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Von dem Strande, welcher nun Stabiä, die fast zweitausend Jahre in Aschenregen begrabene Stadt, lieblich überblüht, gelagert zwischen dem Golf von Neapel und dem von Salern, erhebt sich über den Spiegel des anmutigen Meeres, erst mit sanfteren Hügeln, bald aber geschwungener und kühner, ein mächtiges, vielzackiges, oben dunkelbewaldetes Kalkgebirge, dessen fruchtbare, terrassierte Hänge der Bienenfleiß der Menschen überall reichlich mit Öl- und Weingärten und mit unzähligen, zierlichen Ortschaften überbaut und geschmückt hat. So vollendet ist daselbst das Werk des Fleißes, daß es vor die Augen tritt, wie ein müheloses, unmittelbar göttliches Geschenk, als habe das Paradies sich herniedergesenkt in die Täler und um die Lehnen der zackigen Anhöhen.
Unter den vielen Ortschaften aber erhebt sich eine, Gragnano genannt, besonders gesegnet mit köstlichen Purpurtrauben. So reichlich trägt die Rebe dort, daß die Winzer noch im Schatten gehn, wenn sie schon die Blätter hinweggebrochen, die Trauben allein geben Schatten genug. Nicht zu früh, nicht zu spät reifen sie dort an den luftigen Hängen und füllen die gewaltigen Fässer mit köstlichem Getränk, so daß die Besitzer daselbst von Jahr zu Jahr an Wohlhabenheit zunehmen. Ja, rings um den ganzen schönen Golf sagt man, will man Jemanden als wohlhabend bezeichnen: er hat sein Kellerchen in Gragnano.
Nun hatte daselbst vor Jahren Gott einem Mann Namens Strintillo solcher Kellerchen nicht nur eines, sondern mehrere beschieden, auf deren Besitz sich Herr Strintillo nicht wenig zugute tat. Seine liebste Rede war: Ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muß geschehen! – Herr Strintillo wollte jedoch manchmal sehr dummes Zeug; besonders wenn ihm dergleichen geträumt hatte; denn er war über alle Maßen abergläubig und hielt gewaltig viel auf seine Träume. So hieß er einst in eine dürre Felszacke einen Brunnen hauen, weil ihm dort im Traum von seinem Vetter Ciccio ein Glas Wasser gereicht worden. Als man ihm aber vorstellte: hier werde kein Wasser kommen, sprach er: »Ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muß geschehen!« – Sofort wurde mit dem Hauen des Brunnens begonnen. Man sprengte, daß die Steine flogen. Drei Monate vergingen, – immer kam noch kein Wasser; aber Don Strintillo verlor den Mut nicht und würde, jedem Spötter zum Trotz, noch heute graben lassen; hätte sein Vetter Ciccio nicht Wasser in die Grube gegossen, und ihm ein Glas daraus geschöpft und zu trinken gereicht. – »Wer hat nun recht?« fragte Don Strintillo und trank das Glas rein aus. Zwar kam später, trotz alles Grabens, kein Wasser mehr nach; aber Don Strintillo hielt den Traum für erfüllt und war zufrieden und, als man ihm einige Zeit nachher von Ciccios List sagte, sprach er: »So sagt Ihr nur, damit ich nicht recht haben soll,« und alles endigte damit, daß er nur desto mehr im Glauben an seine Träume bestärkt wurde, recht nach dem alten Sprüchwort: zerstoße den Narren im Mörser und er wird ein Narr bleiben, nach wie vor. Jeden Morgen, sogleich nach dem Frühgebet, langte Don Strintillo nach seinen Traumbüchern, deren er nicht genug bekommen konnte. Dieselben widersprachen sich zwar hier und da; aber das war ihm eben recht; denn, traf sein Traum nach dem einen Buche nicht ein, so fand er in dem andern Trost. Alles, was ihm widerfuhr, wußte er immer hinterher den Träumen anzupassen, die er kurz vorher oder lange vorher gehabt hatte. Als ihm seine gute Frau starb, sagte er zu seinem Vetter Ciccio mit Tränen in den Augen: »Da sieh, wie meine Träume zuletzt doch eintreffen! – Vor drei Jahren, just in derselben Nacht, sah ich im Traum eine Katze, die auf glühenden Kohlen stand und gewaltig schrie. Was diese Katze bedeuten sollte, konnte ich damals in meinen Büchern nicht finden und auch nicht denken: nun ist es aber klar: die Katze, die auf Kohlen steht, ist meine Frau im Fegefeuer; denn, unter uns gesagt, sie kam mir manchmal nicht aufrichtig vor. Nun aber laß uns für ihre arme Seele beten!« –
»Ihr tut ihr unrecht,« sagte Don Ciccio.
»Laß uns beten,« sagte Strintillo, »vor Gott sind wir alle Sünder!«
Zum Glück wurde seine schöne Tochter Angiolina nicht von ihm erzogen, sondern von einer verständigen Muhme, die er ins Haus genommen, und wuchs an Seel und Leib so herrlich heran, daß sie mit sechszehn Jahren das Wunder der ganzen Gegend war. Unzählige Freier hatten sich bereits vergeblich bei dem wunderlichen Vater um sie beworben, als eines Tages zwei bei ihm zusammentrafen, welche sich besser berechtigt glaubten als alle früheren. Der ältere dieser Freier, Don Granco, war zwar von Gestalt häßlicher und drolliger, als man irgendein Figürchen aus Brot kneten könnte, dabei jedoch der wohlhabendste Mann in Gragnano und, was ihn bei Strintillo gleichermaßen empfahl, wie er, ein leidenschaftlicher Liebhaber von Träumen. Der andere dieser Freier aber war das Gegenteil von diesem, weder ein Träumer, noch mit Reichtümern gesegnet, aber sonst mit allem ausgestattet, was an jungen Leuten wohlgefällt. Er war jung und schön, kräftig und rührig und rasch in allem was er tat, der beste Tänzer am Ort und geliebt von jung und alt. Begabt mit der süßesten Stimme, die je von Mannesmund erklungen, verstand er zu Tänzen und Spielen augenblicklich die zierlichsten Weisen und Lieder zu erfinden, und hatte vor kurzem erst in einem Wettsingen mit den besten Improvisatoren der Umgegend eine schön ausgelegte Mandoline gewonnen, zu deren beseelten Klängen er, unter Angiolinens Fenster, manch schmelzendes Lied gehaucht. Kurz, Don Granco besaß das Herz des Vaters und Giovanni das Herz der Tochter, und war bei dem Alten ebenfalls so wohl angeschrieben, daß er die beste Hoffnung hatte. So gerüstet, traten beide zugleich in das Zimmer, jeder im Vertrauen auf sein Glück, hatte keiner ein Hehl vor dem andern, und Giovanni ließ den drolligen Don Granco seine Werbung zuerst anbringen. Dieser hub folgendermaßen an: »Mein ehrenwerter Freund Strintillo, vielleicht ist Euch bereits bemerklich geworden, wie mich schon seit geraumer Zeit der Liebesgott quält und peinigt, und zwar um Eurer schönen Tochter willen, welche, wie alle Welt weiß, von der Nasenspitze bis zur kleinen Zehe nichts anders ist, als ein Zucker und ein Honig, und, daß ich es kurz heraussage, durchaus gemacht für Euren Diener Granco. Viel Redens kann ich nicht machen, gebt sie mir zum Weibe: ich stelle sie in ein Glasschränkchen, und lasse kein Stäubchen auf sie fallen, so wahr ich Granco bin, es soll Euch nicht leid werden! – Ihr wundert Euch vielleicht, woher ich den Mut nehme, und sogar auf einmal mit der Tür ins Haus falle? doch seht diese zerknitterte Schlafmütze dahier und vernehmt, was mir diese Nacht geträumt hat.«
Bei diesen Worten ward der arme Giovanni leichenblaß. Auf einen Traum seines Nebenbuhlers war er nicht gefaßt, und da er Strintillos Leidenschaft für Träume kannte, fürchtete er sehr, daß Granco die Oberhand gewinnen könnte.
»Der Traum ist,« fuhr Granco fort, »so gut wie einer sein kann und ein Morgentraum, er paßt überall ein und schließt zusammen, daß gar keine Fuge bleibt.« Hierauf erzählte Granco mit langweiliger Ausführlichkeit: wie ihm Angiolinchen im Traum erschienen sei, um und um mit Blumen besteckt, und ihm eine Rose gegeben habe: wie sie dann zusammen einen großen goldnen Fisch gefangen und mit einem Hammer totgeschlagen hätten, der Fisch aber habe so viel Rogen gehabt, daß alle seine Kessel und Töpfe nicht langen wollen, ihn auszunehmen. Als er deshalb den Hut abgenommen, sich hinter den Ohren zu kratzen, sei er aufgewacht, die Schlafmütze in der Hand, die er vor Freuden über den prächtigen Traum ganz zerküßt und zerbalgt habe. »Da seht, wie sie aussieht, überall zerknittert und zerknillt!«
»Warum aber dünkt Euch der Traum so gut?« fragte Giovanni. Da sagte Don Granco: »wenn Ihr es ihm nicht selber ansehet, will ich Euch belehren; der Traum ist sechsmal gut:
Einmal, weil der Gegenstand der Liebe selber darin ist.
Zweitens, bedeuten die Blumen, daß das Zuckerkind bald heiraten wird.
Drittens, bedeutet die Rose, die sie mir gab, daß ich ein beneideter Mann sein werde.
Viertens, bedeutet das Angeln und, daß der Fisch anbeißt, unsere Heirat, und daß wir immer wohlhabend sein werden, denn der Fisch war von Golde.
Fünftens, bedeutet der Hammer, daß wir die Heirat durchsetzen werden, es mag in die Quer kommen, wer da will, und endlich:
Sechstens, bedeutet der viele Rogen zahlreichen Kindersegen.
Nun sagt selber, was fehlt dem Traum noch an seiner Vollkommenheit. Fragt einmal Don Strintillo, er ist gelehrter als ich; aber er mag ihn nach Rotbarts Traumbuch auslegen, oder nach Schwarzbarts, er ist gut und bleibt gut. Nach der klugen Sybille fällt er freilich anders, aber da sind die Nummern verdruckt, und wer ihr traut, ist immer betrogen. Was meint ihr, Don Strintillo, fragte Granco mit zuversichtlicher Miene, ist er nicht gut, ist er nicht prächtig?«
Aber Strintillo, der auf keine Frage rasch zu antworten gewohnt war, und der, unter uns gesagt, noch etwas auf die Sybille hielt, bewegte nachdenklich den Kopf, wandte sich zu Giovanni, und fragte: »Hat Euch auch etwas geträumt?« –
»Mir? Nein oder doch, ja, entgegnete Giovanni, und ergriff die Hand Strintillos: Mein lieber Don Strintillo, seit ich Eure Tochter gesehen, lebe ich beständig, Tag und Nacht, in dem Traume fort, daß nie Leute glücklicher zusammenleben würden, als Eure Tochter und ich!« Hierbei standen ihm die hellen Tränen in den Augen. Don Strintillo sah ihn freundlich an und sagte: »Nun, mein lieber Giovanni, ich weiß, daß meine Tochter Euch wohlwill und habe nichts gegen Euren wachenden Traum und gegen Euren schlafenden auch nichts, ehrenwerter Don Granco, beide Träume können recht gut sein, doch erstens, habe ich sie nicht selber geträumt und zweitens, seid ihr an einem bösen Tage zu mir gekommen, denn hört: Als ich diesen Morgen ausgehen will, kommt mir rechts ein altes Weib entgegen, links huscht mir ein Häschen über den Weg und, wie ich wieder ins Haus trete, läuft mir bis ins Zimmer Ciccios roter Hund nach, der mir nie Gutes bringt. Daher ist der heutige Tag sehr böse, und gar nicht gemacht, um dergleichen zu beschließen, geduldet Euch also noch heute, morgen früh sollt ihr ausführlichen Bescheid haben. Keiner von euch wird darum von mir verachtet; aber ich will die Sache beschlafen. Der Himmel wird mir einen Wink geben, dem ich folgen kann. Das Schicksal meines einzigen Kindes liegt mir zu sehr am Herzen, als daß ich dergleichen ohne himmlischen Rat beschließen könnte. Lebt wohl. Heute drohet Unglück in meinem Hause, darum wird euch weder Speise noch Trank gereicht. Ein andermal sollt ihr mir herzlich willkommen sein.«
Mit solchen Reden entließ Don Strintillo für diesen Tag die beiden Freier. Don Granco fand alles sehr natürlich, und blieb, im Vertrauen auf seinen sechsmal vortrefflichen Traum, so glücklich als vorher. Aber Giovanni geriet, als er das Haus verlassen, über den abergläubigen Strintillo ganz außer sich, und als er ins Freie kam, rief er zum blauen Himmel empor: »wenn das Schicksal eines Wesens wie Angiolina an Strintillos albernen Träumen hängt, was soll aus ihr, was soll aus mir werden! Lieber himmlischer Vater, erhelle doch die Augen des Alten, daß er die Tochter nicht auf ewig unglücklich macht, tue seinen Sinn auf über seine Torheiten, oder willst du ihn nicht umschaffen, sende ihm wenigstens einen Traum, worin Angiolina ihm um den Hals fällt und ihn bittet, mich zu nehmen: oder wie du sonst seinen Willen lenken willst, denn du vermagst ja alles und jedes, wie deine Weisheit es für gut findet!« – Dieser letzte Gedanke machte Giovanni etwas ruhiger. Langsam schlich er zurück unter Angiolinens Fenster, und flüsterte die traurige Botschaft hinauf. Angiolinchen, obwohl selbst erschrocken, suchte seine Sorgen zu beschwichtigen, und sagte zu ihm: »Lieber Giovanni, tröste dich, mein Vater hat dich lieb, wir wollen Gutes hoffen, gehe nach deinem Weinberge und zerstreue dich mit arbeiten. Geh, ich will auch etwas vornehmen, so wird Sorge und Unruhe am besten bekämpft.« Langsam ging Giovanni nach seiner kleinen Besitzung. Sie schien ihm heute kleiner als je, weil er sie mit Grancos Gütern verglich. Er ging an die Arbeit und kämpfte mit Gewalt gegen seine Sorgen, aber er war immer noch in einem Zustande, der einem Fieber glich. Der Mond schien lieblich und klar, es trieb ihn nach dem Hause seiner Geliebten, er nahm seine Mandoline mit und spielte unter ihrem Fenster alle Lieblingsweisen; aber wenn er an den andern Morgen gedachte, sanken ihm die Hände von den Saiten. »Geh zur Ruh, lieber Giovanni!« bat Angiolina mit süßem Flüstern mehrere Male flehentlich. Er ging auch, kam aber immer wieder zurück und um Mitternacht sang er unter dem Fenster der Kleinen, die selbst nicht tat, was sie ihn hieß. folgendes Lied aus seinem Herzen, während der Vesuv dazu leuchtende Gluten in die Mondnacht emporwarf: –
Unruhge du, du rufst mir: ruhe! zu: Bin todesmüd und finde doch nicht Ruh! Wo ruht des Schiffers Haupt im Sturmesdrang? Ach Gott! ach Gott! wie ist die Nacht so lang! Ich bin der glühnde Stein, der dort entfleugt Ein Ameishaufen bin ich, den gestört Ich bin die Wachtel, überm Meer verirrt, |
In solchen Gedanken kam den beiden Liebenden der Morgen heran, und sie erwarteten mit Ungeduld Strintillos Erwachen.
Don Granco nahm, wie wir wissen, die Sache viel ruhiger, er verließ sich auf seinen Traum, tat einen guten Schlaf, erwachte jedoch bei Zeiten, legte sogleich die zierlichsten Kleider an, die sich in seinen Kisten und Kasten vorfanden, und machte sich auf den Weg, nach Strintillos Hause, vor welchem er den guten Giovanni mit seiner Mandoline sitzend fand.
»Schon hier?« fragte Granco.
»Jawohl,« sagte Giovanni, »wir kommen noch zu früh, Don Strintillo ist noch nicht erwacht.«
»O, wohl ist er erwacht!« rief Strintillo und erschien an der Tür: »kommt herein, ihr beiden Herren, ihr sollt Bescheid haben. Ich habe einen Traum gehabt, der an Schönheit seinesgleichen sucht und so deutlich ist, daß ihr ihn euch selbst auslegen könnt, so wenig ihr vom Traumauslegen versteht.«
Don Granco trat freundlich ein und rieb sich die Hände, zitternd folgte Giovanni. »Da setzt euch und hört meinen Traum!« sagte Strintillo. Beide setzten sich und der Träumer hub an: »Gestern, als ich mich schlafen legte, nahm ich mir fest vor, über eure Angelegenheit zu träumen. Es währte nicht gar lange, so kam ich aus der Finsternis des Schlafes in einen wunderschönen großen Weingarten, der mich sehr in Verwunderung setzte; denn an den Trauben, die dort hingen, waren die Beeren so groß, daß jede Beere wohl einen Schoppen halten mochte, und jede Traube mochte gegen die 1000 Beeren haben, aber die Trauben, die da waren, konnte ich nicht zählen; denn es war alles rot und schwarz davon, über und über! Das Sonderbarste war, daß sich die Trauben vor meinen Augen färbten, und reif wurden und die reif wurden, sanken zu Boden und ließen den Most von selbst ausgehen, in Rinnen von weißem Marmor, die unter den Weinstöcken waren. Alle die Rinnen aber gingen zusammen in einen großen Teich. Wem mag wohl der Weinberg gehören? dacht ich bei mir und sah mich um nach jemandem, der es mir sagen könnte. Da war eine Gans, die von den Beeren fraß, und etwas herschnatterte, das immer klang, wie Bräutigam, Bräutigam. – Sollte das meiner Tochter Bräutigam sein? dachte ich weiter. – Ja, ja, ja, schnatterte die Gans. Indem ich so weiter gehe, kommt mir mein Vetter Ciccio entgegen, und sagt mir: wo bleibst du, Strintillo, lasse die Hochzeitsgäste nicht warten! – Aber so geschwind ging das nicht; denn statt Sandes waren alle Gänge so dick voll Dukaten, daß wir manchmal bis an die Brust hineinsanken. Endlich kamen wir in einen Keller, wo noch mehr volle Weinfässer lagen, als ich oben Trauben gesehen hatte. Wem gehört dies alles? fragte ich Ciccio. Angiolinens Bräutigam, war die Antwort. Wir mochten so, wohl ein paar gute Stunden, bei lauter vollen Fässern vorbeigekommen sein, als der Keller endlich ein Ende nahm und sich nach einem großen freien Platze öffnete, wo ganz unzählige Hochzeitsgäste sämtlich auf ungeheuren Würsten saßen, an Tischen von runden Käsen, in deren Mitte jedesmal Springbrunnen von lauterem Wein waren, die nach allen Gästen hin Strahlen schossen. Weder Gläser noch Flaschen waren zum Trinken gestellt, und die Gäste fingen auf gut spanisch den Strahl, der auf sie zukam, mit den Mäulern auf, welches überaus lustig zu sehn war. Auf den Tischen waren Messer gelegt, womit die Gäste sich nach Belieben Käse von den Tischen losschnitten. Mitten auf dem Platze stand ein großer Ofen, wo man gar fette Ochsen hineintrieb, die auf der andern Seite, köstlich gebraten, wieder herauskamen und um die Tische herumspazierten, wo sich dann jeder Gast sein Lieblingsstück losschnitt, worauf die Ochsen sich allemal höflich verneigten und wieder weiter gingen. Auf der anderen Seite war ein Teich von heißem Öl, worin ungeheure gebratene Fische herumschwammen. Dort amusierten sich viele Gäste mit Harpunieren und holten sich allemal den Fisch heraus, zu dem sie Lust und Appetit hatten. Ebenso war es mit dem Federvieh bestellt, welches von einem großen Pastetenrande eingehegt, teils gebraten, teils gekocht, teils gedämpft herumlief, auch in allerhand Saucen schwamm und ebenfalls sehr artig den Rücken oder die Brust hinhielt, je nachdem man sich dieses oder jenes Pfaffenschnittchen losschneiden wollte. Für die, welche gern Maccaroni aßen, hingen sie von den Bäumen herunter wie Palmenzweige, so niedrig, daß die Liebhaber davon die Hände auf den Rücken legten und sie mit den Zähnen abrissen, wie Ziegen das Laub abknubbern, sie durften auch nicht erst Käse daran tun, denn aller Staub, dessen dort viel herumflog, war fein geriebener Parmesankäse, so daß die Maccaroni-Gäste über und über zu lauter Käse wurden. So reichlich war alles bei dieser Hochzeit und ich sah mich noch immer vergeblich nach dem Bräutigam um. Endlich kam er daher mit meiner Tochter an der Hand.«
»Nun und wer war es?« fragte Granco ganz freundlich.
»Er war aus Gragnano, das hörte ich sagen.«
»Aber wer war es?« fragte Granco noch vergnügter.
»Wer es war, mein lieber Granco, das konnte ich unmöglich erkennen,« antwortete Strintillo; »denn dieser Bräutigam strotzte so voll Gold und Juwelen, daß ich vor Glänzen durchaus seine Figur nicht ausnehmen konnte, so viel Mühe ich mir gab, ich konnte mir seine Züge nicht zusammenfinden, bis ich über dieser Bemühung aufwachte, da schien mir die helle Morgensonne gerade ins Gesicht. Nun ratet selbst, auf wen deutet der Traum?«
»Nun, jedenfalls auf einen wohlhabenden Mann,« sagte Granco lächelnd.
»Richtig,« sagte Strintillo, »ein Reicher soll sie haben, dann wird sie glücklich sein, weiter sage ich nichts, und nenne keinen, um keinen zu beleidigen. Wer sich so reich glaubt, richte binnen drei Wochen ein Fest zu. Gefällt es mir, so soll es sein Hochzeitsfest sein und er mag meine Tochter heimführen mit allem Segen Gottes.«
»Aber . . .« begann da totenbleich Giovanni . . .
»Nichts weiter,« fiel ihm Strintillo in die Rede, »ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muß geschehn!« Damit ging er in sein Gemach und ließ die beiden Freier in sehr verschiednen Empfindungen stehn.
Don Granco, seines Sieges mehr als gewiß, kniff vor Freuden den Mund zusammen, blies sein Oberlippchen auf, drückte gleich einem Kropf-Täuberich das Kinn an den Hals und gurrte behaglich »Hm, Hm!« Damit ging er und nahm sich so drollig aus, daß auch ein Toter über ihn hätte lachen müssen. Doch Giovanni lachte nicht, der Arme stand da wie gefroren. Sein Auge sah nicht mehr, sein Ohr hörte nicht mehr. Hätte jemand ihm ein Messer durch das Herz gestoßen, er würde den Stoß nicht gefühlt haben. Die helle Morgensonne schien ihm in die offenen Augen, aber er war wie in finstrer Nacht. Er wankte hinaus, als wäre der feste Boden unter ihm nur Wind und Woge.
Angiolina, die mit der treuen Muhme am Fenster lauschte, rief ihm mit Zittern entgegen: »Nun?« –
Er blickte sie an, bleich wie der Tod, schlug sich mit der Hand aufs Herz und wankte stumm dahin.
»Giovanni! Giovanni!« rief ihm die Geliebte nach; aber er wandte sich nicht wie sonst. – Er wankte fort, bis ihn der Schmerz gewaltsam zur Erde niederzog. Angiolina sah ihn sinken: da vermochte sie nicht mehr, sich zu halten, sie eilte die Treppe hinab und hin zu ihm. Unter einem Mandelbaume lag er wie entseelt. Den Hut hatte er von sich gestoßen, sein Gesicht an die Mutter Erde gedrückt.
»Giovanni! Giovanni!« rief Angiolina aus zitternder Brust, und warf sich ihm zu Häupten, aber Giovanni winkte ihr hinweg, nahm mit beiden Händen Staub von der Erde, und ließ ihn in seine blühenden Locken fallen. »Giovanni! Giovanni!« rief Angiolina und nahm sein Haupt in ihre schönen Hände: »Nicht so, nicht so! lieber, süßer Giovanni! Soll ich mit dir sterben?« rief sie schluchzend, und der Strom von heißen Tränen, den sie über seine Stirn ergoß, schien ihn wieder zu beleben. »Was ist geschehen?« fragte sie, doch Giovanni vermochte nicht zu antworten. Indem war die treue Muhme herangekommen und fragte: »Kinder, was ist euch?« Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie ward von dem grausamen Spruch Strintillos, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt, und weinte mit den Trauernden als gute Christin, endlich aber faßte sie sich, und sprach: »Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich jemand hier sehen und das wäre nicht gut!« – »Ach! ob mich jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, frägt wenig mehr nach der Welt!« erwiederte das holde Kind fast stimmlos.
»O! fasset euch, liebe Kinder,« sprach die Muhme wiederum: »vielleicht ist noch nicht alles verloren? Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der heiligen Jungfrau: die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden, und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du tust? – Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studierter Mann; vielleicht gibt er dir guten Rat?«
»Guten Rat? – Kann er mir sagen wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Manne wird, auf ehrliche Weise, kann er das?«
»Geh zu meinem Bruder Ciccio! sag ich dir,« wiederholte die Muhme: »Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu raten. Folge mir, geh!« So trennte sie die beiden Liebenden. Angiolina wankte langsam mit ihr ins Haus zurück, Giovanni zögernd zu Don Ciccio.
»Warum so traurig?« trat ihm dieser entgegen. Da faßte Giovanni Ciccios Hand, und schüttete sein ganzes betrübtes Herz aus. »Wieder eine schöne Geschichte von Strintillo!« rief Ciccio erbittert aus: »ich habe schon oft gesagt, die Träume bringen ihn noch ums Himmelreich! – Armer Giovanni! was sich für dich tun läßt, soll getan werden, aber . . .« hierbei zuckte Ciccio mit den Achseln: »Strintillo wird Strintillo bleiben, was in seiner Haut steckt, ist alles närrisch. Ich kann dir wenig Hoffnung geben, laß uns aber doch auf frischer Tat einen Angriff auf sein Herz versuchen und zwar mit all den Seinen; komm, wir wollen uns noch den Pater Antonio mit zu Hilfe nehmen, der predigt wie Paulus: wenn der ihn nicht mürbe macht, so ist und bleibt er ein Stein und dein Schicksal von Eisen!« Damit ergriff der gute Don Ciccio Hut und Stock, nahm ein kleines Säckchen mit Senfsamen in die Hand und ging mit Giovanni zu Pater Antonio. Diesen fanden sie zwar bereit, ihnen beizustehen und er ging mit ihnen; aber er gab Giovanni fast noch weniger Hoffnung als Ciccio. So traten die drei in das Haus Strintillos und mit Ciccio in das Zimmer der Muhme Cecca, die seine Schwester war, und bei welcher sie Angiolinen fanden. »Ach,« sagte Cecca, wie sie von dem Vorhaben der Kommenden hörte, »heute werden wir schwerlich zu Strintillo gelangen! Er hat sich fest verschlossen und läßt niemanden vor.« – »Schadet nichts,« sagte Ciccio, »ich tue wie Unverstand und werde schon eindringen! Hier in dem Säckchen habe ich ein Pröbchen von dem Senfsamen, nach dem Strintillo schon so lange verlangt hat, damit werde ich die Tür öffnen! Ihr bleibt noch zurück, ich gehe zuerst hinein und rede mit ihm, dann später kommst du nach, Cecca, dann Angiolina, dann Giovanni und, wenn unser Bitten und Ermahnen nichts fruchtet, will der gute Pater Antonio das Letzte versuchen.« Hiermit ging Don Ciccio, das Säckchen in der Hand, auf Strintillos Zimmer los. Vorsichtig folgten die Andern. Ciccio pochte.
»Niemand herein!« rief Strintillo.
»Ich bin es, lieber Vetter,« sagte Ciccio.
»Niemand herein!« rief Strintillo wiederum.
»Gut,« sagte Ciccio, »so werde ich dir den Senfsamen durch das Schlüsselloch hineinblasen!« Hiermit nahm er dessen, halbe Hände voll, und blies ihn durch das gewaltig große Schlüsselloch.
»Ach so? kommst du endlich mit dem Senf,« fragte Strintillo und öffnete die Tür.
»Jawohl, ich bringe dir Senf,« sagte Ciccio, »und zwar von zweierlei Art.«
»Von zweierlei?«
»Ja, von zweierlei: erstlich hier den in diesem Säckchen, wie gefällt dir der?«
»Der ist sehr schön, sehr schön!«
»Nicht wahr, der ist schön. Aber, Strintillo, der andere ist noch bei weitem schärfer.«
»So? Nun, dann bin ich begierig, wo hast du ihn?«
»Hier auf meinen Lippen.«
»Auf den Lippen? Ich sehe ja nichts.«
»Er kommt schon,« sagte Ciccio. »Du weißt doch, daß der gute Senf den Kopf aufräumt und die Gedanken klar macht, sieh, solchen bring ich dir auf den Lippen; sage mir doch, Strintillo, wie kannst du es über das Herz bringen, dein Kind vor dir sterben zu sehen?«
»Höre Ciccio,« nahm Strintillo das Wort: »wenn das dein Senf ist, so trage ihn wieder hinweg, solchen brauche ich nicht!«
»Gerade solchen brauchst du, lieber Strintillo, du mußt niesen, bevor du klar siehest, was du tust. Du mordest dein Kind, wenn du sie dem braven Giovanni nimmst, und dem runzligen Granco gibst. Willst du denn Meerspinnen zu Enkelkindern haben?«
»Ich folge dem Wink des Himmels,« sagte Strintillo, »dabei bleibts! Was der Himmel beschließt, darüber müssen wir Menschen nicht grübeln.«
»Aber ist denn dein vermoderter Betthimmel, unter dem du träumst, unser Herrgott, oder bist du ein Heiliger, der Visionen hat?«
»Nein,« sagte Strintillo, »aber ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muß geschehn.«
Hierüber trat die Muhme ein, laut weinend, und bat Strintillo mit Händeküssen, seinen Sinn zu ändern; aber, was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund fest zusammen und blieb stumm.
Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen, ihr Schmerz rührte ihn zu Tränen; aber er blieb stumm.
Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch Strintillo blieb stumm. Nichts veränderte den steinernen Mann.
Endlich kam auch der Pater Antonio, hieß die Andern hinausgehen und sprach allein zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt günstiger Worte, folgendes vernahmen:
»Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio: ich leide bei den Schmerzen meines Kindes, wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muß dem himmlischen nachgesetzt werden. Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr? Woher wollt Ihr das beweisen, warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt denn meiner Tochter? Beide Freier sind gleich brave Leute, beide haben sie lieb, – dem Reichsten geb ich sie. Da sagt Ihr mir: sie liebe nur einen von beiden: o, glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach. Frauen sind wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden, und gewöhnen sich an jeden, der sie zu ziehn weiß. Wie war es denn mit meiner Seligen? Sie wollte mich erst durchaus nicht haben: in der ersten Nacht wollte sie mir entlaufen, am Ende fand sie sich doch recht gut in mein Hauswesen, und, wenn wir uns später oft gezankt haben, geschah es nur aus guter Meinung. Darum, Pater Antonio, lasset ab mich zu peinigen und zu rösten. Es kann Euch alles nichts helfen. Die Tochter ist meine Tochter, ihr Vater heißt Don Strintillo, ich bin Don Strintillo und was ich haben will, muß geschehn!«
Nach dieser Rede machte Strintillo den Mund wieder fest zu. Da mochte Pater Antonio predigen, schelten, mit göttlicher Strafe drohen und die Hölle malen, so rot er wollte, Strintillo blieb verschlossen, wie die Auster, zu der man kein Messer hat. Endlich ging Pater Antonio von ihm hinweg. »Nun soll mir kein Senf mehr da hereinkommen!« sagte Strintillo, und verrammelte die Tür.
»So! mache zu, verrammle dich, daß kein guter Gedanke mehr zu dir kann!« sagte Ciccio, Tränen des Zornes in den Augen und wandte sich sanft zu Giovanni: »Komm, mein lieber Giovanni, fasse dich, der Hochzeitstag ist noch nicht da. Gott tut viel in einem Augenblick, wie viel mehr kann er in acht Tagen tun.« So redete Ciccio zu Giovanni und sah ihm dabei teilnehmend in die Augen, die er voll Tränen glaubte: doch zu seiner großen Verwunderung fand er sie trocken und sein Gesicht bleich, aber unerwartet heiter. »Ich danke Euch, Herr Notar, und Euch, Pater Antonio,« sagte Giovanni ganz gelassen, ebenso gelassen: »lebe wohl!« zu Cecca und »lebe wohl!« zu Angiolinen, die halb entseelt auf ihr Zimmer geführt ward, und leichten, ja fröhlichen Trittes eilte der Jüngling aus dem Hause, ein Liedchen summend, gleich, als wäre nichts Übles vorgefallen. – »Diesen Leichtsinn begreif ich nicht,« sagte Ciccio. – »Ich begreife ihn wohl,« sagte Pater Antonio. »Der tiefsten Verzweiflung ist es eigen, die schreckliche Gegenwart gleichsam zu überspringen und in das zu flüchten, was wir Leichtsinn nennen. Ein getroffener Hirsch springt hoch empor, ehe er niedersinkt und sich verblutet. Er ist nicht so heiter wie er scheint, glaubet mir!« – Und Pater Antonio hatte recht. Giovanni ging die Straßen hindurch, wie es schien, fröhlicher als sonst. Er nickte sogar Don Granco, der ihm des Weges entgegenkam, einen so freundlichen Gruß zu, daß dieser sich ganz erstaunt nach ihm umwendete. Aber der Jüngling war nur der Fröhlichkeit hohles Bild, in seinem Innern tobte es wie eisiger Wintersturm, und trieb ihn fern von Menschen. Die Gärten vorüber, klomm er höher und höher das wilde Gebirg hinan, einsamer, immer einsamer ward die pfadlose Gegend um ihn her, immer steiler die Felsen, immer schmaler die herabrinnenden Bächlein. Scharen kleiner Waldvögel flogen vor ihm auf, aus den Myrthen und Lorbeerbüschen, bis er unter einer Felswand dicht an einem Abgrunde erschöpft niedersank. Zu seinen Füßen lag, gleich dem entfalteten bunten Schweif eines Pfauen, alle Herrlichkeit und Pracht des neapolitanischen Golfes und seiner Inseln hingebreitet. Garten an Garten und Stadt an Stadt, an dem schönen Saume des Meeres, der sich hin schwingt wie der Flug der Schwalbe: während sich aus der Ebne vor den blauen Apenninen der Vesuv erhebt und, gleich bunten Blumen, Aschengewölk auf Aschengewölk emportürmt. Da rief Giovanni: »heiliger Gott, wie schön ist diese Welt und wie unglücklich bin ich in dieser schönen Welt!« – Jetzt, erst jetzt brachen ihm die Tränen aus den Augen und er weinte bitterlich. Da mußte es sich fügen, daß zu derselben Stunde der Räuber Checco, mit seinen lustigen Gesellen, in jener Einsamkeit umherschwärmte, zu seiner Ergötzung Kaninchen zu jagen. Kühn wie er war, kletterte er eben um den Gipfel des Felsens, an welchem Giovanni lag, als das Erdreich unter den Füßen des Räubers wich und hinabschob. Was er auch ergriff, sich zu halten, Gras und Busch, alles ward los und rollte mit ihm dem Abgrunde zu. Da vernahm Giovanni das Geräusch, blickte um sich, sprang gewandt hinzu und, die Linke fest um einen überhängenden Baum geschlungen, ergriff er den Stürzenden mit der Rechten, als er eben verloren schien, und hielt ihn dicht an dem Abgrunde schwebend. Obwohl stark genug, ihn eine Weile zu halten, war er doch nicht mächtig genug, ihn völlig heraufzuziehen und beider Lage ward mit jedem Augenblicke gefährlicher, da nicht allein Giovannis Kraft minder wurde, sondern auch die Wurzeln des Baumes, woran sie hingen, mehr und mehr nachließen. Giovanni aber war edelmütig genug, ihn nicht loszulassen; da rief Checco seine Gefährten herbei, welche die Beiden, nicht ohne Gefahr, aus der peinlichen Lage befreiten. »Habt Dank, ihr Braven!« sagte Checco und umarmte seine Freunde, doch zu Giovanni gewendet, sprach er: »Dich hat Gott gesandt, ihm sei Dank und der heiligen Jungfrau! Lasset uns beten!« Damit nahm er den Hut ab, alle taten ein Gleiches, knieten mit ihm nieder und beteten zu Gott und der heiligen Jungfrau. Hierbei muß erwähnt werden: dieser Checco war zwar ein Räuber, jedoch ungewöhnlicher Art, angebetet von den Seinen und bei dem Volke mehr geliebt als gehaßt. Sein Patron war Crispinus: er nahm den bösen Reichen und gab den guten Armen. Durch einen ungerechten Urteilsspruch um sein rechtmäßiges Erbe gebracht, hielt er jede Obrigkeit nur für eine Anstalt, das Volk hinab zu drücken, hatte sich mit mehreren ähnlich gesinnten, flinken Burschen verbunden, und streifte bald hierin im Lande, bald dorthin, wie er es nannte, »dem Unrecht abzuhelfen!« Bei diesem Geschäft nahm er es freilich nicht so genau, wie die lateinischen Bücher, in welchen die tausend und abertausend Rechtsfälle verzeichnet sind. Er sah alles nur entweder schwarz oder weiß. Verwickeltes hieb er durch, wie Alexander Magnus den Knoten, und das audiatur et altera pars war keinesweges sein Wahlspruch. Im ganzen mußte bei ihm der Unglückliche siegen, der Glückliche wenigstens teilen, wobei Checco sich als Richter auch nicht völlig vergaß, sondern oft recht ansehnlich zulangte. Wem er half, den ließ er das für ihn Erlangte sodann, sehr klug, in veränderter Gestalt irgendwo, wie zufällig, finden; damit derselbe nicht durch sein Geschenk in Verdacht geriete. Zuweilen trat er, bei hellem Tage, mit seinen Gesellen in ein reiches Haus, wo er wußte, daß eben ein erwuchertes Sümmchen lag, schloß die Türen, und bat sich das Sümmchen zu guten Zwecken aus, und, wer ihm dieses nicht sogleich herbeischaffte, ward weder geknebelt noch gefoltert; sondern auf ein mitgebrachtes Leder gelegt und von den lustigen Gesellen so lange geprellt, bis er, des lästigen Spieles überdrüssig, Ungernes gern tat und alles bewilligte. Von dieser Art des Geldeintreibens ward Checco »der Preller« genannt; und wahr ist es, seine Leute verstanden das Prellen gut, sie brachen niemandem die Rippen und verteilten die blauen Flecken, mit Ansehn der Person, ziemlich gleichmäßig auf dem Leibe ihrer lebendigen Spielbälle. Daß dieses Treiben böser Art sei, glaubte keiner von ihnen. Alle waren jung und rüstig und immer bereit, zu den tausend Schwänken, die Checco sich ausfand, diesen oder jenen Streich nachdrücklich durchzuführen. Sie bildeten zusammen gleichsam eine lustige Vehme und ließen zuweilen Prügel regnen auf Schultern, die sich dergleichen nicht vermuteten. Hatten die Schläge zuweilen nicht den richtigen Mann getroffen, so sagte Checco: »Nun, dafür wird ihm Gott andere Sünden vergeben, geißeln wir uns!« Hierauf pflegten sie sämtlich Stöcke zu nehmen, stellten sich im Kreis und hieben einander weidlich durch. Verschlagen waren alle wie Füchse, listig wie Schlangen, vorsichtig wie die Marder, und wollte man sie fangen, so wurden sie zu Aalen, und entwischten aus den Händen der Häscher, wenn man sie schon fest zu haben glaubte. Das ganze Gebirg, voll labyrinthischer Höhlen, war der Palast, in dem sie wohnten. An steilen Felswänden hatten sie kleine Stufen und Griffe zum Klettern gehauen, an denen sie, gleich Steinböcken, wunderbar schnell hinanlaufen konnten, die aber, gleich einem Rätsel, so wunderlich verworren durcheinander gingen, daß niemand den Flüchtigen nachzueilen vermochte. So hatten sie, wo man sie umzingelt zu haben glaubte, noch hundert Ausgänge und waren ihren Verfolgern an List immer überlegen. Es war, als ob keine Kugel sie treffen könnte, und wenige waren im Volk, die sie nicht für Zauberer hielten. Als hätten sie den Karneval geplündert, erschienen sie bald in dieser, bald in jener wunderlichen Verkappung und gaben den Leuten viel zu erzählen. Dabei versäumten sie kein Madonnenfest, gingen fleißig zur Messe und bei einem Pater namens Andronico zur Beichte, der ihnen oft harte Büßungen auferlegte, welche sie gewissenhaft erfüllten. So beteten sie nun auch hier und dankten Gott und der heiligen Jungfrau für Checcos Rettung.
Aber als sie ausgebetet hatten, sprang Checco auf, schlug sich an die Brust und begann zu Giovanni, der wieder in Gram versunken war: »Checcos Herz ist dein. Du bist traurig? kann ich dir Hilfe schaffen, es soll geschehen. Hast du einen Feind, er soll mein gewahr werden!«
»Mir kann niemand helfen, als Gott!« sagte Giovanni, bedeckte sein schwermütiges Gesicht mit den Händen und schwieg. Checco bestürmte ihn jedoch so lange mit teilnehmenden Fragen, bis er ihm, obwohl langsam, mitteilte, was ihn quälte, nachdem Checco das Versprechen gegeben, daß er weder Strintillo noch Granco ein Leid zufügen wolle: denn Giovanni wußte wohl, mit wem er sprach. Als er ausgeredet hatte, erwiederte Checco rasch: »Die Umstände sind einfach: der Alte will dir nicht willfahren, aber wohl die Tochter. Nimm ihm die Tochter mit Gewalt, bringe sie daher in die Wildnis und lebe mit ihr, geborgen in meiner anmutigsten Höhle, bis der Alte sich in die Geschichte findet und euch verzeiht. Traue mir, die Höhle soll eingerichtet werden wie eine Putzstube, nichts soll euch fehlen, und bliebt ihr ewig bei mir!« – Dies sagte Checco mit großer Zuversicht; aber wie staunte er, als Giovanni sich plötzlich wie getröstet erhub und ihm entgegnete: »Checco, bald wäre getan, was du sagst; aber da sei Gott vor, daß ich solch Unrecht auf mich lüde! Die Tochter ist des Vaters: ich hätte wenig Segen davon, der alte Strintillo aber den Tod, und Angiolina würde nimmer froh. Nein, besser ist, schlicht und recht. Ich will Gott bitten, daß er mir seinen heiligen Engel herniedersende und mich und Angiolinen aus der Verzweiflung erlöse, gleich wie er mich und dich hier wunderbar gerettet. Töricht war es von mir, einen Augenblick an seiner Allmacht zu zweifeln.« Hiermit schüttelte Giovanni Checcos Hand und ging vor ihm den Berg hinab. Checco aber blieb betroffen stehn, dann rief er ihm feurig nach: »Geh, braver Knabe, Gott wird dir helfen, wunderbar wie er uns hier gerettet! Aus diesem Baum, der uns beide trug, will ich ein Kreuz machen, bei dem will ich oft beten. Gott erhalte dich! Sage niemandem, daß du mich gesehen!« – »Ich will es verschweigen,« sagte Giovanni und ging. Checco aber sprach rasch zu den Seinen gewendet: »Laßt uns gehn, Gesellen, ich muß mich gegen Giovanni dankbar beweisen. Holt das Leder, worauf ihr zu prellen pflegt und folgt mir.« Festen Trittes ging er ihnen voran, und sie merkten an seinen blitzenden Augen, daß er irgendeinen Plan gefaßt. Einer lief und holte das Leder. Schweigend gingen sie durch den Wald von schattigen Steineichen und Kastanien. Alle sahen sich jedoch verwundert an, als sie merkten, daß Checco seine Schritte nach einer Einsiedelei wendete, welche sehr einsam und entfernt von allen andern Häusern lag. Der Träger des Leders fragte Checcon: ob er Buße tun wolle, und die Prellhaut in des Eremiten Kapelle weihn? –
»Diesesmal nicht,« sagte Checco und ging schweigend auf den Eremiten zu, der erst vor seiner Tür saß, aber bei Checcos Nahen aufstand und ihm entgegenrief: »Nehme Gott die Sünde von Euch, was sucht Ihr bei mir?« –
»Das tue Gott. Kennt Ihr mich?« –
»Ob ich Euch kenne? Ihr seid Checco der Preller,« sagte der Eremit wie trotzend; »was führt Euch zu mir?«
»Dankbarkeit, ich bringe Euch Gelegenheit, ein gutes Werk zu tun. Ich fand eben einen braven Knaben, der mir das Leben gerettet, mit Gefahr seines eignen, und sehr unglücklich ist. Da ihm aber zu seinem Glück nichts fehlt als leidiges Geld, so bitte ich Euch, holt Euren Schatz hervor, wo Ihr ihn verscharret habt, und gebt ihn dem armen Teufel. Euch ist das Geld so nichts nütze, da Ihr ein frommer Mann seid und in freiwilliger Armut lebet. Gebt ihm den Schatz und nehmt Gottes Segen dafür!«
»Wie?« sagte der Eremit fast betroffen, »welchen Schatz?« – »Den Ihr hier im Walde gefunden.« –
»Im Walde gefunden?« –
»Ja, bei dem Graben der heiligen Kräuter: sie müssen sehr lange Wurzeln haben, weil Ihr immer so tiefe Gruben macht. Laßt Euer Grabscheit nicht liegen, ich hab es gefunden. Ihr seid ein Schatzgräber, das weiß die ganze Welt.«
»Ich ein Schatzgräber? – Ich einen Schatz gefunden! – Ich Geld hergeben! – Ich tiefe Löcher graben!« – rief der Eremit einmal über das andre.
»Die Sache ist sicher, her mit dem Kasten, Geizhals, sperre dich nicht!« –
Aber der Eremit blieb bei seinen Ausrufungen: »Ich einen Kasten! Ich ein Schatzgräber! Ich einen Schatz gefunden! Ich tiefe Löcher graben! Ich Geld hergeben! wollt Ihr heilige Kräuter? wollt Ihr Rosenkränze? was wollt Ihr von mir armen Manne?!« –
»Den Schatz! denn ich weiß gar wohl, du bist allein darum Eremit, um hier umher ungestört und wohlfeil Schätze zu graben; weil du weißt, daß hier aus alten Kriegen manches verscharrt liegt. Also her mit dem toten Gelde, es soll lebendig werden!«
Der Eremit aber faltete die Hände, warf sich auf seine Knie, drückte die Augen fest zu und murmelte ein Gebet vor sich hin.
»Dein Gebet kommt nicht von Herzen,« sagte Checco. »Auf! Gutes tun, ist besser als schlecht beten. Komm, wenn dir das Geld so fest anklebt, wollen wir dich ein wenig schütteln, vielleicht fällt einiges ab?«
Der Eremit blieb stumm.
»Auf das Leder mit ihm!« rief Checco und flink ergriffen Checcos sechs Begleiter den Eremiten, legten ihn auf die Prellhaut, trugen ihn auf einen freien Platz, sahen gen Himmel, dann auf ihn und prellten und fingen ihn so meisterlich, daß er immer siebenmal länger in der Luft war als auf der Haut.
Um besser im Takt zu bleiben, sangen sie ein besondres Lied dazu und jedesmal, wenn das Lied zu Ende war, hielten sie inne und befragten den Gepeinigten: ob ihm nun bald der Ort einfiele, wo er den Schatz verscharrt habe? – Aber der Eremit beharrte bei seinem Schweigen. Als sie nun die Prellerei und das Lied wohl zehnmal wiederholt hatten, sahen sie wieder nach, und befragten den Geprellten wiederum wie vor; aber er blieb stumm, ja er blieb sogar in unbequemer Stellung liegen, und regte sich nicht. Sein Atem schien still zu stehen. Da erschraken die flinken Gesellen und sprachen zueinander: »Wir haben es zu arg gemacht, er ist tot, und der Schatz verloren!« – »Legt ihn auf den Rasen,« sprach Checco, »gehn wir!« – Sie taten es. Als sie im Gebüsch waren, sagte Checco leise: »Nun bleibt stehen und habt acht, der Schelm erhebt sich noch!« Lange standen sie und spähten, endlich wendete sich das Haupt des Eremiten langsam herum. Er sah rechts, . . . er sah links, . . . vor sich und hinter sich, und, als er niemanden erblickte, sprang er munter auf, schüttelte sich gleich einem Pudel, der aus dem Wasser kommt, stemmte die Hände in beide Seiten und kicherte, wie jemand, der einen angeführt hat, lachte, biß sich vor Freuden in den Finger, rieb vergnügt die Hände und ging fröhlich nach seiner Hütte.
»Seht, der Schelm hat uns gefoppt, und sich nur tot gestellt,« sagte Checco.
»Prellen wir ihn noch einmal!« sprach einer der Gesellen.
»Nein,« sagte Checco. »Kommt, der Schelm muß anders gefaßt werden! Er hat einen Schatz, das ist sicher. Man sieht es an seinem Lachen, er kommt sich klüger vor als wir ihm vorkommen; doch ich stehe euch dafür, er soll bald andrer Meinung werden!«
Hiermit verloren sich die Räuber wieder in die Wildnis und der Eremit freute sich, daß er die Preller mit seiner List um den Schatz geprellt, den er wirklich besaß und so ernsthaft hütete, wie irgendein Vogel Greif in der Fabel.
Des frommen Mannes Treiben war, unter uns gesagt, einigermaßen schändlich und stellte das Gegenteil der heiligen Abgeschlossenheit und Gottesverehrung wahrer und ehrwürdiger Anachoreten dar, die ihr Gemüt mehr und mehr reinigen von weltlicher Begier und Habsucht und sich allein göttlichen Dingen zuwenden. Denn er ließ sich, als Einsiedler, von armer Leute frommen Spendungen ernähren und grub unterdes allein nach irdischen Schätzen, nicht um sie zu gebrauchen oder zu verteilen, sondern um sie, als echter Geizhals, in seiner Nähe wieder zu verscharren. Holzhauer hatten ihn beim Graben belauscht, und so hatte sich im Volk das Gerücht von seinem Schatze verbreitet, welches bei frommen Seelen keinen Eingang fand, bei Checco jedoch um so mehr, da er seit einiger Zeit im Walde mehrere tiefe Gruben gefunden, und bei der einen sogar des Eremiten Grabscheit.