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D.
Die Beköstigung der Gefangenen.

Bei dem Unterschiede, der je nach dem Range der Gefangenen, den Befehlen der Minister oder den Anordnungen des Gouverneurs in der Beköstigung der Gefangenen gemacht wurde, ist die Verschiedenheit der darüber vorliegenden Urteile sehr erklärlich. Wir teilen hier mehrere derselben mit, und zwar zunächst, zur Ergänzung dessen, was Linguet auf S. 193 ff. darüber sagt, den Bericht des Verfassers der Remarques historiques (S. 27 ff.), der diesen Punkt sehr eingehend behandelt.

»Was die Speise der Gefangenen betrifft,« heißt es an gedachter Stelle, »so richtet man sich darin nach dem Range derselben. Für fürstliche Personen werden täglich 50 Livres gut gethan. Sodann giebt es Tische zu 30, 20, 10, 5 und 3 Livres; die geringsten sind zu 2 Livres 10 Sous – dies ist die Taxe für die Gefangenwärter und Wächter. Bei diesen Preisen ist jedoch die Wäsche und das Licht mit einbegriffen: nur das Holz wird besonders gereicht.

»Die Küche wird von dem Haushalter des Gouverneurs besorgt. Er hat unter sich einen Koch, einen Küchenjungen und einen Holzspalter. Alle Schüsseln sind elend und schlecht zubereitet. Dies ist die Goldmine des Gouverneurs, der seine Einkünfte, wie immer, so auch hier auf Kosten der Gefangenen erhöht. Außer diesem ungeheuren Gewinn hat er täglich noch 150 Livres für fünfzehn angenommene ( supposé) Gefangenenstellen, jede zu 10 Livres gerechnet, der täglichen Kosten für jeden wirklichen Gefangenen unbeschadet. Diese 150 Livres täglich werden ihm unter dem Titel Zulage oder Schadloshaltung gereicht, wozu öfters noch ansehnliche Geschenke hinzukommen.

»Außer den Fasttagen besteht das Mittagessen in einer Suppe, einer Schnitte Rindfleisch und einem Nebengange ( entrée); dagegen giebt es an den Festtagen eine Suppe, ein Gericht Fische und zwei Nebengänge.

»Das Abendessen an den Fleischtagen besteht in einem Schnittchen Braten, einem Ragout und Salat, und an Fasttagen in Eiern und einem Gericht Hülsenfrüchte. Die Tische zu 5 und 10 Livres sind sehr wenig besser. Sie bestehen in einem gebratenen, magern halben Huhn, einer Taube, einem Kaninchen, das bereits duftet, oder einigen Vögeln und in einem Nachtisch, der alles in allem nicht zwei Sous kostet.

»Sonntags giebt es zu Mittag eine schlechte Suppe, eine Schnitte gekochtes Fleisch (sogenanntes Rindfleisch) und vier kleine Pastetchen, abends aber ein Schnittchen Braten, es sei nun Rinder-, Kalbs- oder Hammelbraten, ein kleines Schüsselchen Ragout von Hammelfleisch mit Rüben ( haricot), das aber vielmehr nur aus Knochen und Rüben besteht, und einen Teller mit Salat. Nach dem Öl, welches aufgesetzt wird, kehrt sich das Herz im Leibe um, höchstens möchte es zur innern Erleuchtung eines Hauses gut sein. Die Suppen an den Fleischtagen sind immer dieselben. Montags giebt es zu Mittag statt der vier Pastetchen das eben erwähnte Ragout, Dienstags eine Bratwurst oder einen halben Schweinsfuß oder auch ein wenig schlechte Schweinskarbonade, Mittwochs ein Törtchen, entweder halb gar oder verbrannt, Donnerstags zwei Stückchen Hammelkarbonade, Freitags einen halben kleinen Karpfen, gebraten oder gekocht und mit einer Brühe angerichtet, einen Rochen, den man schon auf zehn Schritt riecht, Stockfisch mit Butter und Mostrich, oder auch gedörrt mit Gemüse oder Eiern und abends einige Eier mit brauner Butter oder länglich geschnitten und frikassiert ( à la tripe) und Spinat in Wasser oder Milch gekocht. Sonnabends endlich giebt es eben dasselbe zum zweitenmale, und so bleibt es jahraus jahrein alle Tage unverändert.

»An den Tagen des heiligen Ludwig, des heiligen Martin und der heiligen drei Könige bekommen alle Gefangenen ein Gericht mehr, und dies besteht in der Hälfte eines gebratenen Huhns oder in einer gebratenen Taube. Montags an den Fleischtagen giebt man ihnen auch wohl ein Törtchen.

»Jeder Gefangene erhält täglich ein Pfund Brot und eine Flasche Wein, letzterer aber ist schal und elend. Der Nachtisch besteht aus einem Apfel, etwas Gebacknem und einigen Rosinen und Mandeln, die ganz dünne auf den Teller gesäet sind, im Sommer auch aus einigen Kirschen, Johannisbeeren oder Pflaumen. Gewöhnlich ißt man von Zinn. Einige wenige erhalten auch die Erlaubnis, von Porzellan und mit silbernen Löffeln und dergleichen Messern (?) und Gabeln zu essen. Klagt ein Gefangener über das schlechte Essen, so bekommt er es zwar einige Tage hindurch besser, allein man weiß ihm dafür auf tausend andere Arten das Leben sauer zu machen.

»In der elendesten Garküche speist man für zwölf Sous besser als in der Bastille für so vieles Geld. Im großen und ganzen sind die Gerichte höchst elend, Suppe und Fleisch ohne Saft und Kraft und überdies schlecht zubereitet. Das alles trägt dazu bei, die Gesundheit der Gefangenen zu untergraben, und fordert Gott und Menschen zur Rache auf.«

Dem gegenüber können andererseits Dumouriez und Marmontel die Küche der Bastille nicht genug rühmen. Allerdings darf man dabei nicht außer Acht lassen, daß beide Gefangene von Rang und Ansehn waren, mit denen der Gouverneur es auf keine Weise verderben mochte.

Dumouriez, der wie weiland Julius Cäsar von sich selbst in der dritten Person spricht, erzählt über seine Tischverhältnisse folgendes: »Dumouriez hatte die Gewohnheit angenommen, sich das Mittag- und Abendessen zusammen, zwischen drei und vier Uhr täglich, auf sein Zimmer bringen zu lassen. Sein Kammerdiener, der sich vortrefflich auf die Küche verstand, bereitete ihm Ragouts. Man speiste sehr gut in der Bastille ( on était fort bien nourri à la Bastille): das Dessert ungerechnet, gab es zu Mittag fünf und zum Abend drei Gänge, was, alles gleichzeitig aufgetragen, einen prächtigen Eindruck machte.« ( Vie du général Dumouriez, t. I, p. 341).

Mehr Sachverständiger als Dumouriez spricht Marmontel sich weit eingehender und ebenfalls mit größter Anerkennung über die Bastillenkost aus. Die betreffende Stelle seiner Denkwürdigkeiten ist interessant genug, um eine unverkürzte Wiedergabe zu rechtfertigen. Zum bessern Verständnis sei noch bemerkt, daß Marmontel wegen eines angeblich von ihm verfaßten Spottliedes auf den Herzog d'Aumale in die Bastille spazieren mußte, und daß Bury der Name seines Dieners war. Nachdem er seinen Einzug in das Staatsgefängnis geschildert hat, fährt er folgendermaßen fort ( Mémoires de Marmontel, p. 166):

»Zwei Stunden später reißt das Geräusch der Riegel mich aus meiner tiefen Träumerei, und zwei Wärter erscheinen mit einem Diner, das ich für das meine halte, und beginnen es schweigend zu servieren. Der eine setzt drei kleine, mit gewöhnlichen irdenen Tellern bedeckte Schüsseln vor dem Kamin nieder, der andere breitet ein etwas grobes, aber reinliches Linnentuch über den von den beiden Tischen, der unbesetzt war. Ich sehe ihn ein ziemlich sauberes Couvert, bestehend aus einem Zinnlöffel und einer Zinngabel, sowie gutes Hausbrot auf diesen Tisch legen und eine Flasche Wein daneben setzen. Nachdem sie diese Dienstleistung vollzogen, ziehen die Wärter sich zurück, und die beiden Thüren werden mit demselben Schlüssel- und Riegelgeräusch von neuem geschlossen.

»Nun fordert Bury mich auf, mich zu Tisch zu setzen, und serviert mir die Suppe. Es war ein Freitag. Diese Suppe bestand als Fastenspeise aus durchgeschlagenen und mit ganz frischer Butter angerichteten weißen Bohnen, und eine Schüssel von den nämlichen weißen Bohnen bildete den ersten Gang, den Bury mir vorsetzte. Ich fand das alles sehr vortrefflich. Die Schüssel Stockfisch, die er mir als zweiten Gang servierte, war noch besser: der leichte Knoblauchgeschmack verlieh ihm eine Würze und einen Duft, der dem Gaumen des leckersten Gascogners geschmeichelt haben würde. Der Wein war zwar nicht ausgezeichnet, aber doch leidlich. Das Dessert fehlte – nun, etwas mußte man wohl entbehren. Im übrigen fand ich, daß man im Gefängnis ganz gut zu Mittag esse.

»Als ich mich von der Tafel erhob und Bury eben meinen Platz einnehmen wollte (denn es war noch genug zu einem Diner für ihn übrig geblieben) – siehe, da erscheinen meine beiden Wärter abermals mit Pyramiden neuer Schüsseln in den Händen. Beim Anblick des feinen Tischzeugs, des schönen Porzellans, des silbernen Löffels und der silbernen Gabel erkannten wir unsern Irrtum. Wir ließen uns aber nichts merken, und als unsere Wärter nach Absetzung ihrer Bürde sich zurückgezogen hatten, sagte Bury zu mir: »Ach, gnädiger Herr, Sie haben soeben mein Diner verzehrt, Sie werden es also nur in der Ordnung finden, daß ich jetzt meinerseits das Ihre esse.« – »Das ist nicht mehr als recht und billig,« erwiderte ich ihm, und die Wände des Zimmers waren gewiß erstaunt, ein herzhaftes Gelächter erschallen zu hören.

»Dies Diner sah nicht nach einem Fasttage aus. Hier die Bestandteile: Eine vorzügliche Suppe, eine Scheibe saftiges Rindfleisch, ein gesottener Kapaunenschenkel, der von Fett triefte und auf der Zunge zerging, eine kleine Schüssel mit in Essig gebackenen Artischocken, eine eben solche mit Spinat, eine sehr schöne Schmalzbirne, frische Weintrauben, eine Flasche alten Burgunder und ausgezeichneter Kaffee. Das war das Diner Burys, mit Ausnahme des Obstes und des Kaffees, welche beiden Artikel er für mich bei Seite zu setzen geruhte.

»Nach dem Essen machte mir der Gouverneur einen Besuch und fragte mich, ob ich mit der Kost zufrieden sei, indem er mir versicherte, daß ich von seiner eigenen Tafel gespeist werde, daß er mir selbst die Bissen vorschneiden und daß außer ihm niemand die für mich bestimmten Speisen anrühren würde. Zum Souper brachte er mir ein Huhn in Vorschlag, ich dankte ihm indessen und erklärte, daß das vom Diner übrig gebliebene Obst für mich hinreichen würde.

»Dies war meine gewöhnliche Kost in der Bastille, und man mag daraus schließen, mit welcher Lauheit oder vielmehr mit welchem Widerwillen man sich dazu verstand, dem Zorne des Herzogs d'Aumale gegen mich zu Diensten zu sein.«

*


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