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Dreizehntes Kapitel.
Herrn von Miguracs Abenteuer in fremden Ländern

Wir kommen jetzt zu einem Abschnitt seines Lebens, der besonders stürmisch gewesen zu sein scheint, dessen Einzelheiten seinen Biographen jedoch oft dunkel bleiben. Wenn er selbst später aufgefordert wurde, seine Erinnerungen aus jener Zeit zu erzählen, so förderte er so viele zutage, daß sich mehrere Bände damit füllen ließen. Häufig aber, wenn man noch mehr in ihn drang, verschleierte Melancholie seine Züge, und mit bewunderungswürdiger Demut erklärte er, daß jene Jahre ihn zwar zur Philosophie erzogen hätten, indem sie seinen Geist und seine Menschenkenntnis erweiterten, daß sie aber auch seinen Charakter auf eine harte Probe gestellt hätten. Ein Mensch, der zum Guten geboren und mit tugendhaften Neigungen begabt war wie er, hatte sich, um den Schwierigkeiten des Daseins zu trotzen, zu Mitteln gezwungen gesehen, die die Notwendigkeit entschuldigte, die aber eine anspruchsvolle Moral gebrandmarkt hätte. Diese Tatsache benutzte er gern als Beweis, um die Laster der sogenannten zivilisierten Staaten ins rechte Licht zu setzen.

Bei mehreren Gelegenheiten warf man ihm seinen Uebertritt zum Mohammedanismus vor, und man muß zugeben, daß er wahrscheinlich ist, wenn auch kein schriftlicher Beweis darüber vorliegt. Denn da der Großtürke die Christen von der Würde eines Palastoffiziers ausschloß, so mußte Herr von Migurac, der nach dem Oberbefehl über die Serailwache strebte, seine Religion wohl oder übel abschwören. Denen, die ihn wegen dieses Ehrgeizes zu tadeln vorgaben, antworten seine Freunde mit Ueberlegenheit, daß man hierin wie in seinem geheuchelten Uebertritt nur eine Kriegslist sehen darf, die durch die Schleichwege der Liebe und durch die Pflicht des Christen, sein eignes Dasein zu erhalten, gerechtfertigt ist. Bei einem Unfall nämlich, der der Sänfte einer reizenden Sultanin zustieß, hatte er diese zufällig mit unverschleiertem Gesicht erblickt und sich rasend in sie verliebt; er hätte sich wahrlich seine Tage verkürzt, wenn er sich gegen die einzige List gesträubt hätte, die ihm Zutritt zu ihr verschaffen konnte. Herr von Migurac wollte dadurch keineswegs gegen den katholischen Glauben sündigen; es waren ebensosehr die religiösen Bedenken wie die Liebe, die ihn zum Muselman machten. Uebrigens blieb er es nur so kurze Zeit, daß wir dieses Umstandes gar nicht Erwähnung getan hätten, wenn seine Verleumder ihn nicht benutzt hätten, um seine Ehre anzutasten.

Kaum hatte er sich im Palast des Sultans mit prächtigem Hausgerät und einem seinem Rang entsprechenden Harem eingerichtet, als er nicht ruhte, bis er mit der Sultanin Madjura, die seine Leidenschaft lebhaft erwiderte, ein Liebesverhältnis angeknüpft hatte. Aber durch die Unvorsichtigkeit oder den Verrat eines äthiopischen Eunuchen wurde dieses sogleich entdeckt. Außer sich vor Eifersucht, ließ der Sultan die Frau durch seine Häscher ergreifen, in einen Sack nähen und in den Bosporus versenken. Herr von Migurac dagegen wurde in ein unterirdisches Verlies geworfen, und das ihm zugedachte Los war, vierundzwanzig Stunden hindurch langsam gepfählt und gleichzeitig durch andre, höchst sinnreiche Martern ergötzt zu werden. Glücklicherweise gelang es ihm, dank der Beihilfe der Frau des Gefangenenaufsehers, deren Herz er gewonnen hatte, am Abend vor der Hinrichtung zu entkommen. Er verließ Konstantinopel und erreichte nach mehrtägiger Flucht die Grenze des Zarenreichs.

Sobald er in einem christlichen Lande war, atmete er freier auf und dankte Gott. Aber sein Unstern führte ihm eine Abteilung Donkosaken in den Weg. Kaum hatten sie seinen geschorenen Kopf und seinen mohammedanischen Anzug entdeckt, als sie sich mit vorgestreckter Lanze auf ihn stürzten, um ihn niederzumachen. Da er ihre Sprache nicht verstand und folglich unfähig war, sie aufzuklären, bereitete er sich auf den Tod vor. Gegen alles Erwarten wurde er jedoch verschont; denn als die Kosaken sahen, daß er ohne Waffen und zudem jung und stark war, zogen sie vor, ihn zum Gefangenen zu machen und in die Sklaverei zu führen. Auf diese Weise war es einige Monate lang seine Aufgabe, die Kamelstuten zu melken und den Dünger zu sammeln, um Feuer damit anzumachen. Nach Ablauf dieser Zeit hatte er einige Worte der Kosakensprache gelernt und ergriff eine Gelegenheit, sich dem Priester oder Popen dieser Nomaden zu Füßen zu werfen. Er erklärte ihm, daß er nicht Muselman, sondern Christ wie er wäre. Dies gab den Anlaß zu einem ernsten Streit zwischen diesem würdigen Manne und dem Kosaken, dessen Gefangener Herr von Migurac war. Der eine wollte seinen Gefangenen in Ketten lassen und der andre behauptete, daß eine solche Härte gegen einen Glaubensgenossen unbillig wäre. Aber sofort trat Eintracht unter ihnen ein, als Herr von Migurac sie durch das Zeichen des Kreuzes und ein paar Bruchstücke eines lateinischen Gebetes, das er aus seinem Gedächtnis hervorkramte, zu rühren suchte; denn sobald sie entdeckten, daß er Katholik war, fielen sie alle beide mit Stockschlägen über ihn her und ließen ihn für tot auf dem Platze liegen. Nach mehreren Stunden fand er das Bewußtsein wieder und gewann das Weite, indem er sich wohl oder übel von dannen schleppte. Unaufhörlich grübelte er mit Bitterkeit über den traurigen Umstand nach, daß sein Herr ihn ohne Grausamkeit behandelt hatte, solange er ihn für einen Muselman gehalten, und daß er ihn hätte totschlagen wollen, sobald er merkte, daß sie nicht auf die gleiche Manier Christen wären.

Indessen erreichte er die Stadt Saratow, die am nächsten lag und wo er sich für einen von Räubern geplünderten Reisenden ausgab. Ein Fischhändler von der Wolga nahm ihn menschenfreundlich auf; um ihn für seine Nahrung schadlos zu halten, brachte Herr von Migurac mehrere Wochen damit zu, getrocknete Fische in Fässer zu packen. Seine einzige Zerstreuung dabei war die, daß er die Frau und die beiden Töchter seines Wirtes verführte. Da sie aber alle drei durchdringend nach Salzpökel rochen, so hatte er Anlaß, mit dem bedeutenden Umschwung, den sein Schicksal erfuhr, zufrieden zu sein.

Die Kaiserin Katharina, die gerade den Thron bestiegen hatte, wollte die südlichen Provinzen ihres Reiches besuchen und hielt einen feierlichen Einzug in Saratow. Wie jeder weiß, war sie eine Frau von hohem Geist, aber von unglaublicher Sittenlosigkeit. Obwohl sie einen erklärten Günstling besaß, kam es doch häufig vor, daß sie sich anderswo Unterhaltung suchte, und ihre Wahl fiel sogar auf irgendeinen beliebigen hübsch aussehenden Vorübergehenden, mochte er auch von niedrigster Herkunft sein. Mit Kenneraugen fand sie Herrn von Migurac aus der Menge heraus, trotzdem er den Anzug eines Ladendieners und eine große Lammfellmütze trug; noch denselben Abend ließ sie ihn in ihren Palast kommen. Sie fand ihn so sehr nach ihrem Geschmack, daß sie, anstatt ihn am nächsten Morgen zurückzuschicken, ihn ausfragte und zu ihrem Erstaunen entdeckte, wer er war, worauf sie beschloß, ihm den ihm gebührenden Rang wiederzugeben. Zu diesem Zwecke verabschiedete sie ihren Günstling Orloff, setzte Herrn von Migurac an seine Stelle, überhäufte ihn mit Seide, Spitzen und Diamanten und ließ ihn in ihrer eignen Karosse reisen. Dabei wurde sie nicht müde, ihn mit den Augen zu verschlingen, und von seiner Unterhaltung bezaubert, flüsterte sie ihm zwischen zwei Küssen zu, daß alle Würden des Hofes noch nicht Ehre genug für ihn wären, und sprach von nichts Geringerem, als ihn zum Gefährten auf den Thron zu erheben.

Aber die Kaiserin Katharina war ebenso eifersüchtig wie ausschweifend. Als die erste Glut ihrer beiderseitigen Liebe abgekühlt war, bemerkte Herr von Migurac, daß ihre Zähne zweifelhaft waren und daß sie gelbe Haut und ein plattes, deutsches Gesicht hatte. Er machte sich um so weniger ein Gewissen daraus, sich wieder auf die Zärtlichkeit zu besinnen, die er für das ganze schöne Geschlecht empfand, als er wohl unterrichtet war, welchen Vergnügungen sich seine kaiserliche Geliebte hingab, obwohl sie sehr in ihn verliebt zu sein erklärte. So tat er sich keinen Zwang an, das offenkundige Liebäugeln von Fräulein Anna Dimitriewna Karkow, dem Ehrenfräulein der Kaiserin, recht aufmunternd zu erwidern. Aber Katharina ließ alle seine Schritte ausspionieren und ward unverzüglich von seiner Untreue unterrichtet. Sogleich befahl sie vier Lakaien, ihn herbeizuschleppen, und ließ ihn vor ihren Augen durchprügeln, indes Fräulein Anna auf ihren Befehl noch denselben Tag mit dem häßlichsten Kalmücken ihrer Garde verheiratet ward. Ueber diesen letzten Punkt hätte Herr von Migurac sich getröstet, denn seine Neigung für das junge Mädchen ging nicht über ein vorübergehendes Verhältnis hinaus. Doch es schien ihm unerträglich, auf Befehl und in Gegenwart einer Frau, wenn sie auch Kaiserin war, geprügelt worden zu sein. Als daher Katharina ihn am nächsten Tage kommen ließ und ihn empfing, als wenn nichts vorgefallen wäre, und die Behandlung, die sie ihm hatte angedeihen lassen, als verliebte Tändelei auffaßte, packte er sie zu ihrer höchsten Verblüffung, ergriff eine auf dem Tisch liegende Peitsche, hob ihr die Röcke auf und verabreichte ihr eine Tracht Prügel, wie sie nach aller Wahrscheinlichkeit kein kaiserlicher Hinterer je bekam. Dann ließ er sie schluchzend, heulend und halb ohnmächtig zurück, ging hinaus und riegelte die Tür hinter sich ab.

Aber da er nicht bezweifelte, daß der beleidigte Stolz der Zarin ihn nicht verschonen würde, hielt er keine Maulaffen feil, sondern eilte nach den Ställen, bestieg einen prächtigen tatarischen Renner, der immer gesattelt zu seiner Verfügung stand, und entfloh, so schnell das Pferd laufen wollte, nach der polnischen Grenze, die die nächste war. Es gelang ihm auch, sie zu erreichen, ohne eingeholt zu werden, indem er täglich einen doppelten Tagemarsch ritt, was ihm nicht schwer fiel, solange das Geld reichte.

Unsre Gewissenhaftigkeit als Historiker verpflichtet uns nämlich, zu erwähnen, daß er, als er sein Amt bei Katharina aufgab, versäumte, ihr die Schmucksachen und Edelsteine zurückzustellen, die sie ihm zum Geschenk gemacht hatte, und die er ohne Zweifel als wohlverdientes Gehalt ansah: ein sehr unbedeutender Umstand, den seine Verleumder haben vergrößern wollen, indem sie in diesen Dingen eine Zimperlichkeit hervorkehren, die den Sitten der Zeit sehr fremd ist und die man nur dem Neid zuschreiben kann.

Diese Juwelen erlaubten ihm, in Warschau mit Anstand aufzutreten. Der Ruf seiner Abenteuer verbreitete sich dort schnell und verschaffte ihm ein Ansehen, das durch die Feinheit seiner Manieren und seine Freigebigkeit als französischer Edelmann noch vermehrt wurde. Unglücklicherweise war er von Natur wenig haushälterisch mit seinen Mitteln. Zwar hatten ihm die Geldverleiher auf ein unbestimmtes Gerücht hin, nach dem er in Frankreich eine Art Marquis von Carabas sein sollte – ein Gerücht, dem zu widersprechen er sich nicht herabließ – ihre Börse weit geöffnet. Aber ihre Langmut erlahmte bald; sie bekamen Furcht, erwirkten ein Urteil gegen ihn, und sein Ruin schien nahe bevorzustehen.

Da verschaffte ihm einer der Wucherer die Möglichkeit, seinem Vermögen mit einem Schlage aufzuhelfen. Eine polnische Dame von fürstlicher Abstammung hatte sich heftig in ihn verliebt und erbot sich, alle seine Schulden zu bezahlen, vorausgesetzt, daß er sie heiratete. Von der äußersten Not bedrängt, hielt Herr von Migurac diesen Juden, obwohl er recht schäbig aussah, für einen Abgesandten des Himmels. Nachdem er seinen schönsten Rock und alles, was er noch an falschem und echtem Schmuck besaß, angelegt hatte, eilte er zu dem Stelldichein, das ihm seine Schöne bestimmt hatte. Sie bewohnte tatsächlich einen der schönsten Paläste in Warschau. Lakaien, nach französischer Mode gepudert, führten ihn in ein Prunkzimmer, das eine genaue Nachahmung des neuesten Boudoirs der Pompadour war. Doch bei dem Lächeln seiner Zukünftigen fiel er beinahe um. Sie war ein unheimliches, sechzigjähriges Gerippe, dessen Verfall durch Schminke, falsche Haare und ein Gebiß von Nilpferdknochen noch erschreckender erschien. Ein einziger Blick genügte, um Herrn von Migurac ins Gedächtnis zu rufen, daß er verheiratet war, was er seit einer Reihe von Jahren ein wenig aus den Augen verloren hatte. Er segnete die Häßlichkeit dieser Frau, die ihm das Verbrechen der Bigamie ersparte, zu dem ihn seine Gedächtnisschwäche möglicherweise hätte verleiten können. Der Lohn für dies Zartgefühl war, daß sein ganzes Mobiliar mit Beschlag belegt wurde, und klüglich legte er die Grenze zwischen sich und seine Gläubiger, um die Schuldhaft zu vermeiden.

Die zwei oder drei folgenden Jahre, die Herr von Migurac in Deutschland verlebte, können, soweit man es beurteilen kann, nicht zu den erbaulichsten seiner Laufbahn gezählt werden. Der Friede hatte ihn der Möglichkeit beraubt, das Waffenhandwerk auszuüben, und da er übrigens zu sehr von den Pflichten seines Standes erfüllt war, um sich zu irgendeinem Gewerbe des Handels oder der Industrie herabzuwürdigen, so mußte er sich auf die Vorsehung und seine eigne Geschicklichkeit verlassen, um für seine Lebensbedürfnisse zu sorgen. Karten und Würfel scheinen das einzige Kapital gewesen zu sein, das ihm ein Einkommen abwarf.

Der Abbé Joineau würde sicherlich mit schmerzlicher Verwunderung bemerkt haben, daß sein Schüler völlig aufgehört hatte, diese Art von Zeitvertreib zu verachten. Keine Nacht, die er nicht am grünen Tisch verbrachte. L'Hombre, Landsknecht, Biribi, Pharao und Cavagnole besaßen für ihn keinerlei Geheimnisse mehr.

Wie Herr von Migurac selbst in einer seiner Schriften sehr richtig betont, ist es nicht angebracht, die Gewohnheitsspieler so mit Tadel zu überhäufen, wie man zu tun pflegt. Wenn auch die Spielwut zu mißbilligen ist, so muß der gute Spieler doch mehrere Eigenschaften besitzen, die keineswegs alltäglich sind: nämlich Klugheit und zugleich Kühnheit, Kaltblütigkeit, ein unfehlbares Gedächtnis, die ausgeprägte Fähigkeit, die Hilfsmittel des Gegners zu erraten, und unerschöpfliche Quellen der Einbildungskraft – kurzum, ungefähr die gleichen Tugenden, die den Feldherrn und den Staatsmann machen. Ein armer Spieler, wie Herr von Migurac, gleicht dem erfinderischen Führer von Freibeutern, für die eine einzige Niederlage den Ruin bedeutet und deren Siege selbst nur Fristen sind, die sie dem unerbittlichen Schicksal abringen.

So schlug Herr von Migurac die Hilfsmittel, die eine kunstvolle Taktik und eine beispiellose Ausdauer boten, auf vielen Schlachtfeldern in die Schanze. Kraft seiner Beharrlichkeit, Geschicklichkeit und – um den einzig richtigen Ausdruck zu gebrauchen – seines Genies triumphierte er zehnmal über das feindliche Schicksal, sprang hoch, wenn er zu Boden geschmettert schien, und schöpfte aus einer plötzlichen Eingebung unerwartete Kräfte, als wenn sein Mut das Unglück selbst aus dem Felde schlüge. Sobald er sich jedoch aus der Schlinge gezogen hatte, fiel er trotz seiner Anstrengungen noch tiefer und streifte von neuem den Abgrund, bis ein plötzlicher Aufschwung ihn wieder ins Gleichgewicht brachte. An dieser Stelle darf ich die Gerüchte nicht unterdrücken, die man über ihn in Umlauf setzte und nach denen es vorgekommen sein sollte, daß er dem Glück durch Kunstgriffe nachgeholfen hatte, die der Ehrenkodex der Spieler verwirft, als da sind falsche Würfel, Würfelbecher mit doppeltem Boden und schräg beschnittene Karten. Kein Zweifel, der Mensch ist schwach, und es wäre vielleicht kühn, zu behaupten, daß Herr von Migurac niemals in einer Stunde der äußersten Not von diesen Mitteln Gebrauch gemacht hätte; denn sie bannen das Glück, das als ein Weib bezwungen zu werden liebt, und es ist tunlich, hier nochmals an die großen Eroberer zu erinnern, die auch keine zarten Bedenken hatten. Anderseits ist es offenbar, daß sein Zartgefühl nur durch einen jener mächtigen und unbezwinglichen Antriebe unterliegen konnte, denen zu widerstehen dem Menschen nicht gegeben ist. Und man kann ebenfalls beobachten, daß er sein Unrecht so viel wie möglich gutzumachen suchte, wenn er seinen Nächsten geschädigt zu haben glaubte. Nachdem er dem Ritter von Hanckenstein in einem ziemlich zweifelhaften Spiele zweihundert Pistolen abgenommen hatte, suchte er ihn am nächsten Morgen in aller Frühe auf, um ihm seine Börse anzubieten. Nachdem er vergebens an die Tür geklopft hatte, brach er sie auf und sah den Unglücklichen tot auf seinem Bett liegen, eine Pistolenkugel durch den Kopf geschossen. Nicht nur, daß die Verzweiflung des Marquis darüber sehr groß war, gab er auch das Doppelte dessen, was er ihm abgenommen hatte, an Geschenken für die Maitressen aus, die sein Opfer hinterlassen hatte.

Ebenso hat man ihm, nach unsrer Ansicht sehr zu Unrecht, eine unredliche Absicht zugeschrieben, weil er sich zwei- oder dreimal nächtlicherweile aus dem Staube machte, wenn er in einer Stadt auf Borg gelebt hatte und dort eine Anzahl Gläubiger zählte. Ganz sicher gehorchte er darin nur einem gebieterischen Instinkt seiner Natur, die ihn zwang, auf der Stelle die Orte zu verlassen, wo er Unglück gehabt hatte und gewärtigen mußte, Böswilligen zum Opfer zu fallen. Sobald das Glück ihm wieder zu lächeln begann, spendete er mit vollen Händen zweimal so viel Geld, als andre durch ihn verloren hatten, und knauserte nicht, wenn auch die Wucherzinsen noch so hoch waren, um dadurch, daß er den einen zu viel gab, wieder gutzumachen, was er vergessen hatte, den andern zu bezahlen. Besonders will ich noch den einen Punkt hervorheben, daß er niemals den Einflüsterungen seiner Selbstsucht Gehör lieh, sobald es sich um das schöne Geschlecht und um die Pflichten handelte, die seine Ehre ihm gegen sich selbst auferlegte. Zwei Anekdoten, die seinen Ruhm auf den Gipfel erhoben, werden, um hier vorzugreifen, genügenden Beweis dafür liefern.

Der Schauplatz der ersten war die Stadt Galgenstadt, wo Herr von Migurac mit strotzend vollen Taschen erschien und wohin ihm sein weltbekannter Ruf vorausging. Bei der Herzogin von Hetzendorf, wo die größten Gesellschaften gegeben wurden, bildeten die Damen und jungen Herren einen Kreis, um zu sehen, wie er spielte, ohne eine Miene zu verziehen, gleichviel, ob er tausend Pistolen verlor oder das Doppelte gewann. Nun geschah es, daß das Unglück sich mit solcher Beharrlichkeit an seine Person heftete, daß er vier Tage nach seiner Ankunft keinen Taler mehr in der Tasche hatte. Doch ließ er nicht nach, verpfändete seine Kostbarkeiten, seine Pferde, seine Kleider, sogar seine Wäsche; das Resultat war, daß er am achten Tage, als er den Salon verließ, nichts sein eigen nannte als den Anzug, den er auf dem Leibe trug. Bei solchem Mißgeschick blieb ihm nur noch eins übrig: ihn einem Trödler zu verkaufen, um sein Glück mit dem Erlös für die Goldtressen zu versuchen. Aber sein Unglück wollte, daß er beim Fortgehen durch ein Boudoir kam, wo Fräulein von Hetzendorf, von einem Schwarm hübscher, junger Sächsinnen umgeben, nach der Modeliebhaberei gerade damit beschäftigt war, alte Stücke von Stickereien auszuzupfen, das heißt, die darin enthaltenen Goldfäden auszuziehen. Als er eintrat, lachten die jungen Mädchen bis zu Tränen über die fassungslose Miene des Barons von Lenarbrück. Sein Aermel war an der Türklinke zerrissen, und Fräulein von Meiligen hatte sich ihm verstohlen genähert, mit einem Schnitt ihrer Schere das herabhängende Stück Tresse abgeschnitten und schwenkte es triumphierend. Als er Herrn von Migurac heiter und goldstrotzend auftauchen sah, rief er mit verdrießlichem Tone:

»Meine Damen, anstatt einen alten deutschen Hahn wie mich zu zerpflücken, rupfen Sie lieber diesen herrlichen Vogel aus Frankreich, der sich den Kropf mit unserm Gelde angefüllt hat und den Damen nichts abschlagen kann!«

Fräulein von Hetzendorf, die ein Schelm und von ihrem Erfolge berauscht war, glitt mit einem Schritt über das Parkett und erreichte Herrn von Migurac.

»Ist es wahr, mein Herr?«

Und schon streiften die stählernen Klingen seinen Rockärmel. Herr von Migurac fühlte, daß der Blick des Barons spöttisch auf ihm ruhte. Vielleicht hätte er trotzdem nein gesagt, aber er bemerkte, daß Fräulein von Hetzendorf ein unvergleichliches Grübchen hatte … Mit zustimmendem Lächeln verneigte er sich und hielt selbst den Arm hin.

In weniger als einer Sekunde hatte sich die Schar von jungen Mädchen auf ihn gestürzt und gebrauchte die Schere. Der Marquis sah zu, wie die Stücke von Tuch und Tresse bunt durcheinander verschwanden, lächelte beständig und hatte eine unklare Vorstellung von alten Bäumen, denen nichts übrig bleibt als zu sterben, wenn ihre letzten Blätter fallen.

Zum Lohn für seine Freigebigkeit erlaubte ihm Fräulein von Hetzendorf, ihre weiße Wange zu küssen, und er verabschiedete sich, von allen geliebkost und von den Herren um seine Großmut beneidet. Aber als er die Stufen der Terrasse hinunterstieg, betrachtete er seinen zerfetzten Rock, für den ein Trödler nicht zwei Livres gegeben hätte, und sah den Abgrund vor sich aufgähnen … Doch darin täuschte er sich, denn er fand in dem Futter seiner Weste eine vergessene Pistole. Sogleich drehte er auf dem Absatz um, setzte sich wieder an den Spieltisch, und im Verlauf von zwei Stunden hatte er alles Verlorene wiedergewonnen und noch dreitausend Taler dazu.

Die andre Anekdote, die ich erzählen will, betrifft sein Abenteuer mit Lord William in der kleinen Stadt Teufelsbaden, wo alljährlich eine höchst vergnügte Gesellschaft zusammentraf, angeblich, um die Kur zu gebrauchen, in Wahrheit, um Karten und Würfel in Bewegung zu setzen. Im Gasthof »Zu den drei Reihern«, den Herr von Migurac mit seiner Gegenwart beehrte, wohnte gleichzeitig ein englischer Edelmann von vornehmem Auftreten, der mit großem Aufwand von Wagen und Dienerschaft reiste. Mylord William, so hieß er, fiel durch seine athletischen Schultern, seine Beleibtheit und sein hochrotes, glänzendes Gesicht auf. Er stammte aus einer der besten Familien des Vereinigten Königreichs, und seine Beharrlichkeit am grünen Tisch brachte ihn schnell mit unserm Helden in Berührung, dessen Verdienste nicht unbemerkt bleiben konnten. Ihre Freundschaftsbande knüpften sich bald noch fester, und Mylord William war glücklich, seinem Gefährten hundert Pistolen vorzuschießen, um die ihn dieser eines Abends beiläufig bat, da, wie er sagte, die Einkünfte, auf die er rechnete, eine Verzögerung erfahren hätten. Was für Einkünfte dies waren, wissen wir allerdings nicht, falls es sich nicht um die handelte, die er beim Biribi einzutreiben hoffte.

Jedenfalls kümmerte er sich, sorglos wie immer, nicht um diese geringfügige Schuld, und Mylord William war ein zu vornehmer Mann, um sie einzufordern, obwohl das Darlehen nur auf zwei Tage bewilligt war. Aber durch ein Mißgeschick, zu dem ihn seine gewohnte Galanterie verleitete, wurde er unangenehm daran erinnert. Mylord William reiste nämlich in Gesellschaft einer sehr hübsch gekleideten jungen Person mit blendender Haut, die er seine Nichte nannte; aber man flüsterte sich zu, daß ein zärtliches Band beide verbände. Herr von Migurac konnte diese entzückende Nymphe nicht ohne Bewegung sehen. Als er eines Abends mit zwei oder drei andern Gästen bei Mylord William gespeist hatte und die Männer nach englischer Sitte noch sitzen blieben, um zu zechen, folgte er Miß Harriet in ihr Boudoir und begann, sie mit einer Wärme zu unterhalten, die sich ihr mitteilte und ihr nicht zu mißfallen schien. Ihre Röte und die ungeschickte Art, wie sie sich verteidigte, waren beredter als ein Geständnis. Herr von Migurac zögerte nicht, sich ihr zu Füßen zu werfen und ihr ewige Liebe zu schwören. In diesem schlecht gewählten Augenblick trat Lord William wieder in das Zimmer. Obwohl er mehr getrunken hatte, als gut war, genügte dieser Anblick, um ihn zu ernüchtern, und er stürzte sich fluchend auf den Dieb seines Eigentums.

Unter diesen Umständen hielt Miß Harriet es für gut, ohnmächtig zu werden; Herr von Migurac erhob sich eilig und bedeutete Mylord William, daß er bereit wäre, ihm für seine Beleidigung Genugtuung zu geben, wie es sich unter Edelleuten geziemt. Aber diese Aufforderung verdoppelte den Zorn des Engländers. Er ließ sich zu verletzenden Redensarten hinreißen, erinnerte ihn an die unbezahlte Schuld und warf es ihm als Frechheit vor, ihn um seine Maitresse zu betrügen, nachdem er ihn, einen Mann von Stand, vorher um sein Geld geprellt hätte. Schließlich verwünschte er alle Franzosen miteinander und ließ ihn zuguterletzt durch seine Lakaien die Treppe hinunterwerfen, mit der Beteuerung, daß er keine Forderung von ihm annehmen würde, wenn er nicht vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden sein Geld wieder hätte; und daß er es nicht bekommen würde, darüber drückte er seine Ueberzeugung sehr unumwunden aus.

Herr von Migurac erhob sich, bleich vor Wut und voll Staub, und mußte noch obendrein die Pein erdulden, das schallende Gelächter der andern Gäste anzuhören, die der Brutalität ihres Wirtes schmeichelten. Er lief nach Hause und kehrte seine Kassen und Schubladen um, aber er brachte nicht mehr als fünfzig Pistolen zusammen. Er versuchte, bei mehreren Gewohnheitsspielern seines Schlages diese Summe zu vervollständigen, indem er sie um Geld anging; aber er hatte keinen Erfolg, denn um die Wahrheit zu sagen, hatte er schon mehrere gleiche Posten. Des Krieges müde, versuchte er sein Glück, und in zehn Minuten war all sein Geld dahin. Er ging verzweifelt nach Hause und warf sich schluchzend auf sein Bett. Da kam ihm eine Eingebung, deren nur eine heroische Natur fähig sein kann. Und er folgte ihr unverzüglich, nachdem er aus einer kleinen chinesischen Kommode, die ihm als Schrank diente, ein Rasiermesser genommen hatte.

Am nächsten Morgen beim Erwachen wurde Mylord William im Auftrage des Herrn von Migurac eine sorgfältig zugeschnürte Schachtel und ein Brief überbracht. Er erbrach das Siegel und las die folgenden Zeilen:

 

»Mylord!

Die Römer pflegten den Körper eines zahlungsunfähigen Schuldners unter sich zu teilen. Ich wage zu glauben, daß Sie trotz der Verachtung, die Sie mir gestern bezeigt und zu der die Umstände Sie geführt haben, doch nicht meinen, daß hundert Pistolen ein genügender Preis für meine ganze Person wären, sondern daß Sie sich mit dem Stück begnügen werden, das ich mir erlaube, Ihnen zu übermitteln. Sollte es Ihnen doch ungenügend scheinen, so biete ich Ihnen noch ebenso viel an, denn ich will nichts sparen, um die Ehre eines Duells mit Ihnen zu erhalten.

Ich bitte Sie, Mylord, an die Ungeduld zu glauben, mit der Ihrer Befehle harrt

Ihr sehr ergebener Diener
Migurac.«

 

In dem Gedanken, daß er diese Epistel wegen seiner mangelhaften Kenntnis des Französischen schlecht entziffern könnte, öffnete Mylord William den Deckel der Schachtel. Sie enthielt einen blutgetränkten Lappen, den er entfaltete, und dem er einen unerwarteten Gegenstand entnahm: es war nichts Geringeres als ein Stück ganz frisches Fleisch, an dem noch die Haut hing … Mylord William konnte sich ohne große Anstrengung vorstellen, welchem Teil seines Körpers Herr von Migurac es entnommen hatte, und daß er nicht einmal den Trost hatte, die Antwort sitzend zu erwarten.

Trotz seiner Gemütsroheit war Mylord William doch für den erhabenen Charakter dieser Tat empfänglich. Er ließ Herrn von Migurac sagen, daß er durch eine seiner Hinterbacken zufriedengestellt wäre und ihm die andre ließe, und daß er ihm Schlag zwölf auf einer kleinen Wiese hinter dem Badehause zur Verfügung stände. Alle beide fanden sich zu besagter Stunde ein, und obwohl Herr von Migurac durch die Verwundung, die er sich zugefügt hatte, noch ein wenig in seinen Bewegungen behindert war, stieß er seinen Degen doch sehr gewandt durch den Körper seines Gegners, der zu Boden stürzte und nach zwei Stunden starb. Wir wollen noch hinzufügen, daß unser Marquis die Nachricht von diesem Unfall mit Tränen in den Augen empfing, und daß ihn nur der Gedanke tröstete, einen Engländer getötet zu haben, das heißt einen unversöhnlichen Feind Frankreichs.

Züge dieser Art beweisen genugsam, daß Herr von Migurac inmitten der Wechselfälle des Glücks nichts von dem moralischen Zartgefühl einbüßte, das er seiner glücklichen Geburt, der Fürsorge des Abbé Joineau und den Vorschriften seiner Eltern dankte. Es wäre indessen verhängnisvoll gewesen, wenn er sein Leben unter so mißlichen Bedingungen fortgesetzt hätte. Denn die Natur des Menschen ist so beschaffen, daß das Unglück auch über Tugenden triumphiert, die unerschütterlich scheinen. In der Schilderung, die uns der Abbé Joineau von dem Leben seines Zöglings hinterlassen hat, trägt er auch kein Bedenken, dem Eingreifen der gütigen Vorsehung ein Ereignis zuzuschreiben, das Herrn von Migurac zur ernsten Einkehr in sich selbst und zu einer veränderten Auffassung seiner Pflichten gegen den Nächsten führte.

Herr von Migurac, den die Heftigkeit seines Temperaments jederzeit hinriß, konnte nicht unempfänglich für die Leidenschaft bleiben, die ihm die Tochter des Landgrafen während seines Aufenthalts in Stinkenschnabel zu erkennen gab. Rasend verliebt, wie sie war, traf sie eines Nachts mit ihm zusammen und brachte ihm eine Kassette mit, die ihre Juwelen enthielt. Im Augenblick, als sie einen Wagen besteigen wollten, um nach der Schweiz zu flüchten, wurden beide ergriffen. Während Fräulein von Stinkenschnabel in ein Kloster eingesperrt wurde, ließ der Landgraf ihren Entführer ins Gefängnis werfen, und zwar nicht unter der Anklage des Mädchenraubes, die die Ehre des Namens bloßgestellt, aber für Herrn von Migurac nichts Beleidigendes gehabt hätte, sondern unter der Beschuldigung, einen Versuch zur Entwendung der Kronjuwelen gemacht zu haben.


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