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Es war im Sommer des Jahres 1826, als ich mit meinem Freunde Ernst Fries in der schönen Bucht an der nördlichen Marine von Capri landete. Die Sonne neigte sich dem fernen Ischia zu, als wir in den rasselnden Uferkies hinabsprangen. Capri war die erste Insel, die ich betrat, und nie werde ich den Eindruck vergessen. Einer meiner liebsten Wünsche erfüllte sich. Ich hörte nun das Meer um alle jene wunderbar gestalteten Felsen rauschen, die schon von Neapel aus meinen Sinn zauberisch gefangen genommen. Jede brandende Wellenreihe sang mir zu: ich sei vom Festlande geschieden, auf einer Klippe, wo ein einfaches Volk von Fischern und Gärtnern wohnt und der Hufschlag der Rosse und das Geroll der Wagen unbekannt ist. Mit ihren Felsen und Höhlen und hangenden Gärten und alten Trümmern und neuen Städten und Felsentreppen war mir die Insel schon von fern als eine besondere Welt erschienen, erfüllt von Wundern und umschwebt von grauenvollen und lieblichen Sagen, und nun, da meine Zeit nicht eng beschränkt war, durfte ich hoffen, diese Welt in allen ihren Grenzen genau durchforschen zu können. Dieser Gedanke machte mich unbeschreiblich glücklich. – Der Strand erfüllte sich bei unsrer Ankunft mit Leuten aus beiden Städten der Insel, Männern und Jünglingen, Weibern und Mädchen, die wohl imstande waren, an die alte schöne griechische Bevölkerung des Eilandes zu erinnern. Sie nahmen die Ladung des Marktschiffes, das auch uns gebracht, in Empfang, und trugen sie mit besonderer Gewandtheit teils die hohe Felsentreppe zur Stadt Anacapri, teils die sanftere Lehne nach Capri hinauf. Ein munterer Bursche ergriff unser weniges Gepäck, und langsam folgten wir dem Zuge nach letztgenannter Stadt. Erst befanden wir uns wie auf der Szena eines riesigen Felsentheaters: im Vorgrunde eine Reihe weißer Häuser mit flachen Dächern, worüber sich in immer größeren Halbkreisen, Terrasse nach Terrasse, Weingärten erhoben, bis prächtig aufsteigende Felsenwände und die oben ragende Stadt den Ausblick umgrenzten. Unser Pfad schlängelte sich jene Terrassen hinan. Die steileren Hänge sahen wir bedeckt von immergrünen Myrten und Lorbeergebüschen; auch Mastixbäume und einzelne Fächerpalmen wurden bemerkbar. Vogel flatterten über uns hin, und von den Ölbäumen herab sangen die Cicaden ihr eintöniges Lied. Der Weg war lang, der Abend lieblich. Alles was ich je von jenem Eilande gelesen, tauchte vor meiner Erinnerung auf und mischte sich mit den anmutigen Szenen der Gegenwart. Blickten wir zurück, so schimmerte fern herüber der reizende Golf von Neapel, Ischia, Procida und alle pontinischen Inseln.
Staunend und oft verweilend, gelangten wir endlich auf das Joch der Insel, durch ein Turmtor, in die fast orientalisch gebaute kleine Stadt Capri. Der Knabe, der unsere Habseligkeiten trug, führte uns bei der Kirche vorüber in die schöne weiße Locanda des Don Giuseppe Pagano, wo wir, gegen mäßige Vergütung, die freundlichste Aufnahme fanden.
Unser Wirt, ein kleiner behaglicher Fünfziger, führte uns treppauf treppab in seinem wunderlich, doch sehr heiter gebauten Hause umher, und als ich bei einer kleinen Sammlung alter Bücher verweilend stehn blieb, erzählte er mir: er habe sie in Neapel gesammelt, als er dort studiert und stellte sich mir zugleich als den Notar des Ortes vor. Ich war sehr erfreut, in ihm einen unterrichteten Mann und in seiner Bibliothek mehrere Bücher, lateinische und italienische, zu finden, die teilweise von Capri handelten. Als er sah, daß ich die Absicht hatte, die Insel recht gründlich kennen zu lernen, trug er mir mit großer Freude sogleich alles zusammen, was mir dazu von seinen Büchern nützlich sein konnte, und versprach den andern Tag noch mehreres von Freunden beizuschaffen. Er nahm an unsrer, aus allerlei, mir zum Teil noch unbekannten Seetieren bestehenden Abendmahlzeit teil, und wir wurden bald gute Freunde. Nachdem wir uns mit Speise und Trank erquickt, stieg die ganze Familie des Notars mit uns auf das Dach des Hauses, wo wir uns niederließen und behaglich plaudernd des schönen Blickes über Stadt und Insel bei Sternenlicht genossen. Don Pagano aber deutete im Halbdunkel der klaren Nacht auf alles hin, was ihm merkwürdig erschien, und erzählte davon, was er irgend wußte. Unsre Augen folgten ihm angestrengt in das mystische Dunkel, und je weniger wir eigentlich zu erkennen vermochten, je mehr ward unsere Neugier gespannt. Wir besprachen uns mit ihm über die Ausflüge, die wir nach und nach machen wollten, und nahmen uns vor, in den heißen Mittagsstunden zu Hause zu bleiben und die Odyssee zu lesen; auch wollte ich diese Zeit benutzen, in den erwähnten Büchern zu studieren, um, womöglich, der gründlichste Kenner der Insel zu werden. Erzählen, wie treu wir den in jener ersten romantischen Nacht gefaßten Vorsätzen geblieben, wie wir bald nach dieser, bald nach jener zertrümmerten Villa Tibers, bald zum Sirenenfelsen hinab, bald die Felsentreppe nach Anacapri hinan, bis zum Gipfel des Monte Solaro emporgeschwärmt, und welche glückliche Tage wir in der Familie des Notars verlebt, würde den geneigten Leser zu weit führen. So viel Anmutiges sich darüber beibringen ließe, ziehe ich es vor, hier einen leichten Umriß der Gestalt und Geschichte der Insel zu entwerfen, um dann zur Schilderung eines Abenteuers überzugehn, welches unerwartet Veranlassung gab, daß die Insel und Don Paganos Haus nun häufiger von Fremden besucht werden als je vorher.
Will man sich von der Gestalt Capris eine klare Vorstellung machen, so denke man sich einen Teil des Meergrundes, hier aus Apenninenkalk bestehend, von Morgen her mit abendlicher Neigung, erhoben zu einer drei Viertelmeilen langen und halb so breiten Scholle, diese jedoch querüber von Süden nach Norden so zerbrochen, daß die westliche Hälfte dicht am Abbruch die höchste blieb, etwa 2000 Fuß hoch, während die östliche (zu Anfang die höchste) zurücksank und in halb so hohen Trümmern stehn blieb. Die Kluft zwischen beiden ließ, obwohl hocherfüllt vom nachstürzenden Geröll, nördlich eine größere Bucht, südlich eine kleinere. Südöstlich ist die Zertrümmerung so stark, daß mehrere turmähnliche Felsensplitter, die Fariglioni genannt, noch weit vom Ufer dem Meere entragen. Der eine bildet ein riesiges Tor, welches man durchsegeln kann. Ringsher aber ist der ganze steile, mehr oder minder zertrümmerte Felsrand der Insel reich an mannigfaltigen Grotten, gebildet durch Einstürzungen, geschmückt mit bunten Tropfsteinzacken. In viele dieser Höhlen braust das salzige Element hinein mit all seinen Farbenspielen. In der ältesten Zeit war die Insel mehr zerklüftet als jetzt und allein mit Gestrüpp bewachsen, nur wilde Ziegen waren ihre Bewohner, wovon sie den Namen Capreae erhielt. Ein platter Stein in der südlichen Bucht heißt die Sirene, und die Sage geht, Odysseus habe den gefahrvollen Gesang hier vernommen. Wahrscheinlich erbauten die Teleboer in der nördlichen Bucht die erste Stadt. Die Insel blieb wenigstens lange Zeit der griechischen Kolonie in Neapel unterworfen. Sie blühte fröhlich auf, und nach griechischer Sitte waren ihre schönen Jünglinge wohl geübt im Ringen, im Faustkampf, im Wettlauf, im Lanzenwerfen und in allen zierlichen Tänzen.
Als Kaiser Augustus hinkam, gefiel ihm das Eiland mit seinen lustigen Einwohnern so wohl, daß er den Neapolitanern die viel größere Insel Ischia dafür überließ. Eine alte dürre Steineiche soll sich bei seiner Ankunft neu begrünt und dieses Wunder ihn noch mehr zu jener Wahl bestimmt haben. Auf dem östlichen Felsgipfel erbaute er sich einen prächtigen Palast, wo er oft die Lasten seiner kaiserlichen Arbeiten abwarf und sich an den Wettkämpfen der Capreischen Jugend erfreute. Später ward Capri der Verbannungsort der schönen Julia. Die Trümmer ihres Palastes finden sich am westlichen Hange des Berges, welcher nun den Telegraphen trägt.
Als Tiberius zur Regierung kam, erinnerte er sich der frohen Tage, die er mit August auf Capri verlebt, warf die Plagen und Gefahren der Regierung auf Sejanus Schultern und zog sich auf diesen sichern Felsen zurück, wo er sich den abscheuwürdigsten Freuden ergab, während seine schrecklichen Machtsprüche die Welt quälten. Viele Jahre lebte er hier, beständig mißtrauisch um sich spähend von der hohen Klippe, die er, sein Gewissen zu übertäuben, in einen sinnlichen Himmel verwandelte, worin zu schwelgen – er schon zu abgelebt war. Fahrwege wand der greise Tyrann um steile Zacken, auf alle Gipfel fuhr er mit Rossen. Er veränderte die Gestalt der Insel, schwang ungeheure Bogenreihen über tiefe Täler, und schuf sich künstliche Ebenen, worauf er üppige Gärten erblühen ließ, in deren Grotten, Tempeln und Gebüschen die schändlichen Sklaven seiner Laster als Faunen und Nymphen umherschwärmten. Zwölf Paläste ließ er an verschiedenen Stellen der Insel entstehn und weihte sie den zwölf großen Göttern. Der dem Jupiter geweihte erhob sich östlich auf dem äußersten überhangenden Felsgipfel (nun Santa Maria del soccorso), von welchem der Tyrann die Sklaven, denen er übel wollte, über scharfe Zacken hinab in das Meer stürzen und unten mit Rudern zerstoßen ließ. Ein der Mater magna geweihter Palast war südlicher in eine abhängige Kluft, um und in eine Höhle gebaut. Der dem Neptun geweihte lag gegen Norden, von der Mitte der Insel mit schönen Bädern in das Meer hinaus; an den sanften Hang darüber lehnte sich der Venuspalast, wenig entfernt davon ein Amphitheater; an demselben Hange noch östlicher erhob sich, irgendeiner andern Gottheit gewidmet, wieder ein Palast; der Gipfel neben der Stadt aber trug den, in welchem der Tyrann über das Meer blickend auf und ab ging, als er die Nachricht von der Hinrichtung des von ihm verurteilten Sejan erwartete. Die andern Paläste Tibers waren auf der Insel verteilt, bis an das südliche Ufer hinab, wo er, bei jenen phantastisch aus dem Meer emporragenden Felsentürmen, das Arsenal für die Flotte, die ihn beschützte, baute. Dort ließ er in einer mächtigen Strandhöhle seine Schiffe zimmern oder aufstellen. Aus seinen Palästen führten überall heimliche Gänge durch die Felsen bis in die See hinab, wobei er die vorgefundenen Höhlen vielfach benutzte. Zu jener Zeit muß die Insel einen wahrhaft einzigen Anblick gewährt haben, da die wildeste, zerrissenste Natur der Baukunst die mannigfaltigsten Motive bot, und die Schätze der Welt verschwenderisch angewendet wurden, jeden phantastischen Einfall schnell zur Wirklichkeit zu gestalten. Aber alle diese Pracht verschwand, einer Sage nach, bald nach Tibers Tode, zerstört vom Haß und Abscheu des römischen Volkes, und überall, auf Höhen, in Klüften und bis ins Meer hinab, liegen die flüchebelasteten Trümmer.
Nach Tiber besuchte Caligula die Insel, verweilte jedoch nicht lange daselbst. Auch Vitellius war in seiner Jugend hier. Lucilla und Crispina wurden von ihrem Bruder, dem Kaiser Commodus, hierher verbannt. Mit diesen Nachrichten will man obige Sage widerlegen und schiebt alle Zerstörungen auf der Insel den Barbaren und Sarazenen zu, welche freilich in diesen Gegenden schrecklich gewütet haben.
Der furchtbare Seeräuber Barbarossa zerstörte die Stadt am Ufer, und soll sich auf jäher Felszacke eine Burg erbaut haben. Ihre Trümmer zeigt man hoch über der Treppe, die mit 554 Stufen zum westlichen höhern Teil der Insel hinanführt. Die späteren Einwohner stellten die neue Stadt auf das Joch der Insel, dem Berg Madonna della libera nahe. Eine mehrere hundert Fuß hoch gewölbte Grotte desselben nahm damals die gesamten 2000 Einwohner auf, wenn eine Übermacht von Seeräubern die Insel überfiel. Jene Grotte befindet sich an der Südseite des Berges, und hängt ganz uneinnehmbar über das Meer hin, so daß die Flüchtenden sie nur auf aneinander gehängten Leitern erreichen konnten. Die Jünglinge wehrten oft noch den Feind ab, während man die Kranken und Alten, in Körben an langen Seilen, an einigen Stellen erst hinabließ, um sie an andern weiter hinauf bis zur Grotte hinanziehen zu können, wohl über hundert Fuß hoch. Feuerstellen und Trümmer einer zur Abwehr erbauten Mauer sind in der überaus imposanten, oben mit Tropfsteinen geschmückten Höhle noch sichtbar.
In jenen unruhigen Zeiten mag auch die zweite Stadt Anacapri am Monte Solaro entstanden sein, wohin die erwähnte Treppe führt, oben noch versehen mit einer Zugbrücke.
Als in neuern Zeiten die Franzosen Neapel schon eingenommen hatten, hielten die Engländer noch unter Church die Insel besetzt, und erbauten überall Schanzen und Kastelle. Dennoch erstiegen die Franzosen zur Nachtzeit auf der westlichen Seite, wo sich die Insel ins Meer neigt, dieselbe mit aneinander gebundenen Leitern, und trieben die Engländer über Anacapri die unendliche Treppe hinab, über die Höhen der andern Stadt nach dem zertrümmerten Arsenal des Tiber hinunter, wo sie sich bald einschifften und davonsegelten. Die Besatzung des Kastells auf dem höchsten Gipfel der Insel wußte von dem Hergange nichts, und schickte nach einigen Tagen ein Kommando hinab, um Proviant zu holen. So erfuhren die Franzosen erst, daß dort oben noch Feinde seien, gingen hinan und nahmen, ohne großen Widerstand zu finden, auch jenen höchsten Punkt ein. Sie zerstörten die Befestigungen dort oben, weil sie sich als völlig unnütz erwiesen. Nichts aber gleicht der Aussicht, welche man von jenem höchsten Punkt aus genießt. Zweitausend Fuß erhoben, stürzt die höchste Zacke nach Süden so schroff ab, daß man mit einem Stein in das Meer werfen kann. Nach Westen senkt sie sich, immer noch steil, doch nicht so jäh, nach der Stadt Anacapri hin, bildet dahinter eine sanft abfallende, breite, schön bebaute Lehne, die mit unzähligen höhligen und rissigen Riffen ins Meer geht. Nach Norden schaut man über die Barbarossaburg; nach Osten aber übersieht man die schöne fruchtbare Kluft, welche die Insel teilt, mitten die Stadt Capri, rechts und links die südliche und die nördliche Bucht, den erwähnten Berg mit der mächtigen Höhle, gekrönt von einer Burg, dahinter die Felsentürme mit dem Felsentore im Meer, links darüber den Telegraphenberg und alle zackigen Weinberge bis zum östlichsten Ende, wo die dem Jupiter geheiligten Augusteichen und Tiberischen Palasttrümmer und das Kirchlein St. Maria del Soccorso von der äußersten Zacke ragt. Alles dieses bildet den mannigfaltigsten Vorgrund für die Fernsicht auf das blaue Meer, die pontinischen Inseln und Ischia, Procida, die Golfe von Gaeta, Bajä, Neapel, Sarno und Salerno, hinter allen die blauen Abruzzen, im Mittelgrund den dampfenden Vesuv, näher, die Meerenge von Capri bildend, das prächtige Vorgebirge der Minerva, weiter die Sirenusischen Inseln, tiefer hinein die Ebene von Pästum, und südlicher das schön geschlungene Cap Licosa, welches träumerisch versinkt in die Ebene des Meeres. – Wenn ich jener schönen Aussicht gedenke, ist es mir heute noch, als umwehe mich jener himmlische Ätherstrom, den ich dort geatmet; damals aber war das Erklimmen jenes Gipfels der Schlußstein meiner Ausflüge, die ich bei meinem ersten Aufenthalt zur Kenntnis der Insel machte, und mir blieb nun zu meinem nächsten Zweck nichts mehr übrig, als eine Umschiffung und Untersuchung aller ihrer Ufer.
Wir hatten, da das Meer um die Insel bisher täglich heftig bewegt war, den ersten stillen Morgen dazu bestimmt. Endlich schien ein lieblicher Abend uns diesen zu verkündigen. Wir teilten unsre Hoffnung unserm Wirt, dem Notar, mit. Er fand sie begründet und versprach uns zu der Fahrt einen erfahrenen Schiffer zu besorgen, der, wie er sich ausdrückte, die Toten aus der Unterwelt wieder zurückholen könne, so verstehe er zu rudern. »Er ist alt,« sagte er, »hat aber ein Auge wie ein Falke, ein Herz von Stein, und einen Arm von Eisen.« – Der Mann gefiel mir im voraus und nachher noch besser; – denn er rettete uns den andern Tag zweimal das Leben. – Es wurde nach ihm gesandt.
Die lange Zeit, ehe der Bote zurückkehrte, benutzte ich dazu, den Notar über die ganze Expedition genau zu befragen, um mir alles Interessante für morgen zu notieren. Er gab mir als alter Capreer sehr detaillierte Auskunft über alle schönen Stellen der Ufer und ihre Benennungen, die auf seinen schlechten Karten sehr unrichtig angegeben waren. Als ich mit Notieren fertig war, gab ich ihm das Blatt zum Durchlesen. Bei der einen Stelle kniff er den Mund zusammen, nickte mehrmals mit dem Kopfe und brummte wunderlich vor sich hin. Ich fragte ihn: ob ihm noch etwas beifalle? – »Ja,« sagte er nach einer langen Pause, »mir fällt freilich etwas bei, aber – es hat eine eigne Bewandtnis damit: – ich bin nun schon sechsundfünfzig Jahre alt und habe in meinem Leben noch niemanden dazu bereden können; es ist besser, ich lasse das Ding wieder fahren.« – Damit wollte er schweigen, da aber meine Neugier nur um so reger wurde und ich ihn wiederholt gefragt, was er damit meine, fuhr er endlich in seiner Rede so fort: »Ja, sechsundfünfzig Jahre bin ich alt, und habe einen Wunsch mit mir herumgetragen, fast eben so lange. Der Wunsch ist folgender:
An der nordwestlichen Seite unsrer Insel ragt eine Art Turm, Damecuta genannt. Dort umher sind eine Menge römischer Ruinen und wahrscheinlich war dort ebenfalls ein Palast Tibers. Im Volk geht auch die Sage, der Ort habe sonst Dame chiusa geheißen, d. h. Frauenverschluß, weil Kaiser Tiber dort seine Mädchen verschlossen.« – Ich warf ihm scherzend ein: es sei doch wohl nicht seine Absicht, dieselben zu erlösen? –
»Nein,« antwortete er lachend, – »aber ein Schloß Tibers hat da gestanden. Hört mich weiter,« fuhr er wieder sehr ernsthaft fort; »unterhalb jener Trümmer ist am Ufer des Meeres ein Ort, Grottelle genannt, wo das Meer in viele kleine Höhlungen mehr oder minder tief eindringt. Eine derselben, mit winzigem Eingange, ist sehr verrufen und die Schiffer halten sich auch am hellen Tage fern davon, meinend, der Teufel wohne darin mit vielen bösen Geistern. Ich aber« – hierbei sah er sich um, ob ihn jemand der Seinigen höre, und fuhr, als er uns allein sah, leiser fort: »ich aber glaube es nicht. Hier auf der Insel darf man so etwas nicht laut werden lassen, sonst wird man für wenig fromm gehalten. Indes, Ihr seid ein studierter Fremder und werdet mir zugeben: die Frömmigkeit bestehe in etwas andrem als im Glauben an Teufelsgespenster. Genug, ich habe von Jugend auf eine Sehnsucht verspürt, gerade in diese Höhle zu schwimmen und sie zu erforschen. Dabei gestehe ich Euch aber ebenso offen, daß mich bei dem Gedanken doch ein Schauerchen anweht, und daß ich es nie wagen wollte, und jetzt als Familienvater noch weniger wagen werde, allein hineinzuschwimmen. Da sei Gott vor! Aber wohl hundertmal habe ich als Knabe, als Jüngling und als Mann Freunde und Bekannte, die rüstige Schwimmer waren, gebeten, mich dahinein zu begleiten; vergeblich! – Die Teufelsfurcht war zu gewaltig in ihnen, als daß meine Bitten irgend etwas vermocht hätten. Nun aber hört, was mich später noch mehr in meinem Wunsche bestärkt hat. Ich vernahm vor etwa dreißig Jahren von einem uralten Fischer, daß vor zweihundert Jahren ein paar Geistliche den Spuk haben bestehn wollen. Dieselben sind auch ein Stück in die Grotte hineingeschwommen, aber gar bald wieder umgekehrt, indem sie eine grauliche Furcht angekommen. Nach der Aussage dieser Priester soll die Grotte inwendig aussehen wie ein sehr großer Tempel mit einem Hochaltar, rings herum aber alles voll von Götzenbildern sein, und das Wasser innen so wunderlich beschaffen, daß die Angst, darin zu schwimmen, ganz unbeschreiblich sei. In älteren Büchern stehe auch eine Nachricht davon, die ein Schriftsteller immer von dem andern abgeschrieben; – seit vielen hundert Jahren aber sei niemand eigentlich darin gewesen.
»Zu alle diesem kommt noch eins,« sagte der treffliche Notar, indem er seine Hand fest auf die meinige legte; »ich für mein Teil halte die Ruinen darüber durchaus für ein Tiberschloß, und da Tiber keinen Palast ohne heimlichen Ausgang gehabt, behaupte ich und versichere Euch: der heimliche Ausgang jener Ruine geht durch diese Grotte! So könnte die Grotte, die inwendig weit gewölbt ist, gar wohl ein Tempel des Nereus und der Nymphen sein, um so mehr, da man aus den alten Klassikern weiß, daß Tiberius die Höhlen von Capri vielfach benutzt und in seinem Sinn ausgeziert hat. Noch muß ich Euch sagen, daß alle Fremden, denen ich bisher davon gesprochen, meine Gedanken als wunderliche Träume belächelt; in Euch aber setze ich das Vertrauen, daß Ihr mir recht gebet, wenn ich behaupte, die Sache sei genauerer Untersuchung wert.«
Ich erwiederte ihm: »Lieber Herr Notar, die Fremden, die über Eure Schlüsse lachten, kommen mir fast so einfältig vor wie die Einheimischen mit ihrer Teufelsfurcht. Alles, was Ihr mir da erzählt, hat Hand und Fuß, und ich bin so vollkommen Eurer Meinung, daß ich vor Begierde brenne, mit Euch den verrufenen Teufelstempel zu untersuchen.« –
»Aber man kann nur schwimmend hinein!« warf der Notar noch zweifelnd ein, »inwendig ist die Grotte tief mit Wasser erfüllt.« –
»Desto besser!« sagte ich, »so können wir untertauchen, wenn die bösen Geister uns mit Feuer peinigen wollen.«
»Ihr scherzet?« sprach der Notar.
»Nein, ich scherze nicht!« gab ich ihm zur Antwort; »Ihr habt in mir endlich, nach sechsundfünfzig Jahren, den Mann gefunden, der bereit ist, das Abenteuer mit Euch zu bestehn, und damit Ihr sehet, daß ich Ernst mache, lade ich Euch auf morgen ein, mit uns zu fahren. Wir können, da wir doch baden wollten, bei jener Grotte anhalten und unser Bad bei den Dämonen nehmen in dem Wasser, das die guten Geistlichen vor zweihundert Jahren so geängstigt hat.« –
Da erheiterte sich das Gesicht des Notars. »Topp!« sagte er, »ich bin dabei! Wisset, so alt ich bin, ich schwimme noch mit jedem um die Wette. – Erlaubt, daß ich Euch küsse, lieber Don Augusto! Sprechen wir nur leise, daß niemand im Hause etwas davon merkt: sie lassen mich sonst nicht fort; denn die Angst ist groß, wie ich Euch sage.« –
»Wir müssen uns nur jetzt darüber beraten,« fuhr ich fort, »wie wir das Unternehmen einrichten. Ist der Eingang so klein wie Ihr sagt, so muß es in der Grotte finster sein: wir werden also Fackeln mitnehmen müssen oder ein Pechfeuer in einer Kufe.« –
»Allerdings,« meinte der Notar: »die können wir schwimmend vor uns her stoßen, und dabei trefflich sehen, wie die Grotte beschaffen ist. Angelo soll alles besorgen!«
Mein Reisegefährte, der bisher geschwiegen hatte, warf hier ein: die Sache werde so zu umständlich und zeitraubend, auch gäbe es viel solcher Höhlen, die Italiener glaubten überall Schätze zu finden; er stimme gegen das Unternehmen. – Da wurde das eben noch heitere Gesicht des Notars leichenblaß, ich aber sagte ihm: er solle getrost sein, die Sache werde jedenfalls durchgesetzt. Nun stellte ich meinem Freunde wiederholt vor, wie wir morgen doch hätten baden wollen, und ein Bad in der Grotte nicht länger aufhalte als ein anderes, wir könnten daher alles recht gut mit der Umseglung der Insel vereinigen; habe er aber morgen nicht Lust, so wolle ich die Sache verschieben. Endlich gab er nach und versprach mit hineinzuschwimmen. Niemand war froher als der Notar. Indem kam Angelo Ferraro, der alte Schiffer, ein Mann, dem Meerluft und Sonnenbrand die Farbe der Zimmetrinde gegeben. Mit schlichtem, festem Anstande trat er vor uns hin, die Schifferkappe in der Hand. Wir fragten ihn, ob er sich getraue, uns um die ganze Insel zu fahren. – »Meine Herren, so gut wie ein Andrer!« war seine Antwort. Hierauf gab ihm der Notar die nötigen Aufträge hinsichtlich der Grotte. – Der Mann machte große Augen.
»Diese Herren wollen in die Grotte schwimmen?« –
»Ja! und ich auch,« sagte der Notar; »willst du mit hinein, Angelo?«
»Ihr auch?« sagte der Schiffer, und trat verwundert einen Schritt zurück. »Und wenn es so ist,« schloß er mit dem Fuße stampfend, »so gehe ich auch mit hinein! Ja, Angelo geht mit!« –
»Bravo Angelo!« rief der Notar.
»Ja!« sagte Angelo; »in dieses Teufelshaus habe ich schon lange einmal hineingucken wollen, aber allein? – da sei Gott vor! Nun aber sind wir unser vier, und wo ihrer viere sind, weichen die Dämonen. Ich werde mich selbst in eine Kufe setzen und voran hineinrudern, die Kufe mit dem Pechfeuer aber angebunden vor mir hertreiben; so können die Herren sich besser umsehen, als wenn sie sich selbst damit plagen und das Feuer so dicht vor der Nase haben.« –
»Bravo Angelo!« wiederholte der Notar.
»Bravo Angelo!« scholl es auf einmal ganz leise und ironisch aus einer Ecke.
Wir blickten hin.
»O weh, mein Bruder, der Canonico!« seufzte der Notar für sich hin. – Wir waren mit Angelo zu laut geworden, und alles war verraten.
Der Canonico trat mit erzwungener Höflichkeit heran, und begann mit verbissenem Zorn: »Verzeiht, meine Herren, daß ich so unartig hereingeschlichen. Es wäre nimmer geschehen, wenn mein Bruder da immer handeln wollte, wie es einem guten Christen geziemt. Ich habe schon eine ganze Zeit hier hinter der Glastür gestanden, und mit Verwunderung zugehört, was der alte Mann, der doch endlich klug werden sollte, mit euch fremden Herren und Angelo verhandelt.« –
»Ach! gerade der mußte dazu kommen! Nun wird es gut!« seufzte der Notar und zuckte mit den Achseln. »Laß uns, lieber Bruder!« bat er den Geistlichen, »ich habe mit den Herren zu sprechen.« –
»So? zu sprechen? – Nun, und was denn alles? Böses, lauter Böses! Seht her, meine Herren, hier ist mein Bruder, der sehr geachtete Notar des Ortes, Herr Giuseppe Pagano, ein studierter Mann, ein gelehrter Mann,« (Don Giuseppe nahm bei jedem Lob, aus Zorn, sein Käppchen ab) »ein trefflicher Familienvater, ein braver Gatte, ein vernünftiger Erzieher seiner Kinder, geehrt und geliebt von jedermann, aber – ein Sack von Narrheit und ein Topf voll Torheit, der oben überkocht! der oben überkocht!« wiederholte er im Eifer. – »Geh Angelo!« sagte der Notar, »geh, und tue, wie ich dich geheißen.« Angelo ging; der Canonico aber wendete sich zu uns und fuhr fort: »Ihr, meine Herren, verzeihet mir, Ihr lasset Euch, da Ihr fremd auf der Insel seid, von meines Bruders Schwatzhaftigkeit zu einem Unternehmen bereden, das gefährlicher ist als es scheint. In eine Grotte schwimmen, mag Euch leicht dünken, weil Ihr über Ströme geschwommen seid und im Meere nicht untersinkt. – Wisset Ihr denn aber, was Ihr in der Grotte für Wasser antreffen werdet, ob das Wasser Euch trägt, ob der Teufel nicht Trug macht und Ihr sinkt in die ewigen Flammen? Seht, meine Herren, das wisset Ihr nicht. Ihr habt vielleicht nicht gehört, wie es um die Insel von Haifischen wimmelt, die den Menschen fressen, weshalb man hier nur zwischen den Steinen zu baden waget. Gut, werdet Ihr sagen, sind wir in der Grotte, so sind wir zwischen den Steinen, und die Haifische werden uns nichts tun. Was denkt Ihr? glaubt Ihr nicht, der Teufel könne sich ganz andere Fische darin halten, wogegen die Haifische nur fromme Lämmer sind? O, lachet nicht, meine Herren! Was ich sage, ist nicht leere Einbildung. Tatsachen, reine Tatsachen sprechen dafür. Ihr werdet in alten Büchern von Sirenen und Tritonen gelesen haben. Nun, diese Sirenen und Tritonen sind Teufel, die solche Gestalt annehmen und noch andere, um dem Menschen zu schaden und ihn vom ewigen Heil abzuziehen!« –
»Herr Canonico,« warf ich ihm ein, »die Sirenengeschichten sind alte griechische Märchen, daran glauben wir nicht!« –
»Alte griechische Märchen?« rief der Canonico, und hob beide Arme auf. »Wollte Gott, es wären bloß alte griechische Märchen, so würde man sie nicht noch heutzutage sehen müssen! Wie lange ist es denn her, daß ein Fischer auf der Insel starb. Wie hieß er doch?«
»Kein Mensch weiß es!« fiel der Notar voll Ärger ein.
»O ja! viele wissen es noch!« fuhr der Geistliche fort. »Kurz, der Fischer starb an einer entsetzlichen unheimlichen Krankheit, weil er einen Meermann gesehen hatte. Wie kam das aber? – Er fuhr in die Nähe jener Teufelsgrotte, da Fische zu harpunieren. Der Morgen war sehr schön, und er konnte die Muscheln auf dem Grunde des Meeres kriechen sehen, obwohl es da sechzig Ellen tief ist. Da sah er auf einmal alle Fische fliehen, aber ganz in der Tiefe einen einzigen bleiben; derselbe fing an herumzuschwimmen, immer höher und höher im Kreise um seine Barke. Der Fisch hatte Mannslänge. Der Mann nahm also die stärkste seiner Harpunen in die rechte Hand, legte die Schnur zurecht und lauerte, die linke am Ruder. Der Fisch kam immer mehr herauf und sah bald rot, bald grün aus, ebenso waren die Augen bald rot, bald grün. Dem Fischer, der nie einen solchen Fisch gesehen hatte, ward etwas unheimlich zu Mut; aber statt wie ein guter Christ ein Vaterunser zu beten, damit der Fisch wieder abgezogen wäre, faßte sich der Mann, wie die Weltkinder sagen, ein Herz, und warf, als der Fisch ihm nahe kam, die Harpune in Teufels Namen. Da sah er sie auch mitten in den Nacken des Fisches hineinfahren, das Meer aber färbte sich so rot vom Blute, daß er bald nichts mehr darin erkennen mochte. Von dem Fische glaubte er, daß er ihn auf der Stelle getötet, weil die Schnur gar nicht straff ward, und begann sie heraufzuziehen. Siehe da, die Harpune kam ohne Fisch und ohne Gabel herauf, und war mitten entzwei, nicht abgebrochen, sondern wie abgeschmolzen. Da kam den Fischer eine Furcht an. Er ließ das Ende der Harpune ins Schiff fallen, ergriff beide Ruder und begann aus allen Kräften zu rudern um hinwegzukommen; aber – die Barke ging nicht von jener Stelle, sondern immer gerade so im Kreise herum, wie zuvor der Fisch geschwommen war; endlich aber stand sie ganz still, und aus dem roten Wasser erhob sich ein blutiger Mann, der hatte die Gabel der Harpune in der Brust stecken und drohte ihm mit der Faust. Da sank der arme Fischer ohnmächtig hin, und die Barke trieb mit ihm auf den Wellen bis nach der Marine von Capri. Dort kamen ihm bald Freunde zu Hilfe. Drei Tage war er völlig stumm, endlich, am vierten, konnte er erzählen was ihm geschehen war. Nun aber erging es ihm wunderbar. Die Hand, womit er die Harpune geworfen, fing an zu dorren und zu welken, wie ein Blatt, desgleichen welkten nach und nach der Arm und alle seine Glieder, zuletzt schrumpften der Leib und der Kopf so zusammen, daß er sterben mußte. Die Leiche aber sah nicht aus wie eine Menschenleiche, sondern wie eine getrocknete Wurzel bei einem Apotheker.« –
»Warum nicht gar wie der Zopf an einer Perücke!« sagte der Notar, stand ärgerlich auf und ging im Zimmer hin und her. Der Canonico ließ sich aber nicht stören, sondern sprach immer weiter, und war ganz unerschöpflich in Märchen von dieser Grotte, die er für reine Tatsachen hielt. Zuweilen, sagte er, erblicke man Feuer darin, zuweilen sähen Tiere wie Krokodile daraus hervor. Der Eingang verändre sich täglich siebenmal, und sei bald weiter, bald enger. Bei Nacht sängen die Sirenen darin, und inwendig sei alles voll von Totengebeinen. Dann und wann schreie es darin wie kleine Kinder. Stöhnen und Ächzen sei das Allergewöhnlichste, was man da vernähme, auch sei es gar nichts Seltenes, daß junge Fischer in jener Gegend verschwänden. –
»Das ist alles nicht wahr und lauter Fabel!« rief endlich der Notar, dem die Geduld ausgerissen war. »Laß uns, lieber Bruder! Wir haben die Fahrt einmal fest beschlossen, und nichts in der Welt kann uns davon abbringen!«
Der Canonico versuchte nun, den Sinn des Notars mit geistlichen Ermahnungen zu wenden. Dieselben fingen sehr sanft an; da der Notar aber immer entgegen sprach, wurden sie immer heftiger, und beide Brüder endlich so laut, daß die Frau des Notars, die ganze Familie hinter sich, hereintrat und fragte, was sie so entzweie. – Der Canonico rief sie feierlich an: »Hört, liebe Frau Schwägerin, was Euer Mann, mein Bruder, tut! Hört, liebe Kinder, was Euer Vater vor hat! In die Höhle will er schwimmen, morgenden Tages mit diesen Herren!« –
»In welche Höhle?« –
»Ach! in die Teufelshöhle, wovon er immer spricht!«
»I, das wird ja mein Mann nicht tun!« sagte die Frau ganz erschreckt.
»Ja, Frau, jetzt tue ich es gerade!« sagte der Notar. »Willst du mitkommen, mein Sohn?«
»Ja!« sprach der muntre zwölfjährige Bursche, seine Hand fassend; »wo der Vater hingeht, geh ich mit.« – »Bravo!« sagten wir.
Das war dem guten Geistlichen zu viel. Er faltete die Hände und ging, für seines Bruders Seele betend, nach seinem Zimmer.
»Nun haben wir Ruhe!« sagte der Notar; »jetzt, Frau, laß das Abendbrot aufsetzen. Streiten macht hungrig. Ich will hinuntergehn und von dem besten Wein heraufholen, den ich irgend habe.« – Damit ging er hinaus, und die Frau, gewohnt sich seinem Willen zu fügen, seufzte vor sich hin und tat wie er befohlen. Die Töchter aber fragten uns sehr teilnehmend: ob wir denn wirklich Leib und Seele aufs Spiel setzen wollten? und gingen nicht im mindesten darauf ein, als ich die Sache ins Scherzhafte zu ziehen suchte. Das Abendbrot war aufgetragen, der Notar schleppte eine riesige Phiole des köstlichsten Weines heran, und da ihm die Trauer in den Gesichtern seiner Töchter mißfiel, gebot er ihnen, zur Ruhe zu gehn. Alle drei sahen sich noch einmal nach uns um, so bange, als wenn sie uns für verlorene Menschen hielten. Dann zogen sie die Tür hinter sich zu.
Der Notar aber sprach aufatmend: »Nun sind wir unter uns, nun wollen wir fröhlich sein!« –
Die Ermahnung ging uns zu Herzen. Wir setzten den trefflichen Meerspinnen und der riesigen Flasche tapfer zu, und stießen mehr wie einmal auf gutes Gelingen unsers Abenteuers an. Der Notar ließ alle Vorstellungen los, die er sich von Jugend an von der Grotte gemacht hatte, ich erfand neue dazu und sprach immer von Statuen und großen Schätzen, die wir da finden würden und finden müßten! – Dem Notar schien in seiner Freude nichts zu abenteuerlich. Er sagte zu allem: »Man kann nicht wissen! Wer weiß! Warum denn nicht? Es ist alles möglich!« und dergleichen mehr. Mein deutscher Freund, der für die Sache weniger begeistert war, schloß endlich: »Wißt ihr, wie ich mir die Grotte inwendig denke? Naß, feucht, dunkel und finster, und damit Punktum! Gehn wir schlafen!« – Damit standen wir auf. Der Notar umarmte uns, und da es spät geworden war, eilten wir, zur Ruhe zu kommen.
Ich brachte die Nacht halb schlummernd, halb wunderlich träumend hin. Natürlich führte mich der Traum in die Grotte. Wir waren dort ausgestiegen und kamen in lange Gänge. Hier und da waren Gerippe in allerlei Stellungen in Fesseln aufgehangen, wovon eines immer lateinisch fluchte. Auf einmal hörten wir Tritte und sahen den Kaiser Tiberius kommen. Ein römischer Soldat trat vor und fragte, was wir wollten? Über dem Besinnen auf Antwort erwachte ich – dann schlief ich wieder ein, und träumte, wir seien wieder in der Grotte und fänden eine Tür von Erz. Wir hatten Brecheisen, und als wir die Tür aufbogen, sahen wir durch die Ritzen einen prächtigen Saal. Auf einmal sprang die Tür vor uns auf, und ein Sturm wehte uns entgegen. Das Meer war in den Saal gebrochen und zertrümmerte die Prachtsitze, die Bildsäulen und Dreifüße. Alles rollte durcheinander. Die Wellen ergriffen auch uns, und schleuderten uns längs der gemalten Wände umher. Ich hielt mich, endlich gegen die Decke geworfen, an einen dort angebrachten Ring, und blieb eine Weile schwebend, aber der Ring gab nach, die Decke bog ein, alles stürzte zusammen, und ich – erwachte. Nicht lange, so brach der Morgen an; ich weckte meinen Freund, wir kleideten uns an und gingen zu Don Pagano, den wir schon in vollem Zeug und Zuge fanden. Er hatte einen Korb mit Lebensmitteln für unsere Expedition gefüllt, auch eine Laterne dazu gepackt, für den Fall, daß wir in der Grotte ausstiegen. Überdem kam das Frühstück, der kleine Sohn Paganos jubelnd dahinter. Nachdem wir uns erquickt hatten, zogen wir fröhlich aus. – Die Familie des Notars blickte traurig nach. In einer halben Stunde gelangte der kleine Zug zur nördlichen Marine hinab, wo Angelo, dem sich unser Eseltreiber Michele Furerico gesellt, bereits unser wartete. Die Kufen, Pechpfannen, Laternen und Stricke wurden auf ein kleineres Boot gepackt. Wir selbst bestiegen ein größeres und schleppten jenes nach. Der Eseltreiber und Angelo ruderten nun so schnell mit uns dahin, daß wir sie bitten mußten, langsamer zu fahren, um die Ufer betrachten zu können, indem sie allerlei Merkwürdigkeiten boten. Links gewandt durchschnitten wir, einen langen Streif hinter uns lassend, das spiegelglatte Element, dicht an der nördlichen Küste, vorüber der Neptunsvilla Tibers, und befanden uns bald unter der fast überhangenden Felswand. In dieser bemerkten wir, da, wo sie sich niedriger und niedriger neigt, mancherlei Nischen und Tropfsteinhöhlen, in deren einige das Meer hineinwogt. Ich brannte vor Ungeduld zu der besprochenen zu gelangen; mein Reisegefährt bezeigte jedoch, je näher wir kamen, je weniger Lust mit hineinzuschwimmen. »Der Notar hat uns etwas vorgeschwatzt, wir werden nichts finden, und er wird uns dann obenein auslachen!« war seine Rede. – Ich sagte: das solle der Notar nicht, wir wollten ihn in die Mitte nehmen, so daß ich voran schwömme und er ihm folge, und wenn sich in der Grotte nichts finde, könnten wir ihn zur Strafe nach Belieben tauchen; dann sei das Lachen auf unsrer Seite. Dieses Vorschlages war mein Freund zufrieden. Wir begannen, uns zum Bade vorbereitend, die lästigen Kleider von uns zu werfen, und ermahnten den Notar, der etwas ernst geworden war, ein Gleiches zu tun.
»Mir ist noch zu warm!« meinte derselbe und blieb wie er war. Die Rudernden, vorher ziemlich gesprächig, wurden nun auffallend feierlicher. Nicht lange darnach bogen wir um eine Felsenecke, die Ruder wurden eingezogen, die Barke stand still. Niemand sprach ein Wort.
»Warum wird denn hier angehalten?« fragte ich.
»Hier ist die Höhle!« antwortete Angelo mit etwas Befangenheit.
»Wo denn?« fragte ich wieder.
Da zeigte er mir, im Hintergrunde der kleinen Bucht, den finstern Eingang derselben, nicht viel größer als eine Kellerluke. Das hier tiefblaue Meer wallete ruhig hinein und heraus. Alles schwieg. Don Pagano war sehr nachdenklich geworden.
»Nun, Angelo, macht das Feuer an!« unterbrach ich die bange Stille, »wir haben nicht viel Zeit und wollen flink hinein und heraus!« – Angelo stieg nun in die kleine Barke, setzte die Pfanne in die eine Kufe, schlug Stahl an Stein, wie Äneas Gefährten, und bald loderte und brodelte ein Pechfeuer so lustig, als man jemals eins gesehen. Die Glut und der Qualm war so groß, daß Angelo, wie er die Kufe damit auf das Meer setzte, ein Gesicht machte wie eine Zitrone unter der Presse.
Wir Fremden lachten herzlich darüber, der Notar aber ward immer ernsthafter.
»Nun, Herr Notar,« sagte ich, »flink ausgekleidet! Wir wollen nun hinein!« –
»Ich bin noch warm, geniert euch nicht! Schwimmt immer voran, ich werde bald nachkommen!« war die Antwort.
»Nein, liebster Freund,« sagte ich daraus, »so ist die Sache nicht gemeint. Wir schwimmen alle zusammen!«
»Aber warum alle?« –
»Weil es sonst aussieht, als ob Ihr Furcht hättet, lieber Herr Notar! Ich will Euch ein bißchen helfen auskleiden!« –
»Nein, nein, laßt mich, ich bin wirklich noch zu warm!«
»Nun, so wollen wir ein wenig warten!«
Der Notar fing endlich an, die Oberkleider abzuwerfen: »Geht nur hinein, ich komme bestimmt bald nach!« – »Nein,« sagte ich, ihn bei den Schultern fassend, »Herr Notar, wenn Ihr Euch nicht sogleich zum Schwimmen bereitet, so werf ich Euch so ins Wasser.« – Dieses Wort, halb ernsthaft halb scherzend gesprochen, verfehlte seine Wirkung nicht. Er war bald von jeder künstlichen Hülle befreit, aber hineinspringen wollte er noch immer nicht. Da gab ich ihm im günstigen Moment einen leichten Druck an die Schulter, und plump! lag er im Wasser, aus dem er augenblicklich wieder, einem Korkstöpsel gleich, in die Höhe schoß und prustend auf und nieder hüpfte. Er war eine von den leichten Naturen, die im Wasser nicht untergehn, sondern weit hervorragen. Wir Fremden plumpten nun ebenfalls hinein und schwammen lustig um ihn herum. Er hatte mir den Scherz nicht übel genommen, teilte indeß keineswegs meine Lustigkeit, denn – der verhängnisvolle Moment rückte heran. Angelo, in der einen Kufe nach türkischer Weise kauernd, ruderte, die andre mit dem Feuer vor sich hertreibend, dem Eingange zu. Ich glaube, keiner von uns war ohne eine gewisse Bangigkeit. Nicht, als ob ich mich vor fabelhaften Dingen gefürchtet hätte, aber ich gedachte der vom Canonico erwähnten wirklichen Haifische, und fragte den guten Angelo: ob man hier welche vermuten könne? – Seine Antwort: »Habt keine Furcht, sie gehen nicht zwischen Felsen!« gab mir nicht genügende Beruhigung; denn, dachte ich, er hat gut reden, er hat seine Beine in der Kufe! – Nun war er unter dem Eingang, nun – tappte er sich an den Wänden hinein. Der gewaltige Rauch des Pechfeuers schlug ihm und mir entgegen, und wir mußten die Augen schließen, als wir unter das innere mächtige Gewölbe kamen. Als ich sie wieder auftat, sah ich alles finster um mich her. Feuer und Rauch blendete, wo Angelo sich an den nassen Wänden forttappte, und nur mit dem Gehör konnte ich, nach dem Hall der rings anschlagenden Brandung, einigermaßen die Größe des überwölbten Bassins ermessen. Ich schwamm in wunderlich banger Erwartung weiter, vergeblich spähend nach Altertümern. Da merkte ich, daß der Notar und mein deutscher Freund, die mir erst gefolgt waren, beide zugleich umkehrten, und wandte mich, sie zu schelten; aber – welch ein Schreck kam über mich, als ich nun das Wasser unter mir sah gleich blauen Flammen entzündeten Weingeistes. Unwillkürlich fuhr ich empor, denn vom Feuer immer noch geblendet, glaubte ich im ersten Augenblick eine vulkanische Erscheinung zu sehen. Als ich aber fühlte, daß das Wasser kühl war, blickte ich an die Decke der Wölbung, meinend, der blaue Schein müsse von da kommen. Aber die Decke war geschlossen, und ich erkannte endlich, vom Feuer abgewendet, halb und halb einiges von ihrer Gestalt. Das Wasser aber blieb mir wunderbar, und mir schwindelte darin, denn wenn die Wellen etwas ruhten, war es mir gerade, als schwömme ich im unabsehbaren blauen Himmel. Ein banges Entzücken durchzitterte mich, und ich rief meinen Gefährten zu: »Bei allem was schön ist, kommt wieder herein; denn wenn nichts in der Grotte ist als das himmlische Wasser, bleibt sie dennoch ein Wunder der Welt! Kommt, fürchtet euch nicht, es sind weder Haifische noch Teufel hier zu sehen, allein eine Farbenpracht, die ihresgleichen sucht!« – Auf diesen jauchzenden Zuruf faßten sie von neuem Mut, und schwammen wieder herein. Beide teilten nun mein Entzücken, aber wir alle begriffen das Wunder nicht, wir konnten es nur anstaunen. Zugleich kam es uns sehr begreiflich vor, daß jene Geistlichen vor zweihundert Jahren das Schwimmen auf diesem Himmel von Wasser ängstlich fanden. Angelo hatte nun mit seinem Feuer den Hintergrund erreicht, wo sich ein Ladungsplatz darstellte. Ich schwamm dahin und erklomm das Ufer, wunderbar angeregt: denn die Höhle schien, so groß sie schon war, dort noch viel weiter fortzugehn.
»Hier wird der Gang des Tiberius sein!« rief der Notar aus dem Wasser. Ich fand es nicht unwahrscheinlich, ließ mir von Angelo eine Laterne reichen, worin ein kleines Lämpchen brannte, und ging bebend vorwärts: denn der Boden war ungleich und sehr schlüpfrig; von der Decke hingen Tropfsteinzacken herab, und bei jedem Schritt veränderten sich die Schatten, überall umherirrend an den abenteuerlich gebildeten Wanden. Bald hier, bald da schien sich etwas zu bewegen. Meine Phantasie, durch das unerklärte Wunder des Wassers und die mannigfaltigen Formen angeregt, sah jeden Augenblick Gestalten, und der Gedanke überflog mich: es könnte die Höhle ein Aufenthalt von Seeräubern sein. Nun sah ich im Schein des schwachen Lämpchens plötzlich etwas Weißes schimmern, und blieb stehen, es zu betrachten. – Meine Gefährten aber fragten aus dem Wasser heraus: warum ich so zurückträte? – »Weil ich ein Gerippe sehe!« wollte ich eben sagen; aber als ich genauer hinleuchtete, war es eine Tropfsteinbildung, die vor der gespannten Phantasie diese Gestalt angenommen, weil ich anfing, die Höhle für eine Mordhöhle zu halten. Ich schritt weiter vor, aber ein kalter Schauer überlief mich, als ich, vor mich hinleuchtend, plötzlich meinen Schatten nicht hinter mir, sondern neben mir erblickte. Was ist das? dachte ich bei mir; geht hier eine Tür auf, werden nun die Mörder gegen dich Waffenlosen kommen, und deine Gefährten dich entsetzt verlassen? – Als ich mich aber trotzend zur Rechten wandte, sah ich, daß hier ein Fenster in den Gang gehauen war. Es mündete in die große Grotte, und das Licht des durchschwommenen Eingangs schimmerte herein. »Hier ist eine Spur von Menschenhand!« rief ich den Gefährten zu; »kommt her und seht ein gehauenes Fenster!« – Der Notar kam eilig näher und krabbelte sich eifrig an dem Felsen herauf, ihm folgte der deutsche Freund. – »Wahrhaftig, ein gehauenes Fenster!« rief Don Pagano, – »hier ist der Gang Tibers, darauf hin will ich den Kopf verlieren!« –
Von dem Fenster aus erschien die Grotte nun in voller Pracht, ein mächtig großes und tiefes Bassin, weit überwölbt von tropfsteingezierten, schön geschwungenen Felsen, das Wasser ein wallender Himmel, dessen blaues Licht die Decke darüber zauberisch erhellte. Am hochroten Saume, der, rings von Seetieren gebildet, alle Ränder der Grotte verziert, funkelten die Brandungen umher, und spielten die Farben aller Edelgesteine. Zum Eingange herein aber schimmerte das helle Tageslicht und breitete, gleich einem Monde, seinen Schein über das Wasser.
Wir beschlossen, über ihrer Schönheit Gang, Tiber und alles vergessend, die Grotte zu zeichnen, um später zu versuchen, ob wir sie malen könnten. Ersteres zu tun, sprangen wir ins Wasser, schwammen hinaus, holten unsre Feldstühle und Mappen, und setzten uns in das Fenster. Einer hielt dem andern abwechselnd die Laterne, damit er sehen könne, was er zeichnete. – So brachten wir zwei Ansichten der Grotte zustande. Unterdeß hatten der kleine Pagano und der Eseltreiber die Barken draußen andern Schiffern übergeben, und schwammen nun jubelnd herein und jauchzten im prächtigen Wasser der Grotte herum; sie nahmen sich aus wie schwarze Dämonen. Wo sie hinschlugen, sprühten blaue Funken. Don Pagano aber, dem unser Zeichnen zu lange währte, schwamm hinaus; er hatte Geschäfte in Capri, und konnte nicht bleiben, so gern er gewollt hätte. Vor der Grotte traf er den Besitzer des Terrains derselben. Dieser war auf das vernommene Jauchzen und Jubeln gleich einer Ziege am Felsen herabgeklettert, und sah eben mit offenem Mund und neugieriger Scheu nach dem Eingange, als – ein ihm bekanntes Gesicht, eben unser Notar, daraus hervorgeschwommen kam. – »Herr Notar, da heraus kommt Ihr? Was ist denn innen für ein Jauchzen und Jubeln?« – »Der Teufel ist drin!« sagte der nun ganz beherzte Notar mit behaglichem Humor, und schwamm nach der Barke. »Guckt selbst hinein, und seht, was er für ein Gesicht hat!« rief er von dort, als er das Hemd überwarf. Der erstaunte Eigentümer des Grundstücks faßte nun, auf mehreres Zureden, ebenfalls Mut, warf die Kleider ab, und schwamm zu uns herein. Der Eseltreiber und der kleine Pagano begrüßten ihn jauchzend. Der Jubel, die Höhle, das Wasser, das Feuer, unsere sonderbare Zeichenanstalt, alles setzte ihn in immer neues Erstaunen. »Wie habt Ihr den Mut haben können in diese Luke zu schwimmen? Ich bin hier aufgewachsen, alles das gehört mir, und ich habe nie gewagt zu betrachten, was ich habe! Ihr Fremden habt doch Herzen von Stein und Eisen!« rief er einmal über das andre aus. –