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Ich glaube durch Beschreibung einzelner Sitten und Gebräuche etwas mehr Licht über den Charakter und die Lebensart dieser Menschen zu verbreiten und halte es für notwendig, mich besonders ausführlich mit dem Kannibalismus zu beschäftigen.
Es gibt kein Geschöpf auf Erden, das gegen sein eigenes Geschlecht unter allen Zonen und Himmelsstrichen so wütet wie der Mensch. Man werfe nur einen Blick auf die Geschichte unseres Erdballes. In den ödesten Steppen wie in den fruchtbarsten Ländern, auf den kleinsten Inseln wie auf den größten Kontinenten, kurz in allen Weltteilen, unter den wilden wie unter den zivilisierten Völkern, ewig sucht der Mensch sein Geschlecht zu vernichten, allenthalben sieht man ihn von Natur aus roh und grausam. Auch die Bewohner dieser Inseln liefern merkwürdige Beispiele zur Bestätigung dieses Satzes.
Es gibt, so unglaublich es auch scheint, Völker, besonders in Südamerika und in West- wie Mittelafrika, die Menschenfleisch nur wegen des Wohlgeschmackes verzehren. Diese Völker essen nicht nur Gefangene, sondern ihre eigenen Frauen und Kinder, ja verkaufen und kaufen öffentlich Menschenfleisch. Die Beweggründe, welche den Menschen zu dieser widernatürlich scheinenden Handlung verleiten, sind hauptsächlich folgende:
1. Die äußere Not, wenn durch Mangel an Nahrungsmitteln der Hunger so stark wird, daß man nur auf diese Art sein Leben erhalten kann. Loureiro versichert, er habe in Indien bei einer großen Hungersnot beobachtet, daß sich viele Menschen entschlossen, ihr Leben dadurch zu erhalten, daß sie Tote, die in den Straßen lagen, verspeisten. Nach überstandener Hungersnot hätten dann einige allerdings nicht mehr aus Selbsterhaltungstrieb, sondern aus unwiderstehlicher Begierde Lebenden nachgestellt, um sie zu verzehren. – Auch unter den zivilisierten Nationen des Altertums gibt es Beispiele der Menschenfresserei. So berichtet Herodot, daß der persische König Kambyses auf seinem Kriegszug nach Äthiopien dadurch in große Bedrängnis geriet, daß der Proviant für seine Armee nicht genügte. Man schlachtete zunächst Pferde und Lasttiere, als diese nicht ausreichten, war man genötigt, jeden zehnten Mann zu töten. So verzehrte einer den andern. Man mußte das Unternehmen aufgeben, und nur ein kleines Häuflein gelangte wieder in die Heimat. Auch auf Nukahiwa schlagen nach Aussage unserer Gewährsleute viele Männer ihre Frauen und Kinder bei eintretender Hungersnot tot, um sich mit ihrem Fleisch zu sättigen. Insulaner, die viele Lebensmittel besitzen, scheinen nicht zu dieser Verzweiflungstat zu schreiten, wenigstens war bei einer, mehrere Monate vor unserer Ankunft hier herrschenden Hungersnot niemand von der Familie Kätänuähs gestorben oder aufgezehrt worden. Im Gegenteil, dieser hatte nach Aussage unserer Gewährsleute seine Lebensmittel mit 26 Personen geteilt.
2. Ein zweiter Beweggrund der Menschenfresserei ist die ungewöhnliche und regellose Lüsternheit und Naschhaftigkeit des Menschen. Den Indianern, besonders in Mexiko, fehlte es gewiß nicht an Lebensmitteln, trotzdem brachten sie unaufhörlich und in großer Menge Menschenopfer dar. Obwohl dies unter dem Vorwand geschah, es seien Opfer für ihre Götzen, so war der eigentliche Grund doch der, ihren Hunger desto angenehmer zu befriedigen. Nur deshalb und ohne irgendeinen religiösen Vorwand bedienten sich die Tapuya in Brasilien der gleichen Speise, und andere südamerikanische Stämme mästeten gewöhnlich noch ihre Schlachtopfer einige Monate vor ihrem Tode.
Ähnliche Gewohnheiten haben die Jaygas, die sich durch die afrikanischen Wüsten bis zu den Grenzen der Hottentotten am Kap der Guten Hoffnung ausbreiten. Die Anzigos im Königreich Kongo töten und essen nicht nur die Gefangenen anderer Völker, sondern sogar ihre Landsleute, die sie eine Zeitlang reichlich und mit Leckerbissen ernähren, um ihr Fleisch schmackhafter zu machen und es dann auf öffentlichen Märkten zu verkaufen. – Aus Asien erzählt Plinius, daß der größte Teil der tartarischen Völker Menschenfresser seien, und zahlreiche Reisebeschreibungen beweisen uns, daß beinahe alle Bewohner der Südsee dem gleichen Laster frönen. – In Europa geschieht dies unseres Wissens heutzutage nicht mehr, obgleich es nach Plinius in den ältesten Zeiten bei den Lestrigonen der Fall war. Das gleiche versichert Strabo von den alten Bewohnern Hiberniens, die wir gewöhnlich Irländer nennen, und Coelius Rhodriginus von den Schottländern. Ja, es ist höchst wahrscheinlich, daß alle unsere Vorfahren in jenen Zeiten, als sie noch auf der untersten Stufe der Kultur standen, Menschenfresser waren.
3. Der dritte Beweggrund ist der seltsamste, da er gegen die Natur und gesunde Vernunft zu streiten scheint. Unter dem Vorwand von Menschlichkeit ist der Mensch unmenschlich; in der Überredung von Treue und Liebe ist er feindselig und treulos. – Was ist wohl wertvoller als das Leben? Und wem sind wir mehr schuldig, es zu erhalten, als unsern Eltern und Anverwandten? Und doch kannten die Massageten, ein orientalisches Volk, das jenseits des Kaspischen Meeres wohnte, diese angeborene Verpflichtung nicht. Von diesem Volke erzählt Herodot, daß alte und kränkliche Menschen von ihren Anverwandten getötet und verspeist würden. Diese Nachricht wird auch von anderen Schriftstellern bestätigt, z. B. von Pompenius Mela, der diese gleiche Sitte von einem skythischen Volke, den Essedoniern, erwähnt.
4. Der vierte Beweggrund der Menschenfresserei ist großer Haß, Rache und Verachtung. So berichtet Loureiro, daß in Cochinchina alle Rebellen nach dem Gesetz getötet werden und ihr Fleisch von treu ergebenen Untertanen verzehrt wird. Als die westlich in den Bergen hausenden Moï öfters in Cochinchina einfielen, wurde eine Armee ins Gebirge entsandt. Wegen der Unzugänglichkeit des Geländes war der Erfolg aber gering. Der General war darüber so aufgebracht, daß er zwei Gefangene töten und von den Soldaten verzehren ließ. Als sich Loureiro 1777 an Bord eines englischen Kriegsschiffes im Hafen von Teirao befand, um Cochinchina zu verlassen, brachen Rebellen ein, töteten verschiedene Anhänger des Königs, unter anderm einen, der ihnen viel geschadet hatte, und zum Beweis ihres besonderen Hasses rissen sie ihm die Leber aus und verzehrten sie.
Es steht also unleugbar fest, daß die Nukahiwa-Insulaner aus Hunger ihre Freunde, aus Haß oder Gewohnheit ihre Feinde verzehren. Aber die Priester (Taua) tun noch ein übriges; aus bloßer Naschhaftigkeit gelüstet ihnen öfters nach Menschenfleisch. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie unter mancherlei Gaukeleien und verstellten Zuckungen auf kurze Zeit in tiefen Schlaf versinken. Wenn sie wieder erwachen, erzählen sie den Umstehenden, daß ein Geist in sie gefahren sei und ihnen im Traum befohlen habe, einen Menschen von der und der Gestalt aus dem nächsten Tal oder jenseits des Flusses zu fangen. Die Umstehenden erfüllen sogleich den Wunsch des Geistes, verstecken sich in der Nähe eines Weges oder fischreichen Baches und fangen einen Menschen weg, der einige Ähnlichkeit mit der Traumgestalt des Priesters hat. Dieses Opfer wird dann auf dem Morai der Taua in Gesellschaft der Tabu-Freunde verzehrt. – Ist einer der Priester erkrankt, so werden je nach der Schwere der Krankheit ein oder mehrere Bewohner eines feindlich gesinnten Tales weggefangen und als Opfer für seine baldige Genesung verspeist. Gesundet der Priester, so ist es gut, wenn nicht, so wird das Opfer wiederholt, stirbt er aber, so nimmt das ganze Tal an dieser Begebenheit Anteil und fällt in offenem Kampf über die Bewohner her. Sofern auch nur ein einziger Mann oder eine Frau erschlagen wird, zieht man mit der Beute nach dem Morai und verzehrt sie hier. Dem Sieger, der den Feind getötet hat, gehört der Kopf; er löst ihn vom Körper und erweitert die Öffnung des Hinterhauptknochens und trinkt das blutige Gehirn aus. Dann reinigt er den Schädel von allen Fleischteilen, verziert ihn mit Schweinshaaren und bindet den Unterkiefer mit einer Kokosfaserschnur fest an den Oberkiefer des Schädels. Diese Trophäe wird um die Hüfte als Zeichen der Tapferkeit getragen. Während unseres Aufenthaltes konnten wir mehrere solche Schädel einhandeln.
Die Hauptursache aller Feindseligkeiten ist also mehr die Lüsternheit nach Menschenfleisch als Eroberungssucht. Bei solchen kriegerischen Anlässen erscheinen die Insulaner besonders an Händen und Füßen mit vielen Federn geschmückt. Um den Kopf tragen sie eine Schleuder aus Kokosfaserschnur, die man als Fremder eher als Schmuck denn als Waffe ansehen würde. Die vornehmsten Helden binden dazu die eben geschilderten Schädeltrophäen um die Hüften oder um die Füße. In den Händen tragen sie Lanzen, Wurfspieße und Keulen aus Kasuarinenholz. Während des Kampfes hüpfen und springen sie herum, um den geschleuderten Speeren oder Steinen auszuweichen und beenden den Kampf, sobald auch nur ein einziger Gegner getötet ist. – Stellen sie aber einzeln ihren Feinden nach, so geschieht das hauptsächlich bei schlechtem Wetter, denn das Rascheln des Unterholzes ist dann nichts Ungewöhnliches, und die ohnehin schlechte Sicht läßt keine vorzeitige Entdeckung befürchten.