mir sogar die leiseste Hoffnung auf eine minder entsetzliche Zukunft zu rauben. Infolge einer Verschlagenheit, der man ein Epitheton zu geben sich scheut, waren sogar mehrere von diesen Nachrichten falsch und nur ersonnen, um mich irre zu führen und diesen Irrtum schmerzlicher oder unheilvoller für mich zu machen. (Vgl. hierzu die Anmerkung VII.)

So sagte man mir z. B. täglich und mit lachendem Gesichte, ich brauchte mich nicht mehr um die Vorgänge in der Welt zu bekümmern, weil man mich draußen für tot hielte, und trieb den Spaß so weit, daß man mir ausführlich die Einzelheiten erzählte, mit der blinder Haß oder entsetzlicher Leichtsinn die Geschichte meines angeblichen Todes ausschmückten. Man versicherte mir, von dem Eifer und der Treue meiner Freunde hätte ich nichts zu erwarten, weniger weil dieselben wie die übrigen über mein Dasein getäuscht wären, als vielmehr weil sie mich verraten hätten. Dieser doppelte Betrug bezweckte nicht bloß, mich zu quälen, sondern mir zugleich ein rückhaltloses Vertrauen zu dem einzigen Verräter einzuflößen, den ich in Wirklichkeit zu fürchten hatte; auch wollte man vielleicht aus der Art und Weise, in der ich diese Zuträgereien aufnehmen würde, ersehen, ob ich in der That Geheimnisse hätte, bei denen ein Verrat zu fürchten wäre.

Im Oktober 1781 hatte die Niederkunft der Königin einen leisen Schimmer von Hoffnung bei mir erweckt. Man hatte mir diese Neuigkeit nicht vorenthalten können: über meinem Kopfe donnerte das Geschütz, das sie der Welt verkünden sollte. Das Freudenschießen von den Türmen der Bastille bildete bis zum Anfange der Revolution eine feststehende Nummer auf dem Programm der öffentlichen Dank- und Freudenfeste. Für die Bewohner der Mützen hatte es jedoch eine besondere Unannehmlichkeit im Gefolge: durch die Erschütterung lösten sich nämlich Kalkstücke von der Decke los und überschütteten die Unglücklichen.
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und unter meinen Augen hatte ich die Lustbarkeiten, die sie hervorrief. Da dergleichen Begebenheiten in Frankreich immer der Zeitpunkt sind, wo selbst den Verbrechern Gnade gewährt wird, so kam mir der Gedanke, dies Ereignis könne wohl auch der Unschuld günstig sein. Ich schrieb also einen kurzen Brief an den Herrn Grafen de Maurepas, und da ich seinen Charakter kannte, so zwang ich mich zu einer muntern und beinahe scherzhaften Schreibweise. Dieser Brief schien Eindruck auf ihn gemacht zu haben: er hatte sich geneigt gezeigt, der öffentlichen Meinung entgegenzukommen, die sich endlich zu meinen Gunsten entschieden hatte. Diese Veränderung seiner Stimmung gegen mich ward mir nicht verhehlt, aus Besorgnis aber, ich möchte mich dadurch zu allzu tröstlichen Träumen verleiten lassen, teilte man mir gleichzeitig mit, daß er gestorben sei, gestorben, ohne etwas für mich gethan zu haben. Der Brief an Maurepas scheint verloren gegangen zu sein. Dagegen teilen wir im Anhang, unter HH ein anderes Schreiben mit, das Linguet bei der nämlichen Gelegenheit an den Minister des königlichen Hauses Herrn de la Vrillière richtete.
D. Übers.

Im Dezember 1781 unterlag endlich meine Gesundheit so vielen Leiden und Prüfungen: die physikalischen und chemischen Experimente, die zusammen mit den moralischen seit fünf Vierteljahren an ihrer Zerstörung arbeiteten, hatten ihre Wirkung gethan. Da ich mich so krank sah, daß ich mir nicht mehr mit der Hoffnung schmeicheln durfte, mein Leben dem Sensenmann noch ferner streitig zu machen, und mit jeder Minute den Moment näher kommen fühlte, wo ich, nicht den Anblick des Lichts, denn das sah ich nicht, sondern das Vermögen der Empfindung verlieren würde, das mein Dasein zur grausamsten Marter machte, so wünschte ich ein Testament zu machen. Dazu bedurfte es einer ausdrücklichen Erlaubnis: ich kam darum ein, ich bat die Minister flehentlich um die Erlaubnis, den öffentlichen Beamten, der allein meinen letzten Willen aufnehmen konnte, sowie den Depositar sehen zu dürfen, von dem allein ich das erfahren konnte, was ich notwendigerweise wissen mußte, wenn ich nicht rein illusorische Bestimmungen treffen wollte.

Während der zwei Monate, wo mein Leben in Gefahr schwebte, wiederholte ich mein Gesuch tagtäglich in den lebhaftesten, und, ich wage es zu behaupten, rührendsten Bitten. Der Arzt der Bastille hatte die Güte, dem Polizei-Direktor, dem unmittelbaren Organ des Ministers bei solchen Gelegenheiten, persönlich ein schriftliches Zeugnis über meinen Zustand und über die dringende Gefahr, in der ich schwebte, zu überbringen: ein unbarmherziges Nein war die einzige Antwort, so daß ich, der ich seit fünf Vierteljahren als tot behandelt wurde und mit Ausnahme der Fähigkeit zu leiden aller Befugnisse eines Lebenden beraubt war, sogar die Hoffnung verlor, wenn ich wirklich aufgehört haben würde zu leben, die letzten Rechte zu genießen, die man in keinem Lande den Toten verweigert, wenigstens denen nicht, welchen nicht ein feierlicher Urteilsspruch diese Befugnisse abgesprochen hat.

So brachte ich den Dezember 1781 und den Januar 1782 zu, jeden Abend in dem Glauben, daß ich den Morgen nicht mehr sehen würde, und jeden Morgen in der Überzeugung, daß ich das Ende des Tages nicht mehr von dem Trauerton der Uhr würde verkünden hören, der allein in dieser ewigen Nacht die Einteilung der Zeit bezeichnet. Und man bedenke wohl, daß diese beständig getäuschte Erwartung immer schmerzlicher und bitterer wurde durch das Bewußtsein von jener Willkür, die mir sogar die Genugtuung mißgönnte, Spuren der Wohlthätigkeit und den Freunden, denen vielleicht mein Gedächtnis teuer war, Zeichen der Erinnerung zu hinterlassen.

Das ist eine wirkliche Thatsache: wird man einen Beweggrund dafür angeben können?

Die Hausordnung, die sogenannten Gesetze dieser Klippe für alle Gesetze, können mir hier nicht entgegengehalten werden: der Wahnsinn der Unterdrücker ist nicht bloß nie bis zu dem Punkte gegangen, die Verweigerung der Erlaubnis zur Vornahme bürgerlicher Akte zur Regel zu machen, sondern er macht bisweilen seinen Opfern diese Akte sogar zur Notwendigkeit. Die Bastille hat einen eigens dazu bestellten Notar, der also im allgemeinen darin sein Amt verrichten darf, und mir selbst hatte man in der ersten Zeit nicht bloß erlaubt, mich seiner zu bedienen, sondern mich sogar dazu gezwungen.

Da nämlich dem Beamten des französischen Hofes trotz der Unterstützung seitens des bevollmächtigten Sendboten der Pariser Polizei die Beschlagnahme meiner Papiere u. s. w. in Brüssel mißglückt war und ein dritter, ihnen zu Hilfe geschickter Genosse anfangs ebensowenig ausgerichtet hatte, weil es in Brabant Gesetze giebt und diese Gesetze dort in Ehren gehalten werden, so drang man mir eine notariell beglaubigte Vollmacht ab, die dann wenigstens einen Teil von dem bewirkte, was man wünschte. Wenn man aber, um hinter meine Geheimnisse zu kommen und Verbrechen bei mir aufzuspüren oder um sich meiner Habe zu bemächtigen, die Dienste eines öffentlichen Beamten hatte in Anspruch nehmen können, ohne gegen die Gesetze der Bastille zu verstoßen, so war es zweifelsohne weder unmöglicher noch gefährlicher, wenn man mir das nämliche gestattete, um eine Bestimmung über das zu treffen, was man mir noch gelassen hatte: ein Testament war sicher nicht unerlaubter als eine Vollmacht.

Hätten Verdachtsmomente gegen mich vorgelegen, wäre eine Anklage gegen mich erhoben, eine Untersuchung gegen mich eingeleitet gewesen, so würde, so lange kein Urteil vorgelegen hätte, die Verweigerung des Rechtes zum Testieren, also eine dem Urteil vorgreifende Konfiskation, als eine ebenso anstößige wie gesetzwidrige Grausamkeit erschienen sein. Wofür muß man also diese Verweigerung halten, und als was muß sie bezeichnet werden unter den Umständen, in denen ich mich befand, wo, wie man nicht vergessen darf, weder Richter, noch Untersuchung, noch Verbrechen, noch Kläger vorhanden waren? Ist das nicht der äußerste Mißbrauch der Gewalt und einer der stärksten Beweise für die Barbarei, mit der man in der Bastille mit der Existenz der Bürger sein Spiel treibt?

Und, um es zu wiederholen, man sage nicht etwa, daß, da die Bastille ausschließlich für Staatsverbrecher bestimmt sei, die Hausordnung derselben gar nicht zu streng und zu geheimnisvoll sein könne, und daß daher die vermehrte Strenge, die ich ihr zum Vorwurf mache, in ihrer Weise eine Art Vervollkommnung sei, da man gar nicht genug Vorkehrungen treffen könne, um gefährliche Persönlichkeiten, deren Freilassung den Umsturz des Vaterlandes nach sich ziehen könnte, zu überführen und ihre Pläne zu durchkreuzen.

Nein, das ist nicht wahr: besonders in der letzten Zeit ist, die Bastille nicht mehr den Staatsverbrechern vorbehalten gewesen – die Leichtfertigkeit, mit der man sie erschließt, ist ganz im Verhältnis zu der Unmenschlichkeit gestiegen, mit der man sie verwaltet. Seit einigen Jahren scheint sie die Einleitung zu den gewöhnlichsten bürgerlichen Rechtshändeln zu sein, die ihrem Gegenstande und ihrem schließlichen Ausgange nach am wenigsten für einen so eigentümlichen und schrecklichen Eingang geeignet sind. Sie ist in gewisser Hinsicht das Vorzimmer zur Conciergerie geworden.

Eine Frau von Stande gerät in Verdacht, falsche Anweisungen angefertigt oder ausgegeben zu haben: man steckt sie in die Bastille.

Ein Verrückter im Beamtenrocke beschuldigt eine Lyoner Porzellanhändlerin, bei den Geldangelegenheiten einer seit langem aufgehobenen Gesellschaft die Vermittlerin gespielt zu haben: man steckt sie in die Bastille. Nach dem Schwinden dieses widersinnigen Verdachts freigelassen, überwirft sie sich anläßlich häuslicher Streitigkeiten mit einem Ober-Finanz-Sekretär, der ein persönliches Interesse daran hat, sie zu verderben: man steckt sie abermals in die Bastille.

Ein Unterbeamter wird beschuldigt, bei der Verwaltung der Angelegenheiten eines angesehenen Hauses Fälschungen begangen zu haben, aber Fälschungen, die in keiner Hinsicht die Monarchie betreffen: man steckt ihn in die Bastille.

Dies war das Schicksal der Frau de Saint-Vincent, der Rogé, des Sieur Le Bel. Näheres über diese ihrer Zeit berüchtigten Prozesse findet man im Anhang unter FF.
D. Übers.
Waren das Staatsgefangene? Was hatte denn das Begräbnisverfahren, das man über sie verhängte, für einen Zweck?

Alle drei sind dem ordentlichen Richter überwiesen worden, aber im Augenblicke der Überweisung hatte man noch keinen Beweis für ihre Unschuld, vielmehr muß man annehmen, daß dieselbe zu dieser Zeit zweifelhafter erschien als anfangs, da man sie der kostspieligen Langsamkeit der gewöhnlichen Justiz und einer in aller Form begründeten, eingeleiteten und durchgeführten Untersuchung überlieferte. Die Aufschlüsse, die man vor der Überweisung über die Angelegenheit erhielt, mußten also mehr gegen als für sie sprechen: sie waren also beim Verlassen dieses unseligen Schlundes verdächtiger als beim Eintritt in denselben, und doch verhängt man beim Eintritte die Hausordnung über sie und befreit sie erst dann davon, als man ein größeres Recht erlangt hat, sie für schuldig zu halten! Indem man sie einer Untersuchung überliefert, die schon an sich ein Verdachtsmoment gegen sie zu bilden scheint, giebt man ihnen eine Halb-Freiheit zurück, während man ihnen, bevor man überhaupt zur Einleitung einer Untersuchung schritt, die ganze entzogen und diesen Verlust durch das ganze Marter-Zubehör der Bastille erschwert hatte!

Noch mehr: die eigentlichen Staatsgefangenen, diejenigen, welche mit Ketten belastet, die durch die Sorge für das Staatswohl gerechtfertigt erscheinen, und von Schmähungen verfolgt, die durch frühere Vergehen entschuldigt werden, in die Bastille kommen, finden dort Erleichterungen und Rücksichten, die allen übrigen unbekannt sind und versagt werden.

Ich weiß z. B. nicht, welches Vergehen einige Zeit vor mir einen Menschen dahin führte, der in geheimer Beziehung zu den Streifzügen der französischen Marine stand. Ich bin weit entfernt von der Behauptung, daß er sein Schicksal verdiente, aber wenigstens der Anklagegrund, auf den hin die Lettre-de-cachet gegen ihn ausgefertigt worden war, mußte ein gewichtiger sein. Er war bei verfänglichen Operationen beteiligt gewesen, deren Erfolg seinen Erwartungen und vielleicht auch seinen Verheißungen nicht entsprochen hatte. Hatte vielleicht der Minister, der ihn beschäftigte und von seiner frühern Stellung her gewohnt war, die Spionage für das schönste Feld des ministeriellen Genies und für die sicherste Waffe einer Regierung anzusehen, in dem Glauben, er könne die Marine leiten wie die Polizei und die englischen Flotten meistern wie die Pariser Spielhäuser, ihn bei diesem schimpflichen Geschäfte zu seinem Stellvertreter gemacht? Hatte er, wie man behauptete, um seinen Gewinnst zu verdoppeln, einen doppelten Verrat begangen, wie er immer von Seiten dieser Art von Agenten zu fürchten ist? Hatte er, von Frankreich beauftragt, die Geheimnisse Englands zu erkaufen, vielmehr die Geheimnisse Frankreichs an England verkauft? Oder hatte vielleicht sein Gönner, der seine Berichte mißverstanden oder, wie ebenfalls behauptet wurde, aus persönlichen Gründen unbeachtet gelassen hatte, es im Hinblick auf die Folgen seiner Thorheit oder seiner Pflichtversäumnis für notwendig erachtet, die Schuld auf den Untergebenen zu schieben und sich zu stellen, als zöge er dessen Redlichkeit in Zweifel, um seine eigene Unfähigkeit oder noch Schlimmeres zu bemänteln? Ich weiß es nicht. Desto eingehender ist die Nachwelt über diesen Fall unterrichtet. Montazeau, das war der Name des in Rede stehenden Gefangenen, verdankte allerdings der Gunst des Herrn de Sartines alle möglichen Erleichterungen während seiner Haft, diese Gunst war aber nicht eine Folge seiner Beziehungen zu diesem Minister, sondern der Reize seiner Frau. Man sehe das Nähere im Anhang unter DD.
D. Übers.

So viel aber steht fest, daß sein alter Schützling von den Martern der Bastille nur die Qual des Verlustes der Freiheit kennen gelernt hat: er enthielt vom ersten Augenblicke an Bücher und durfte schreiben und empfing während der Zeit, wo ein ebenso lügnerisches wie beängstigendes Schweigen meine Freunde hinsichtlich meiner mit nur allzu gerechter Besorgnis erfüllte, tagtäglich Besuche. Da ich dies mutmaßte, wagte ich, um Gewißheit darüber zu erhalten, bei einer jener seltenen und kurzen Zusammenkünfte, die der Polizei-Direktor, wie man weiß ein Freund und Geschöpf des Herrn de Sartines, mir gewährte, diesem Herrn einige Vorstellungen zu machen. Er erwiderte mir, indem er die Thatsache zugab, daß die Schonung, mit der man den von mir namhaft gemachten Gefangnen behandele, daher rühre, weil der Minister, der seine Gefangensetzung veranlaßt habe, gutmütig sei, und auf meine ganz natürliche Bemerkung, daß doch der Unterschied in der Behandlung von der Schwere der Anklage und nicht von der persönlichen Güte der einzelnen Minister abhängig sein müsse, fügte er die denkwürdigen Worte hinzu: Er könne nichts dazu thun, weil sich niemand für mich verwende.

Die Schrecken meiner Gefangenschaft, das Übermaß, in welchem man mir alle Abscheulichkeiten der Bastille zu kosten gab, rührten also nur daher, daß ich nicht das Glück gehabt hatte, in irgend eine geheime und schmähliche Intrigue verwickelt zu sein, die wirklich die Interessen des Staates berührte, daß ich nicht einem listigen Verfahren zum Opfer gefallen war, das die Milde unter dem Anschein der Strenge verbarg, und daß ich unter den Ministern nur unmittelbare, persönliche und unversöhnliche Feinde statt Mitschuldiger hatte; sie rührten daher, daß ich unglücklicherweise nur redliche Männer zu Gönnern und nur zartfühlende Freunde zu Fürsprechern hatte, und endlich daher, daß ich mit einer Lettre-de-cachet zu thun hatte, die Amelot und nicht Sartines gezeichnet war.

Wer hätte je geglaubt, daß von diesen beiden Ministern Herr de Sartines der Gutmütige wäre?

Die Hausordnung der Bastille ist also weder unbeugsam, noch für alle gleichmäßig: sie würde sogar mit dieser gewöhnlichen Strenge kaum minder schrecklich sein, weil sie die verschiedenen Verbrechen und, was noch entsetzlicher ist, die Unschuld wie die Schuld mit gleicher Härte treffen würde. Aber sie besitzt nicht einmal diese abscheuliche Unwandelbarkeit, und zwar geht sie nur in dem Sinne davon ab, der dem von der Gerechtigkeit vorgeschriebenen schnurstracks widerspricht.

Schon das eben angeführte und mein eigenes Beispiel beweisen, daß sie der Veränderung fähig ist, und daß sie einzig abhängig ist von der Rachsucht, von dem Diensteifer der mit ihrer Aufrechterhaltung betrauten teuflischen Seelen, die dem Hasse oder den Bedürfnissen ihrer Gönner dienen wollen; sie beweisen, daß das französische Ministerium, wie es Vorräte von im voraus unterzeichneten Lettre-de-cachet besitzt und in aller Stille den Moment zu deren Verwendung abwartet, so auch Schmerzen auf Lager hat, die es erst dann hervorholt, wenn der verhängnisvolle Befehl zur Ausführung gekommen ist; sie beweisen, daß in der Bastille ein Marter-Tarif für jeden einzelnen Hausgenossen besteht, wie es einen Speise-Tarif für jeden giebt, und daß man, indem man dem niederträchtigen Schenkwirt, den man mit ihrem Unterhalte betraut, den Preis für die zur Fristung ihres Lebens bestimmten Nahrungsmittel vorschreibt, ihm auch das Maß von Galle und Bitterkeit bestimmt, mit dem er ihnen das Leben vergiften soll.

Die Einrichtung der Bastille ist also einzig eingeführt, um zu quälen. Und wen? Anerkannt Unschuldige, denn ein begründeter Verdacht rechtfertigt eine rücksichtsvollere Behandlung oder eine Überweisung an den ordentlichen Richter. Und in wessen Namen? Im Namen des Königs, der höchsten Behörde, des geborenen Beschützers der Unschuld, des natürlichen Schildes der Schwachen. Je unmittelbarer sein Eingreifen ist, um so grausamere Wirkungen bringt es hervor: auf Grund seiner unmittelbaren Befehle erklärt man sich für berechtigt, über einen Unglücklichen, der weder ihn, noch die Gesetze, noch das, was diese zu achten gebieten, beleidigt hat, Strafen zu verhängen, die unbekannt sind in den gewöhnlichen Gefängnissen, welche mit Menschen angefüllt sind, die eines derartigen Vergehens schuldig oder doch angeklagt sind. Auf Befehl des Königs schnürt man ihm in der Weise die Kehle zu, daß die Respiration zwar nicht völlig unterbrochen wird, aber ihm gerade nur soviel Luft bleibt, wie zur Verlängerung seiner Qual von nöten ist, lacht man über seine Zuckungen, frohlockt man über sein Gestöhn, rechnet man die langgezogenen Seufzer, die der Schmerz ihm auspreßt, für ebensoviel Siege. Man scheut sich nicht, den König für den Urheber dieser barbarischen Amtsverbrechen, von denen er nichts weiß, und dieser ministeriellen Rachethaten auszugeben, die sein Herz verabscheut.

Ja, du weißt nichts davon, du, den die Natur mir zum Gebieter gegeben hatte und den seine Tugenden zu meinem Beschützer gemacht haben würden, wenn die Unschuld ebenso leicht zum Throne gelangen konnte wie die Verleumdung! Du, dessen Achtung mir der schmeichelhafteste Lohn und der mächtigste Sporn bei meiner Arbeit war! Du, dessen redliches und offenes Gemüt von meinem Schwure, immer die Wahrheit zu sagen, nicht erschreckt, und von der Gewissenhaftigkeit, mit der ich diesen Schwur hielt, nicht verletzt ward!

Du kennst sie nicht, diese Gefängnisse, Chamfort erzählt eine hierher gehörige, sehr bezeichnende Anekdote. Der edle Malesherbes bemerkte eines Tages seinem Kollegen Maurepas, man müsse den König veranlassen, der Bastille einen Besuch zu machen. »Davor muß man sich sorglich hüten,« erwiderte Maurepas, »er würde keinen Menschen mehr hineinstecken wollen.«
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die sich doch nur in deinem Namen öffnen und schließen, wo man nur daraus, daß man leidet, sein Dasein erkennt, und aus denen oft sogar die Hoffnung verbannt ist. Sie verschlingen tagtäglich unbescholtene Bürger, getreue Unterthanen, die vergebens aus der Tiefe dieser Schlünde die Tugenden und den Namen ihres Fürsten anrufen, diesen geweihten Namen, der sonst überall die Bürgschaft für die gewissenhafte Ausführung der Gesetze bildet, hier aber nur der Rechtsgrund ist, kraft dessen man sie übertritt.

Indem du einen Haftbefehl unterzeichnest, glaubst du nur einen rechtmäßigen Gebrauch von deiner Obergewalt zu machen, einen Gebrauch, den eine Jahrhunderte alte Sitte geheiligt hat, der für die öffentliche Ruhe notwendig ist, und aus dem keine Mißbräuche entspringen: du meinst, die Vollstreckung dieses Befehls habe nur die Wirkungen einer derartigen Vorsichtsmaßregel zur Folge.

Sogar noch wohlthätig bei der Strenge, die zu gestatten deine Stellung dich nötigt, hast du tausend Beweise von deiner Neigung zur Erleichterung der Übel gegeben, welche die Erhaltung der Gesellschaft notwendig macht. Auf deinen Befehl sind die zur Überführung und Bestrafung der Verbrecher bestimmten Gefängnisse menschlicher und minder mörderisch geworden: sie haben aufgehört, eine Vorstrafe zu sein, die oft noch grausamer war als die Todesstrafe. Du hast jenes barbarische Verfahren abgeschafft, das die Gerichtshöfe ermächtigte, die Angeklagten auf einen einfachen Verdacht hin foltern zu lassen, um sie vielleicht auf diese Weise zu Verbrechern umzustempeln.

Du bist daher weit entfernt von dem Gedanken, daß sich in deinem Reiche, in deiner Hauptstadt, unter deinen Augen eine Stätte findet, die ausdrücklich dem Zwecke gewidmet ist, über die Unschuld eine tausendmal grausamere Folter zu verhängen, als es alle die von dir abgeschafften vorläufigen Foltern waren: denn diese zermalmten nur den Körper, während die Folter der Bastille den Körper nur zerstört, um eindringlicher und tiefer in die Seele einzuschneiden. Du bist weit entfernt von dem Gedanken, daß man diese teuflische Einrichtung noch willkürlich verbessert, daß die Beamten, die zu ihrer Durchführung bestimmt sind, ihr Vergnügen und ihren Nutzen darin finden, sie auf die Spitze zu treiben, daß sie gleich jenen diensteifrigen Hunden, die das erlegte Wild noch beim Apportieren schütteln und beißen, sich ein Vergnügen daraus machen, barbarisch zu sein, während man nur Treue und Gehorsam von ihnen fordert.

Nun aber weißt du es. Der Schleier ist zerrissen: blicke hinab auf diese Grabgewölbe, zu denen nie das Tageslicht hinabdrang. Um ihm den Zugang zu erschließen, bedurfte es zweier Begebnisse, von denen das eine so seltsam ist, wie das andere: daß ich hinein- und auch wieder herauskam. Das zweite, das ich dir allein verdanke, giebt mir die Gewißheit, daß die Aufschlüsse, die mir das erste gegeben hat, nicht nutzlos sein werden.

Es wird mich mein Vaterland kosten. Die Notwendigkeit, mir in fremdem und ach! feindlichem Lande ein Grab suchen zu müssen, wird der einzige Lohn sein für alle die Opfer, die ich ihm gebracht habe. Dies ist das letzte: wenn es nicht fruchtlos ist, bin ich für alle übrigen belohnt.

Doch nein, es wird nicht vergeblich sein: dein reines, fühlendes Herz ist erschüttert, du erbebst, du errötest – es wird nicht vergeblich sein. Ein Gott, wenn du die Menschen beschützest, allmächtig, um ihr Heil zu wirken, gieb Europa, gieb der Welt das Schauspiel eines Wunders, das du zu wirken würdig bist. Sprich: auf dein Geheiß werden die Mauern dieses modernen Jerichos einstürzen, das die Blitze des Himmels und den Fluch der Menschen tausendmal mehr verdient hat als das alte. Der Lohn für diese edle That wird der Ruhm deiner Regierung, die verdoppelte Liebe der Völker zu deiner Person und zu deinem Hause und der einstimmige Segen der fernsten Jahrhunderte wie des gegenwärtigen sein.

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