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Unser Schiffchen war am 13. Mai in segelfertigem Zustand. Am nächsten Tag gingen wir in See mit Kurs Ochotsk. Das Wetter war heiter, dabei aber so kalt, daß wir unsere Pelze anziehen mußten. Dazu kam noch ein eigenartiges Erlebnis. Eines Tages tauchte plötzlich vor uns der riesige Körper eines Walfisches auf, auf den unser Schiff mit vollgeblähten Segeln auffuhr. Der Wal hob mit seiner ungeheuren Rückenmasse unser Schiff über drei Fuß aus dem Wasser. Die Masten gerieten ins Wanken, die Segel fielen zusammen, kurz, wir glaubten, auf einen Felsen aufgefahren zu sein. Statt dessen schwamm das Tier gravitätisch weiter. Hätte es eine unwillige Bewegung mit seinem Schwanze gemacht, so wäre unser kleines Schiff vollkommen zerschlagen worden.
Am 23. Mai fuhren wir zwischen den Kurilen hindurch und befanden uns am Nachmittag glücklich im Ochotskischen Meer. Ausgedehnte und gefährliche Eisfelder und Eisberge zwangen uns aber immer aufs neue ins Meer hinaus. Erst am 16. Juni konnten wir mit Hilfe eines Lotsen in den Hafen von Ochotsk einlaufen. Der Ort liegt auf einer flachen schmalen Landzunge, die auf der einen Seite vom Ochota- Fluß, auf der andern vom Meer bespült wird. Der äußersten Spitze dieser Landzunge gegenüber mündet noch der Kachtui in die Ochota, und beide bilden einen Hafen, der seicht und nur für kleinere Fahrzeuge brauchbar ist. Nachteilig ist ferner, daß er bei dem hier herrschenden rauhen Klima nur vom 15. Juni bis 15. September eisfrei ist. Da die Lage dieses Ortes recht ungesund ist, wohnen die Kaufleute im Winter zumeist in Bulgin auf dem linken Flußufer. Ochotsk ist nur im Sommer bewohnt; dann stapeln sich hier die Waren, die für die Niederlassungen an der amerikanischen Küste bestimmt sind oder von dort eintreffen.
So gern ich meinen Aufenthalt länger ausgedehnt hätte, so mußte ich doch an meine Weiterreise naoh Petersburg denken. Die Sammlungen waren einzupacken, Proviant, Pferde einzukaufen u.a.m. Der Verwalter der russischen Handelskompanie hatte mit einigen ihm bekannten Jakuten einen Vertrag abgeschlossen, mich in 20-22 Tagen nach Jakutsk zu bringen. Zu meiner Sicherheit wurde mir noch ein Kosak beigegeben. Am 25. Juni ritt ich mit meiner Karawane von 26 Pferden los. Die Gegend war zunächst flach, von vielen Bächen durchschnitten und abwechselnd von Tannen, Lärchen und Birkenwäldchen bestanden. Hin und wieder trafen wir auf Hütten einiger Jakuten.
Als wir den Torotolom-Fluß gekreuzt hatten, nahmen uns wieder schöne Waldungen auf. Die Gegend wurde später, wie uns entgegenkommende Karawanen mitteilten, durch entsprungene Häftlinge recht unsicher. Wir näherten uns schließlich der Urakschen Gebirgskette. Nach ihrer Überquerung erreichten wir endlich die erste größere Station hinter Ochotsk, nämlich Judomskoi Krest. Von hier aus führte uns der Weg zum Fluß Okatschan; sein Tal wurde allmählich enger, und schließlich befanden wir uns am Fuße einiger steiler Berge, von der einheimischen Bevölkerung Mosockotlo oder Mosootlo genannt. Ich erinnere mich nicht, je so kahle Berge von dieser Höhe gesehen zu haben, die von der Spitze bis zum Fuße einem mit Geröll bedeckten Schutthaufen ähnelten und keinerlei Pflanzenwuchs aufwiesen.
Kaum hatten wir die Berge im Rücken, so mußten wir von neuem verschiedene Anhöhen übersteigen und kamen schließlich an zwei Hügel, die geradezu eine natürliche Pforte bildeten, durch die man unversehens aus der sommerlichen Wärme in die eisige Kälte des Winters trat. Beim Durchgang durch diese Pforte dehnte sich nämlich ein riesiges Eisfeld, Capitanskaia Saseka genannt, vor dem Beschauer aus. In diesem, von hohen Bergen eingeschlossenen Tal taut das Eis niemals auf. Seine Mächtigkeit betrug an vielen Stellen noch 4-5 Fuß und war durch Spalten unwegsam. Es war hier so kalt, daß wir unsere Pelze überziehen mußten.
Während der letzten Tage hatte ich an den Ästen vieler Bäume kleine Büschel von Pferdehaaren bemerkt. Man erklärte mir, daß die Jakuten damit ihre Pferde vor der Gewalt böser Geister schützen wollten. Die Witterung war bisher trocken gewesen, so daß wir viele, bei feuchter Witterung sonst unzugängliche Sümpfe ohne Beschwerlichkeiten queren konnten.
Unser Ritt führte uns an hohen bewaldeten Gebirgen vorbei, von denen viele durch Brände ihren Baumschmuck eingebüßt hatten. Am Morgen des 5. Juli zogen wir durch das steinige Tal des Antscha-Flusses, den wir verschiedentlich durchwaten mußten. Das unangenehmste Ereignis des Tages war aber das Durchreiten eines brennenden Waldes. Entgegenkommende Karawanen berichteten uns außerdem, daß in verschiedenen Gegenden unseres nächsten Reisezieles die Blattern ausgebrochen seien. Als dies meine Begleiter, die diese Krankheit noch nicht durchgemacht hatten, hörten, baten sie mich inständig, einen anderen Weg zu wählen. Ich fand ihre Bitte durchaus berechtigt, und so verließen wir den Karawanenweg und wendeten uns nach dem Flusse Allach-Juni. Mangels eines Fahrzeuges mußten wir mit den Pferden durch die starke Strömung schwimmen.
Der Weg wurde dann sehr beschwerlich. Hohes, morastiges und dichtbewaldetes Gebirge nahm uns auf. Durch die Wildnis mußten wir uns mit dem Beil erst den Weg schlagen. Sodann erreichten wir den Junikan-Fluß am Fuße des Bergrückens Loochlor. Das nächste Ziel war der Aldan- Fluß, den wir mit Hilfe eines selbstgebauten Floßes überquerten. Hier lernte ich auch die einheimische Jakutenbevölkerung kennen. In einer kleinen Hütte traf ich einen fast 75jährigen Greis mit seiner zahlreichen Familie. Ihr Reichtum bestand in beträchtlichen Herden von Rindern und Pferden. Ihre Waffen waren noch Pfeil und Bogen. Jagd und Pferdezucht waren ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie trinken Stutenmilch und essen Pferdefleisch, das für sie ein Leckerbissen ist.
Mein Hauswirt erbot sich, mich von seinen Leuten im Boot in etwa einem Tage flußabwärts zur Kreuzung der alten Karawanenstraße von Ochotsk zu bringen, von wo ich in 3-4 Tagen mit Postpferden bequem Jakutsk erreichen konnte. Ich nahm das Anerbieten freudig an, da ich der beschwerlichen Karawanenreise müde war.
Die Boote der Jakuten waren sehr flach und bestanden aus einem Gerippe, das dem der Alëuten-Boote ähnlich, aber nach oben zu offen war. Der Bootkörper war mit Stücken zusammengenähter Birkenrinde überzogen. Die Nähte der einzelnen Stücke waren mit Teer verschmiert, so daß sie vollkommen dicht waren. Die Ruder ähnelten denen auf Unalaska.
Nach der beschwerlichen Karawanenreise fand ich diese Wasserfahrt sehr angenehm. Die Ufer des Aldan waren abwechslungsreich und von Weiden, Birken und Lärchen bestanden. Hin und wieder sah man schön bewaldete Inseln und mußte nur bedauern, daß der majestätische Fluß einen so öden, wenig bewohnten und kalten Landstrich durchströmt.
Nach Sonnenaufgang rasteten wir bei Ochojanskaia Ostrow. Die Jakuten hatten einige aus Pferdehaaren verfertigte Netze, die etwa 3 Fuß breit und 150 und mehrere Fuß lang waren, mit Hilfe einiger Weidenruten im Wasser ausgespannt, um zu fischen.
Sehr malerisch war die Gegend von Tschelobscha (Dwerpad). In der hohen Felswand ist hier eine Öffnung, die zu einer Höhle führt; sie soll sich weit unter dem Berg hin erstrecken. Dann teilt sich der Fluß in mehrere Arme und läßt eine Menge zum Teil bewohnter Inseln zwischen sich. Fettes Gras bildet eine günstige Weide für die ansehnlichen Herden der hier lebenden Jakuten. Nachmittags kehrte ich in der Sommerwohnung eines reichen Jakuten ein. Er bewohnte mit seiner Familie eine flachzuckerhutförmige Hütte, die etwa 18 Fuß im Durchmesser hatte und deren Gerüst mit Birkenrinde bedeckt war. Obgleich wir unerwartet eintrafen, herrschte in dieser Behausung eine auffällige Reinlichkeit. Bemerkenswert war mir die mannigfaltige Verwendung der Birkenrinde. Boote, Trink- und Wassergefäße, Hüttenbedeckung und die verschiedenen Abteilungen im Hütteninnern bestanden aus Birkenrinde. Sogar Schirme und Bettvorhänge waren daraus verfertigt und mit mancherlei Stickereien verziert. Um die Rinde geschmeidig und haltbar zu machen, wird sie einen ganzen Tag lang in Wasser gekocht.
Am 13. traf ich auf die erstrebte Kreuzung des Aldan mit dem Ochotsker Karawanenweg. Hier lebten einige Russen; die Mehrzahl der Anwohner waren jedoch Jakuten. Die Winterwohnung dieses Volkes bestand aus einer Erdaufschüttung, die innen mit hochgestellten Brettern ausgeschlagen war. Diese Hütten waren meist nur von einer einzigen Familie bewohnt, hingegen die Sommerwohnungen für mehrere zum gemeinsamen Aufenthalt bestimmt sind. Der Wohnraum war gewöhnlich gedielt, in seiner Mitte stand ein von beiden Seiten freier Kamin, der nach hinten eine etwas schrägstehende Feuerwand hat, an welcher der ziemlich freihängende Schornstein angebaut war. Der Kuhstall war unmittelbar neben diesem Raum und nur durch eine Tür von ihm getrennt. Die vielen Pferde blieben den ganzen Winter über im Freien, obwohl in diesem Erdstrich 30 Grad Kälte nichts Ungewöhnliches sind.
Von hier ab strebte ich auf guten Postpferden der europäischen Zivilisation zu, nicht ohne unterwegs hier und da an die urtümliche Lebensweise der Landeseinwohner erinnert zu werden. So sah ich z. B. an einem Baum etwas hängen, das einem Schweinetrog nicht unähnlich war, und hörte bei näherer Erkundigung, daß dies der Sarg eines Jakutenkindes sei. Die Jakuten begraben nämlich niemals ihre Toten, sondern hängen die Särge immer in Baumkronen auf.
Am 18. erreichte ich endlich Jakutsk, das mit seinen Türmen und Kuppeln einen schönen Anblick bot. Am Gestade lagen eine Menge einmastige flache Fahrzeuge und auch große Flöße, die an der oberen Lena in der Nachbarschaft von Wercholensk aus hochstämmigen Bäumen verfertigt, dann hier auseinandergenommen und zum Hausbau verwendet werden. Die von Jakuten und Russen bewohnte Stadt besteht aus ungefähr 500–600 Holzhäusern. Die Straßen sind breit, unregelmäßig und nicht gepflastert. Unweit der Stadt sieht man noch alte Holztürme, Überreste der ersten Festung, die den Russen Schutz gegen die Angriffe der Jakuten gewährte.
Am 23. Juli reiste ich von Jakutsk ab. Ich benutzte teils den Landweg, teils den Fluß zum Vorwärtskommen. Ich will mich kurz fassen, um die Geduld meiner Leser nicht zu sehr zu ermüden. So Interessantes die Reise in naturhistorischer Hinsicht bietet, ich konnte nicht verweilen und durchflog eigentlich Tag und Nacht diese Gegenden. Manche Schwierigkeiten stellten sich mir entgegen. Vielerorts waren die Menschen mit der Heuernte beschäftigt, so daß ich die Ortschaften verlassen fand und viele Zeit durch Warten verlor. Einmal war das Postboot leck und schlug um, so daß meine Sammlungen und Aufzeichnungen durchnäßt wurden und erst wieder getrocknet werden mußten. Andererseits war in manchen Gegenden ein häufiges Ab- und Anspannen der Pferde notwendig, um die Mündungen der vielen Zuflüsse in die Lena zu überschreiten; das bedeutete auch wieder unnützen Aufenthalt. So konnte ich nur selten 140 bis 170 Werst am Tage, meistens nur 50-60 zurücklegen.
Interessant war mir eine Begegnung mit den Burjäten, einem Volk mongolischen Ursprungs, das von stärkerem Körperbau ist als die Jakuten. Diese Burjäten tragen ein weites schlafrockähnliches und mit Pelz besetztes Gewand, das durch einen Gürtel zusammengehalten wird. Ein Teil dieses Volkes nomadisiert und wohnt in Filzjurten. Andere, die sich längs der Heerstraße angesiedelt haben, sprechen bereits russisch und leben in kleinen Häusern. Ihr Haupterwerb ist Viehzucht, und nur wenige beschäftigen sich mit Ackerbau.
Je mehr ich mich der Hauptstadt Irkutsk näherte, um so mehr nahm die Zahl der russischen Orte zu, von denen einige aus 200-300 Häusern bestanden. Die Felder waren mit Roggen, Gerste, Hafer und Hanf bestellt.
Am 18. August hatte ich endlich die Gouvernementshauptstadt Irkutsk erreicht und wurde im Hause der Handelskompanie einquartiert. Mit ihren vielen steinernen Kirchen, ihren glänzenden Kuppeln und Türmen machte die Stadt einen vielversprechenden Eindruck von Pracht und Reichtum auf mich. Hier wurde ein beträchtlicher Handel getrieben. Irkutsk ist der Sammelplatz allen Pelzwerkes aus Amerika und Ostasien und zugleich Stapelplatz aller Waren, die von Rußland über Kiachta nach China und über Ochotsk nach Kamtschatka und Amerika gehen. Da Irkutsk unter 52 Grad nördlicher Breite liegt, ist der Sommer angenehm und der Aufenthalt in diesem Teile Sibiriens bei weitem nicht so abschreckend, wie es sich viele vorstellen. Die Umgegend bringt Getreide im Überfluß hervor, und, wenn man auf Luxus verzichtet, kann man hier sehr wohlfeil leben.
Nachdem ich einen Abstecher nach der russisch-chinesischen Grenzstadt Kiachta gemacht hatte, verließ ich am 22. November mit der ersten Schlittenbahn Irkutsk und erreichte über Krasnojarsk und Tomsk die Stadt Tobolsk, wo ich mehrere Tage die Gastfreundschaft des Generalgouverneurs genoß. Nicht ohne Rührung nahm ich von ihm am 22. Februar 1808 Abschied und traf über Kasan und Moskau am 16. März in Petersburg ein. So lernte ich diese prachtvolle Hauptstadt Rußlands erst dann kennen, als ich das große Reich von Osten nach Westen durchstreift hatte.