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T.
Die Visitation bei der Ankunft des Gefangenen.

Wie man gesehen hat (S. 60 ), bezweifelt Charpentier die Richtigkeit der Angaben Linguets über die Visitation bei der Aufnahme eines Gefangenen, indem er auf ein in der Bastille vorgefundenes Reglement Bezug nimmt, dem zufolge nur die »Taugenichtse« ( vauriens) und zwar durch einen Schließer, nicht aber durch einen Offizier, visitiert wurden. Darauf läßt sich erwidern, erstens, daß es, wenn jenes Reglement nur die Durchsuchung der »Taugenichtse« vorschrieb, doch völlig im Belieben der Herren vom Stabe stand, wen sie als »Taugenichts« betrachten wollten, und zweitens, daß die Ausführung der Visitation durch einen Offizier, wenn auch nicht Vorschrift, so doch nahezu Regel war. Nachstehend einige Belege dafür.

Am Freitag, 28. April 1617, wurde die unglückliche Marschallin d'Ancre in die Bastille geführt. »Du Hallier, Hauptmann der Leibwache, und Fouqueroles geleiteten sie,« heißt es in einem gleichzeitigen Berichte, Wenn wir uns recht besinnen, in der Relation Michel de Marillacs über den Tod des Marschalls d'Ancre. Um jedem Zweifel über die Echtheit des Citats vorzubeugen, hier der Urtext desselben: Ce fut du Hallier, capitaine des gardes, avec Fouqueroles, qui la menèrent; et avant que d'aller ils luy demanderent, si elle n'avoit plus de bagues; el monstra une sayette qui luy estoit demeurée, où il n'y avoit que certaines chaisnes d'ambre; et enquise si elle n'en avoit point sur elle, elle hausa sa cotte, et monstra jusques près des tetins; elle avoit un calson de frise rouge de Florence: on luy dit en riant qu'il falloit donc mettre les mains au calson; elle répondit qu'en autre temps elle ne l'eusse pas souffert, mais lors tout estoit permis: et du Hallier tasta un peu sur le calson. »und bevor man aufbrach, befragten sie sie, ob sie keine Ringe mehr hätte. Sie zeigte einen seidenen Beutel, der ihr noch geblieben war, in dem sich aber nur einige Bernsteinketten befanden. Danach befragt, ob sie auch keine bei sich versteckt trüge, hob sie ihren Rock auf und ließ sich bis nahe an die Brüste sehen. Sie trug ein Beinkleid aus rotem florentiner Flauschlinnen. Man bemerkte ihr lachend, daß man doch das Beinkleid untersuchen müsse: sie entgegnete, zu anderer Zeit würde sie das nicht geduldet haben, jetzt aber wäre alles erlaubt, und du Hallier tastete ein wenig über das Beinkleid hin.«

Doch das wäre nur ein einzelner Fall und noch dazu aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts. Hören wir, was Du Junca zu Anfang des achtzehnten berichtet.

»Dienstag, 26. April 1701, um 1 Uhr mittags, kam Herr de Savery, und hat einen Gefangenen hergeführt und eingeliefert, um eingeschlossen zu werden, den ich in Empfang genommen habe u. s. w. und habe ihn in das erste Zimmer des Kapellenturmes bringen lassen, nennt sich Tassel. Welchen Gefangenen Herr de Rosarges geleitet und visitiert ( mené et fouillé) hat, und hat 18 Louisd'or, 1 Silberthaler und 2 kleine, runde, mit Zeichen versehene Bleistücke bei ihm gefunden.« ( Ravaisson X, 369.)

»Montag, 17. Mai 1701, ist Herr Aulmont junior gekommen, hat einen Gefangenen hergeführt und eingeliefert, Herrn Richard, Weinhändler aus Orléans, Kabalenmacher und Verleumder des Staats. – Welchen ich in Empfang genommen habe u. s. w., und den ich allein in das zweite Zimmer des Turmes La Bazinière habe setzen lassen, durch Herrn de Rosarges, der ihn durchsucht und visitiert hat, hat einige Papiere bei ihm ( sur Iui!) gefunden.« ( Ravaisson X, 350.)

Der genannte Rosarges war Major der Bastille! Doch weiter.

»Donnerstag, 6. Mai 1694, um 2 Uhr nachmittags, überbrachte die Frau de Launay den Befehl u. s. w., ihren Gatten, Kalkbrenner aus der Umgegend von Paris, in völlige Freiheit zu setzen. Herr de Besmaus, der den Befehl in Empfang nahm, welchen Herr de la Reynie dieser Frau übergeben hatte, und seine Offiziere, die in diesem Augenblicke bei der Tafel waren, nicht beim Essen stören wollte, hat es vorgezogen, den Gefangenen durch den Sergeanten der Wache La Coste holen zu lassen, um ihn in den Saal zu führen, wo er ihn in Freiheit gesetzt und der Frau übergeben hat, ohne daß die Herren Offiziere ihn gesehen noch durchsucht haben, wie es Regel und Gebrauch ist, wegen des starken Verkehrs, der in allen Türmen zwischen allen Gefangenen besteht; und der, welcher entlassen wird und abgeht, macht denen, welche bleiben, immer Freude.«

Wem diese Zeugnisse, aus deren letztem zugleich erhellt, daß in früherer Zeit auch bei der Entlassung des Gefangenen eine Durchsuchung stattfand, noch nicht genügen, den verweisen wir auf das im Abschnitt U mitgeteilte Dokument aus der Feder Du Juncas, in welchem dieser es ausdrücklich zu seinen Obliegenheiten als Kommandant rechnet: »Bei der Ankunft eines Gefangenen, der eingesperrt werden soll, muß ich damit beginnen, daß ich seine Person und alle seine Effekten visitiere und durchsuche, und ihn in das Zimmer führe, das man ihm giebt.«

Doch das von Charpentier angerufene Reglement stammt aus noch späterer Zeit, Wir müssen also einen Zeugen aus der letzten Epoche der Bastille beibringen.

Dumouriez wurde gegen Ende Oktober 1773 in die Bastille gebracht. »Er kam um neun Uhr abends in der Bastille an. Er wurde von dem Major empfangen, einem alten jansenistischen Pedanten, der ihn auf das Sorgfältigste durchsuchen ( qui Ie fit fouiller exactement) und ihm sein Geld, sein Taschenmesser und sogar seine Schuhschnallen abnehmen ließ. Bei diesem letzten Artikel war Dumouriez so neugierig, nach dem Grunde zu fragen. Der Major bemerkte ihm mit Feinheit, daß ein Gefangener so niederträchtig gewesen sei, sich durch das Verschlucken einer solchen Schnalle ums Leben zu bringen. Nichtsdestoweniger aber war dieser Major nach jener schönen Antwort so entsetzlich unvorsichtig, ihm seine Strumpfbandschnallen zu lassen.«

Ein noch gewichtigeres Zeugnis findet sich in den Lettres-de-cachet Mirabeau spricht zwar von Vincennes, wie aber Charpentier selbst anerkennt, war die Hausordnung in beiden Staatsgefängnissen die nämliche. »Verweilen wir,« beginnt Mirabeau (II, 46), »einen Augenblick bei dem Eintritt eines Gefangenen in dies Haus, das ich oben beschrieben habe. In der Regel wird er nachts hineingebracht, denn man gewöhnt sich in Frankreich an die spanische Methode, die zum wenigsten eine Art Huldigung ist, welche der Despotismus der öffentlichen Meinung und der Gerechtigkeit erweist: er fürchtet, allzu oft die Entrüstung oder den Schrecken wachzurufen, er fürchtet, daß die Sonne seine Gewaltthaten beleuchte. Der schwache Schimmer einer wahren Grablampe leuchtet den Schritten des Gefangenen. Zwei Führer, die jenen Höllentrabanten gleichen, welche die Dichter in die Unterwelt plazieren, leiten seinen Lauf. Zahllose Riegel fallen ihm ins Auge, schallen ihm ins Ohr, eiserne Thüren drehen sich auf ihren ungeheuren Angeln, und die Wölbungen widerhallen von diesen traurigen Lauten. Eine schmale, steile, sich windende Treppe verlängert den Weg und vervielfältigt die Umwege: man durchschreitet weite Säle, und das zitternde Licht, das nur mühsam diesen Schatten-Ozean durchdringt und allenthalben Schlösser, Riegel und Gitter erkennen läßt, vermehrt das Grauenhafte eines solchen Anblicks und den Schrecken, den derselbe einflößt. Endlich langt der Unglückliche in seinem Winkel an: er findet dort ein elendes Bett, zwei Stühle mit Stroh- und oft mit Holzsitzen, einen beinahe immer am Rande ausgebrochenen Krug, einen mit Fett beschmutzten Tisch – und was noch? ... Nichts! ... Man stelle sich den Eindruck vor, den der erste Blick, den er um sich wirft, auf seine Seele hervorbringt. – Doch bald giebt Herr de Rougemont seinen Gedanken eine andere Richtung. Er befiehlt den Schließern, den Ankömmling zu durchsuchen und geht ihnen mit gutem Beispiele voran, damit sie es mit mehr Eifer und Sorgfalt thun. Man muß gestehen, daß man nicht darauf gefaßt ist, einen Ludwigsritter einen solchen Dienst verrichten zu sehen, und das maßlose Erstaunen, welches dieser Anblick erregt, bietet vielleicht eine heilsame Ablenkung – – Nein, ich kann nicht in diesem ironischen Tone fortfahren, das Herz preßt sich mir zusammen vor Schmerz und Entrüstung, wenn ich der Pein eines solchen Augenblicks gedenke. – Der arme Sünder wird aller seiner Effekten beraubt: Geld, Uhr, Kleinodien, Spitzen, Taschentuch, Messer, Schere, alles wird weggenommen. Warum? Das weiß ich nicht. Will man ihm etwa die Mittel zur Bestechung entziehen? Aber wo ist der Schließer, den eine Uhr Herr de Rougemont behauptet, daß man mit den Federn einer Uhr eiserne Gitterstäbe durchsägen könne. Könnte man ihn nicht zur Vervollkommnung der Mechanik und zur Ehre des Erfindungsgeistes einmal auf die Probe stellen?
Anm. Mirabeaus.
oder eine kleine Summe Geldes verführen wird? Und wenn der Eigennutz ihn zu Gefälligkeiten zu bewegen vermag, werden da die stärksten Versuchungen nicht von außen kommen?«

Nach all diesen Zeugnissen dürfte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß Linguet in diesem Falle nur persönlich Erlebtes berichtet hat, und daß nicht bloß die »Taugenichtse,« sondern auch andere Leute visitiert wurden und zwar von den Offizieren visitiert wurden. Übrigens ist diese Visitation eines Staatsgefangenen in noch weit ärgerm Maße im neunzehnten Jahrhundert und in Preußen üblich gewesen, wie Reuter bezeugt (Ut mine Festungstid, Kap. 7):

»As mi nu de Platzmajur in min niges Quartier afliwert hadd un gahn was, stunn ik in den Inspekter sine Stuw', un dese Herr und sin Handlanger, de Slüter D...mann, stunnen vör mi un keken mi an, un wil dat nich verbaden was, kek ik sei wedder an. – »Jetzt müßte ich Sie aber bitten« ... säd de Inspekter un höll in. – »Wat?« frog ik. – »Es ist Vorschrift vom Kommandanten« ... stamerte hei wider. Ik wüßt nich, wat hei von mi wull, un kek em un D...mannen an. – »Daß Sie sich nackt ausziehen,« säd de Slüter, un as ik em dorup ankek, wil dat doch nahrends, sülwst in den Unnersäukungs-Arrest nich, von mi verlangt was, blänkerte den Kirl von sin dummdristes Gesicht so'n sures, fettes Grifflachen, as wir em dat Mul mit für Gaus'smolt insmeert ... Wat hülp dat all? Ik müßt ehr wisen, woans ik erschaffen wir, un as sei minen Herrgott sin Makwark besichtigt hadden, fisentirten sei ok minen Snider sin, indem dat sei all mine Taschen in de Kledaschen ümkihrten un de Näd unnersöchten, ob ik dor nich Pistolen un Metzers un Dinger, oder gor Geld in hadd.«

So geschehen in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in der preußischen Festung Magdeburg.


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