Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Vierzehntes Capitel

Ein sonderbarer ›Casus‹,
wie zuweilen alte Bekannte zu ungelegner Zeit auftreten können.

Da ich, wie schon erwähnt worden, nun gar nicht ausging und auch fast niemand außer Ludwig zu mir kam, wendete ich, um mich zu zerstreun, manche Stunde an, diese Geschichte meines Lebens, welche ich schon längst angefangen hatte, aufzusetzen. Es heiterte mich in der That auf, wenn ich so einen Blick auf die mancherley höchst sonderbaren Scenen aus meinem vergangnen Leben warf. Das aber hätte ich nimmermehr vermuthet, daß ich um eben diese Zeit auf eine viel unangenehmere Art an einige derselben sollte erinnert werden – Folgendes ist der ganze Verlauf der Sache.

Sie erinnern Sich vermuthlich aus dem ersten Theile meiner Geschichte,Seite 88. daß ich einst in Regensburg als alchymischer Arzt den Leuten Pässe in die Ewigkeit ausgefertigt hatte und daß ich dieses Handwerk in Gesellschaft einiger andern Wunderthäter trieb. Unter Diesen befand sich dann auch ein gewisser elender Magister, Otterhof mit Namen. Dieser Kerl hatte sich auf Universitäten in nichts wie im Müßiggange, in Unverschämtheit und in allen Arten von Ausschweifungen geübt, war von da aus Informator bey einem Beamten geworden, mit dessen ältester Jungfer Tochter aber er sich zu gemein machte und desfalls fortgejagt wurde. Nach einigen andern Schicksalen ähnlicher Art war er nach Regensburg gerathen, woselbst er als Schreib- und Rechenmeister Unterweisung gab und nebenher zu der Gesellschaft mystischer Kohlenbläser gehörte, wovon ich oben geredet habe. Er ging also viel in dem Hause des Herrn Apothekers Noldmann aus und ein, und als Dieser starb, hatte er einen kleinen Plan auf dessen Witwe gemacht, die aber meine geringe Person ihm vorzog. Dies reizte ihn zuerst zum Hasse gegen mich, welcher dadurch nicht geringer wurde, daß, als mich meine Wundercuren zwangen, Praxin, Stadt und Witwe mit dem Rücken anzusehn, der Herr Magister Otterhof auch fortmußte und daher meine Unvorsichtigkeit in Behandlung meiner Kranken wie die Ursache des Schicksals ansah, das unsre ganze Gesellschaft traf. Ich weiß nicht recht, was nach dieser Zeit aus ihm geworden; als ich aber, wie ich schon Cammerdirector war, einst in Cameralgeschäften auf das Land kam, fand ich, Gott weiß durch welchen Zufall! meinen Herrn Magister als Schulmeister in einem Dorfe wieder. Ich hatte ihn gleich erkannt und er mich gleichfalls. Indessen waren wir aus mancherley Ursachen von beyden Seiten nicht sehr gedrängt gewesen, unsre alte Bekanntschaft zu erneuern. Doch mußte der Niederträchtige (vielleicht im betrunkenen Muthe) einmal ein Wort haben fallen lassen, welches so lautete: als wenn er den Herrn Cammerdirector recht wohl kennte – und daß, wenn er reden wollte und erzählen, was er von mir wüßte, mir das übel bekommen dürfte u.d.gl. Meine sehr aufmerksamen Feinde hatten diese Worte nicht ganz verlorengehn lassen, vielleicht auch nähere Erkundigung bey ihm eingezogen und die Wahrheit seiner Angaben durch Hilfe des Grafen Löhfeld auf unsrer Reise zu bestätigen gesucht; wenigstens kamen mir von Zeit zu Zeit manche Ausdrücke, die dem Präsidenten entfuhren und die auf mein ehemaliges Leben anspielten, zu Ohren. Dennoch war alles ruhig, vielleicht auch vergessen worden, als grade während der Untersuchung meiner angeblichen Verbrechen der Schulmeister Otterhof wegen Ehebruch gefänglich eingezogen wurde. War es nun bey seinem Verhöre meinen Widersachern auf einmal wieder eingefallen, daß dieser Kerl ehemals Winke über meine Chronique scandaleuse gegeben hatte, oder wurde er durch sein eignes schadenfrohes Herz und ein Gefühl von alter Rache getrieben – Kurz! er hatte alles, was er von meinem Curriculo vitae wußte, erzählt, man hatte weiter geforscht, geschrieben, verglichen, und mein Schrecken war nicht geringe, als zu einer Zeit, wo ich mich am Ende meiner Leiden glaubte, der Herr Präsident mit satanischer Wonne mir ankündigte: daß Serenissimus, aus Ursachen, weil sich ganz neue Dinge hervorthäten, die meinen ruhmvollen Lebenslauf beträfen und welche höchst vermuthlich eine ordentliche Inquisition veranlassen würden, mein freywilliges Zuhausebleiben in einen wirklichen Arrest verwandelt hätten. – Ein Wort von Landläuferey, das der alte Schelm bey dieser Gelegenheit fallen ließ, brachte mich dermaßen in Hitze, daß ich ihn bey der Gurgel ergriff, worauf er schrie, als wenn er am Spieße steckte, und Gewalt und Mord rief, mein gutes Weib aber und meine Domestiken herzusprangen und uns trennten, da dann der schändliche Mehlfeld ein Papier aus der Tasche zog, dasselbe auf den Tisch warf und forteilte.

Ich schlug den Zettel auseinander und fand darauf, soviel ich, zitternd vor Zorn, lesen konnte, mit großen Buchstaben geschrieben: »Herr Peter Claus, der Schuster, desertiert als Soldat, wird in Regensburg Giftmischer und entweicht von da, um sich hier zum Minister machen zu lassen« –

Was ich empfand, als ich dies las – wer wird das beschreiben? Ich bekam noch an demselben Abend eine Wache, und der Präsident hatte, wie ich nachher erfuhr, in seinem Berichte ad Serenissimum gesagt: ich hätte ihn mit meinen Leuten in meinem Hause erdrosseln wollen, als er die Person seines Herrn vorgestellt hätte.

Nun war freylich guter Rath theuer; Reyerberg wurde gerufen und die Sache von allen Seiten überlegt – Meine Frau schwamm in Thränen – Im Grunde hatte wohl der Fürst nicht das geringste Recht, zumal kein eigentlicher Ankläger da war, über mein vergangnes Leben mich zu richten, und mit der Erdrosselung des Präsidenten hatte es so viel nicht auf sich. Aber was bekümmert man sich um Recht, wenn einmal ein Mann zu Boden gestürzt werden soll? Wie leicht war nicht auch eine Desertionsklage von Seiten des . . . schen Regiments, das ich verlassen hatte, herbeyzuschaffen! – Und welch ein Schimpf für einen Minister, solcher Dinge wegen inquisitionsmäßig verhört zu werden! –

Wir Alle fanden nur Ein Mittel, aus dieser übergroßen Verlegenheit zu kommen, aber das Mittel schien uns fast entehrender wie die Untersuchung selbst – Und doch – Die Noth läßt uns über manche Bedenklichkeiten hinausgehn – Es kam nämlich in Vorschlag, meine Frau sollte sich persönlich an die schändliche Maitresse wenden, um dieselbe zu Anwendung ihres Vorworts für mich zu bereden, damit die Untersuchung aufgehoben und uns erlaubt würde, ruhig abzuziehn. Der Schritt war erschrecklich! Es ließ sich voraussehn, daß dies Weib, geschmeichelt von dem Triumphe, ihre Feinde bittend zu den Füßen ihres Throns zu sehn, und um dem Publico die erste Probe ihrer Gewalt und Großmuth zu geben, gewiß die Bitte erfüllen würde. Es ließ sich aber auch ebenso sicher voraussehn, daß man die beleidigend erniedrigendesten Begegnungen zu erdulden sich gefaßt machen müßte.

Dennoch ging meine liebe Gattin über alle diese Bedenklichkeiten aus treuer Liebe zu mir hinweg – Ja! es fiel ihr nicht einmal ein, daran zu denken, und am folgenden Morgen, ehe ich aufgewacht war (Unruhe und Verdruß hatten mir die Nacht hindurch die Ruhe geraubt, und erst gegen Morgen war ich recht fest eingeschlafen), hatte sie sich aus ihrem Bette geschlichen, angekleidet, in den Wagen gesetzt, war nach dem Lustschlosse gefahren und wieder zurück bey mir, ehe ich erwachte – Welch ein Weib!

»Es ist alles in Ordnung, mein Bester!« das waren die Worte, womit sie mich aufweckte. »Es ist alles in Ordnung, und wir sind so frey wie die Vögel in der Luft.«


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