Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Frühling 1879 verließen wir den frostigen Dom an der Georgstraße und zogen auf ein Gartengrundstück, Hildesheimerstraße 17. Mein Vater hatte eine Beleihung darauf und ward bei der Versteigerung gezwungen, es zu übernehmen. Lange ist es vom Erdboden verschwunden. Wo der Springbrunnen plauderte und Rosen rankten, rüpelt sich heute ein Haufe gemeiner Zinshäuser. In meiner Erinnerung aber blüht ewig das weiße Haus. –
Es war ein italisches Landhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, kühl im Hintergrunde des Ziergartens. Es hatte zwei Stockwerke. Am oberen hing ein schmaler Balkon, am unteren, fast die ganze Breite des Hauses entlang, lief eine weinlaubumrankte Veranda. Von ihrer Mitte aus führte die Treppe in den Vorgarten.
Im Vorgarten, der Treppe gegenüber, spielte Tag und Nacht der Springbrunnen. Ein unten moosbewachsener, oben grünspaniger Triton blies aus seinem Horne einen dicken Wasserstrahl. Silberne und goldene Kugeln hüpften im Strahle. Sie stiegen empor aus einem dem Tritonhorne aufgeschraubten grünem Drahtkorb. Sie fielen immer wieder in den Korb zurück. Nur wenn der Wind stark wurde, wehte wohl mal eine Kugel in das Bassin, wo die Gold- und Silberfische lebten und zwischen den Tuffsteinen »Purzella«, meine geliebte Schildkröte. Links vom Springbrunnen lag »die Grotte«, dahinter »der Berg«. Das war eine Bodenerhebung mit einem Lusthäuschen; in Erinnerung an Herrenhausen »Berg« genannt. Das Häuschen war überwachsen von Flieder, Goldregen, Schneeball, Jasmin und Beeren, welche wir Knackebeeren nannten, weil sie so angenehm knacken, wenn man darauf tritt. Hinter dem Lusthäuschen verborgen, ärgerten wir die Passanten. Die Kopfbedeckungen der Vorübergehenden reichten bis zum Rand der Mauer. Wir konnten leicht Knackbeeren in ihre Hutkrempen trudeln. Zu unserer größten Freude grüßten sich hie und da die Vorübergehenden. Dann warfen sie sich die Beeren ins Gesicht. – Dies war die linke Seite des Gartens.
Rechts aber vom Springbrunnen lag »der Schmuckrasen«. Ein Rasenviereck, in dessen Mitte auf hohem Postament eine silberne Urne stand, daraus Clematis, Glyzinien, Kapern und Winden quollen. An den vier Ecken des Schmuckrasens standen auf vier weiteren silbernen Postamenten silberne Mädchen, sinnig kostümiert, die vier Jahreszeiten darstellend. Der Stolz des Vorgartens aber war der alte Rotdorn mit seinen Vogelnestern. Er ragte vom Schmuckrasen empor bis zu der Mansarde, die dem schlichten Hause aufgestockt war, und in der Mansarde wohnten ich und alle Musen und alle Träume der Welt.
So war unser Haus von der Straßenseite. Aber die große Überraschung kam, wenn man neben dem Staket des Vordergartens entlang, den durch ein Pfirsichspalier begrenzten Hofgang hinunterschritt. Da stieß man am Ende des Hofgangs zunächst auf ein zweites, viel kleineres Häuschen. Das enthielt Ställe und die Kutscherwohnung. Es war mitvermietet an die Bewohner des Parterre, welche Wagen und Pferde hielten. Da war zunächst die Familie von Harlessem und später der alte General von Kummer, der die Schlacht bei Metz geschlagen hatte. Während der zwölf Jahre, die wir mit diesen Familien zusammenwohnten, war ich bei ihnen fast mehr zu Hause, als bei den Eltern in der oberen Etage. In den Freistunden hockte ich bei Harlessems und in späteren Jahren bei Kummers. Mit den drei schönen Töchtern Harlessem wurde im Hofe Krocket gespielt oder in dem großen Hintergarten »Verstecken« und »Kriegen«. Mit den Enkelkindern des alten Kummer, Hans und Mali von Kalkstein, lebte ich in den Ställen. Wir halfen dem Kutscher Georg Klingemann beim Strählen und Füttern der Pferde, erzogen unsere Hunde Sultan und Margo, unsre Katzen Gerda und Müschen, unsre weißen Mäuse, unsre Meerschweinchen und Kaninchen. Wir schossen mit dem Pusterohr nach der Scheibe, hingen im Hofe an Schaukel, Barren und Reck, suhlten in Pumpe und Regenfässern, erzählten uns im unterirdischen Gang, einer Unterkellerung, die das ganze Anwesen unterlief, grausliche Gruselgeschichten ...
Rechtwinkelig zum weißen Landhaus, viel später angelegt, lag im großen Hofe ein weiteres, ebenso großes Haus, ein zweiter Flügel, mit dem Vorderhause durch einen quadratischen Block verbunden, der das Treppenhaus enthielt und in einem flachen Dache endete, welches beide Flügel turmartig überragte. Dieses zweite hintere, später angebaute Haus, war eigentlich entbehrlich. Es enthielt Gesellschaftsräume, welche nur selten benutzt wurden. Vom Parterre aus stieg man von einer Terrasse in den großen, hinteren Obst- und Rosengarten. Der Garten lief die ganze Akazienstraße entlang und grenzte an die Gärten der Lehzenstraße. Die Mitte des Gartens bildete ein Rasenplatz mit dreißig Obstbäumen. Um diesen Rasen lief im Kreise ein breiter Weg, umrandet von Lauben und Ruhebänken. Ganz im Hintergrunde lagen zwei Grotten, genannt Schlangengrotte und Akaziengrotte. Die Hüterin unserer Indianerspiele aber war die Köhlerhütte. Ein Borkenhäuschen mit Steintisch und Eulenhorst. Das hatte der alte Herr von Harlessem gebaut. Schlimm war nur eines: die Häuser der Akazienstraße hatten Küchenbalkone, welche alle auf unseren Garten gingen. Das ärgerte meinen Vater so sehr, daß er sechs haushohe, freistehende Planken bauen ließ, die die Aussicht in den großen Garten sperrten. Die Anwohnerschaft strengte einen Prozeß an, aber verlor ihn. Von da ab begann ein beharrlicher Kampf. Die sechs schwarzgeteerten Planken wurden gelockert und angebohrt. Als ein Sturm kam, stürzten etliche zusammen. Nunmehr ließ mein Vater eine Mauer aus roten Mauersteinen bis zur Dachhöhe bauen. Er hatte davon viel Ärger und Kosten, aber den Triumph, daß nun niemand in seiner Garten schauen konnte.
Obwohl dem Achtjährigen sich nun ein unbekanntes Paradies von Blumen und Tieren auftat, fiel der Abschied vom Geburtshaus an der Georgstraße schwer. Ich entsinne mich, wie beim Auszuge ich absichtlich zurückblieb, die Steine des alten Hauses streichelte und küßte und schuldbewußt ihnen zuflüsterte, daß ich über der neuen Herrlichkeit die alte Heimat nie vergessen wolle. Das war 1879. Das neue Grundstück war zunächst nur ein verwahrloster Bauplatz. Maurer, Handwerker, Gärtner wimmelten umher. Wir bekamen einen Hausdiener, er hieß Wilhelm und trug eine Livree mit silbernen Knöpfen. Wie mein Vater alles bezahlte, ist stets dunkel geblieben. Sein Geld dürfte damals schon verspekuliert gewesen sein. Aber er hatte das Haus billig erworben und bezog aus der bunten Praxis große Einnahmen, die, ohne zu sparen, sofort verbraucht wurden.
In die untere Wohnung zog die Familie Harlessem, ein verwitweter Justizrat mit einem Sohne, der damals Göttinger Korpsstudent war, und drei unverheirateten Töchtern, Mimi, Lotte und Else. Der Alte und mein Vater paßten nicht übel zu einander. Sie waren denn auch sechs Jahre hindurch ein Herz und eine Seele bis sie – Gott weiß warum – sich an die Köpfe gerieten und die alte Freundschaft in grimmen Haß umschlug, der bis zu Tätlichkeiten ausartete. Die Hausgemeinschaft wurde aufgelöst, nachdem der fast siebzigjährige Harlessem ein blutjunges Mädchen geheiratet hatte, zum Schmerz seiner ledig gebliebenen Töchter. Er war ein jähzorniger, derber Mann, weit weniger verwickelt als mein Vater, aber von ähnlicher selbstherrlicher Polterei, leicht entflammt für jedes hübsche Mädchen und Gehorsam fordernd von seinen Töchtern, denen die Mutter, eine Gastwirtstochter, früh gestorben war und die nun vermögenslos, aber verwöhnt und stolz auf ihren niedersächsischen Adel, viel vom Leben beanspruchten. Die jüngste, Else, die jung gestorben ist, steht mir vor der Seele wie sie mit ihren fünfzehn Jahren war: Ein lichtes blondes Sylphenkind. Ganz Silber, Gold und Blau. Leichtherzig, leichtlebig, leichtfüßig. Tanzendes, spielendes, lachendes Herz. Und die erste, die ich, ach, so unglücklich geliebt habe. Denn die Königin von Griechenland und Amanda, die schwere Kanonenkönigin zählen nicht mit.
Ich liebte mit dummer Glut. Tag und Nacht schwärmte ich, war glücklich, wenn ich ritterlich ihr dienen konnte, und berauscht von ihrem Lobe, wenn ich die Schaukel auf dem Hofe sehr hoch schwenkte, im Krocket ihre Partei zum Siege brachte, am Turnreck die Welle schlug. Und doch wußte ich wohl, daß ich eine komische Figur mache als Ritter Toggenburg des um sieben Jahre älteren Mädchens. Die Schmerzen und Seligkeiten dieser jungen Schwärmerei haben mehrere Jahre ausgefüllt, und doch weiß ich mich heute nicht mehr dieser Gefühle zu entsinnen und nicht mehr nachzufühlen, was wohl alles mich durchbebte an Stolz, Eifersucht, Glückstaumel, Rachgier, Hingegebenheit und Sehnsucht. An Ritterehre und Märtyrerglorien. »Pulle«, so nannten wir sie, weihte mich ein zum Vertrauten ihrer ersten Stelldicheine mit Gymnasiasten, welche schon tanzen und Schlittschuh laufen konnten, was ich noch nicht gelernt hatte. Winters nahm sie mich mit aufs Eis. Ich durfte ihr die Schlittschuh anschnallen, worauf sie mit Hugenberg – (heute ist er deutscher Reichsminister) – und mit Lukas von Cranach davonlief. Sie benutzte mich als »postillon d'amour«, nachdem ich heilige Verschwiegenheit gelobt hatte, wofür sie flüchtig mein Haar streichelte oder gedankenlos einen Kuß hinhauchte.
Else von Harlessem, kindlich harmloses, immer kokettes, verspieltes, unberatenes, leuchtendes Kind, was hast du mich gequält mit deinem Lachen! Mit den flatternden blonden Haaren. Mit den luftigen duftigen Sommerkleidern. Mit der wehenden blauen Schleife am hellen Hut. Wenn im Tiergarten bei unsern Schulfesten, kleine Bacchantin, du in der Julinacht bei der Fackelpolonaise mit den großen rotbemützten Bengeln davonliefest, die dir unter den heimlichen Büschen die Hand drücken durften, während mein Herz gepreßt ward von niedergeschluckten Tränen. Dann winters auf den grellen Spiegeln der fackelbeschienenen Eisfläche hinter Döhren, hinter Bellavista, wo die flottesten und kühnsten Läufer mit dir Kurven und Schleifen liefen, indes ich dummer Junge bewundernd zusah, den Daumen im Munde und die große Liebe im Herzen. Vor allem aber auf dem Wege vom Privatlyzeum Ahrend am Schäferdamm, neben dem Hause, wo Windthorst wohnte, wo du mir die Schultasche zu halten gabst, während du schnell in der Konditorei von Rabe an der Ecke Sahnebaiser schnökern gingst und gar nicht wiederkamst, weil Primaner drinnen saßen, Otto Crusius, der große Philologe, und Bock von Wülfingen, die dich frei hielten, wofür du, wie du's nanntest, ein wenig mit ihnen »poussieren« mußtest, während doch ich mit deiner Schultasche vor dem großen Glasfenster wartete. Und oft wußte ich nicht, ob das so weh tat, weil ihr hinter der Scheibe vor meinen Augen saßet und Gespräche führtet, bei denen ich nicht mitkonnte oder weil ihr Windbeutel aßet, einen nach dem andern, und nicht daran dachtet, auch mir einmal einen abzugeben. Aber den größten Schmerz, du arme Unschuldige, tatest du mir an, zuletzt, als du eines Tages vom Hofball in Sondershausen zurückkommend frischweg dem Vater Grimmbart, dem in dich vernarrten, erklärtest, du habest dich verlobt mit einem himmlischen Husarenleutnant. Und bald danach kam denn auch der Husarenleutnant Nikolaus von Langen, und in unserm Hause wurde die Verlobung gefeiert und am Abend getanzt, wobei auch ich zugegen sein und dein Glück ansehn durfte und die bitterste meiner Demütigungen stumm ertrug in einem an Stolz und Demut gewiß nicht armen Leben. Und das geschah so:
Ich hatte ein »Tagebuch« angelegt, in das ich unter anderm auch die für Pulle verrichteten Ritterdienste sorglich registrierte, in höchst kindlicher und dämlicher Form die quälenden Gefühle entlastend. Dazu hatte ich nun in Ermangelung der teuren Schreibhefte mein altes Schulherbarium benutzt, indem ich die eingeklebten Blumen herauslöste und die somit leergewordenen Blätter mit Ergüssen vollschmierte. Nun standen aber unter den Blumen mit Tinte geschrieben die botanischen Namen, die wir in der Schule hatten eintragen müssen und die ließen sich nicht so leicht fortradieren. Daher hatte ich meine Phantasie angestrengt, um diese ungehörigen Stellen in meinem Tagebuche sinnvoll und unschädlich zu machen und die Blumennamen in geziemender Weise in den Text meiner Gefühle hineinzubeziehn. Da stand denn etwa auf der ersten Seite in steiler Kinderschrift: »Capsella bursa pastoris. Gemeines Hirtentäschchen« und auf der gegenüberliegenden Seite »Anemosa nemorosa. Gemeines Buschwindröschen«, und das hatte ich in den Text meiner Tagebuchergüsse hineingewoben etwa in folgender Weise: »Pulle gab mir heute die Schultasche zu tragen und ich dachte vor Rabes Fenster am Ägidientorplatz: Pulles Tasche ist mir lieber als: – Capsella bursa pastoris. Gemeines Hirtentäschchen.« – Oder: »Pulle ist wie das schönste Röschen und nicht nur: – Anemona nemorosa. Gemeines Buschwindröschen.« Das war kindlich, aber durchaus ernst und gar nicht komisch. Mein Tagebuch war beim Aufräumen der Schublade meiner Mutter in die Hände gefallen, die den Inhalt: Verzeichnisse meiner Liebesmarken und Spielbohnen, kleine Reimereien, Verzeichnisse von Geburtstagen und Lieblingsspeisen, Aufzeichnung der Gerichte beim täglichen Mittagessen und die Gefühle für Pulle – einfach putzig befand, das Buch zurückbehielt und eines Tages, ihrer Seelen-Unzartheit unbewußt, meine Geheimnotizen preisgab an die älteren Harlessemmädchen, die mich von da ab unaufhörlich neckten, was ich dadurch wettzumachen wußte, daß ich mich überlegen und altklug stellte und meine eigentlich bluternst gemeinten Schriften selber ironisch behandelte, wohl gar durchblicken ließ, daß sie vielleicht nicht ohne meine Absicht zur Kenntnis Pulles und ihrer Schwestern gekommen seien. In diesem Falle nämlich fanden sie mich amüsant oder wie die Qualworte meines späteren Lebens hießen »feinsinnig und geistreich«. So lernte ich den Ernst verkleiden, den Herzton in Scherzton wandeln, und wenn ein Gedanke tief ging, so zu tun, als sei alles nur ein Spiel. Ich bekannte mich nicht zu meiner ersten Liebe, bis die große Kraftprobe kam am Abend ihrer Verlobung, 15. Juli 1885; denn als sie alle möglichen Scherze erschöpft und genug gegessen, getrunken, geküßt und gejachtert hatten, da schlug Richard von Harlessem, ewiger Saxoborusse, mit dem Beinamen »die Pfarrerstochter«, vor, nun müsse mein »Tagebuch« mit meiner gütigen Erlaubnis zu aller Ergötzen vorgelesen werden. Und ich, schamübergossen, im Kern des Wesens vergewaltigt, wußte nicht, ob ich aufweinen und mich verbergen oder ruhig dasitzen, »meinetwegen« sagen und überlegen belächeln sollte alles, was ich doch das Jahr zuvor aus heißem Blute geschrieben hatte. Denn heulte ich, so fand Pulle mich komisch oder schenkte mir erniedrigendes Mitleid. Blieb ich aber stille, so imponierte das, und Richard »die Pfarrerstochter« sagte: »Putzige Kruke« und Mimi: »Der Junge hat Witz«, und Lotte: »Er versteht einen Spaß«. Am meisten aber schmeichelte mir, daß der Leutnant (neben Bismarck, dem Räuber Hannovers, der verhaßteste Mann der Welt), sagte: »So schön hätte ich's nicht machen können«, denn für den war ich nun ein »patenter Junge«, der sich den Witz gemacht hatte, sämtliches Unkraut aus Masch und Eilenriede auf seine reizende Braut auszumünzen. Pulle kam in Gebelaune durch den Saal und sagte: »Mein kleiner Kavalier.« Der Leutnant fragte, ob denn nun die alte Liebe überwunden und neidlos sei, worauf ich schlagfertig zu aller Gelächter erwiderte, was ich irgendwo aufgeschnappt hatte: »Alte Liebe rostet nicht.« So wurde etwas Großes früh kleingemacht. Man war nicht einmal schnöde. Nur ahnungslos. Und da ich mich entschlossen hatte, nicht aufzuschluchzen oder zu trotzen, sondern lieber bewußt den Hanswursten zu machen, so wußte ich schon selbst nicht mehr, ob meine Schwärmereien nicht vielleicht doch nur eine Stilübung seien, ob sie aus einer ehrlichen Qual quollen oder aus meiner Eitelkeit, meinem Talent. Benutzte ich zur Ergötzung der andern, was doch nur einsames Leid aus der Seele kelterte, so war ich plötzlich nicht mehr der ein bißchen bedauerte, ein bißchen belächelte unbrauchbare Schuljunge, sondern sie entdeckten, daß »der Junge es hinter den Ohren habe«, wenn er auch, wie die Lehrer meinten, »nur einseitig begabt« sei. Von jetzt ab begann ich Wert auf meine Dichterei zu legen. Ich trug mit unendlicher kalligraphischer Mühe sie ein in selbstgenähte, mit Randleisten verzierte Hefte, denen ich Titel gab wie: »Stimmen im Wind«, »Lyra und Satira«, »Gedachtes und Geschautes«, »Kraut und Rüben«. Aber die Muse nahm wohl nicht mehr so mütterlich den Jungen ans Herz, damit er das gequälte Leben ausweine. Denn schon besaß ihn das widerliche Fieber des Geistes. Schon erfaßte er die Techniken des lesenden und schreibenden Geschmeißes. Schon merkte er, daß man mit den feigen Waffen des Hirns Menschen zu bezwingen vermag. Und damit begann die zweite entscheidendere Richtung meines Lebens, die zur Selbstbehauptung notwendige: die Richtung auf Logos und Ethos. Zu Sinn und Wert. Und doch war immer mein letztes Ergebnis der tiefste Widerwille gegen den im Menschen schaffenden Geistgott. Aus diesen beiden Polen, aus Lebenselement und Geisteswelt ist der Mensch gemischt. Es war mein Schicksal, nicht meine Wahl, daß ich vom ursprünglicheren Brahma hinweg zum Buddha gezogen wurde, obwohl ich die Götter der Haine und Quellen viel tiefer geliebt habe, als je »Gott und Menschensohn«. –
Else von Harlessem ist nach wenigen Jahren unglücklicher Ehe gestorben. Vielleicht war sie doch die einzige, die eine kurzatmige Ahnung durchzuckt hat von der Treue dieser Liebe, denn, als wir an jenem Juliabend auf dem Rasen unsres Gartens tanzten, knipste sie leichthin eine Knospe vom Rosenstrauch und heftete sie an meinen Rock, worauf ich in plötzlicher Wut die Blume zur Erde warf und zertrat. –
Noch denk ich eines Haars und einer Hand
Die längst zerfiel.
Noch denk ich einer Nacht, ich war entbrannt
Und du warst kühl.
Nur eine Rose, die vom Zweige hing
Brachst du für mich mit leisem Gruß,
Mir war die stumme Gabe zu gering,
Zertrat sie mit dem Fuß.
Ich habe nicht gewußt in jener Nacht,
Daß du so fern mir bist,
Weil dir der bleiche Engel sacht
Die junge Stirn geküßt.