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(Ein Brief)
Neapel, den 20. Dezember 1827.
Geliebte Mutter!
Meinen herzlichsten Glückwunsch an euch alle voran, will ich, da ich vermute, daß meine Schilderungen aus Sizilien euch Freude machen, weiter darin fortfahren. Von Trecastagne, froh, nicht mehr die schmutzigen Mönche um uns zu sehen, eilten wir nach dem schönen Catania durch lauter blühende Gärten hinab. Das Wetter erheiterte sich immer mehr, und als wir in der Stadt, die ein völlig modernes Ansehn hat, ankamen, umfing uns ein Himmel wie blaues Glas. Wie froh wir dadurch gestimmt wurden, verdroß es uns doch sehr, daß wir den halben Ätna (den nun keine Wolke einhüllte als die seines Atems) wieder herabgekommen; dies wurde uns noch verdrießlicher, weil alle Gasthöfe so von Fremden überfüllt waren, daß wir unter dem glühendheißen Dache mit zwei Zimmern vorlieb nehmen mußten, in denen kaum für die Betten Raum war. Als wir uns daher wieder menschlich angekleidet, ein wenig gesessen und – geschlummert, eilten wir, es war noch früh am Tage, in die luftigen Straßen, die trotz der heißen Sonne gegen die glühenden Öfen, in denen wir wohnten, eine wahre Erquickung waren. Uns schien eine Eisbude vor der Hand das Merkwürdigste, weil wir, so ganz erschöpft, für nichts Sinn hatten, als eben für Erquickung. Diese wurde uns in solcher Vollkommenheit gereicht, daß wir aus der Hölle uns in den Himmel versetzt und Ambrosia zu speisen glaubten. Nichts stellt die von Hitze erschöpften Glieder so rasch, so augenblicklich her als ein Glas Eis. – Catania war sehr belebt, weil der neue Vizekönig die Stadt mit seinem ersten Besuch beehrte. Aus allen Fenstern hingen bunte Teppiche. Wir gingen die Straße Stesichorea (nach dem griechischen Dichter Stesichorus so genannt, der vor 2000 Jahren in derselben begraben worden) auf und nieder. Die wenigen Equipagen, die in Catania sind, begannen den Korso. Die Fenster füllten sich mit Damen, die auf den Vizekönig herab einen Regen von zerblätterten Blumen gossen; vergeblich aber suchten unsere Augen nach den berühmten Cataneser Schönheiten. Die schönste Dame, die wir sahen, war einer Deutschen eher ähnlich als einer Griechin. Die Catanerinnen haben ihren Ruhm, wie es scheint, nur ihrem seltenen Erscheinen zu danken, denn nur der Vizekönig vermochte sie unverschleiert ans Fenster zu locken. – Leider gab ich die treffliche Empfehlung, die ich an einen liebenswürdigen Kaufmann hatte, nicht denselben Tag ab; ich wäre sonst mit auf den großen Ball geladen worden, den die Stadt dem Vizekönig zu Ehren gab. Wie interessant wäre es mir gewesen, das schöne Catania im höchsten Putz zu sehen und in flüchtigen Gesprächen die vergeblichen Bemühungen schöner Lippen zu beobachten, welche ihren naiven Dialekt zu verbergen streben und doch immer in das tiefe Sizilianisch hineinplumpen. Als das Blumenregnen und der Korso vorüber waren, gingen wir an das schwarze Lavaufer, setzten uns auf die von stürmischer Brandung zerstörten Sitze nieder, und ließen uns von jetzt lieblicher und sanfter Seeluft anwehen. Das Meer schäumte nur hier und da um das finstre Gestade, welches sich wie ein schwarzer Saum dem Fuß des Ätna umherschmiegte, der höher mit Gärten, oben mit Schnee bedeckt, in die Glut der Abendsonne hineindampfte. Schiffe aller Art zogen auf dem blauen Meer hin und her; ihre weißen Segel röteten sich mehr und mehr, bis das Gestirn des Tages hinter der Stadt versank, und der Schatten des Erdrandes am Ätna aufstieg, so daß zuletzt seine Dampfwolke allein glühte. Dunkel umfing uns, wir schlenderten nach Hause mit dem festen Entschluß, das herrliche Wetter zu benutzen und sogleich den andern Tag des Ätna Gipfel zuzueilen. Sehr phantastische Träume von den Wundern des Ätna, die ich nun bald sehen sollte, raubten mir alle Erquickung des Schlafes; dennoch trat ich, in Begleitung meines Gefährten, die Reise vor Anbruch des Tages an, und zwar, der schlechten Maultiersattel überdrüssig, zu Fuß. Unser Gepäck ließen wir, die Zeichenbücher ausgenommen, in Catania und gingen wie spazieren durch die prächtigen Dörfer Gravina, S. Lucia und Massanunziata auf dem ungeheuren Bauch des Berges hinan nach Nicolosi, anfangs von Gartenmauern oder Häusern eingeschlossen, dann freier die Ebene des Meeres überschauend, an den Lavafeldern von 1669 hin. Die mannigfaltigen Formen bunter Gebirge Siziliens sanken immer tiefer und tiefer, und immer neue traten am Ende des Horizontes hervor. Der Tag war himmlisch! Eine sanfte Luft kühlte unsre glühende Stirn. Die schöne breite Straße erhebt sich so allmählich wie die Wege in englischen Gärten. Ehemals muß der schwarze vulkanische Sand das Aufsteigen sehr unangenehm gemacht haben, wie es noch jetzt hinter Nicolosi ist. Da ich von Siegerts Freunde in Trecastagne eine Empfehlung an D. Gemmellaro hatte, eilte ich, denselben aufzusuchen. Er nahm uns sehr freundlich auf, und erinnerte sich noch lebhaft an Kephalides und Förster, deren Tod er schon durch einen Fremden erfahren. Er fügte hinzu: man glaube allgemein, viele Nordländer stürben bald, nachdem sie den Ätna bestiegen. Ich sagte ihm: das wäre immer besser, als wenn sie vorher stürben; worin er mir Recht gab und eine Flasche seines besten Weines bringen ließ, der um sein Haus her in goldenen Trauben gehangen, und, von unterirdischem und überirdischem Feuer durchdrungen, die Heiterkeit unseres Gespräches erhöhte. Er sprach mit Begeisterung von seinem Muttergebirg Ätna, welches er seit seiner Jugend nach allen Richtungen umreiset. Sein Plan vom Ätna wird jetzt in London gestochen. Nach einem trefflichen Mittagmahl dingten wir die Piloten, die uns auf den Gipfel leiten sollten, wohin wir auf guten Maultieren um elf Uhr abends zu reiten beschlossen, um den Sonnenaufgang von der Spitze am Krater zu sehen. Da wir noch Zeit übrig hatten, gingen wir nach dem verlassenen Kloster S. Niccola, wo wir eine Gruppe Pinien zeichneten, und dann nach Nicolosi zurückkehrten, daselbst bis um 11 Uhr auszuruhen. Meine Phantasie war indes wieder so aufgeregt, daß ich von einem Erdbeben nach dem andern träumte, ja zuletzt kam es mir vor, als wenn der ganze Berg mit seinen hundert und hundert Kratern und Dörfern wie ein Teig aufginge und gährte; dabei drehte sich eine Ortschaft immer an der andern vorbei, so daß sich die Leute wie auf Schiffen aus den Fenstern zuriefen. Ganz Catania stieg wie eine Brandung am Berge herauf. Mitten im weiten Meere erhoben sich andre feuerspeiende Berge, zwischen denen die Schiffe, deren Segel verbrannten, sich durch Rudern helfen mußten, und doch nicht wußten, wo sie alle hin sollten. Ich sah aus den Kratern Fische fliegen, die noch zappelten, aber, ins Meer gefallen, starben und mit umgewandtem weißem Bauch hintrieben, und es kam mir vor, als wenn sich Haifische um ihre Körper zankten. Syracusens Lehne krümmte sich wie Holz im Feuer, und Syrakus kam in einem Golf Catania gegenüber zu stehen. Wir selbst bewegten uns immer auf und ab, wie auf sehr großen Wogen, so daß ich froh war, als das laute Pochen unsres Führers mich aus einem so fieberhaften Zustande weckte. Wir sprangen fröhlich auf und bestiegen bei dem schwachen Schein einer Laterne unsere hohen Maultiere. Da oben noch viel Schnee lag, nahmen wir ein Paar Bauernmäntel, Kapuzinerkutten nicht unähnlich, mit, und ritten im Schein der Gestirne aufwärts. Das schwache Licht der Laterne diente, der beweglichen Schatten der Maultiere wegen, nur unsre Augen noch mehr zu irren und unser Gemüt phantastischer zu stimmen. Erst durch eine lange Wüste schwarzen Sandes, dem Monte Rossi vorbei, welcher mit seinem Krater dunkel gegen den Himmel stand, zogen wir still hinan, bis uns die waldige Region (rechts den Berg Ardicazzo, links den Rinazzi) empfing. Die von Äxten der Holzhauer verstümmelten Eichen gingen wie allerhand Riesen und Ungeheuer an uns vorüber, und wir mußten uns zuweilen tief beugen, nicht von ihren Armen gefaßt und aus dem Sattel geworfen zu werden. Bald glaubten wir, zu dicht an Felswänden zu reiten, bald sahen wir Abgründe neben uns, wo keine waren, und waren oft nahe daran, erträumten ausweichend, in wirkliche zu stürzen, wenn nicht unsre braven Maultiere gescheiter waren als wir. Die Luft wurde merklich kälter, je höher wir kamen; das Laub der Bäume erschien immer dünner, bis wir endlich nur Knospen, und zuletzt ganz kahle winterliche Zweige fanden. Wir hatten nun die Mitte des Weges erreicht, stiegen ab, und machten ein Feuer an, uns dabei zu wärmen. Die Maultiere ließen wir grasen und stärkten uns selbst mit ein wenig Wein, Brot und Schinken. Bei dem Feuer bemerkten wir erst, daß unsere Führer nicht die gemieteten, sondern mit schlechteren vertauscht waren. Sie gaben sich indes für Brüder derselben aus, und wir mußten uns nun darein finden, wie ärgerlich es war. Die Kälte nahm zu; wir gingen, uns zu wärmen, ein Stück zu Fuß, stolperten aber so viel über Baumwurzeln und Steine, daß wir es endlich wieder vorzogen, auf den schlechten Sätteln zu hölzernen Reitern zu erstarren. Dabei quälte uns das bange Gefühl, daß wir in immer höheren Kältegrad hinaufritten und durchaus an kein Abnehmen zu denken sei. – Es war so dunkel, daß wir von dem Berg vor uns durchaus keinen deutlichen Begriff erhalten konnten; unseren starrenden Augen erschien er wie ein weites schwarzes Tor. Unter uns dröhnte es im Innern der Erde oft wie der tiefe Ton einer Orgel. Der Führer meinte, es habe nichts zu bedeuten. Auf einmal trifft durch das schwarze Geäst ferner Bäume ein heller Strahl meine Augen. »Dort ist schon Feuer!« rief ich meinem Gefährten zu; indem breitet sich ein weißes Licht fernhin horizontal aus – es war das unendliche Meer unter uns, welches nun den aufgehenden Mond spiegelte. Eben als wir die waldige Region verließen, trat es silbern aus der Dunkelheit der Nacht hervor, die es bisher unsern Augen ganz verborgen hatte. Auch jetzt sah man nur den Schimmer des Mondes darin; das Übrige verschwand in die schwarze Ferne; nur wo keine Sterne mehr funkelten, zog die Phantasie seine Grenze. Aber als wir nun völlig ins Freie kamen, erstarrte unser Entzücken von dem entsetzlichen Eiswind, der uns entgegenheulte und seine Stimme mit dem unterirdischen Gebrüll vermischte. »Fa freddo!« sagte ich zum Führer. – »Si, Signure, fa friddu,« sagte er. So ging es anderthalb Stunden weiter. Was wie ein großes Tor erschien, erkannten wir nun im helleren Mondlicht für einen schwarzen Berg, an dessen Hange Schnee schimmerte. – Unsere guten Maultiere wurden in der immer feineren Luft immer nachdenklicher und blieben alle drei vier Schritt stehn und rupften an den igelförmigen stachlichten Pflanzen, welche zu ihren Füßen nur allein noch die Pflanzenwelt repräsentierten. Endlich hörten auch diese auf, und die atemlosen Tiere standen völlig still. Vor uns lag ein Schneefeld, welches der Führer lago nannte, und uns ersuchte, nunmehr abzusteigen: li muli nun caminannu mmenzu la nivi« (die Maultiere laufen nicht im Schnee) sagte der kleine Knabe, der mit uns war. – Das Absitzen ging, erstarrt wie wir waren, nicht so rasch, wie man es in Bereiterbuden sieht, und einer von uns beiden, der sich in den Mantel verwickelt hatte, fiel der Länge nach in den Sand, während der Fuß noch im Bügel blieb. Ich nahm indes keinen Schaden; auch war nicht zu befürchten, daß das Maultier wild würde. Mein Führer konnte daher mit aller Ruhe meinen erstarrten Fuß aus dem Bügel befreien. Ich fand es bequem, eine Weile liegen zu bleiben. Mein Gefährte würde laut gelacht haben, wenn ihn die Kälte nicht ernsthaft gemacht hätte. – Ich erhub mich endlich. Wir übergaben die Maultiere dem Knaben, der mit uns war, dieselben in ein ihnen zuträglicheres Klima hinab zu führen und daselbst auf uns zu warten. Wir selbst schritten mit dem Führer über das Schneefeld, dann in einer Schlucht hinan, froh, daß wir, vor dem Winde gedeckt, uns ein wenig erwärmten. Wie weit ist es noch zur Casa di Gemmellaro? – fragte ich den Führer. Duje uri! (zwei Stunden) sagte er, duje uri ci arivammu! (in zwei Stunden kommen wir hin!) – Eine angenehme Nachricht! wollte ich eben ironisch zu meinem Gefährten beginnen, als mir, auf die Höhe gelangt, der Sturm die Worte von den Lippen nahm und mich durch und durch wieder so erstarren machte, daß ich schon wünschte, niemals den Weg in dieses Sibirien angetreten zu haben. Liefen wir schnell, kamen wir in der feinen Luft außer Atem – gingen wir langsam, erfroren wir. Dazu brüllte der Berg immer vernehmlicher, und der Wind drohte uns wie ein Paar Federn über den Bauch von Schnee hinab zu wehen, den wir hinaufklommen. In unsern Ohren sauste es, als wenn ein Organist sich mit ausgebreiteten Armen auf die Orgel legte und alle Register gezogen hätte. Von Trost zusprechen konnte also nicht mehr die Rede sein. Auf einmal blieb mein Gefährte vor mir stehn, zeigte zum Himmel, und schrie in meine Kapuze hinein: »die Sterne!« – Ich sah empor und – welche Pracht überschwebte mich ringsher! – die Milchstraße floß, ein Feuerstrom, über den ganzen Himmel; die Sterne funkelten nicht, sie standen in reinem Glanze an dem ganz dunkelblauen Himmel. Man sieht von dieser Höhe gewiß viele Millionen mehr als bei uns. Wir standen und starrten, bis der fühllose Wind uns das Wasser in die Augen trieb und uns blind machte. Immer höher und höher klommen wir nun, und sahen endlich den Kegel des Kraters als den letzten Berg vor uns, aber leider – leider auch schon die weißliche Dämmerung der nahenden Sonne dahinter. Wir konnten also das grandiose Schauspiel nicht mehr von der höchsten Spitze sehen, und gingen sehr verstimmt in die Casa di Gemmellaro hinein, die fast am Fuße des Kegels liegt. Erst im Hause erlaubte uns der Sturmwind, unsern Führer auszuschelten, daß er uns zu spät geweckt. Er tröstete uns mit der großen Wahrheit, daß bei solchem Sturm der Kegel für Menschen, die nur zwei Hände und zwei Füße hätten, nimmermehr ersteigbar wäre, und ermahnte uns, während er ein Feuer anmachte, ein wenig zu ruhen, Kaffee zu trinken und Zapizzata (Wurst) zu essen; er wolle uns dann auf einen Punkt führen, wo wir das Schönste sähen, was es auf der Welt gäbe. – Wir ließen uns von diesem Cicero beschwichtigen, streckten uns auf die hölzernen Betten dieser Oasenhütte hin, und ließen den Sturm über uns wegheulen. Unser Zimmer war eine Elle hoch mit Eis angefüllt, welches wir lieber unserm Cataneser Zimmer gewünscht hätten; denn hier konservierte es uns, ähnlich Leichen, deren Sarg noch nicht fertig ist, d. h. kalt und erstarrt. Das Feuer rauchte mehr, als es brannte, der Kaffee schmeckte wie Schinkenbrühe. Wir zogen also, so früh es war, den Wein von Nicolosi vor. Indem wurde es heller und heller. Wir eilten dem Führer nach, an dem Rand eines Abgrunds hin, auf eine Höhe, von der wir das einzige Schauspiel sehen sollten. Der Sturm schlug uns hier, um den Kegel wehend, plötzlich wie mit einer flachen Hand, so daß ich mich auf ein Knie niederwarf und am Boden festklammerte. In dieser Stellung sah ich recht ein, wie unmöglich es gewesen wäre, den Kegel zu erklimmen. Mein Gefährte legte sich in seiner Kutte auch auf den Schnee neben mich hin; so erwarteten wir frierend, doch glückselig, den schönen Anblick. Ehe aber noch die Sonne erschien, mußten wir über uns selbst lachen. Wir sahen nämlich gerade aus wie ein Paar steinalte Kapuziner: so bereift waren unsere Bärte und Haare, um die Kapuzen der zerrissenen Bauernmäntel hingen falsche Touren weißer Locken. Wir kamen uns ganz fremd vor. Um uns her erhellte sich nun mehr und mehr die entsetzliche Wüste, voll Schnee und schwarzer Abgründe. Wir unterschieden nun die Meerenge bei Messina, und Calabrien mit seinen blauen Zacken erhob sich aus der grauen Ebene der See, die sich wie erstarrt zu unsern Füßen unabsehlich ausbreitete und nach Syrakus hin zu Nebel wurde. Wie schwimmende Inseln bewegten sich kleine Gewölke darüber hin. Endlich zeigte sich über Calabrien ein langer purpurner Streif, der immer glühender und glühender wurde, bis das Blitzen der Sonne ihn verschlang. Noch war in der Tiefe alles dunkel; die Erleuchtung senkte sich aber schnell von uns am Berge hinab, und immer reicher und reicher wurde der Anblick. Lieblich war das Spiel der Morgenwolken, die tief unter uns über dem noch dunklen Meer schwebten. Der kalte Sturm ließ beim Erscheinen der Sonne die Flügel sinken, und wir eilten entzückt zum Kegel des Kraters, denselben zu ersteigen. Er war, wo nicht seine innere Glut durchdrang, rings umschneiet, wodurch das Ersteigen sehr erleichtert war. Aber, aber, je höher ich kam, je unmöglicher schien es mir den Gipfel zu erreichen. Ich vermochte die dünne Luft kaum zu ertragen. Ich mußte nach jedem Schritt stehn bleiben, und wurde mir so schwer, als sollte ich sterben, und sah bleich aus wie der Tod. So mag einem armen Vogel zu Mute sein, den man unter einer Glasglocke mit der Luftpumpe zum Spaß tötet und wieder belebt. Je höher ich kam, je schlimmer wurde mein Zustand. Ich mußte mich einigemale niederlegen. Der Schwefeldampf, der in Wolken um uns her flog und aus hundert kleinen Kratern am Kegel rauchte, vermehrte das Übel; dennoch erzwang ich die Ausführung meines festen Vorsatzes, und stand nun endlich neben meinem Gefährten (der zwar nicht so litt, aber doch auch wie ein Käse aussah) auf dem Gipfel. Ich hatte mich bisher geflissentlich nicht umgesehen, und legte mich nun mit geschlossenen Augen in die warme gelbe Asche nieder, um mich zu dem unermeßlichen Schauspiel zu sammeln. Ich schlummerte trotz des Geheuls und der tausend Gewitter, die mir nahe und unter mir tobten, fast ein wenig ein, ohne daran zu denken, daß die Spitze, auf der ich lag, über den entsetzlichen Schlund hinhing. Das Beben meines Lagers war mir in meiner Ermattung eher angenehm als ängstlich, seine Wärme wohltätig. Die Luft wehte nicht mehr Dampf entgegen, und als ich mich endlich, völlig erquickt, aufrichtete und die Augen öffnete, genoß ich den unbeschreiblichen Anblick mit reinem Entzücken. Wie ein schöner Traum umfing mich Himmel, Meer und Erde, und das Schreckliche diente nur, die Lieblichkeit des Schönen zu erhöhen; denn wenn man erst in den tobenden Rachen des Ungeheuers hinabgesehen, dessen Getöse das Ohr nicht faßt, dessen Tiefe entsetzlicher Qualm verbirgt, und nun das Auge wendet, umfließt der Okean den Gesichtskreis, und Sizilien liegt, wie Achilleus bunter Schild, tief zu Füßen mit all seinen Bergen, Wäldern und Städten. Italiens Ende sieht man bis zu den pästanischen Bergen, und weit in den Tarentinischen Busen. Aber wie bunt und lieblich die Ferne, wie entsetzlich die Nähe war – nichts glich an Zauber den aeolischen Inseln welche, da Gewölke vor ihnen auf dem Meere lagen, ganz feenhaft in der Luft zu schweben schienen, um so mehr, da nach jener Seite das unendliche Gewässer mit dem Äther verfloß. Sie leuchteten hell in der Morgensonne Glut. Strombolis Kegel hüllte sich oft in eignen Dampf, so daß er bald ein Gewölk, bald ein goldner Berg erschien. Das Vollkommne der Aussicht wird dadurch erhöht, daß man von einem Punkt rings umher alles erblickt, ohne hin und her gehen wie auf andern Bergen. – Auf der höchsten Spitze scheint man mehr zu schweben als zu stehn. Man träumt, ein Adler zu sein, der mit ausgebreiteten Flügeln über der Welt hängt. Wie der, von dem ich bei Reggio erzählte, hätte ich mich bald in diesen bald in jenen fernen Orangenhain hinabsenken mögen. Wir machten mit den Augen unsere ganze Reise zurück, und suchten die bekannten Berge von hier. Wir glaubten das Theater von Taormina zu erkennen, von dem aus wir den Gipfel, auf dem wir nun standen, gezeichnet hatten. Der Aphrodite Gebirge hatten hier ihre erhabenen Formen verloren und waren tief hinab gesunken. Messina mit seinem gekrümmten Hafen lag hinter den pelorischen Bergen. Von den Felshäuptern, die wir von unten angestaunt, erkannten wir hier nur die ragendsten Spitzen. Vom Cap Milazzo war wenig zu sehen, kaum die Höhe von Tyndaris, der ins Meer gestürzten Stadt. Freudig erkannten wir aber den Berg, an dem Himera lag, und endlich die lieben, lieben fast heimisch gewordnen Gebirge, welche das glückselige Palermo halb umkränzen. Von den ferneren, uns noch unbekannten Bergen und Tälern wandten wir uns bald wieder in die Nähe, und reiseten mit den Augen über die vier Regionen des Berges hinab nach Catania, und eilten schon nach Syrakus, von Syrakus über den honigreichen Hybla, über Hierons Sommersitz weiter nach Girgenti zu Selinunts Riesentrümmern, nach Segest, und standen wieder in dem himmlischen Palermo still, und dachten mit Wehmut daran, daß von dort uns bald ein Schiff mit ausgespannten Segeln nach Norden zurücktragen sollte. Ich wünschte mich nicht zu Euch, aber wohl Euch zu mir. ›Von hier oben wollen wir die ganze Welt leben lassen!‹ schrie ich aus vollem Halse meinem dicht neben mir stehenden Gefährten zu. Er verstand mich dennoch nicht eher (des Ätnagebrülls wegen), bis ich ihm seinen Becher vollschenkte und mit meinem ebenfalls vollen anstieß. »Erst die ganze Welt!« schrie ich ihm in die Ohren, »dann unsre Lieben in Deutschland!« – So stießen wir unsre Becher aneinander, und tranken sie in einem Zuge leer. Unser Führer mußte auch trinken. Seine Stimme war besser, und wir hörten ganz vernehmlich eh viva! tuttu lu munnu! e chiddi bravi signuri! In den Krater konnten wir auf keine Art hinabsteigen, da er mit dem dicksten Schwefeldampf erfüllt war, welcher aus tausend Abhängen des gräßlichen Tales mit solcher Gewalt emporschoß, daß er wie Springbrunnen hier und da Steine emportrug oder vielmehr emporsprudelte. Wenn der noch heulende Wind in den Schlund hineinwehte, sah man das entsetzenerregende immerwährende Stürzen der Wände, und als ich an den Rand hintrat, bemerkte ich erst, daß unser Standpunkt wohl zwanzig Ellen überhängen mochte, welcher Anblick, bei der ungeheuren Tiefe unter mir, mir alle Haare emporsträubte, um so mehr, da er beständig seinem Sturz entgegen zitterte. Von der höchsten Spitze nahm ich mir das oberste Stück hinweg, und stieg nun mit meinem Gefährten wieder außen am Kegel hinab. Da hier das Getöse geringer war, vermochte uns der Führer die Lavaströme zu unsern Füßen chronologisch zu bezeichnen. Die Karte, welche Kephalides Werk beigefügt ist, zeigt die Hauptsachen recht gut; Gemmellaros neue ist aber weit ausführlicher. – Die Beschreibung des Kraters bei Kephalides, wie die von dem Getöse darin, ist sehr treffend; ich habe sie erst kürzlich mit Vergnügen gelesen. Die Schilderung vom tiefer liegenden Val del bue ist indes nicht ganz richtig; denn wie gräßlich öde der obere Teil desselben ist, fanden wir den weiter hinabliegenden voll der schönsten Eichen stehen, welche, mit dem lieblichsten Grün geschmückt, die feuerfarbenen braunen und schwarzen Abstürze kränzen und den anmutigsten Kontrast bilden. Don Gemmellaro nannte es uns das schönste Tal der Welt, und nur, was wir aus der Ferne sahen, hätte uns beinahe verleitet, einer Reise dahin mehrere Tage zu widmen, um so mehr, da nie ein Zeichner dasselbe besucht. Der Weg dahin ist sehr beschwerlich, und wir hatten keine Zeit übrig, eine erste Expedition in noch unbekannte Gefahren hin zu wagen; zudem lockte uns Syrakus schon mit unwiderstehlicher Gewalt. – Das Hinabsteigen wurde mir, je tiefer ich kam, je leichter. Wir erreichten sehr bald des Gemmellaro Hütte wieder, beschlossen aber, da es unheimlich kalt war, nicht hier, sondern in der Ziegenhöhle zu frühstücken. Wir eilten also wieder über den Schnee und durch alle jene Schluchten hinab. Alle Gegenstände hatten im Licht des Tages eine andre, minder schreckliche Gestalt; die Sonne wärmte, je tiefer wir kamen, je angenehmer. Meine Ermattung, mein Übelbefinden verlor sich ganz, ich wurde immer stärker und stärker. Schon mehrere Stunden hinabgeschritten, fanden wir endlich den Knaben mit den Maultieren; die waldige Region empfing uns, es wurde wieder Frühling um uns her, die Öde war hinter uns; lieblich sangen Vögel in den knospenden Bäumen. Bei einer Buche hielten wir an, welche mit ihren Zweigen die heimliche, trauliche Ziegengrotte überwölbte. Wir zogen es indes vor, nicht in derselben, sondern am Stamm der Buche gelagert, unser Frühstück aufzuzehren. Des Mitgenommenen blieb nichts, nicht einmal die Rinde vom Käse übrig, welche unser Knabe begierig hineinschlang. – Dann galoppierten wir auf den nun munteren, sicheren Tieren den bei Tage nicht so gefährlichen Weg hinab. Mehr und mehr wurde Sommer um uns her, und wir suchten schon den Schatten, der uns mit der waldigen Region nun auch verließ. Das Gepfeife der Ziegen- und Rinderhirten tönte uns noch weit nach; die schwarze Sandwüste bei Monte Rossi glühte unter den langsameren Tritten der Maultiere, und von Mittaghitze erschöpft, streckten wir uns in Nicolosi aufs Lager. Eine Stunde Schlaf und ein treffliches Mahl gaben uns alle Kräfte wieder, so daß wir uns dem braven Don Gemmellaro empfahlen und voll Entzücken den trefflichen Weg voll prangender Aussichten nach Catania hinabgingen. Da wir unterwegs noch etwa drittehalb Stunden zeichneten, kamen wir sehr spät in unserem Gasthof an, wo uns indes, da viele Fremde abgereist waren, ein besseres Zimmer und ein erquickendes Mahl und ein erquickender Schlaf alle überstandenen Beschwerden vergessen machten.
Und nun lebe wohl, liebe gute Mutter, und habe deinen herumstreifenden Sohn August ein bißchen lieb, wenn er auch nicht grade so ist, wie Du ihn Dir wünschest.
Mit herzlicher kindlicher Liebe
Dein August.