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Zwanzigstes Kapitel.
Das Musterbild eines Lebens als Philosoph und Millionär

Wir sind jetzt bei dem hervorragendsten Lebensabschnitt des Herrn von Migurac angelangt. Es dauerte nur wenige Monate, bis das Gerücht seiner Umwandlung sich verbreitete und er der Mann des Tages wurde, um den man sich in der besten Gesellschaft riß und dessen unbedeutendste Worte sorgfältig gesammelt und wiederholt wurden. Seit langem ward er wegen der Originalität seines Wesens und seiner Abenteuer, wegen seiner anziehenden Manieren und der Erzeugnisse seiner Feder geschätzt; nun er mit allen diesen Vorzügen auch den des Reichtums verband, galt er für unwiderstehlich.

Man kann nicht müde werden zu bewundern, bis zu welchem Grade er sich dem plötzlich ihn umgebenden Glanze anpaßte, nachdem er von so viel widrigen Winden umhergeworfen war, und daß er ohne Anstrengung durch sein ganzes Betragen zeigte, wie sehr die Philosophie in der Tat das Werk der Natur in ihm vervollkommnet hatte.

Seine Tageseinteilung war zugleich regelmäßig und von einer Tätigkeit ohnegleichen erfüllt. Da er niemals sehr schlafbedürftig gewesen, stand er früh auf, um den Anfang seines Vormittags dem Studium zu widmen. Je nach dem Gegenstand, mit dem er sich zu beschäftigen gedachte, legte er von den Anzügen, die seine Diener ihm reichten, bald diesen, bald jenen an. Wenn er eine gewöhnliche Erzählung ersann, bekleidete er sich mit gemeinen Stoffen; wenn sein Genius ihn zu großartigen Gegenständen hinriß, zog er prächtigen Samt und glänzende Seide vor oder schwärmte für abgetönte und gedämpfte Farben, wenn es sich um philosophische Feinheiten handelte. Nachdem er auf Hände und Schnupftuch ein den Umständen angepaßtes wohlriechendes Wasser gegossen hatte, ging er in eins seiner drei Arbeitszimmer, die mit Blau, Gold oder Schwarz ausgeschlagen und entsprechend möbliert waren. Hier weilte er mehrere Stunden im Feuer der Schöpfung, und seine beiden Sekretäre hatten gehörig zu tun, um die mit seinen Hieroglyphen geschwärzten Blätter ins reine zu schreiben.

Darauf zogen ihm seine Diener andre Kleider an, und er gab der Menge der Bittsteller Gehör. Man wird kaum glauben, wie sehr der Wert seiner Werke durch seinen Wohlstand gewachsen war und wie dieser seinen Ruhm verbreitet hatte. Zwei Stunden bevor er erlaubte, daß seine Tür geöffnet würde, drängte sich ein Schwarm von Hungerleidern in seinen Vorzimmern: Bedürftige, die um Hilfe baten, Schriftsteller, die ihre Werke drucken zu lassen wünschten, Fremde, die die Neugierde herbeiführte, und Erfinder von allerlei Wunderdingen, die der Menschheit Erleichterung bringen konnten.

Herr von Migurac empfing die einen wie die andern mit der gleichen Liebenswürdigkeit. Es war öffentlich bekannt, daß kein Armer jemals von ihm ging, ohne durch Herrn Joineaus Vermittlung ein gutes Wort und ein Almosen empfangen zu haben, so daß die ganze Straße manchmal auf fünfzig Klafter und noch weiter von zerlumptem, lausigem Bettelvolk versperrt war. Die Poeten, die mit Entwürfen schwanger gingen, und die unverstandenen Prosaschriftsteller wurden mit derselben Geduld angehört; aber leider waren sie weniger leicht zu befriedigen, da sie mehr Begierde nach Ruhm als nach Geld hatten. Aber Herr von Migurac versprach, ihre Werke zu lesen und versicherte sie seiner Teilnahme. Er hatte auch für die bloß Neugierigen ein liebenswürdiges Wort, schickte sie aber rasch zum Abbé, der sie über seine Lebensgeschichte unterrichtete. Es war auch Herrn Joineaus Amt, die Freudenmädchen oder Schauspielerinnen abzukanzeln und ihnen zugleich eine Unterstützung zuzustecken. Denn wegen des Ansehens, das unser Held sich in der galanten Welt durch seine Werke verschafft hatte, kamen sie gern, um sich bei ihm über ihre schlechten Geschäfte zu beklagen.

Mit besonderer Gunst hörte Herr von Migurac die Erfinder an. Er wußte aus seinen Büchern, daß ihresgleichen oft gestorben waren, ohne daß sie ihre Entdeckungen ans Licht zu bringen vermochten. Deshalb hielt er es für eine der Hauptpflichten der Reichen, sie herauszufinden und durch Worte und Unterstützungen zu bestärken und zu ermutigen. Und so drängten sich um die korinthischen Pfeiler die Erbauer von Flug- und Schwimmaschinen, die Spiritisten und Magnetiseure, die Erfinder von Verjüngungssalben und Allheilmitteln, die Alchimisten, Astrologen, Geisterbeschwörer und sämtliche Verfertiger von Hirngespinsten. Trotz seines guten Willens mußte Herr von Migurac darauf verzichten, allen Gehör zu schenken, und sich von seinen Sekretären helfen lassen, was ihm zum Vorwurf gemacht wurde.

Herr Joineau hat die Liste der dem Marquis vorgelegten Erfindungen aufgehoben und schätzt das Geld, das er an diese Wolkenkuckucksheimer verzettelte, auf nicht weniger als zweihunderttausend Taler. Das Resultat blieb hinter seinen Erwartungen zurück. Außer einem ziemlich wirksamen, abführenden Oel, einer Maschine, die ihm ein junger Arzt, Herr Guillotin, vorlegte und mit der er im Nu und schmerzlos die Köpfe abschneiden konnte, sowie einem sehr praktischen Wahlapparat, der zur Zeit der Gütergemeinschaft und des allgemeinen Wahlrechts in Gebrauch genommen werden sollte, führte seine Freigebigkeit zu keiner bemerkenswerten Erfindung, und Herr von Migurac sah zu seinem bitteren Schmerz, daß die Hauptfrage, für deren Lösung er den hervorragendsten Geistern einen Preis ausgesetzt hatte, nämlich die über das Dasein Gottes, keine genügende Lösung fand.

Eines schönen Morgens nämlich, als Herr von Migurac unpäßlich war, wurde es ihm sehr klar, daß von allen Problemen, die an den menschlichen Geist herantreten, keines bedeutungsvoll ist. Er selbst konnte nicht leugnen, so sehr ihn auch der Glaube an das höchste Wesen erfüllte, solange seine Seele heiter war, daß er doch zu andrer Zeit, wenn der Menschheit ganzer Jammer ihn erfaßte, zum Zweifel neigte. Es gab sogar Tage, wo ihn trotz seiner gewöhnlichen heiteren Seelenruhe eine Art Verzweiflung über diesen dunkeln Punkt packte und ihm den Zweifel unerträglich machte. Und darum enttäuschte es ihn auch, in den tausend Denkschriften, die in seine Hände gelangten, nur unklare Reden, Wortklaubereien und eine Reihenfolge von Trugschlüssen zu finden.

Eine anonyme Abhandlung fesselte ihn einige Zeit. Von der Wahrnehmung ausgehend, daß allein der körperliche Schmerz den Menschen der Fähigkeit, sich zu verstellen, beraubt und seinem Munde die Stimme der Natur entlockt, schlug der Verfasser vor, einen Menschen von mittlerer Begabung einer längeren Folter zu unterwerfen und die Ansicht über das Problem vom Dasein Gottes, die ihm in diesem Zustande entfahren würde, als wahr anzunehmen. Denn, führte er des näheren aus, wenn Gott ist, kann er nicht unterlassen haben, dies seinem Geschöpf kund zu tun, und dieses wird ihn von dem Tage an bekennen, wo der Schmerz die Künsteleien seines Bewußtseins zunichte macht und die Finsternis zerteilt, die seinen Blick verdunkelt. Eine so originelle Theorie interessierte Herrn von Migurac lebhaft, und obwohl seine natürliche Menschlichkeit ein wenig davor zurückschreckte, hatte er doch schon einen seiner Sekretäre für das Experiment ausgesucht, übrigens mit dem Entschluß, ihn nachher reichlich zu entschädigen. Aber Herr Joineau, dem er diesen Plan eröffnete, riet ihm mit energischer, trotz seiner persönlichen Besorgnis unverminderter Beredsamkeit davon ab. Er stellte ihm vor, daß er durch ein solches Verfahren nur die Inquisition wieder ins Leben riefe, und dies wäre ein eines Philosophen wenig würdiges Werk.

Nachdem Herr von Migurac auf diesen Kunstgriff verzichtet hatte, wurde er der Projektmacher etwas überdrüssig, und der Abbé, der voll Aerger sah, wie all diese Hohlköpfe die Parketts des Hotels verdarben, stachelte ihn nicht wenig dazu an. Er wies seinen edeln Herrn darauf hin, daß er dieser Art von übergeschnappten Leuten einen schlechten Dienst erwiese, wenn er ihren Hirngespinsten schmeichelte und sie davon abhielt, ihr ehrliches Brot zu verdienen. Namentlich hielt er ihm vor, daß vier seiner Besucher in der Irrenanstalt wären, daß drei ihrem Leben selbst ein Ende gemacht, daß fünf Erfinder von Flugmaschinen die Glieder gebrochen hätten, daß zwei Alchimisten mit ihren Retorten in die Luft geflogen wären und daß das Meer zwei andre Hohlköpfe verschlungen hätte, die behauptet hatten, auf den Wogen gehen zu können. Diese übeln Folgen mäßigten den philanthropischen Eifer des Herrn von Migurac ein wenig. Doch, wie der Abbé wehmütig bemerkt, lag es in seiner Natur, etwas zu unternehmen, und mehr als einmal fiel er in diese Art von Verirrung zurück.

Wenn Herr von Migurac sich von seinen wunderlichen Besuchern verabschiedet hatte, pflegte er sich an den Türen der Häuser, wo er verkehrte, einzuschreiben und widmete der Toilette einer Modedame ein paar Minuten, zum Beispiel bei der Gräfin von Pontruan, der Präsidentin von Vergnes oder Mademoiselle Lorigny, einer Tänzerin von der Oper. Diese drei Damen und noch viele andre pflegten bei ihren Frisuren und Schüsseln mit Olla Podrida die Sterne der Gesellschaft und der literarischen Welt zu empfangen. Herr von Migurac versäumte nicht, im galantesten Morgenanzug, geputzt, gekräuselt und parfümiert wie das schmuckste Herrchen, dort zu erscheinen. Nicht, daß er Wert auf die Nichtigkeiten der Mode gelegt hätte, aber er hielt es für schändlich, die Tugend durch ein unangenehmes oder lächerliches Aeußeres zu entstellen. Und weshalb sollte die Philosophie die Nachhilfe der Eleganz und des guten Geschmacks zurückweisen? Nichts war erbaulicher als seine Vorträge über die gesellschaftliche Gleichheit, während er den Mops einer Vestalin von der Komödie auf seinen Knien streichelte, oder wie er die Laster der modernen Staaten brandmarkte, umgeben von einem Kreise von Modeherren, die ihn nicht zu unterbrechen wagten.

Wenn Herr von Migurac nicht in die Stadt ging, speiste er um zwei Uhr in Gesellschaft des Herrn Joineau und seiner Sekretäre zu Mittag. Die Mahlzeit war gewöhnlich sehr einfach; so sehr, daß Herr Joineau sich manchmal, wenn er wieder in sein Zimmer kam, sich einige Reste vom Abendessen des vorigen Tages bringen ließ, denn es war eine beliebte Lebensregel des Herrn von Migurac, daß zu viel essen den Verstand schwerfällig macht, und daß eine einzige gut zubereitete Mahlzeit am Tage für den Menschen ausreicht. Deshalb enthielten die goldenen und silbernen Geschirre des öfteren nur ein wenig gekochte weiße Bohnen oder andre derartige Leckerbissen. Herr von Migurac hielt es für notwendig, daß der Philosoph von seinen körperlichen Bedürfnissen unabhängig wäre. Nicht nur, daß er selbst diesen einzigen Gang kaum anrührte und von seinen Gästen die gleiche Enthaltsamkeit verlangte, sondern er ließ, um sie abzuhärten, zu andern Zeiten den Tisch mit Vorspeisen jeder Art und mit einer Fülle von Braten, Fasanen in Salmi, getrüffelten Poularden oder Rheinkarpfen besetzen. Und während ihnen das Wasser im Munde krampfhaft zusammenlief und der Magen sich ihnen umdrehte, ermahnte er sie in höchst edeln Ausdrücken, die Köstlichkeit dieser Gerichte nur mit Augen und Nase zu genießen und nicht anders.

»Auf diese Weise,« sagte er, »könnt ihr die Kunst, die Leidenschaften zu bezwingen, am besten an euch selbst üben. Wie Herr von Mably geschrieben hat, ist sie recht eigentlich die Kunst der Erziehung und der Regierung. An den Qualen eurer betrogenen Begierde werdet ihr das Elend derer, die Hungers sterben, ermessen und Mitleid mit ihnen lernen.«

Eines Tages benutzte einer der Sekretäre, der vor Heißhunger umkam und fühlte, wie ihm vor Kummer das Wasser aus den Augen quoll, die Unaufmerksamkeit des Herrn von Migurac, der sich mit dem Abbé unterhielt, um heimlich einen Hühnerflügel zu stehlen und hinunterzuschlingen. Aber infolge seiner Hast verschluckte er sich so heftig an einem Knochen, daß er den Geist und alles andre aufzugeben fürchtete. Dies gab Herrn von Migurac Anlaß, die übermäßige Strenge der Gesetze gegen den Diebstahl zu beklagen.

»Denn,« sagte er, »wenn die Gefräßigkeit Herrn Berlurin dahin bringen konnte, die Regel des Fastens, die wir uns auferlegt hatten, zu übertreten und gegen die Höflichkeit zu sündigen, so werdet ihr begreifen, wie unwiderstehlich der Impuls ist, mit dem ein Hungriger sich auf ein Brot stürzt. Wie groß ist die Grausamkeit der Regierungen, die eine von Natur berechtigte Handlung, für die das Individuum in der Gesellschaft nicht verantwortlich gemacht werden sollte, mit dem Tode bestraft haben.«

Derart gaben die geringfügigsten Zufälle Herrn von Migurac den Anlaß, merkwürdige oder erbauliche Ansichten daraus zu entwickeln.

Nach beendeter Mahlzeit pflegte er sich in die Zeitungen zu vertiefen, um alles, was die gesamte Menschheit angeht, zu umfassen. Er schauderte beim Bericht von Kriegen, Ungerechtigkeiten und blutdürstigen Attentaten, begeisterte sich für hochherzige Selbsthilfe, nahm Kenntnis von allem, was ihm einen Fortschritt anzukünden schien, und richtete flammende Episteln an die guten Menschen aller Länder. Bis zu den beiden amerikanischen Kontinenten gab es keinen Minister, dem er nicht seine Gedanken über die Regeneration des Individuums mitgeteilt hätte. Er nahm nacheinander alle Könige Europas vor und ermahnte sie, ihren Untertanen Freiheiten zu bewilligen, die wucherischen Vermögen der Finanzleute einzuziehen und die Gütergleichheit einzuführen, um dann abzudanken und ihre Macht in die Hände des souveränen Volkes zu legen.

Um sich nach einer so aufreibenden Tätigkeit auszuspannen, bestieg er seine Kutsche und ließ sich nach den Boulevards, den Champs-Elysées, der Barrière de L'Etoile oder nach den Alleen von Longchamp fahren, und es war ihm ein Genuß, frei zu atmen und die Vorübergehenden zu betrachten. Wenn er einen Besuch machen mußte, war er reich gekleidet, da er diese Höflichkeit seinen Wirten zu schulden glaubte. Aber wenn er nur spazieren fuhr, trug er eine runde Perücke, einen Quäkerhut und einen bescheidenen schwarzen Drogettanzug ohne Degen. Er fand es nicht übel, die goldstrotzende Schar der Weltleute durch seinen Aufzug in Erstaunen zu setzen; sie sollten merken, daß die Bescheidenheit des Philosophen auch in einem Galawagen nicht am unrechten Platze sei. Er sorgte besonders dafür, daß die Gangart der Pferde nicht zu rasch war, um die Leute in den engen Straßen ohne Bürgersteig nicht zu überfahren.

Von seinen Abenden machte er verschiedenen Gebrauch. Bald setzte er seine Arbeiten fort, bald war er in irgendein befreundetes Haus geladen, oder er wohnte in einer kleinen Loge irgend einem Schauspiel bei. Aber die Unsittlichkeit, die er im Theater entdeckte, betrübte ihn, und er sah mit Bedauern, daß es auf diese Weise seinen Hauptzweck vernachlässigte: den Kultus der Tugend im Volke zu verbreiten. Deshalb ging er nur ins Theater, um seine Freunde hinzuführen, und bezeugte durch gerunzelte Brauen, durch Seufzen und Kopfschütteln, wie sehr er die pomphafte Leere der Trauerspiele und die Anstößigkeit der Lustspiele tadelte.

Aber den Abschluß der Tage bildeten gewöhnlich die Abendmahlzeiten, die er in seinem Hause gab und denen er den größten Teil seiner Berühmtheit dankte, nicht so sehr wegen ihrer Pracht, so unglaublich sie war, als durch den seltsamen Geschmack, mit dem sie veranstaltet wurden. Alle Geschichtsschreiber der Zeit haben sie um die Wette gepriesen oder verschrien, und es wird nicht unangebracht sein, ihnen ein besonderes Kapitel zu widmen.


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