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Der Zufall hatte einst auf einer Reise
mit einem guten Freund zusammen mich gebracht;
derselbe Gasthof nahm uns auf zur Nacht.
Am andern Morgen, da ich kaum erwacht,
merk' ich, der Freund treibt's auf besondre Weise.
Wir waren harmlos eingeschlafen und vergnügt,
und nun – woran doch das wohl liegt? –
hör' ich ihn aufschrein, seufzen, ächzen
und krächzen.
»Was ist dir, Lieber? Doch nicht krank?« –
»Nein, Gott sei Dank,
nur muß ich mich rasieren.« –
»Und darum solch ein Lamentieren?«
Jetzt spring' ich aus dem Bett und seh',
der wunderliche Heilige
steht vor dem Spiegel da mit Angstgebärden,
verzieht so sauer das Gesicht,
die hellen Tränen von den Wangen fließen.
Er stellt sich an, der arme Wicht,
als sollte er geschunden werden.
Ich sah nun wohl, woran es lag,
und sprach: »Es möge, Freund, dich nicht verdrießen.
Allein das ist ja klar am Tag,
du willst es selbst nicht besser –
das sind ja nicht Rasier-, nein Hackemesser.
Von solchen mußt du freilich Marter leiden.« –
»Ich leugne nicht, daß stumpf die Messer sind,
wer das nicht sähe, wäre blind.
Allein mit scharfen furcht' ich mich zu schneiden.« –
»Nun, Freund, ich will mich unterstehn,
dir zu versichern, daß mit stumpfen Messern
du die Gefahr nur kannst vergrößern.
Mit scharfen macht sich's glatt und schön,
wenn du nur weißt mit ihnen umzugehn.«
Was ich hier meine? Ich erläutere es gern.
Es gibt so manchen großen Herrn,
der, ob er's auch verhehlt, Scheu hat vor guten Köpfen
und lieber sich umgibt mit Tröpfen.