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(Vgl. Charpentier VII, 99-108.)
Madame Gotteville, die angebliche Gattin eines Marine-Offiziers, spielte eine große Rolle unter den galanten Frauen ihrer Zeit. Sie gehörte zu den gesuchtesten Aspasien von Paris, und ihr angenehmer Witz, ihre geistreichen Bosheiten machten sie lange Zeit sehr beliebt in der Hauptstadt. Die großen Herren bemühten sich um die Wette um das Vergnügen, mit ihr soupieren zu dürfen. Le Noir, dem sie zu gefallen gewußt hatte, nahm sie unter seinen Schutz. Die Polizei erfuhr durch diese Art Frauen einen großen Teil dessen, was in Paris vorging.
Zum Unglück für sie waren ihr Leichtsinn und ihre Sorglosigkeit mindestens ebenso groß wie ihre geistige Beweglichkeit und ihre Verhältnisse infolge dessen sehr zerrüttet. In ihren Angelegenheiten herrschte nicht mehr Ordnung als in ihren Liebschaften. Heute bewohnte sie ein prächtiges Hotel, morgen hauste sie in einer elenden Spelunke, heute hatte sie drei oder vier Schlingel von Bedienten zu ihrer Verfügung, morgen war sie von allem entblößt, ohne Kammerfrau, ihre eigene Aufwärterin.
Wenn die Gläubiger ihr auf den Fersen waren, machte ihr Arzt für sie als Bettelbruder eine Runde bei der Polizei, bei ihren Freunden und ihren Kunden und kam von dieser Fahrt in der Regel mit einigen fünfzig Louisd'or zurück. Als aber schließlich alle diese Hilfsquellen erschöpft waren, zog sie Beaumarchais, der zu ihren Kunden gehörte, ins Geheimnis und verflüchtigte sich nach Holland. Dort wurde sie seine Korrespondentin im Haag. Beaumarchais verhandelte als ihr guter Freund mit ihren Verwandten und wirkte ihr eine Pension von Seiten derselben aus, deren Betrag er ihr im voraus auszahlte. Madame Gotteville ließ sich also im Haag nieder und schaffte sich eine Druckerpresse an, mit deren Hilfe sie die Eigenliebe einiger Stutzer auf das Unheilbarste verletzte.
Diese Hilfsquelle langte indessen nicht für ihre Bedürfnisse aus. Sie eröffnete dies Beaumarchais, für den sie bald genug überflüssig wurde, und dem Herrn Le Noir, der ihr in den schönen Momenten seines Erbarmens mit dem weiblichen Geschlecht nach und nach an sechstausend Livres zugehen ließ. Dankbarkeit ist eine erhabene Tugend, besonders wenn sie nichts kostet. Herr Le Noir nahm dies Geld aus der Polizeikasse oder aus der Kasse für die Spiele, die ihm beide zur Verfügung standen.
Aber auch die Großmut eines Le Noir hat ihre Grenzen, und Madame Gotteville, die von der Polizei nichts mehr zu hoffen hatte, schrieb nun an ihren alten Freund Richelieu, daß, da es ihr an Existenzmitteln fehle, ihr nichts anderes mehr übrig bleibe, als Die vierundsiebzig Abenteuer Methusalems zu drucken, »ein Werk,« sagte sie, »das sehr geeignet ist, das Publikum zu ergötzen und mir einiges Geld einzutragen.« Der Herzog, der sehr wohl spürte, daß er unter dem Namen des braven Patriarchen vor dem Publikum erscheinen sollte, lief eilig zu Le Noir, um ihn von diesem neuen Streiche der ehrenwerten Dame in Kenntnis zu setzen, und sodann nicht minder eilig zu Beaumarchais, der es auf sich nahm, ihr fünfundzwanzig Louisd'or zugehen zu lassen.
Die Antwort, die Beaumarchais infolge dieser Sendung von Madame Gotteville empfing, war ungefähr in folgenden Ausdrücken abgefaßt: »Ich schreibe Ihnen Gegenwärtiges, um Ihnen zu melden, daß ich die fünfundzwanzig Louisd'or des Marschalls de Richelieu empfangen habe, und Ihnen zugleich die ganze Verachtung zu bekunden, mit der ich bin Ihre ergebene Dienerin u. s. w.«
Mit ihrer Presse, ihrem Geiste und ihren Bedürfnissen wurde Madame Gotteville in einem freien Lande eine Persönlichkeit, die man zu fürchten hatte. Man beschloß, sie entführen zu lassen. Beaumarchais entwarf den Plan dazu: er wollte vor allem, daß man sich ihrer Papiere bemächtige. Er selbst hat diese Umstände oft erzählt, indem er den Brief zeigte, den Frau Gotteville ihm anläßlich des Empfangs der fünfundzwanzig Louisd'or des Marschalls de Richelieu geschrieben hatte.
Unsere Schriftstellerin war inzwischen im Haag mit einer Frau in Streit geraten, die bei dem französischen Gesandten Lavauguyon in großer Gunst stand. Sie behauptete, von derselben gekränkt zu sein, und rächte sich durch ein höchst beißendes Pamphlet. Der Gesandte nahm an diesem Klatsche, den er hätte ignorieren sollen, Anteil und schrieb an Herrn de Maurepas, um sich über das Betragen der Madame Gotteville zu beschweren und ihm vorzustellen, wie gefährlich die eigentümliche Existenz dieser Frau für seine Gesandten-Geschäfte werden könne, wenn sie auf freiem Fuße bliebe.
Unverzüglich erhielt nun Le Noir Befehl, sie aufheben zu lassen. Der Polizei-Inspektor Receveur wurde mit diesem Geschäfte betraut. Auf Ansuchen des französischen Gesandten gaben die holländischen General-Staaten ihre Einwilligung dazu, und Madame Gotteville flog sozusagen geradenwegs aus dem Lande der Freiheit in die Bastille. Am 24. Mai 1780 langte sie in derselben an. Die Zusammenkunft, die sie noch am selben Tage mit Le Noir hatte, führte zu einem Witzgeplänkel mit dem Polizei-Direktor, bei welchem beide Teile sich ganz vortrefflich amüsierten.
Am folgenden Tage erschienen der Kommissar Chenon und der Polizei-Sekretär Boucher, um ihre Papiere durchzusehen. Boucher wollte mit dem Eröffnen der Briefe den Anfang machen. Madame Gotteville widersetzte sich diesem Vorhaben zunächst durch die Erklärung: »Es sind dies die Korrespondenzen, mein Herr, die ich mit verschiedenen großen Herrn geführt habe: ich verbiete Ihnen, dieselben anzurühren.« Dies eigentümliche Verbot veranlaßte eine ebenso bittere wie lebhafte Diskussion. Boucher bestand auf seinem Willen und griff nach einem Briefe, um ihn zu öffnen. In diesem Augenblicke springt Madame Gotteville von ihrem Sitze auf, stürzt wie ein Pfeil auf Boucher los, nennt ihn einen »niederträchtigen Bedienten der Sabbatin«, Madame Sabbatin, Marquise de Langeac, war die Maitresse des Ministers Phelippeaux de Saint-Florentin. schlägt ihm die Perücke vom Kopf, versetzt ihm einige zwanzig Fußtritte unter Zugabe einer gleichen Anzahl von Faustschlägen, rafft alle ihre Briefe zusammen und wirft sie ins Feuer.
Tüchtig abgewalkt und auf diese Weise zur Vernunft gebracht, zog Boucher sich zurück, und Chenon, den diese heroisch-komische Scene auf das Höchste ergötzt hatte, setzte nun allein die Musterung fort. Auch in der Folge verhandelte er immer nur allein mit der Gefangenen.
Madame Gotteville blieb über ein Jahr in der Bastille und hatte während dieser Zeit häufig Streit mit dem Gouverneur de Launay, den sie stets mit Geringschätzung behandelte. Eines Tages war sie mit ihm wegen der Kost aneinander geraten, über die sie sich beklagte. Um der Diskussion ein Ende zu machen, sah sie ihn endlich scharf an und sagte mit der größten Kaltblütigkeit: »Herr de Launay, ich weiß nicht, wer Sie sind, und das macht mir in diesem Augenblicke die Antwort schwer. Vor allem, sagen Sie mir, sollten Sie etwa zur Gattung derer gehören, die Heu zu speisen pflegen?«
De Launay gab das Spiel auf. Das Heiterste an diesem Abenteuer aber ist, daß er, als er sich an selbem Abend zur Ruhe begeben wollte, statt des Kopfkissens ein kleines Bündel Heu im Bette fand. Wer hatte diesen Eulenspiegelstreich vollführt? Der hart bedrohte Kammerdiener behauptete, er wisse nichts davon, und alle Nachforschungen de Launays blieben fruchtlos. Übrigens betrieb er sie auch nicht allzu eifrig, aus Furcht, die Geschichte möchte ins Publikum dringen.
Als Madame Gotteville am 29. Mai 1781 die Bastille verließ, wurde sie nach La Flèche in ein Kloster geführt und ihr verboten, sich daraus zu entfernen. Vergebens forderte sie vor ihrer Abreise ihre Presse zurück, die man ihr abgenommen hatte. Sie beschuldigte beständig Neceveur, sie verkauft und das Geld unterschlagen zu haben. In diesem Falle wurde jedoch der berüchtigte Polizei-Inspektor mit Unrecht angeklagt: Herr Le Noir hatte befohlen, die Presse in der Bastille zurückzubehalten, wie aus folgendem Schreiben des oben erwähnten Sekretärs Boucher an den Commissar Chenon erhellt:
»Am 28. Mai 1781.
Sie werden sehen, lieber Commissar, daß der Direktor eigenhändig die Artikel, die der Madame de Gotteville nicht zurückzugeben sind, mit einem N bezeichnet hat, was Nein bedeuten soll; die übrigen, die mit einem G oder Ja bezeichnet sind, sind zurückzugeben ( bon à rendre); in Bezug auf diejenigen, welche mit keinem Zeichen versehen sind, verläßt der Direktor sich auf Ihre Einsicht. Besonders aber keine Verse, keine anzüglichen Noten u. s. w.
Sicherlich wird sie ihre Presse und ihre Typen von Ihnen fordern: der Direktor will nicht, daß diese Dinge ihr zurückgegeben werden.
Sie kennen, lieber Commissar, die Zuneigung und Freundschaft Ihres ergebenen u. s. w.
Gezeichnet: Boucher.«
Daher also stammt die Presse, die bei der Einnahme in der Bastille vorgefunden wurde.
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