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Eine Reise um die Welt
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Schlittenhunde und Verkehrsmittel auf Kamtschatka

Alle Nationen, die längs des Nördlichen Eismeeres vom Ob an durch ganz Nord-Sibirien, in Kamtschatka, auf den Kurilen und bis zu den nördlichsten Besitzungen von Japan in einer Entfernung von mehr als hundert Längengraden voneinander leben, nämlich die Ostjaken, Samojeden, ein großer Teil der Tungusen, die Korjäken, Tschuktschen, Kamtschadalen, die Ainos auf Jesso und Tschoka benutzen die Hunde im Winter als Zugtiere. Sie können vor dem Schlitten über den tiefsten Schnee, über leicht gefrorene Sümpfe und Moräste, über Flüsse und steile Anhöhen weglaufen, über welche Pferde schlechterdings nicht gelangen können.

Die kamtschadalischen Hunde haben eine spitze, vorstehende Schnauze, spitze, aufrechtstehende Ohren und einen langen zottigen Schwanz. In Gestalt, Größe, Blick und selbst in ihrer Lebensart haben sie sehr viel Wolfsähnliches. Das Fell ist teils mit schlichten kurzen, teils mit zottigen langen Haaren und auf der Haut mit einer weichen Wolle bedeckt.

Als Anspann ist diese letztgenannte Hundeart meistens schwerfällig, sie kann bei frischem und tiefem Schnee kaum gebraucht werden, da sich der weiche Schnee zwischen den Haaren zusammenballt, gefriert und die Hunde am Laufen hindert. Die hochbeinigen und dünner behaarten sind diesen vorzuziehen. Ihre Farbe ist sehr verschieden; es gibt schwarze, weiße, graue, rote, und davon wieder die verschiedenartigsten Zeichnungen.

Diese Tiere leben das ganze Jahr über im Freien, ohne je in einen Stall zu kommen. Im Sommer scharren sie sich Gruben in die Erde, um etwas kühler zu liegen, und im Winter verbergen sie sich auf die gleiche Weise im Schnee, um sich gegen die Kälte zu schützen. Kälte können diese Hunde besser vertragen als Wärme.

Zwischen dem fünften und sechsten Monat werden alle zum Anspann bestimmten Hunde kastriert; sie sind dann widerstandsfähiger gegen Strapazen und besitzen dann auch nicht mehr die vielen unerfreulichen Eigenheiten ihrer Rasse. Die zweite Operation, der sich die Zughunde unterwerfen müssen, ist das Kupieren des Schwanzes. Da er im natürlichen Zustand sehr lang und stark behaart ist, würde er beim schnellen Laufen hinderlich sein. Diese Operation nimmt man meistens zwischen dem zweiten und dritten Jahre vor.

Jeder Hund bekommt, wenn er noch jung ist, einen Namen, der gewöhnlich der Farbe oder einer besonderen Eigenschaft des Tieres entnommen wird, z. B. Schwarzohr, Langohr, Hängeohr, Spitznase, Rotfleck, Grau- oder Schwarzkopf, Tiger, Weißfuß, Stumpfschwanz usw. Dies hat den Vorteil, daß man bei einem größeren Hundegespann den einen oder anderen, der nicht seine Schuldigkeit tut, nur anzurufen braucht. Dies ist um so notwendiger, als der Hundezug nicht mit Leitriemen und Peitsche, sondern nur mit Worten gelenkt wird.

Die Nahrung der Hunde besteht größtenteils in frischen, gefrorenen, gekochten, getrockneten oder verfaulten Fischen. Die Fütterung erfordert besondere Aufmerksamkeit. Im Sommer suchen sie sich ihre Nahrung selbst; sie halten sich in der Nachbarschaft der Seeufer oder an Flüssen auf und lauern auf die Fische. Dann stehen sie bis an den Bauch im Wasser, und sobald sich ein Fisch sehen läßt, schnappen sie mit solcher Sicherheit nach ihm, daß ihnen nur selten die Beute entwischt. Ja, sie gehen dabei sogar mit dem Kopf unter Wasser. Wenn z.B. die Lachse scharenweise in den Flüssen hochziehen, fressen die Hunde von ihnen nur die Köpfe und verschmähen das übrige als weniger wohlschmeckend.

Im Herbst treibt der Hunger die Hunde wieder in die Dörfer, wo sie von den Besitzern eingefangen und angebunden werden. Sie sind dann sehr fett und erhalten jetzt täglich nur ein kleines Stück getrockneten oder gefrorenen Fisch, zuweilen auch einige Tage lang gar nichts, denn ein fetter Hund ist schwerfällig und ungeschickt zum Ziehen. Bei dem ungeheuren Überfluß an Fischen im Sommer und dem Mangel an Zeit, sie zu reinigen und zu trocknen, werden große Gruben gegraben und die Fische zu Tausenden hineingeworfen und schließlich mit Stroh, Erde und Brettern fest zugedeckt. Wird später eine solche Grube geöffnet, so verbreiten die in Fäulnis übergegangenen Fische einen fürchterlichen Gestank, der aber auf die Geruchsnerven der Kamtschadalen keinen besonderen Eindruck macht. Diese Fische sind für die Hunde ein Leckerbissen.

Die Zahl der Hunde, die man vor einen Schlitten spannt, hängt von der Last ab, die man transportieren will, von der Güte der Hunde und schließlich von der Beschaffenheit der Schlittenbahn. Vor einem leichten Schlitten mit einer Person und wenig Gepäck benötigt man 4 - 5 Hunde. 6 Hunde können einen Schlitten von 640 Pfund bei gutem Weg mit Leichtigkeit fortziehen. Ist die Last größer, so müssen noch mehr Hunde angespannt werden.

Im Frühjahr, wenn in den kalten Nächten der am Tage geschmolzene Schnee und das Wasser nur mit einer dünnen Eiskruste überdeckt sind, zieht man den Hunden eine Art Lederstrümpfe an, die über dem vorderen und hinteren Kniegelenk befestigt werden, um die Füße der Tiere vor Verletzungen zu schützen.

Die Schlitten werden aus Birkenholz und Riemen ohne Verwendung eines Nagels angefertigt und sind je nach ihrer Zweckbestimmung bald leichter oder schwerer gebaut. Auffallend ist, daß fast alle Schlitten ein und dieselbe Spurweite haben, so daß eine vorhandene Schlittenbahn das Fahren wesentlich erleichtert. Ein guter Schlitten wiegt selten mehr als 20 - 22 Pfund und ist dabei so fest, daß er mit großer Gewalt gegen einen Baum fahren kann, ohne zu zerbrechen.

Der Führer sitzt immer seitwärts und muß jederzeit bereit sein, abzuspringen, nebenher zu laufen und wieder aufzusitzen. Überhaupt besteht in der Art zu balancieren, den Schlitten in jedem Augenblick in der Gewalt und im Gleichgewicht zu halten, die besondere Geschicklichkeit des Fahrens. Außer den gewöhnlichen Schlitten hat man noch eine andere Art, Narden genannt, die nur für Lasten bestimmt ist. Diese gleichen einer auf kurzen Füßen stehenden langen, beiderseits mit einer Einfassung versehenen Bank, die aber die gleiche Spurweite hat wie der gewöhnliche Schlitten. Das wichtigste Werkzeug bei einer Schlittenfahrt ist der Ostoll, ein knieförmiger, in einem stumpfen Winkel gebogener starker Stock, der am unteren Ende mit einer eisernen Spitze und am oberen mit zierlich geflochtenen Riemen, mit Schellen oder rasselnden Ringen versehen ist. Dieser Stock vertritt die Peitsche. Will man die Hunde antreiben, so rasselt man damit, will man langsam fahren oder halten, so stößt man den Ostoll mit der nötigen Kraft vor den vorderen Schlittenkufen in den Schnee und hält auf diese Weise die Hunde in ihrem Laufe an. Besonders wichtig ist der Ostoll, wenn man auf Jagd fährt. Durch das beständige Geschrei der Kommandos würde man sehr bald das Wild verscheucht haben. Gute Leithunde müssen daher genau auf den Ostoll achten können. Will man links fahren, so schlägt man den Stab rechts auf den Schnee oder klopft leise an die vordere rechte Schlittenkufe, und ebenso umgekehrt, wenn man nach rechts fahren will.

Der Kamtschadale setzt sich selten auf den Schlitten, ohne ein Paar Schneeschuhe mitzunehmen. Sie sind für ihn von größtem Wert. Er geht mit diesen in die mit tiefem Schnee bedeckten Waldungen und Gebirge, um den Zobel zu verfolgen, und bahnt damit bei frisch gefallenem Schnee, durch den sich die Hunde kaum oder doch unter den größten Schwierigkeiten durcharbeiten können, den Weg, indem er dem Schlitten vorausgeht und den Schnee zusammentritt, auf dem die Hunde dann leichter folgen können. Endlich sind die Schneeschuhe noch besonders notwendig, um die Schlittenbahn in gutem Stand zu erhalten. Denn wenn man ohne diese vom Schlitten absteigen will, fällt man zuweilen bis über die Knie in den Schnee, und dadurch entstehen große Löcher, die den folgenden Schlitten die Fahrt erschweren.

Diese Schneeschuhe bestehen aus dünnen langen Brettchen, die am vorderen und hinteren Ende beiderseits zugespitzt sind. Die vordere Spitze ist aufwärts gebogen. In der Mitte sind diese Schneeschuhe noch leicht gewölbt, wodurch sie elastisch werden. Um das Gehen bergauf zu erleichtern, ist die Lauffläche der Schneeschuhe mit Seehunds- oder Seebärenfell überzogen, und zwar so, daß der Strich der Haare von vorn nach hinten verläuft. Das Vorwärtsschreiten wird durch die glatte Haarfläche erleichtert, ein Zurückgleiten auf dem Schnee dagegen durch die stärkere Reibung gegen den Haarstrich erschwert.

In der vorderen Hälfte der Schneeschuhe, deren mittlere Länge etwa 4½ Fuß bei 7 Zoll Breite beträgt, sind Riemen befestigt, mit denen die Schneeschuhe leicht an den Fuß gebunden werden.

Die Kamtschadalen besteigen zuweilen, um ein Wildschaf zu erlegen, hohe Schneeberge und bedienen sich bei dieser Gelegenheit der Eisschuhe; diese bestehen aus etwa 2½ bis 3 Schuh langen Stäben, die etwa 8 Zoll weit auseinanderstehen und vorn und hinten wieder zusammenlaufen. Der Zwischenraum ist mit Querleisten und Riemen ausgefüllt. Auf der unteren Fläche der Stäbe sind kleine Knochenspitzen eingesenkt, die in das Eis greifen und ein Ausgleiten verhindern. Diese Eisschuhe werden ebenso wie die Schneeschuhe am Fuße befestigt.

In einigen Gegenden von Kamtschatka, in denen die Einwohner hohe Schneeberge und Gletscher ersteigen müssen, bedienen sie sich auch scharf zugespitzter Eisen, die sie an die Füße schnallen.

So schnell auch die Reisen mit Hundeschlitten vonstatten gehen, so haben sie doch auch ihre Unbequemlichkeiten. Jeder muß nämlich sein eigener Fuhrmann sein, und in dichten Waldungen, noch dazu wenn es bergab geht, sind die Hunde kaum zu halten. So kommt es allzuoft vor, daß selbst die geschicktesten Schlittenfahrer gegen einen Baum rennen und mit blutigen Köpfen oder anderen Verletzungen, auch wohl zu Fuß nach Hause kommen. Überhaupt hängt eine schnelle und glückliche Fahrt so sehr von der Witterung ab, daß man eine solche Landreise geradezu mit einer Seereise vergleichen kann. Man beobachtet ängstlich die Witterung, reist mit gutem Winde ab, spricht viel von den gegenwärtigen, vergangenen oder kommenden Stürmen oder von schnellen Reisen, wenn Wind und Wetter gut waren. Durch Schneegestöber, Stürme und widrige Winde wird man in der Fahrt aufgehalten und genötigt, im nahen Wald oder in einer Hütte Schutz zu suchen oder in der letzten Station gleichsam wie in einem Hafen wieder seine Zuflucht zu suchen, um gutes Wetter abzuwarten. Befindet man sich auf einer ausgedehnten Schneefläche, so orientiert man sich nach einer bekannten Waldspitze, einem Hügel oder Berg oder einer inselähnlichen Waldung, wie der Seefahrer in gleicher Lage ein Vorgebirge oder eine Insel ansteuert.


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