Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Drittes Capitel

Wie sie bey ihrer Rückkunft von Hof- und Stadtleuten empfangen werden.
Reyerberg kömmt in den Dienst.
Politische Lage des Herrn Cammerdirectors. Sein Glanz.

Mein erster Gang, sobald ich meiner Frau mein Haus gezeigt und das Gesinde ihr vorgestellt hatte, führte mich zu dem Fürsten, der mich auf das gnädigste empfing. Wir geriethen bald in ein vertrauliches Gespräch, und er bekannte mir, daß man während meiner Abwesenheit nichts unversucht gelassen hätte, mich aus seiner Gunst zu verdrängen. Er wußte sich aber etwas mit seiner Festigkeit, indem er allen diesen Ohrenbläsern kein Gehör gegeben hätte. Dabey war er schwach genug, mir meine Feinde zu nennen, wie es dann überhaupt seinem fürstlichen Character angemessen schien, die Leute gern zusammenzuhetzen – Eine Art zu handeln, die schwachen Menschen eigen ist, welche dabey zu gewinnen glauben und es gern sehen, wenn vernünftige Menschen uneinig untereinander sind und sich also nicht miteinander gegen sie vereinigen können, sondern jede Parthey sie aufsuchen muß, um sich zu verstärken. Im Grunde hatte mein Monarch auch kein großes Verdienst von dem Schutze, den er mir angedeyhen ließ; denn nicht zu rechnen, daß man mir wirklich mit Grunde nichts vorwerfen konnte und der Fürst Meiner noch bedurfte, hatte ich auch an Madame Novanelle eine mächtige Vorsprecherin gehabt, und diese haßte jene Leute, welche mich stürzen wollten.

Ich nützte die gute Stimmung des Fürsten, um für meinen Freund Reyerberg etwas auszuwirken, und erlangte ohne Mühe, daß Derselbe als Rath bey der Cammer und zugleich als Stallmeister angesetzt wurde. Meine Frau stellte ich des Tags darauf bey Hofe vor, und sie betrug sich mit so viel Klugheit und Anstande, als wenn sie von ihrer ersten Jugend an auf diesem schlüpfrigen Boden gewandelt wäre.

Sehr unterschieden aber von der Güte, mit welcher mich mein Herr empfing, war die Begegnung des hohen Stadtadels gegen mich. War ich vorher von demselben auf den Händen getragen worden, solange man Hoffnung haben konnte, mein Ehebette mit einem von den kränklichen Fräulein zu schmücken, so fiel jetzt seine Begegnung um so gröber aus. Man ließ mich, und vorzüglich meine Gattin, diejenige Art von Verachtung fühlen, mit welcher gewöhnlich Leute von vornehmer Geburt auf solche herabzublicken pflegen, die sie parvenus nennen, das heißt: Menschen, die ihrem eignen verdienstvollen Bestreben zu verdanken haben, was dem Edelmanne ohne Verdienst schon in der Wiege angeboren ist. Indessen ließen wir uns durch dies alles nicht irremachen, und indem ich nur meine Vorsicht und meinen Eifer für des Herrn Dienst verdoppelte, stieg ich von Tage zu Tage merklich höher in seiner Gunst.

Zu meiner größten Verwunderung waren der Präsident von Mehlfeld und seine Nichte beynahe die einzigen Personen, die itzt wo möglich noch freundschaftlicher als vorher gegen mich schienen. Da ich aber selbst aus des Fürsten Munde erfahren hatte, daß eben jener äußerst falsche Mann mich während meiner Abwesenheit am ärgsten verleumdet hatte, wußte ich schon, was ich davon denken sollte.

Es versteht sich übrigens von selber, daß ein ganzes Heer von adeligen und unadeligen Menschen, die Meiner bedurften, mir schmeichelten und daß selbst die hohe Noblesse, wenn ich Gastereyen, Bälle oder dergleichen gab, wie ich zuweilen die Thorheit beging, um meinem Hause Ehre zu machen, es sich ganz vortrefflich bey mir schmecken ließ und nichtsdestoweniger hinter meinem Rücken her über mich lästerte. Meine Frau rieth mir daher immer, diese Leute gänzlich laufen zu lassen und meine Höflichkeit nicht an Undankbare zu verschwenden, aber meine rasende Eitelkeit ließ das nicht zu. Dabey war ich ein Mäcenat und Beförderer aller Wissenschaften und Künste, hatte die Schwachheit, von meinen ehemals herausgegebnen Schriften mit Gelehrten zu reden, die mich mit ihrem Lobe zum Besten hatten. Man dedicierte mir allerley Schriften. Unter meinen Auspiciis wurden zwey Academien, nach dem Beyspiele größerer teutscher Höfe, errichtet, die jährlich die lächerlichsten Preisfragen aufgaben: z. B. »Ob bey uns nicht die Schiffahrt in Aufnahme zu bringen seyn möchte?« da doch jedermann wußte, daß außer einem paar kleinen Flüssen, die im August beynahe trocken wurden, auch nicht ein einziges beträchtliches Wässerchen im ganzen Lande war. Ferner: »Wie man es anfangen könnte, alle Menschen dauerhaft zum Guten zu vereinigen?« welches ebensoviel hieß als, wie man es angreifen müßte, sie von allen Leidenschaften zu befreyn; oder Jeden einzeln einzusperren; oder Jedem denselben Grad von Verstandskräften zu geben; oder alles Eigenthum, alles Privatinteresse aufzuheben; oder neue, kräftigre, moralische und vernünftige Bewegungsgründe zu erfinden, als alle Weise ältrer und neuerer Zeit bis itzt zur Besserung des Menschengeschlechts vorgetragen hätten.

Mein gnädigster Herr fand aber ein inniges Vergnügen an diesen Academien, wohnte selbst den Versammlungen bey und ließ sich nicht selten von mir Reden aufsetzen, die er darin herlas. Es wurden einheimische und auswärtige Mitglieder aufgenommen, unter denen Einige kaum ihren Namen schreiben konnten. Auch wurde eine teutsche Gesellschaft errichtet, welche zu Vervollkommnung der Sprache Schriften herausgab, die auf jeder Seite von grammaticalischen Fehlern wimmelten.

Mitten unter diesen Thorheiten (die Gerechtigkeit muß ich mir widerfahren lassen) veranlaßte ich doch auch manche nützliche Anstalt. Ich verbesserte den erzdummen Canzleystyl und die Curialien, in welchen Serenissimus von Sich selbst sagten: »daß Sie Sich etwas hätten allerunterthänigst vortragen lassen, allergnädigst gewillet wären« u. s. f., auch oft einen Mann ihren »Lieben«, »Getreuen«, »Festen« nannten, der im Grunde ein loser Lumpenkerl war.

Diese Stylsverbesserung suchte ich in allen Departements durchzusetzen. So war z.B. das gewöhnliche Formular der Postkarten folgendes:

»Hochedler,
sonders Hochgeehrter Herr.

Den Samstag war mit der Ordinari mein Jüngstes, hoffe guten Empfang und Bestellung. Seithero ist M. Hrn. Ordinari und Schreiben vom . . . mir den . . . wol zukommen, und sind alle dabey gewesene an ihr Gehör bestellet worden. Was jetzo hieneben gehet, und unten verzeichnet ist, wolle man ebenfalls sicher abgeben, und mich des Erfolgs unschwer nächstens berichten lassen. Womit Gott alles ergebend . . . den . . . Anno . . .

Meines Hochgeehrten Herrns
dienstwilliger Diener
N. N.«

Welch ein barbarisches Gewäsche!Und doch ist dies die getreue Abschrift einer noch jetzt in . . . gebräuchlichen Postkarte. Ich veränderte es. Überhaupt setzte ich die Posten auf einen andern Fuß und hatte den Grundsatz, daß sie so wie die Münze weniger eine Revenüe für den Herrn als eine Wohlthat für das Publicum seyn sollten, und daß es Jedem freystehen müßte, sich dieses Vortheils nach Gefallen zu bedienen oder nicht.

Vormals hatte der Fürst auf seinen Reisen sich Bauerpferde vorspannen lassen, und wenn, bey dem übernatürlichen Jagen, eines davon fiel, dem armen Eigenthümer zwey Pistolen bezahlt; dieser Tyranney half ich ab.

In der Hofküche und Kellerey waren vor meiner Zeit die ärgsten Betrügereyen eingerissen. Ich vermehrte die Besoldungen der Officianten und hemmte dagegen alles Stehlen und Abschleppen. Auch schränkte ich den Aufwand für die Tafel ein, und statt daß man mit übermäßigen, unnützen Kosten aus Treibhäusern und Mistbeeten dem Fürsten im Februar Kirschen, im September Spargel und im December grüne Erbsen geliefert hatte, ließ ich ihn nun, fest überzeugt, daß jeder Monat seinen ihm von der Natur bestimmten Reichthum hätte, im Mai, Junius und Julius Kirschen, Spargel und grüne Erbsen essen.

Von einer andern und viel wichtigern Seite erleichterte ich die Unterthanen, soviel ich irgend konnte, suchte Viehzucht und Ackerbau bey ihnen emporzubringen, befreyete sie von den Erpressungen schelmischer Beamten und hätte wohl verdient, daß ich allgemein im Lande geliebt gewesen wäre. Aber auch dies Glück genoß ich nicht; denn da der Bauer oft sehr unsichre Nachrichten von dem hat, was in der Residenz vorgeht; da ich nicht allmächtig war, folglich nicht alles Böse hindern konnte und man doch unbillig genug verfuhr, alles von mir zu fordern; da ich viel Neuerungen zum Besten des Landvolks einführen mußte, welches gewöhnlich gegen alle Neuerungen eingenommen ist; da des Fürsten Hang zur Pracht manche meiner guten Absichten vereitelte; da endlich viele meiner Vorschläge, die ich nur aus Büchern geschöpft hatte, nicht anwendbar waren, folglich mißlangen, und niemand so viel Drang von Redlichkeit fühlte, mich zu warnen, weil mich, als einen Ausländer, beynahe Jeder beneidete und meinen Sturz wünschte, erlangte ich mit dem besten Willen nicht, was ich so sehnlichst wünschte, nämlich das Glück, im Lande geliebt zu seyn.

Dazu kam, daß, als ich nachher wirklicher Staatsminister meines Fürsten wurde, welcher Unfall mir zu Ende des 1783sten Jahrs begegnete, und nun mehr Gewalt in meine Hände kam, ich zuweilen wider den Rath meiner sanften Frau etwas strenge und rasch durchfuhr, welches, sowohl als meine so schnelle Standeserhöhung, mich noch immer mehr dem Neide und der Critic aussetzte. Zwar handelte ich wissentlich nie ungerecht, aber oft hätte ich mit mehr Nachsicht zu Werke gehn können. So ließ ich unter andern einen Pfaffen, welcher sich in politische Händel mischte und wider seinen in der duldenden Lehre Jesu bestimmten Beruf Fürsten und Minister lästerte, zuerst zur Ruhe verweisen und ihm befehlen, daß, da Jeder im Staate seinen angewiesenen Gesichtspunct haben müßte, worauf er arbeiten sollte, er den seinigen nicht aus den Augen verlieren möchte, welcher darin bestünde, gute Grundsätze von Religion und Tugend zu lehren, übrigens aber den Vorstehern der Gesetze zu überlassen, die Übertretung zu ahnden. Da aber diese Vermahnung nicht helfen wollte und er immer fortfuhr, zu schmähen, veranlaßte ich, daß ihm angedeutet wurde: Weil es schiene, als wenn er mehr Beruf zu Regierungs- als geistlichen Geschäften hätte, habe ihn Serenissimus seines Predigeramts entsetzt und ihn dagegen – zum Pedellen bey der Regierung ernannt.

Meinen Herrn aber suchte ich auf alle Art zur Liebe und Güte gegen sein Volk zu stimmen und sagte ihm bey jeder Gelegenheit: daß ihn Gott nur als Verwalter der ihm anvertraueten Provinzen auf den Fürstenstuhl gesetzt hätte; daß das Vermögen, die Ruhe und das Glück seiner Unterthanen Pfänder wären, von welchen er einst Rechnung ablegen müßte; daß er nicht das geringste Eigenthumsrecht darauf hätte und daß, wenn ihn itzt Impunität, Gewohnheit des Volks an Sclaverey und das Beyspiel größerer Tyrannen gegen alle Empörung und Rechenschaftsforderung sicherten, er doch einmal vor einem Gerichte würde erscheinen müssen, vor welchem nur die Unschuld seines Herzens, das Zeugnis seines Gewissens und das Register seiner edlen Thaten, deren keine unaufgezeichnet bliebe, dem Urtheile über ihn eine günstige Wendung geben könnten.

Außer diesen Bewegungsgründen malte ich ihm noch mit Wärme ein Bild von der Glückseligkeit vor, die man durch Wohlthun erlangt; zeigte ihm dagegen das Nichtige, Ekelerweckende derjenigen Freuden, in welchen er sich bis dahin berauscht gehabt hatte; munterte ihn auf, die Wonne zu schmecken, mit der man am Abend eines Tages die Augen schließen könne, wenn dieser Tag dem Wohl von so viel Tausenden gewidmet gewesen wäre; redete mit Enthusiasmus von der Seligkeit eines Mannes, der Gelegenheit hätte, seine Kräfte so nützlich zu verwenden, indem er an dem Heile seiner Brüder arbeitete, und sagte ihm, wie ruhig Derjenige schliefe, für den die segenvollen Gebethe getrösteter Unglücklichen, erquickter Armen und gerechtfertigter Unterdrückten dankbar zum Himmel aufstiegen.

Ich bemühete mich, ihn mit dem Elende vertraueter zu machen. »Sie sind der Arzt«, sagte ich ihm oft, »und der Arzt, dem es ein Ernst ist, zu helfen, muß den Schaden mit eignen Augen sehn.«

Mit innigster Freude nahm ich wahr, daß alle solche Lehren von ihm gut aufgenommen wurden. Noch nie hatte man mit ihm aus diesem Ton geredet; aber er fühlte die Kraft der Wahrheit. Wenn ich dann bey einer häuslichen Mahlzeit im vertraueten Familiencircel mit meiner Frau und mit Reyerberg von meinen Bemühungen, den Fürsten menschlicher zu machen, sprach, umarmte mich oft meine Gattin mit Thränen in den Augen und dankte dem Allmächtigen, daß er mich in die Lage versetzt hätte, so viel Gutes zu wirken. Nur Ludwig schüttelte den Kopf und pflegte zu sagen: »Herr Minister! Herr Minister! das Ding hat gewiß keinen Bestand.«


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