Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Sechstes Capitel

Schleunige Abwechselung von Peters Glücksumständen.
Haudritzens Schicksal.

Während unsres Aufenthalts in Braunschweig hatte ich in dem Circel von Abentheurern und Spielern, mit denen wir umgingen, auch einen vorgeblich italienischen Grafen, den Conte di Tondini, kennengelernt. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, klein, bräunlich von Gesichte, schielte ein wenig, hatte die Narbe von einem Hiebe auf der linken Backe und trug gewöhnlich eine spanische Officiersuniform. Dieser führte oft in die Comödie ein junges, sehr schönes Frauenzimmer, das aber so sittsam schien, daß es sich selten ohne Schleyer sehn ließ, auch mit niemand weder umging noch redete. Im Schauspielhause aber saß sie ein paarmal in einer der untern Logen so nahe bey dem Platze, den ich im Parquett eingenommen hatte, daß ich sie genau beobachten konnte. Sie schien etwas Leidendes und Furchtsames in ihren Gesichtszügen zu verrathen. Ich glaubte zugleich zu bemerken, daß sie sich vor der Eifersucht des Grafen fürchtete, denn wenn Dieser einen Augenblick hinausging, sah sie mich gleich freyer und freundlicher an. Mehr brauchte es nicht für einen solchen Neuling, wie ich war (denn außer der sehr materiellen, unglücklich abgelaufenen Liebe zu der verdorrten Jungfer Nagelborn hatte ich während meines unruhigen Lebens kein Herzensabentheuer mit irgendeinem Frauenzimmer gehabt), mehr brauchte es nicht, sage ich, um mich für diese schöne Italienerin zu interessieren. Ich fing an, mit meinen Augen ganze Sonette und Elegien durch die Luft zu ihr zu schicken, glaubte dann bald eine grausame abschlägige Antwort, bald eine Ausrufung, welche so viel sagen wollte als: »Ach! ich darf ja nicht, werde zu genau bewacht«, bald einige hoffnungsvolle Theilnehmung in ihren Augen zu lesen. Ich nahm einen italienischen Sprachmeister an und lernte, mitten in meiner zerstreueten Lebensart, binnen vier Wochen so viel von dieser Sprache, als nöthig war, ein gewöhnliches Gespräch zu führen. In der Comödie zeichnete ich meine Schöne, so gut ich konnte, ab, schnitt zu Hause diese Silhouette aus, ließ sie einfassen und trug dieselbe auf meiner Brust. Auch meine musicalischen Talente gewannen dabey. Ich spielte ganze Nächte durch die zärtlichsten Adagios – Es war rührend zu sehn und zu hören.

Unterdessen erkundigte ich mich nach der Wohnung des Grafen, erfuhr, daß er in der Rose logierte und daß das Frauenzimmer für seine Frau gelte. Nun creuzte ich den ganzen Tag vor der Hauptwache herum, sah sie zuweilen am Fenster stehn, und wenn sie mich dann freundlich grüßte – ach! dann war ich wie im Himmel. Gewöhnlich, wenn ich sie da stehn sah, hustete ich laut und wiederholte nachher dies Zeichen, wenn sie einmal nicht sichtbar war – Wie groß war meine Wonne, wenn sie dann, sobald sie mich husten hörte, hinter dem Fenster erschien! Nunmehr fing ich an zu glauben, sie habe auch für mich einige Leidenschaft gefaßt, und ich dachte nur auf Mittel, sie zu sprechen. Aber jetzt begann des Grafen Aufmerksamkeit, sich sichtbar zu verdoppeln. Er wich fast nicht von ihrer Seite, und wenn er in Gesellschaft ausgegangen war, ließ er sie durch einen alten Bedienten bewachen. Dieser begleitete meine Schöne auch zuweilen allein in die Messe und Vesper und schien so dumm zu seyn, daß ich wohl Hoffnung haben konnte, ihn zu bestechen. Ich suchte also Gelegenheit, mit ihm zu reden, aber dieser Kerl (ein geborner Franzose) kam mir so ganz entsetzlich tölpelhaft und seinem Herrn so treu vor, daß ich Mühe hatte, ihn durch Geschenke nur dahin zu bringen, daß er mir erlaubte, in dem Vorhause der catholischen Kirche ein paar Worte mit seiner Gebietherin allein zu reden, wobey, wie bey unsern folgenden Zusammenkünften, ich ihn immer versichern mußte, ich habe von Familienangelegenheiten mit ihr zu reden –

Was soll ich die Leser lange mit einer Alltagsgeschichte ermüden? Also kurz! Meine Schöne ging alle Weiberkünste durch, that spröde, gewissenhaft, seufzte, gab Hoffnung, sprach davon, daß sie ihre eigne Schwachheit fürchtete, sich gegen ihr zu weiches Herz waffnen müßte, ließ eine Thräne fallen, ließ mich zuweilen vergebens auf sie warten, drückte mir einmal die Hand, fuhr dann wieder zurück, äußerte Mißtrauen, klagte über die Unbeständigkeit der Männer, wünschte den Händen ihres Tyrannen entrissen zu werden, beschied mich zu einer unbequemen Stunde in ihr Haus, und wenn das Gespräch am interessantesten werden wollte, lief auf einmal die Nachricht ein, der Mann käme zu Hause, und ich mußte fort – Mit Einem Worte! sie hatte mich am Stricke, und ich dachte an nichts anders, als sie zu entführen. Nur die äußersten Betheuerungen über die Redlichkeit und Treue meiner Empfindungen konnten sie bewegen, meinen dringenden Bitten nachzugeben. Sie willigte endlich in diesen Plan ein, und ich suchte meinen erfahrnern Freund Haudritz auf, um mit ihm die Sache zu überlegen und das Nöthige zu verabreden; Reyerberg war schon mit seinem Engländer abgereist.

Da ich also verliebt bis über die Ohren war, hatte indes die ganze übrige Welt kein Interesse mehr für mich gehabt. Ich besuchte zuweilen noch meine alten Spielgesellschaften, aber da war ich zerstreut und verlor mehrentheils, zwar nur kleine, unbeträchtliche Summen, die mich jedoch nach und nach ziemlich von der Spielsucht heilten. In dieser Stimmung meines Gemüths war es mir nicht sehr aufgefallen, daß Haudritz schon seit einigen Tagen nirgends zu sehn gewesen. Itzt da ich ihn aufsuchte, machte ich zuerst diese Bemerkung. Ich ging in Haudritzens Quartier, der nicht mehr im goldenen Engel wohnte, und fragte nach ihm – Aber wie erschrak ich, als ich sein Schicksal erfuhr! – Sein Vater hatte einen seiner Handlungsbedienten, zu Betreibung seiner Geschäfte, auf die Messe geschickt. Haudritz, der dies auskundschaftete, malte seines Vaters Hand nach, schrieb einen falschen Wechsel auf seinen Namen und wollte sich denselben hier auszahlen lassen. Zu seinem Unglücke aber mußte der alte Mann wenig Tage nach Vorzeigung des Wechsels eilig nach Braunschweig kommen, und als der Sohn zum zweytenmal wiederkam, das Geld abzuholen, traf er zu seinem größten Schrecken den Vater selber an, der ihn augenblicklich erkannte, festsetzen und von da nach Hamburg in das Zuchthaus bringen ließ – Welchen Eindruck diese Nachricht auf mich machte, mögen meine Leser selbst beurtheilen. Doch verdrängte der Gedanke an mein bevorstehendes Abentheuer alle andre Überlegung, und da nun einmal Haudritz nicht mehr da war und ich mich keinem Andern vertrauen konnte, mußte ich für alles selbst sorgen. Ich versuchte also nochmals mein Möglichstes, den alten Bedienten des Grafen auf meine Seite zu bekommen. Durch Hilfe eines ansehnlichen Geschenks und noch größerer Versprechungen gelang es mir denn auch endlich. Er versprach mitzugehn, übernahm sogar die Mühe, einen Kutscher zu bestellen, von welchem er behauptete, daß er ihn genau kennte und auf seine Verschwiegenheit rechnen könne. Dieser sollte uns vorerst über Wolfenbüttel in ein catholisches Kloster unweit Goslar bringen, von da wir weiter über den Harz nach dem Eichsfelde zu flüchten wollten. Dort dachten wir eine Zeitlang versteckt zu bleiben und dann gradeswegs nach Graubünden zu gehn, wo meine Schöne mächtige, reiche Eltern und Verwandte zu haben vorgab, von denen sie sehr geliebt sey und die umso mehr mit Freuden in unsre Verbindung willigen würden, da der Graf sie, wider ihrer Aller Willen, als ein unerfahrnes Mädchen aus dem Kloster entführt, aber sich nie habe mit ihr trauen lassen.

Der Tag der Ausführung wurde nun festgesetzt, und zwar ein solcher, an welchem der Graf des Abends zu einer geschlossenen Spielgesellschaft zu gehn pflegte. Ich packte meine Habseligkeit, meinen ganzen Reichthum, in einen großen Koffer; der bestimmte Abend kam heran; meine Schöne, begleitet von ihrem Waffenträger, fand sich vor dem Augustthore ein; dort wartete schon die bepackte Kutsche; wir stiegen geschwind ein und fuhren schnell davon.

Bis zum Weghause, anderthalb Stunden von Braunschweig, kam ich mit meiner Beute glücklich und dankte unterwegs mehr als tausendmal dem geliebten Gegenstand meiner Zärtlichkeit für ihr Vertrauen zu mir. Ich glaubte, der glücklichste Mensch auf Erden zu seyn, und sah mich schon in Gedanken in Graubünden, im Schoße der reichen und angesehenen Familie, der ich ihre einzige, geliebte, verlorne Tochter wiederbrächte. Wie mich die Eltern an ihr Herz drücken, wie sie Alle mir danken würden –

Aber kaum waren wir etwas weiter ins Lächlener Holz gekommen, als auf einmal der Kutscher seitwärts in den dicken Wald fuhr und gleich nachher auch der Graf zu Pferde herangesprengt kam. Jetzt wäre es zu spät gewesen, zu bedenken, wie unklug ich mich bey diesem ersten Handel von der Art betragen, daß ich mich gänzlich auf einen fremden Landläufer verlassen und auch nicht einmal Pistolen mitgenommen hatte. Der Kutscher hielt still, stieg nebst dem alten vermaledeyeten Schelm von Bedienten ab, dessen Dummheit nichts wie Verstellung gewesen war, der Conte di Tondini sprang vom Pferde, und alle drey fielen über mich her, prügelten mich recht methodisch ab, ohne irgendein Wort dabey zu verlieren, lachten zu meiner größten Demüthigung so hämisch wie möglich über die Figur, welche ich machte, der ich bald schimpfte, bald bat, bald rufen wollte, bald um mich schlug, nicht laut schreyen durfte, weil ich selbst auf unrechten Wegen gewesen war, nicht Ohnmacht gegen Gewalt setzen konnte, weil ich allein und wehrlos da lag. Nachdem sie also ihren Muth an mir abgekühlt hatten, zogen sie mich bis aufs Hemd aus, hingen mir andre Kleidungsstücke an, stellten sich nebst meiner liebenswürdigen Gebietherin noch einmal mir gegenüber, lachten aus vollem Halse mir ins Gesicht hinein und fuhren sodann mit meinem Koffer und allem, was ich so rechtmäßig, wie ein Fürst seine eroberten Länder, auf dieser Welt besaß, unter tausend spöttischen Reden davon.

»Nun, mein lieber Peter!« sagte ich zu mir selbst, »das ist sehr hart. O! die verwünschten Weiber! Das ist das zweytemal, daß sie Dich in die traurigste Lage bringen – Was ist nun zu thun? Lärm machen? klagen? den Räubern nachsetzen lassen? – Wer bist Du denn? was für einen Namen willst Du bey den Gerichten angeben? was für Rechenschaft von dem Besitze des Geldes geben, womit diese Bande jetzt dahinfährt? Wenn man sich nach Deiner Lebensart erkundigt – wenn man« – Ein Strom von Thränen unterbrach hier mein Selbstgespräch. Ich warf mich verzweiflungsvoll auf den Boden nieder und lag da, bis nach und nach mein Schmerz der Überlegung Raum machte, daß ich mich doch zu etwas entschließen müsse; da ich dann aufstand und mit gesenktem Haupte zurück nach dem Weghause zu ging, ungewiß, welchen Plan ich nun ferner einschlagen sollte. Ich fand in meinen schwarzen Beinkleidern, welche mir die Schelme nicht ausgezogen, noch etwas kleine Münze, die ich neben dem Geldbeutel (welchen il Conte di Tondini, verfluchten Andenkens, nicht verschont) besonders gesteckt hatte, um damit das Wegegeld zu bestreiten. Hiervon dachte ich ein Nachtlager zu bekommen, um welches ich den Wirth dieses Hauses anzusprechen mir vornahm.

 

Aber das Schicksal wollte, daß ich noch in dieser Nacht freyes Logis erhielt. Denn als ich in der Gaststube an einem Tische saß, bemerkte ich, daß ein dicker Mann, dem die Justiz aus den Augen blickte, mich sehr aufmerksam betrachtete. Er zog sodann ein Zeitungsblatt aus der Tasche und fing an mit einem andern Herrn, mezza voce, ein treues Bild meiner Kleidung herzulesen. Da war: »der leberfarbene Rock, mit kleinen gelben Knöpfen und steifen Schößen, die grüne Weste, von wollenem Damaste, mit Schnüren, der kleine spitze Hut mit der ausgezackten goldenen Tresse« – Kurz! der ganze lächerliche Aufzug beschrieben, womit mich die italienische Bande ausstaffiert hatte und welcher vermuthlich die Garderobe eines Mannes gewesen war, dem sie, so wie mir, die Verwaltung seiner zeitlichen Güter abgenommen hatten.

Die ehrwürdigen Gerichtspersonen hatten kaum gefunden, daß dies Bild auf meinen Anzug paßte, als Einer von ihnen aufstand, dem Andern einen Wink gab und sodann ein paar Ceremonienmeister der Gerechtigkeit hereinkommen ließ, die mich, alles Flehens und Sträubens ungeachtet, noch in dieser Nacht nach Wolfenbüttel führten, woselbst ich eingekerkert und des folgenden Tags vor dem Residenzamte verhört wurde.

Es fand sich nun zwar in den ersten vierzehn Tagen der Untersuchung (während welcher man auf die gewissenhafteste Art für meine Gesundheit sorgte und mich die strengste Diät halten ließ), daß meine Figur und die Aussagen, welche ich zu Protocoll gab, gar nicht zu dem Bilde paßten, das man von dem Menschen, den man suchte, in den Steckbrief gesetzt hatte. Weil sich aber doch in der Erzählung meiner Geschichte manche Lücke darthat, würde ich schwerlich so früh losgekommen seyn, wenn nicht die Gerichte aller Orten viel Mitleid mit armen Leuten hätten und deswegen die kostbaren Inquisitionsprocesse, wo es irgend möglich ist, abkürzen. Ich entwischte also mit der geringen Strafe, aus der Stadt verwiesen zu werden, mußte meine Kleider, als das corpus delicti, im Stiche lassen und eilte in einem alten grauen Überrocke, den mir ein Secretair schenkte, zum Thore hinaus.


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