Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Abschnitt.
Die Notwendigkeit meiner Rückkehr nach England.

Nach dem, was 1777 zwischen dem Herrn Grafen de Vergennes und mir vorgegangen war (VI), war dieser Minister von allen europäischen Diplomaten derjenige, mit welchem ich am wenigsten in Berührung kommen durfte. Im Vertrauen auf den Ruf persönlichen Ehrgefühls und privater Ehrenhaftigkeit, den er sich erworben hat, glaubte ich es jedoch beim Herannahen des Bruches zwischen Frankreich und England im März 1778 wagen zu können, ihm zu schreiben, um ihn von meiner Abneigung gegen den fernern Aufenthalt in einem Lande in Kenntnis zu setzen, das der Feind meines Vaterlandes werden wollte. Ich fragte bei ihm an, ob ich, wenn ich aus einem so patriotischen Prinzipe meinen Wohnsitz ändere, nicht von Seiten des französischen Ministeriums neue Verfolgungen zu fürchten hätte, und schloß mit den Worten:

»Ich fühle wohl, daß die Umstände mir nicht erlauben, mich für jetzt der Hoffnung auf Genugthuung hinzugeben; mein Herz würde sich indessen mit der begnügen, welche das Publikum mir bietet, wenn ich bei Veränderung meines Aufenthaltsortes auf Ruhe rechnen könnte, und ich würde darauf rechnen, wenn ich Ihr Wort zum Pfande hätte.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich es trotz meiner gut und vielleicht nur zu gut bewiesenen Unschuld für nötig erachte, Maßregeln für meine Sicherheit zu treffen: es ist das eben das Unglück meiner Lage, und ich wage zu hoffen, daß Sie es nicht ungünstig aufnehmen werden. Wenn ich auch dem Ministerium mißtraue, so sehen Sie doch, daß ich zu dem Minister Vertrauen habe.«

Darauf antwortete mir der Herr Graf de Vergennes am 20. desselben Monats folgendermaßen: »Sie benachrichtigen mich, mein Herr u. s. w. Der Herr Graf de Maurepas, dem ich davon Mitteilung gemacht habe, billigt diesen Entschluß sehr und ermächtigt mich, Ihnen zu wissen zu thun, daß Sie sich in dieser Hinsicht jeder Besorgnis entschlagen können ... Ich glaube, mein Herr, im Hinblick auf diese Versicherung können Sie den Entschluß fassen, der Ihnen am angemessensten erscheint. Ich würde Ihnen dieselbe nicht geben, wenn ich sie nicht selbst als sehr zuverlässig betrachten müßte

Am nächsten 7. April bat ich den Herrn Grafen de Vergennes um neue Aufschlüsse: ich brachte ein neues Opfer, das vielleicht noch peinlicher und, ich wage es zu sagen, edler war als das, welches ich mit der Veränderung meines Wohnsitzes brachte (VII). Der Herr Graf erwiderte mir darauf am 23. genannten Monats: »Ich habe Ihren Brief erhalten, mein Herr, und kann Ihnen in Beantwortung desselben nur von neuem bestätigen, was ich Ihnen bereits in meinem vorigen Schreiben zu wissen gethan habe. Dasselbe versichert Sie sowohl von Seiten des Herrn Grafen de Maurepas wie von der meinen der völligen Sicherheit Ihrer Person in dem neuen Wohnsitze, den Sie zu nehmen beabsichtigen. Ich erneuere bereitwilligst diese Zusicherung und auch die weitere, daß man Sie unbehindert Ihre literarischen Arbeiten fortsetzen lassen wird, da ich fest überzeugt bin, daß der König, die Religion und der Staat keinen Angriff darin erfahren werden.«

Auf diesen, wie man sieht sehr feierlichen, sehr glaubwürdigen und unbedingten Geleitbrief hin habe ich England verlassen. Ich ließ mich in Brüssel nieder. Ich machte 1778 und 1779 mehrere Reisen nach Frankreich, ich besuchte die Minister, die Annalen fuhren fort, eine ebenso freie wie ehrenvolle Verbreitung zu genießen, und ich wage zu behaupten, die Litteratur hat kein Werk hervorgebracht, in welchem der König, die Religion und der Staat gewissenhafter respektiert worden wären.

Am 27. September 1780 jedoch, wo ich durch eine Reihe von Verrätereien, von denen ich an anderer Stelle einige mitteilen werde, nach Paris gelockt worden war, sah ich mich plötzlich am hellen Tage mit überlegter und berechneter Schimpflichkeit verhaftet (VIII), in die Kerker geworfen, die dem Anschein nach einzig für die Feinde des Königs, der Religion oder des Staates bestimmt sind, und in meiner Person, meiner Ehre, meinem Vermögen allem preisgegeben, was barbarische Schergen, zügellose Verleumder, habgierige Helfershelfer und treulose Vertreter sich an Nichtswürdigkeiten erlauben dürfen. Berville-Barrière geben zu dieser Stelle folgende Anmerkung: »Bisweilen geschahen die Verhaftungen unter großem Lärm und Aufsehen, und zur Zahl dieser gehörte die Festnahme Linguets. Meistens aber hüllte man sie in das tiefste Geheimnis und bewahrte sogar unter gewissen Umständen bei der Festnehmung der Gefangenen alle Formen des besten Anstandes. Ern armer Bedienter wurde dadurch in ziemlich spaßhafter Weise getäuscht. Er diente bei einem gewissen Le Fort, der mit einer hübschen Engländerin, die er ihrer Familie entführt hatte, chambre garnie wohnte. Eines Abends nun erscheint ein Polizeioffiziant, um Le Fort und die Entführte zu verhaften. Die Kutsche stand vor der Thür, und da die Gefangenen keinen Widerstand leisteten, so wurde die Sache von beiden Seiten mit so viel Höflichkeit abgewickelt, als handle es sich um einen Besuch oder eine Vergnügungspartie. Man setzt sich in die Kutsche, durch den Schein getäuscht, springt der Lakei hinten auf, der Wagen setzt sich in Bewegung und macht erst im Hofe der Bastille Halt. Man steigt aus, der Lakei erscheint wie gewöhnlich am Schlage. »Ei, wer bist denn du?« fragt ihn der Polizeioffiziant, der ihn bis dahin gar nicht bemerkt hatte. – »Ich bin der Diener des Herrn.« – »So, so! Nun, da du einmal hier bist, wirst du auch hier bleiben.« – Und er blieb, wie man behauptet, in der That mehrere Jahre in der Bastille und verließ sie nur, um in ein Dragonerregiment gesteckt zu werden.« Leider hat diese Erzählung, die von Berville-Barrière den Remarques historiques sur la Bastille ( Londres, 1783) entnommen wurde, keinen andern Gewährsmann als Renneville, bei dem sie sich auf S. 315 des ersten Bandes findet, und der auch den Namen des Bedienten, Philibert de sa Salle, mitteilt.
D. Übers.

Nachdem ich zwanzig Monate ohne jede Milderung noch irgend welche Aufklärung im Gefängnis zugebracht hatte, schien meine Gefangenschaft am 19. Mai 1782 zu enden, wechselte in Wirklichkeit aber nur die Form. Der Oberpolizei-Direktor von Paris, der mit feierlichem Pompe erschienen war, um mir meine Freilassung anzuzeigen, eröffnet mir gleichzeitig, daß ich verbannt sei. Er stellte mir einen Befehl zu, der mich nach einem kleinen Flecken vierzig Stunden von Paris verwies und mir bei Strafe des Ungehorsams verbot, mich daraus zu entfernen.

Obschon man nicht geruhte, über den Grund der Verbannung mehr Aufschluß zu geben als über den der Gefangenschaft, und obschon ich die triftigsten Gründe hatte, anzunehmen, daß dieser neue Streich vom Ministerium und nicht vom König ausging, so weigerte ich mich doch nicht, mich dem Befehle zu unterwerfen. Ich bat nur um zwei sehr einfache Vergünstigungen: erstens um die Erlaubnis, wenigstens so lange in Paris bleiben zu dürfen, bis ich wieder so weit zu Kräften gekommen wäre, um abreisen zu können, und bis ich den mehr als verdächtigen Händen, die sich infolge höchst eigentümlicher Manöver im Besitze fast aller meiner Kapitalien befanden, das Nötige zu meinem Lebensunterhalte entrissen hätte, und zweitens, auf einige Tage nach Brüssel gehen zu dürfen, um dort der Unordnung ein Ziel zu setzen, die den Rest meines Vermögens verzehrte.

Ich durfte mir um so mehr auf die Willfährigkeit der Minister bezüglich dieser beiden Punkte Hoffnung machen, da die Unordnung, der ich steuern wollte, unmittelbar vom französischen Ministerium selbst ausgegangen war. Man hatte nämlich ministeriellerseits, im Namen des Königs von Frankreich, durch den französischen Botschafter (IX) unter Mitwirkung eines Pariser Polizeibeamten (X) und eines Substituten, den ich an anderer Stelle nennen werde (XI), in Brüssel die Auslieferung nicht bloß meiner Papiere, sondern auch meines Geldes beantragen lassen, und was man nicht fortgeschleppt hatte, war verschleudert worden. Man hatte mit meinem Gelde die Reisen des Gesandtschafts-Sekretärs (XII), des Polizeibeamten und seines Gehilfen bezahlt, man hatte eine Wache bezahlt, deren Dienst darin bestand, unter dem Vorwände der Hütung zu plündern; man hatte die niederländischen Beamten bezahlt, die sich beeifert hatten, meine Verlassenschaft den französischen streitig zu machen. Die französische Unjustiz war gegen die brabanter Justiz mit meinen Thalern sehr freigebig gewesen.

Da ich ferner mit einem Geschenke, das ich meinem Vaterlande zu machen hatte, ins Dasein zurückgekehrt war, da ich auf dem Wege des Versuchs eine wertvolle Erfindung festzustellen, zum allgemeinen Besten eine neue Verwendung des Lichts zu verwirklichen hatte, die ich zu einer Zeit ersann, wo ich es nicht sah, so war das Vertrauen und die Hoffnung auf eine Modifikation oder sogar Zurücknahme meiner Verbannung sicherlich nicht unbegründet.

Die Neugier verschaffte mir bezüglich des ersten Punktes eine kurze Frist, und ich habe sie nicht getäuscht. Ich machte den Versuch, und er gelang (XIII). Noch am selben Tage aber befahl man mir: » Gehen Sie nach Réthel und entfernen Sie sich nicht von dort,« obschon ich, um die Erlaubnis zur Reise nach Brüssel zu erhalten, mündlich und schriftlich mein Wort gab, unverzüglich zurückzukommen, und obgleich ich seit einem Monate beständig das Versprechen erneuerte, zu dem ich mich schon aus der Tiefe meines Grabes erboten hatte, nicht etwa, wie einige Zeitungen thörichter- oder böswilligerweise verbreitet haben, nur noch den Absichten des französischen Ministeriums gemäß zu schreiben, sondern vielmehr überhaupt nicht mehr zu schreiben, wenn man es verlange, und mich in unbedingtes Stillschweigen zu hüllen – vorausgesetzt daß man mir im Austausch für dies Opfer wenigstens die gewöhnlichen bürgerlichen Rechte zurückgebe (XIV), und daß man, wenn ich, weil man es verlange, darauf verzichte, der Gesellschaft nützlich zu sein, auch aufhöre, mich strenger zu behandeln als so viele Menschen, die ihr zur Last sind. Ich befleißigte mich sogar bei diesen Bitten und Anerbietungen einer Mäßigkeit des Ausdrucks und einer Unterwürfigkeit, die bei den unparteiischen Zeugen beinahe Anstoß erregten und einige zu dem Glauben brachten, mein Mut sei unter dem Übermaß des Unglücks schwankend geworden oder mein Kopf habe nachgegeben.

Sie täuschten sich. Mein Betragen in diesem Augenblicke war nicht verschieden von dem, an welchem ich bei allen Vorfällen meines Lebens festgehalten habe: ich habe nie zu einem Aufsehen erregenden Entschlusse gegriffen, ohne alle denkbaren Mittel erschöpft zu haben, um ihn zu vermeiden.

Auch im vorliegenden Falle habe ich mich erst dann, als kein Zweifel mehr darüber möglich war, daß ein durchdachter Plan bestand, den Rest meiner Tage völlig in nichts aufzulösen und mich dadurch, daß man mich von meinen Freunden und meinen Geschäften fernhielt, vollends aller mir noch gebliebenen Hilfsmittel zu berauben – erst dann habe ich mich endlich zu einem Schritte entschlossen, der unvermeidlich geworden war.

Und selbst da habe ich noch den Bedenken eines gehorsamen Unterthans Gehör gegeben, eines Unterthans, der den Namen seines Fürsten sogar noch in dem Mißbrauche achtet, den seine Minister damit zu treiben wagen. Nach meiner Rückkehr nach Brüssel habe ich keineswegs sogleich daran gedacht, einen andern Zufluchtsort zu suchen. Obgleich ich über die Verwüstung meines Hauses erschrocken und über die zahllosen Niederträchtigkeiten und Treulosigkeiten der Agenten des Ministeriums, die hier meine Sachen behandelt hatten, wie man in Paris meine Person behandelte, aufs tiefste empört war, beschränkte ich mich doch darauf, meinen Verlust zu beklagen und die Überbleibsel zusammenzulesen. Ich wollte nur Zerstreuung suchen.

Ich plante eine mehrjährige Reise. Meine Absicht war, nachdem ich einem Fürsten, der durch sein Beispiel allen seinen Vettern edle Lehren erteilt und dem Throne der Cäsaren einen Glanz verleiht, der seit langem keinen Thron umstrahlt hat Gemeint ist Joseph II.
D. Übers.
– nachdem ich diesem meine Huldigung zu Füßen gelegt hätte, nach Italien zu gehen und dort im Studium der Denkmäler der vergangenen Jahrhunderte das zu vergessen zu suchen, was ich im gegenwärtigen erlitten hatte.

Auch dies indirekte Mittel, mich den Absichten des französischen Ministeriums anzubequemen, ward mir nicht gelassen. Aufrichtige Freunde thaten mir zu wissen, das Ministerium verzeihe mir nicht, daß ich mich nicht eines durchaus buchstäblichen Gehorsams befleißigt habe, und der Weg nach Italien würde für mich infolge der unterwegs gelegten Hinterhalte unfehlbar der Weg zur Bastille werden.

Da diese Warnung mir von derselben Seite zukam, die mich schon von der ersten Lettre-de-cachet benachrichtigt hatte – denn ich war allerdings benachrichtigt worden, hatte mich aber gesträubt, der Nachricht Glauben zu schenken – so war ich der Meinung, es würde nicht klug gethan sein, dieser Warnung zum zweitenmale zu trotzen. Daher habe ich zwischen jene Geschenke des französischen Ministeriums und mich eine Entfernung gelegt, die sie nicht überspringen können. Meine wahren Gönner, diejenigen, welche zu meiner Rettung beigetragen haben, werden sicherlich nicht zürnen, daß ich zuverlässige Vorsichtsmaßregeln ergriffen habe, um die Frucht ihrer Freundschaft zu erhalten. Sollten die andern sich darüber empfindlich zeigen, so würden sie damit nur vollends beweisen, wie notwendig diese Maßregeln waren.

Jetzt nun richte ich an alle rechtschaffenen und unparteiischen Menschen die Frage: Was konnte ich thun, das ich nicht gethan habe? Was habe ich gethan, das ich nicht thun mußte?

Man beliebe nur einen Augenblick die Umstände zu erwägen, die meine Freilassung begleiteten und ihr folgten. Wie! mit dem Befehle, Paris zu verlassen, wo ich die dringendsten Geschäfte hatte, verbindet man das Verbot, mich nach Brüssel zu begeben, wohin mich nicht minder gewichtige Interessen riefen? Die einzige Antwort auf meine Anerbietungen und sogar Demütigungen, um die Rücknahme eines von diesen beiden Befehlen zu erlangen, ist ein dritter, der mich verdammt, nach zweijähriger Unthätigkeit, nach einem zweijährigen Tode, in einem unbekannten Flecken in ebenso verderblichem wie ermüdendem Müßiggange weiter zu vegetieren! Das sind die Vergünstigungen, die Gnadengeschenke, die auf eine Bedrückung folgten, welche in allen ihren Umständen ohne Beispiel ist!

Was mochte der Grund dazu sein? Mich zu bestrafen! Aber wofür? Worin bestand mein Verbrechen? Hatte man mir's gesagt? sagte man mir's? Das Zögern, mit dem man mir endlich Gerechtigkeit hatte widerfahren lassen, bewies meine Unschuld zur Genüge. Wer wird glauben, daß man die Ketten gelöst haben würde, mit denen man mich ohne Grund belastet hatte, wenn sich nur der Schatten eines Vorwandes hätte erdichten lassen, der als Grund für eine ewige Gefangenschaft hätte dienen können? Ein überführter und verurteilter Verbrecher kann wohl eine Verminderung seiner Strafe als eine Gunst aufnehmen: aber ein Unschuldiger?!

Sollte ich etwa diese Laune des Ministeriums für väterliche Besorgnis ansehen? Ohne Zweifel war es doch nicht willens, mich so zu behandeln, wie man jene Ausgehungerten behandelt, denen es lange an Nahrung gemangelt hat. Ein kluger Arzt gestattet diesen nur nach und nach die Nahrungsmittel wieder, weil eine zu große Quantität gleich beim ersten Male sie der Gefahr des Erstickens aussetzen würde. Für mich indessen fürchtete man höchst wahrscheinlich die plötzliche Wirkung der frischen Luft durchaus nicht: man war gewiß nicht so zartfühlend, mich nur allmählich an die Kost der Freiheit zu gewöhnen, damit sie mir um so zuträglicher sei.

Wenn diese politische Krankenkost überhaupt einen Zweck hatte, so war sicherlich nicht ich derjenige, dem sie Gefahren ersparen sollte. Was sie vielmehr verhüten sollte, das war der Ausbruch jener Seufzer, die sich während zweier verzweiflungsvoller Jahre in meiner Brust angesammelt hatten, das waren die ersten Aufwallungen eines Herzens, das während dieses Zeitraums mit barbarischer Kaltblütigkeit und überlegter Ungerechtigkeit zerrissen worden war, das waren meine Beschwerden über eine Gewalttat, die mir zwei Jahre meines Lebens geraubt hat, über Attentate, deren Folgen den Rest desselben verkürzen werden, über eine Behandlung, die nie ihres Gleichen gehabt hat und vielleicht niemals haben wird, selbst nicht in der Bastille (XV). Das war's, was man fürchtete.

Damit aber diese Vorsichtsmaßregel nicht ein neuer Schimpf und eine weitere Ungerechtigkeit wurde, hatte man sie wenigstens mit der Ordnung meiner Angelegenheiten und der Sorge für meine häuslichen Interessen in Einklang bringen müssen. Ich verlangte weder eine Pension, noch eine Entschädigung, noch eine Stelle, ich bat nur um die Erlaubnis, die Fetzen meines Eigentums zusammenlesen zu dürfen, das in nichtswürdiger Weise angegriffen und noch nichtswürdiger verschleudert worden war. Wie hatte ich sonst, von den Bevollmächtigten des französischen Ministeriums und der französischen Polizei ausgeplündert, von einem treulosen Vertreter an den Bettelstab gebracht und weder imstande, meine Ausstände nach so langer Zeit noch beizutreiben, noch die frühen Veruntreuungen zu heben und neuen Unterschleifen vorzubeugen – wie hätte ich sonst in Réthel-Mazarin leben sollen? Sind die Lettres-de-cachet Wechselbriefe?

Man hat ausgesprengt, daß man, als man diese letzte Probe von mir verlangte, mir Belohnungen in Aussicht gestellt hätte, daß man Kronen für mich in Bereitschaft hielt, wenn ich diesen letzten Akt meines Märtyrertums mit Ergebung ertragen hätte, daß ich aber alles dies verachtet und die blinde Hoffnung auf Rache dem friedlichen Genusse der Wohlthaten vorgezogen hätte, die mich für mein Unglück entschädigt haben würden.

Nichts ist weniger wahr.

Die einzige Belohnung, die man mir in Aussicht gestellt hat, war die Hoffnung, eines Tages, wenn ich lange Zeit recht gehorsam gewesen wäre, den wahren Grund meiner Haft zu erfahren. Diesen Köder hielt mir ein Mann in Gunst und Ansehen vor. Ein Mann in Amt und Würden begnügte sich, mir zu sagen: » Wenn Sie hier leben wollen, so bemühen Sie sich, daß man Sie vergißt

Ich für mein Teil war der Ansicht, es wäre leichter, sicherer und notwendiger, mich zu bemühen, daß ich davonkäme. Aber, ich wiederhole es, auch noch bei meiner anscheinenden Unfolgsamkeit war ich gefügig, achtete und ehrte ich noch Bande, von denen die Bande der Bastille mich nur zu sehr frei gemacht hatten, und ich würde mich begnügt haben, in der Nachbarschaft meines Vaterlandes, in einem Lande, das sozusagen die Fortsetzung desselben bildet, einen Zufluchtsort zu suchen, wenn dieser hätte sicher sein können. Es bedurfte des Übermaßes fremder Pflichtvergessenheit und der Gefahr, um mich in das unnahbare Asyl zurückzutreiben, in welchem ich mich jetzt befinde, und das ich nie hätte verlassen sollen.

Die, welche mein Rückzug und meine gegenwärtige Unabhängigkeit vielleicht nicht ohne Grund mit Unruhe erfüllt, werden nicht verfehlen, sich mit dem einzigen, scheinbar triftigen Vorwande zu rüsten, der ihrer Böswilligkeit als Waffe dienen kann. Sie werden mich der Undankbarkeit und der Empörung beschuldigen. Sie werden sagen, wenn auch meine frühere Handlungsweise kein Staatsverbrechen enthalte, so sei doch die Wahl meines jetzigen Wohnsitzes ein solches. Sie werden den schmerzhaften Schritt, den sie unvermeidlich gemacht haben, als eine verbrecherische Flucht darstellen. Sie werden den Gebrauch, den sie mich von meiner Freiheit zu machen gezwungen haben, und die Ausnutzung einer Fähigkeit, die man, wie sie sagen, mir zurückzugeben hätte vermeiden können, als Beweis für die Richtigkeit ihrer Ahnungen anführen, auf Grund deren sie sich meiner Freilassung widersetzten.

Daß man diese hätte vermeiden können, leidet keinen Zweifel: wenn man die Macht in Händen hat, steht es einem frei, das, was man widerrechtlich geraubt hat, immer zu behalten – nichts ist klarer. Aber darum handelt es sich nicht.

Hier handelt es sich nur darum, einmal, ob ich, weil eine Gefangenschaft ohne Grund doch ein Ende gehabt hatte, mich nun blindlings der Fortdauer einer Grausamkeit zu fügen hatte, die in ihrer Quelle beständig im höchsten Grade unbillig war, und zweitens, ob ich, nachdem ich die Bedeutung eines empörenden Verbots, an welchem dem Könige unmöglich ein Anteil zugeschrieben werden kann, kennen gelernt hatte, mich an einem andern Orte als hier vor einem ministeriellen Despotismus sicher glauben durfte, der nicht einmal einen von ihm selbst ausgestellten feierlichen Geleitsbrief respektiert hatte.

Man darf nämlich das zwar nutzlose, aber höchst authentische, im Namen des Grafen de Maurepas, der nicht mehr ist, von dem noch lebenden Herrn Grafen de Vergennes ausgefertigte Versprechen nicht vergessen: dasselbe verbürgte mir, wie oben angegeben, die Sicherheit meiner Person nicht bloß für eine bestimmte Zeit, wie man behauptet hat, sondern für immer und ohne jede Bedingung, wenigstens ohne jede andere auch nur mutmaßliche Bedingung als die, gegen welche ich sicherlich nicht verstoßen habe: wie bisher den König, die Religion und den Staat in Ehren zu halten.

Hat man dem Könige diese Ursache meiner Sicherheit in seinen Staaten verhehlt? oder hat man, indem man mich bei ihm verleumdete, um die Achtung zu zerstören, mit der er mich beehrte, und ihn zu einer Strenge zu bestimmen, welche die Wahrheit sicher nicht gerechtfertigt haben würde, ihm eingeredet, daß jene Schranke ihn nicht binden dürfe? Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, daß ich trotz meines Geleitsbriefes und meiner Unschuld unter einer gerechten und milden Regierung zwei Jahre lang nicht wie ein Angeklagter, der eines Vergehens beschuldigt wird – denn einem solchen Menschen macht man seinen Prozeß, man nennt ihm das Vergehen, das der Anklage zu Grunde liegt, und gestattet ihm, sich zu verteidigen – sondern wie ein Verbrecher behandelt worden bin, der aller möglichen Majestätsbeleidigungen überführt ist. Da nun das Wort der französischen Minister und die Lauterkeit meiner Handlungsweise mir für die Vergangenheit keinen Schutz gewährt haben, als es doch ihrer rachsüchtigen Treulosigkeit sogar an einem Vorwande gebrach, was durfte ich da für die Zukunft hoffen, falls ich in der Nachbarschaft Frankreichs blieb, nachdem ich ihnen, nach den Regeln ihres unversöhnlichen Despotismus, durch einen rechtmäßigen und notwendigen, aber ihrem Willen widersprechenden Schritt einen scheinbar triftigen Vorwand für eine neue Bedrückung geliefert hatte? Ich durfte mir nicht schmeicheln, unsträflicher zu sein: durfte ich erwarten, daß sie gewissenhafter werden würden?

War nun unter den Umständen, in denen ich mich befand, die Wahl meines Zufluchtsortes eine freie? Konnte ich, durfte ich zwischen der Bastille und England im Zweifel sein? Und durfte ich nicht, nachdem ich diese großmütige Nation ohne Schande, vielleicht mit Ruhm verlassen, jetzt ohne Bedenken von neuem ihren Schutz anrufen? Um meine Rückkehr richtig zu beurteilen, muß man nach obigem die S. 521 des dritten Bandes der Anales politiques, civiles et littéraires du XVIII siècle nachlesen.
Linguet.

*


 << zurück weiter >>