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Am nächsten Morgen beim Erwachen stellte Herr von Migurac sich vor, daß er im Begriff war, von philosophischer Armut auf den Gipfel des Reichtums zu gelangen. Aber er war nicht gewohnt, sich lange zu wundern, noch sich mit Nachsinnen über das, was hinter ihm lag, aufzuhalten. Deshalb nahm er die Wirklichkeit für das, was sie war, und sah ein, daß er nur noch darüber nachzudenken brauchte, wie er Philosophie und Reichtum am besten miteinander in Einklang brächte.
Das Ergebnis seines Nachdenkens war, daß er einen ziemlich langen Brief an Herrn Joineau verfaßte, dessen Inhalt war, daß er Gilles die Verwaltung des Schlosses anvertrauen, den Bauern ihren Pachtzins für ein Jahr ganz erlassen und in Zukunft auf die Hälfte herabsetzen sollte, bis er selbst Muße fände, hinzukommen und die Gütergemeinschaft unter ihnen einzuführen. Inzwischen erwartete er den Abbé in Paris, wo er die Aufsicht über sein Hauswesen übernehmen sollte, und forderte ihn zum Schluß auf, ihm schnell einige tausend Taler zukommen zu lassen, damit er ohne Verzug auf angemessenem Fuße leben könnte.
Nachdem Herr von Migurac sein Schreiben versiegelt hatte, brachte er es selbst zur Post. Unterwegs ertappte er sich dabei, daß er die Kutschen, die Livreen, die Damenkleider und die Schaufenster der Läden mit ganz andern Augen ansah, und er wunderte sich, daß die Aussicht auf ein wenig Gold sogar bei ihm genügte, etwas von der Leichtfertigkeit der Bevorzugten wachzurufen. Dies war für ihn ein Anlaß, die Weisheit des Herrn Mottet zu bewundern und sich vorzustellen, welch erbauliches Schauspiel er tatsächlich der Welt geben würde, indem er ihr eine Tugend zeigte, der alle Eitelkeiten der Welt nichts anhaben könnten.
Durch eine natürliche Ideenverknüpfung wandte sich sein Denken dem zartfühlenden Wesen zu, dessen Freigebigkeit und Liebe ihm ein so erhabenes Verhalten ermöglichte, und er nahm sich vor, daß es seine erste Sorge sein sollte, ihr Andenken in großartiger Weise zu verherrlichen. Deshalb lenkte er seine Schritte nach dem Friedhof der Unschuldigen, anstatt, wie er beabsichtigt hatte, nach dem Faubourg Saint-Honoré zu gehen, um dort ein vornehmes Haus zu mieten, das würdig wäre, einen Millionär und Philosophen zu beherbergen.
Der Abbé Joineau hatte ihm den Wunsch der Marquise mitgeteilt, in der Gruft der Miguracs bestattet zu werden; die sterblichen Ueberreste Isabellas konnten somit nicht in dem von ihm geplanten Grabmal ruhen. Aber an dieser Stätte, wo sich unter der Erde das Volk der Toten drängt und unzählige Füße leidtragender Lebender darüber hinschreiten, sollte wenigstens eine Grabschrift den trauernden Besuchern den Namen der Madame von Migurac nennen und die Erinnerung an ihre Vorzüge verewigen.
Er suchte also einen geräumigen Platz aus, zum Erstaunen des Küsters, der nicht fand, daß er wie ein Kapitalist aussähe. Nach Hause zurückgekehrt, schrieb er mehrere Briefe an die Leute, die er als Mitarbeiter zu seinem Vorhaben zu wählen gedachte: nämlich an den Architekten Maître Ballerie, den er vom »Grauen Kakadu« her kannte, den Goldschmied Herrn Germain Pilon und zwei oder drei andre, Marmorhändler oder Bildhauer von Ruf.
Nachdem er sie zusammenberufen hatte, teilte er ihnen seinen Plan mit, der an Erhabenheit den gewöhnlichen Geschmack unendlich übertraf. Auf einem Sockel von karrarischem Marmor sollte sich in riesigen Verhältnissen die Alabasterbüste von Frau von Migurac erheben, das Haar in griechischer Tracht, der Busen leicht entblößt, in antiker Gewandung. Auf jeder Seite des Sockels sollten in künstlerischer Weise die rührendsten Schmuckembleme, als Rosenkränze, pfeildurchbohrte Herzen, brennende Fackeln und so weiter ein Medaillon umrahmen, auf dem in goldenen Buchstaben elegische, von Herrn von Migurac selbst verfaßte Inschriften prangen sollten, die die Verdienste der Verstorbenen feierten. Ein silbernes Gitter, auf dem Liebesgötter und Genien unter Palmbäumen spielten, die von Blumengewinden umrankt waren, sollte das Denkmal umschließen; vier allegorische Statuen, die die Liebe, die Philosophie, die Tugend und die Natur darstellten, sollten es an den vier Ecken vervollständigen. Jede sollte aus anderm Marmor bestehen, und an ihrem Sockel sollten gleichfalls goldene Inschriften besagen, welche Beziehung jede dieser Figuren zu der Marquise hätte. Endlich sollte noch ein zweites Gitter aus Schmiedeeisen, dessen Ecken durch Sphinxe gebildet würden, die sich an rauchende Dreifüße anlehnten, die Menge der Neugierigen in der Entfernung halten.
Die Kosten eines solchen Bauwerks wurden auf nicht weniger als hunderttausend Livres veranschlagt. Aber Herr von Migurac erklärte das für wenig, vorausgesetzt, daß die Ausführung rasch vor sich ginge, und die Herren Germain Pilon, Ballerie und ihre Berufsgenossen wurden angewiesen, sich ohne Verzug ans Werk zu begeben, während Herr von Migurac die Verfassung der Inschriften übernahm. Sie waren scheinbar sehr schön, aber das Publikum hatte nicht das Glück, darüber zu urteilen, da sie nie eingemeißelt wurden. Auf die Gefahr hin, dem Lauf dieser Erzählung vorzugreifen, gebe ich hier das tatsächliche Ende dieses Planes, der der hochherzigen Seele, die ihn entwarf, so würdig war.
Die italienischen Marmorblöcke kamen rasch an, und der Sockel der Büste, ebenso wie derjenige der vier Statuen wurden bald aufgestellt. Auch dauerte es nicht lange, bis das geschmiedete Gitter, das wunderbar ausgeführt war, sie einschloß. Aber infolge eines unglücklichen Zufalls wurden die Arbeiten nicht weiter gefördert. Die Aufmerksamkeit des Herrn von Migurac, die durch tausend verschiedene Sorgen in Anspruch genommen war, konnte sich nicht dauernd auf diesen einzigen Gegenstand richten, den er in der ersten Aufwallung des Herzens ergriffen hatte. Der Marmorhändler, der keine andre Vergütung als eine Anzahlung von zweitausend Lire für die gemachten Lieferungen erhalten hatte, weigerte sich, die allegorischen Figuren herzugeben und überließ sie einem Finanzpächter. Durch einiges neue Beiwerk bereichert, wurden sie in den vier Ecken eines Speisesaals als »das Vergnügen«, »die Wollust«, »die Anmut« und »das Verlangen« aufgestellt. Was die Büste anbelangt, so wurde sie niemals entworfen. Das silberne Gitter war von Herrn Germain Pilon zur festgesetzten Zeit geliefert und bar bezahlt worden. Aber da es unnütz gewesen wäre, es anzubringen, solange der Sockel leer stand, so wurde es auf einem Boden des Hauses beiseite gestellt. Dort blieb es bis zu dem Tage, an dem Herr von Migurac befahl, daß es bei irgend einem Aufkäufer zu Gelde gemacht würde, da er die dreitausend Taler nicht bei der Hand hatte, um Mademoiselle Fanchon vom Italienischen Theater den schwarzen Geier zu schenken, den sie sich von ihm wünschte. Seine Absicht war übrigens, ein andres von noch reicherer Ausführung dafür zu bestellen, aber er vergaß es in der Folge. So kam es, daß das Grabmal der Marquise Isabella nur aus einer tadellosen Marmorterrasse bestand, auf der sich ein Piedestal und vier leere Sockel erhoben; und ihr Name wurde nicht darin eingemeißelt. Aber so wie es war, erregte es die Neugierde und war lange Jahre ein Gegenstand des Erstaunens für die Besucher der Toten.
Indessen hatte Herr von Migurac mit der ihm eignen Leichtigkeit den Uebergang vom Stande der Armut zu dem des fast wunderbaren Reichtums, der ihm zugefallen war, in wenigen Wochen bewerkstelligt. Als der Abbé Joineau, den Befehlen seines ehemaligen Schülers gemäß, zwei Monate später mit der Landkutsche in Paris landete, fand er ihn prächtig eingerichtet in einem Hotel, das an der Ecke der Rue Saint-Honoré und der Rue de l'Arbre-Sec lag und das er von einem Generalpächter gemietet hatte. Der Luxus und der Geschmack der Einrichtung gingen weit über alles hinaus, was der Abbé jemals im Schlosse von Migurac bewundert hatte.
Aus einem mit Mosaiken, korinthischen Pilastern und alten Rüstungen geschmückten Vestibül wurde der Abbé in eine Reihe weißschimmernder Säle geführt. Der größte davon, meergrün gemalt, hatte an der Decke Grisaillen von Boucher, von vergoldeten Stukkaturen mit dem Miguracschen Wappen umrahmt. An den beiden Türseiten befanden sich Sopraporten, mit dem Namen Watteau gezeichnet, einander gegenüber, während die Wände mit Meisterwerken von Greuze, Fragonard und Largillière bedeckt waren und auf dem Marmorkamin, den Konsolen und Lackmöbeln die schönsten Sèvresporzellane und venezianischen Glassachen standen. Herr von Migurac kam ihm in Seide und Silberbrokat gekleidet entgegen, umarmte ihn sehr zärtlich, als ob er ihn erst gestern verlassen hätte, und zeigte ihm sogleich den Palast, dessen Oberaufsicht er ihm anvertraute. Die Ueberfülle von Kupfer- und Goldsachen, von Wandteppichen aus Aubusson und aus der Gobelinweberei, von geschweiften, vergoldeten, lackierten oder eingelegten Möbeln, von Porzellan, deutschen und chinesischen Sammlungen, böhmischen Kristallkronleuchtern, Stutzuhren mit Säulen, Stücken der Goldschmiedekunst, hohen Armleuchtern, Tafelaufsätzen, Vasen, Blumen- und Fruchtkörben sowie Gedecken aller Art versetzte ihn in eine Art von Schwindel. Zwölf Pferde stampften im Stall. In der Remise standen vier Wagen, darunter eine Karosse mit sieben Spiegelscheiben und ein Wiski im englischen Geschmack. Eine zahllose Dienerschaft in karmoisinroter Samtlivree trieb sich in den Vorzimmern herum. Der Leser wird sich einen Begriff davon machen können, wenn er erfährt, daß Herr von Migurac nicht weniger als vier Diener hatte, die ihm morgens sein Frühstück auftrugen. Der eine hielt die Schokoladekanne, der zweite rührte das Getränk mit dem Schaumlöffel, die Hände eines dritten breiteten die Serviette auseinander, und der Haushofmeister hatte die Aufgabe, einzuschenken. Herr Joineau, dessen Zimmer in Creme und Gold gehalten war, empfing von seinem Herrn als Geschenk zu seinem persönlichen Dienst einen jungen Neger namens Zamora, der mit einem federgeschmückten Turban und einer Jacke und Hosen von rosa Atlas bekleidet war. Er konnte ihn nicht anders loswerden, als indem er sein Entsetzen über die schwarze Teufelsfratze vorschützte.
Von so viel Pracht geblendet, konnte der Abbé sich nicht enthalten, seinem Herrn seine Verwunderung darüber zu bezeugen, daß ein Philosoph sich ebensogut auf das Wohlleben und den Luxus des Daseins verstände wie ein Finanzmann. Es lag nicht im Charakter des Herrn von Migurac, den Spott zu merken. In aller Harmlosigkeit setzte er seinem ehemaligen Hofmeister auseinander, auf welche Weise er seine Grundsätze in seiner veränderten Lage zur Anwendung zu bringen gedächte.
»Von dem Augenblick an,« sagte er, »wo das Privatvermögen, der Ursprung aller Laster, eine feststehende Tatsache geworden ist, hat der Philosoph die Pflicht, es anzunehmen. Denn aus der Teilung seines Vermögens unter alle Elenden würde sich kein Vorteil für diese ergeben, da der Anteil eines jeden lächerlich gering wäre. Die Teilung unter wenige würde nur die Anzahl der Bevorzugten ungerechterweise vermehren.« Die Rolle des Philosophen müßte also nicht darin bestehen, den Reichtum zu verwerfen, sondern den edelsten Gebrauch davon zu machen. Weit davon entfernt, Schätze zu sammeln, wird er sie großmütig ausgeben. Um zu beweisen, daß seine Tugend über alle Verführungen erhaben ist, wird er mit der äußerlichen Pracht eines Generalpächters auftreten und in der großen Welt verkehren. Er wird die Künstler anspornen und den Arbeitern zu verdienen geben, indem er die Wertgegenstände um sich her vermehrt. Denn die Genüsse des Luxus, die nach der ursprünglichen Ordnung der Dinge verwerflich sind, bilden heutzutage das einzige Mittel, durch das der Reiche den Armen an seinen Schätzen teilnehmen lassen kann. Er wird seinen Mitteln entsprechend die Herrschaft der Tugend und der Philosophie begünstigen und nichts sparen, um die Menschheit zum Fortschritt zu führen. Auf das verkannte Genie wird er ein achtsames Auge haben, die Launen des Schicksals wird er verbessern und so zum Mitarbeiter der Vorsehung werden.
Der Plan, den Herr von Migurac fortfuhr, mit überströmender Beredsamkeit zu entwickeln, erschien dem Abbé zugleich erhaben und bequem, und er nahm ohne Mißvergnügen die neuen Pflichten auf sich, die zwar keineswegs einen besonders geistlichen Charakter trugen, jedoch seiner behaglichen und vorsorglichen Statur zusagten.