Langsdorff
Eine Reise um die Welt
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Von Japan nach Kamtschatka

Am folgenden Tag, wir schrieben den 17., begab sich unser Gesandter mit seinem Gefolge an Bord. Noch spät am Abend wurden die Segel festgebunden, und bevor sich am frühen Morgen die Wachtboote, die uns noch immer umlagerten, recht umsahen, waren wir schon unter Segel. Kapitän v.Krusenstern hatte beschlossen, die Reise nach Kamtschatka durch das Koreanische Meer entlang der Westküste Japans zu machen, die Straße von Sangaar und die westliche sowie nordwestliche Küste von Jesso oder Matmai zu bestimmen. Er wollte die Entdeckungen des verewigten Lapérouse durch die Untersuchung der Ostküste von Tschoka fortsetzen.

Die Seereise, die ich also beschreiben werde, ist eine der merkwürdigsten, weil nur sehr wenige Europäer jemals die Koreanische See befahren haben. Kapitän v. Krusenstern war der erste, welcher die Straße von Sangaar, die Nordwestküste von Jesso und die Ostküste von Tschoka oder Sachalin bis zum Ausfluß des Amurstromes zum Hauptgegenstand seiner wissenschaftlichen Untersuchung machte. Unsere geographische Kenntnis über diesen Erdstrich ist also durch die Bemühungen dieses großen Nautikers beträchtlich erweitert worden.

Nach wechselvoller Fahrt sichteten wir endlich das lang ersehnte Kap von Sangaar, das mit einem andern an der Südspitze von Jesso liegenden die Einfahrt der Straße gleichen Namens bildet. Es wurde nach unserem Schiff Kap Nadeshda genannt. Späterhin näherten wir uns der Südwestküste der Insel Jesso und erblickten die ansehnliche Stadt Matzumai, deren Häuser und Tempel wir mit unseren Fernrohren deutlich unterscheiden konnten. Etwas südwärts von dieser Stadt liegen die beiden Inseln Oosima und Kossima, die als Orientierungspunkte der Straße von Sangaar dienen können.

Das Land von Jesso ist hier ziemlich hoch, die meisten umliegenden Berge waren noch mit Schnee bedeckt. Sie haben ein vulkanisches Aussehen, sind öde und kahl und bilden unregelmäßig abgerissene steile Felsenklüfte. Die unmittelbare Umgebung von Matzumai, das, nach seinem Umfang zu schließen, größer als Nagasaki zu sein scheint, ist so sandig und öde, daß man sich schwer vorstellen kann, wovon die zahlreichen Bewohner existieren, wenn wir in Nagasaki nicht vorher erfahren hätten, daß der Walfang nicht nur die Bewohner von Jesso, sondern auch einen großen Teil des nördlichen Nippons ernährt. Viele kleine Fahrzeuge lagen in der Bucht unter Segel, andere bei der Stadt vor Anker oder auf Stapel.

Wir steuerten zwischen Oosima und ihrer Nachbarinsel Kossiroa hindurch und näherten uns am nächsten Morgen wieder der Insel Matmai und ihren schneebedeckten Bergketten. Ein hohes Vorgebirge erhielt den Namen Kap Kutusoff. Am 10. Mai sichteten wir die Nordwestspitze der Insel Jesso, die von unserem Kapitän Kap Romanzoff benannt wurde. Ein kleines Boot ruderte vom Lande her auf uns zu. Die vier Insassen fielen durch ihr lang herabhängendes Kopfhaar und starken Bartwuchs auf. Sie ruderten wohl dicht an unser Schiff heran, kamen aber nicht an Bord und fuhren schließlich wieder ans Ufer zurück.

Nach wenigen Stunden entdeckten wir hinter dem Kap Romanzoff eine große, nach Norden zu offene Bucht, in der wir zwei Meilen vom Lande entfernt ankerten. Es dauerte nicht lange, so kamen weitere Boote an unser Schiff. Einige der Insassen stiegen an Bord und begrüßten uns, indem sie die flachen Hände aneinander rieben, ihre Handfläche einige Male langsam gen Himmel hoben, den Bart vom Kinn nach der Brust zu strichen und sich dann völlig nach japanischer Art auf die Knie warfen und dieselbe Zeremonie nochmals wiederholten. Sie hatten alle ein freundliches, gutmütiges Aussehen, ziemlich große Augen, etwas erhabene Backenknochen, eine vorstehende Stirn, eine oben etwas eingedrückte breite Nase und einen langen schwarzen Bart. Sie hatten ihre eigene Sprache, verstanden wohl einige japanische Worte, betonten aber, daß sie keine Japaner seien, sondern nannten sich Ainos oder Ainus.

Wir boten ihnen Branntwein an, den sie, ohne eine Miene zu verziehen, tranken; die letzten Tropfen in der Tasse schütteten sie in die flache Hand, hoben sie gen Himmel und bestrichen sich dann damit ihren langen Bart und die Brust. Wir gaben ihnen noch einige Kleinigkeiten, wie Spiegel, Messer, Nadeln u. dgl., und so kehrten sie wieder ans Ufer zurück. Durch Zeichen gaben sie uns zu verstehen, daß wir sie dort besuchen sollten.

Am folgenden Morgen konnte ich an Land fahren. Am flachen Sandufer war die Brandung ziemlich stark, daher holte uns ein Ainu, dessen Wohnung nicht weit entfernt war, mit seinem kleinen Boot von der Schaluppe ab. Er führte uns nach seiner elenden Hütte, deren Stützen aus Baumästen und deren Wände und Decke aus Stroh bestanden. Am hinteren Teil und vor dem Hütteneingang sah man einige Stangen und Bäume mit Blättern und Kränzen geziert, die wahrscheinlich eine religiöse Bedeutung hatten. Das Innere war ein einziger Wohnraum; in der Mitte brannte auf der Erde ein Feuer, um das die Familie – eine alte Frau, ein junges Mädchen und mehrere Personen männlichen Geschlechtes – herumsaß. Über dem Feuer hing ein eiserner Kessel mit Fischen. Ich verließ sehr bald diese Gesellschaft und folgte dem flachen Ufer. Ein Sumpf mit niedrigem Rohr erstreckte sich von der Küste bis zu den nahen, sich steil erhebenden, aber nicht sehr hohen Bergen. Fichten und Birken bildeten das wichtigste Gehölz.

Überall sah ich viele Hunde; sie waren, von der gleichen Art wie die von Kamtschatka, nur bei weitem kleiner. Sie werden hier genau wie auf jener Halbinsel im Winter als Zugtiere vor den Schlitten gespannt.

Junge Bären wurden beinahe in jeder Hütte angetroffen. Sie werden gefüttert, großgezogen, geschlachtet und als Leckerbissen verzehrt. Unter dem Pelzwerk bemerkte ich kleine weißgraue Felle eines mir unbekannten Tieres. Von diesen sowie von Bären- und Hundefellen verfertigten die Bewohner ihre warme Kleidung.

Die Wohnungen waren nicht sehr weit voneinander entfernt. Ich zählte auf einer Strecke von etwa einer deutschen Meile sieben große Wohnplätze, und in jeder fand ich 15-20 erwachsene Männer. Die Frauen liefen meistens, wenn ich mich ihren Wohnungen näherte, davon, und nur wenige stellten sich, Schutz suchend, hinter ihre Männer, um mich dann verstohlen anzugaffen. Die Männer waren untersetzt, höchstens 5 Fuß hoch, dabei sehr muskulös, die Frauen waren kleiner, hatten starkes, schwarzes, um den Kopf hängendes Haar und dunkle bläuliche Lippen. Doch konnte ich nicht unterscheiden, ob sie gefärbt oder tatauiert waren. Meine Reisegefährten wollen auch auf den Armen der Frauen eine Tatauierung bemerkt haben.

An der äußersten westlichen Landspitze wohnten Japaner, unter denen sich auch ein Ziviloffizier befand, der auf Befehl des Gouvernements die Küsten überwachte und uns an Bord aufsuchte. Er bedeutete uns, sobald sich der Nebel gelegt habe, die Anker zu lichten, weil er sonst seiner Regierung von unserem Aufenthalt Mitteilung machen müßte. Er trug zwei Säbel an der Seite, nahm keinerlei Geschenke an, war sonst ein wohlunterrichteter Mann, der gute geographische Kenntnisse verriet und unserem Kapitän viele Nachrichten über die Lage und Namen der Nachbarinseln machen konnte. Er kannte Kamtschatka dem Namen und der Lage nach und sprach von Ochotsk und Amerika.

Von ihm hörten wir, daß nur der südliche Teil von Jesso, der von den Japanern bewohnt wird, die Bezeichnung Matzumai oder Matmai führt, und daß der von den Ainus bewohnte das eigentliche Land Jesso sei. Wahrscheinlich hieß in älteren Zeiten die ganze Insel Jesso, seitdem aber die Japaner die Ainus mehr nach Norden vertrieben und den südlichen Teil völlig besetzt haben, trägt nur, noch der nördliche die ältere Benennung.

Das Wild erlegen die Ainus mit Bogen und vergifteten Pfeilen, Das Gift, das ein eingedickter Pflanzensaft ist (wahrscheinlich von einem hier häufig wachsenden Aconitum), soll so heftig sein, daß das Blut des verletzten Tieres nach wenigen Minuten aufgelöst ist und aus Mund, Nase und Ohren fließt. Sie töten auf diese Art Bären, Füchse, Seeottern u. a.

Obgleich die Japaner den nördlichen Teil von Jesso, den südlichen von Tschoka, nämlich ihr Karafuto, und die südlichen Kurilen besuchen, und wie es scheint, mit den Ainus in sehr enger Verbindung stehen, so dürfen diese doch ebensowenig wie irgendeine andere Nation den eigentlichen japanischen Boden betreten.

Das Klima ist hier im Vergleich zu anderen Ländern in der gleichen Breitenlage um vieles kälter. Die Pflanzen fingen kaum an zu treiben, sehr wenige blühten, und der Schnee lag noch vielerorts am Fuß der Hügel, deren Gipfel noch völlig damit bedeckt waren. Am 12. Mai morgens zeigte das Thermometer 2 Grad, mittags 6 Grad Reaumur über dem Gefrierpunkt.

Am 13. wurden mit Tagesanbruch die Anker gelichtet, das Wetter war klar, so daß man deutlich alle umliegenden Landspitzen und Inseln sehen konnte. Auf einem dieser Felsen hörten wir ein fortwährendes lautes Getöse, das wir als Brandung erklärten. Mit unseren Fernrohren erkannten wir aber sehr bald, daß es sich um eine unbeschreibliche Menge von Seelöwen, Seehunden und Seekälbern handelte. Die großen Fleischmassen lagerten teils auf den Felsen, teils steckten sie ihre runden Köpfe aus dem Wasser und, erhoben ein furchtbares Gebrüll.

Bald bemerkten wir am östlichen Horizont die Südostspitze von Tschoka, und wenig später liefen wir in die Bucht von Aniwa ein. Nicht weit von uns entfernt lag ein japanischer Einmaster, und am Land sahen wir mehrere japanische Häuser.

Am kommenden Tag unternahm ich mit einem Offizier eine Bootfahrt. Eine starke Brandung machte die Landung unmöglich, und so folgten wir der Küste. Um uns her waren eine Menge Wale, Seemöwen, Raben und wilde Enten. Wir hatten nun schon den nördlichen Teil der Landzunge des Kap Aniwa erreicht, als wir zu unserer Freude eine seichte Stelle fanden, die wir ohne Gefahr durchwaten konnten. Während wir zu Fuß die japanische Siedlung aufsuchen wollten, hießen wir die Matrosen mit der Schaluppe nachkommen.

Auf unserem Weg bemerkten wir viele, recht ärmliche Eingeborenenhütten. Wahrscheinlich dienten sie nur als Sommeraufenthalt für die Zeit des Fischfangs. Die wenigen Frauen, die wir sahen, waren mit dem Aufschneiden und Reinigen der Fische beschäftigt, die sie zum Trocknen bereitlegten. Dabei wurden die Eingeweide ausgenommen und weggeworfen, der Rogen wurde jedoch besonders an der Luft getrocknet. Alle saßen bei dieser Arbeit unter freiem Himmel und hatten sich nur gegen die Windseite mit einigen, an Rudern und Stangen befestigten Strohmatten geschützt. Die Kleidung war wie auf Jesso ein langer, vom offener Rock mit weiten Ärmeln. Gingen wir an ihren Wohnungen oder Arbeitsplätzen vorüber, so standen die Männer gewöhnlich auf, gingen uns einige Schritte entgegen, begrüßten uns sehr freundlich, während die Frauen ruhig hinter ihrer Strohmatte sitzenblieben.

Dieser Spaziergang war sehr abwechslungsreich und wenig ermüdend, weil wir entlang der Küste einen sehr begangenen Pfad benutzen konnten. Die nahen bewaldeten Hänge waren größtenteils steil; hin und wieder öffneten sich malerische Täler, aus denen kleine Bäche ihr Wasser in die nahe Bucht ergossen. Über diesen lagen dicke Bretter, um den Übergang zu erleichtern.

Kaum hatten wir uns den Häusern genähert, so kamen zwei japanische Offiziere auf uns zu. Sie fragten nach dem Woher und Wohin und nötigten uns dann zu einem Imbiß in ihre Wohnung. Der eine unserer Gastgeber war 6, der andere 8 Jahre auf dieser Insel, die sie Karafuto nannten; ihr nördlicher Teil war ihnen unbekannt. Die ursprünglichen Bewohner dieses Teiles der Insel sind Ainus, die mit den Bewohnern von Jesso und der Kurilen den gleichen Stamm bilden, dessen Oberhaupt nach ihrer Aussage in Jesso leben soll. Wir waren in großer Sorge um das Schicksal unserer Schaluppe, die am Nachmittag immer noch nicht eingetroffen war, und machten uns auf die Suche. Nach einer halben Stunde fanden wir sie und versuchten nun, quer über die Bucht zu unserem Schiff zu kommen. Kaum hatten wir das Land verlassen, so erhob sich ein stürmischer Wind; die Wellen nahmen an Größe und Stärke zu, und die kleine, mit 9 Personen belastete Schaluppe hatte schwer gegen die Wogen anzukämpfen. Kurz vor 8 Uhr abends erreichten wir endlich zu aller Freude unser Schiff, dessen Besatzung nicht ohne Schaudern unseren Kampf mit den aufrührerischen Elementen beobachtet hatte.

Am 16. lichteten wir die Anker und erreichten mit einem frischen Südostwind gegen Abend das Vorgebirge Aniwa, das wir umsegelten. Die Witterung wurde recht rauh, ja wir hatten sogar Schneegestöber. Am 26. hatten wir ein ebenso neues wie unerwartetes Schauspiel. Wir sahen sehr viel Treibeis, teils in einzelnen Stücken, teils in ausgedehnten Feldern gen Westen; so mußten wir einen östlichen Kurs nehmen. Am folgenden Morgen traten auch noch in Nordwest ungeheure Eisfelder auf. Unter diesen Umständen war es unmöglich, noch weiterzusegeln und die nordöstliche Küste von Sachalin zu untersuchen. Wir hatten nun die Wahl, entweder aufs Ungewisse wochenlang umherzukreuzen und das Auftauen des Eises abzuwarten, oder unverzüglich nach Kamtschatka zu segeln, um dort Herrn v. Resanoff, den die geographische Untersuchung dieser Küste wenig interessierte, an Land zu setzen und dann die begonnenen Beobachtungen wieder aufzunehmen. Dieser letztgenannte Plan wurde dann auch durchgeführt. Wir segelten gerade nach Osten, den Kurilen entgegen.

Nach stürmischen Tagen und Schneefällen – es war der 1.Juni - tauchte der Pik von Onekotan, einer der nördlichsten Kurilen, vor uns auf. Wir durchfuhren den Kanal zwischen Onekotan und Charamukatan und befanden uns in den kamtschadalischen Gewässern. Am 4. tauchte der Pik von Awatscha vor uns auf, und bereits am folgenden Nachmittag konnten wir im Hafen von St. Peter und St. Paul glücklich vor Anker gehen.


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