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Seereise. Er erinnert sich seines Manuscripts,
findet es in der Tasche, erbricht es und fängt an zu lesen.
Der Officier, dessen Gefangner ich itzt zu seyn die Ehre hatte, war im Grunde ein herzlich guter Mann, ein bißchen rauh von Sitten, wie es zuweilen dieser Stand mit sich bringt, aber übrigens dienstfertig, von hellem, graden Kopfe, gesellig, fröhlich und menschenliebend, ohne es scheinen zu wollen. Viel gelesen schien er nicht zu haben, aber ich denke, man kann auch ein sehr kluger Mann seyn und selbst denken, ohne zu wissen, was andre Leute gedacht haben. Ich hörte ihn nie von einem Buche reden, außer von einem paar Reisebeschreibungen, womit er dann jedesmal aufgezogen kam, sooft von Literatur die Rede war. Er sagte sein unmaßgebliches Urtheil darüber, und ich bekenne es, meiner geringfügigen Schätzung nach oft sehr richtig. So glaubte er zum Beyspiel, daß Sherlock, gegen die Gewohnheit seiner Nation, ein niedriger Schmeichler wäre, der alle diejenigen Häuser und Personen lobte, wo er frey gefressen hätte, und jedem Fürsten, der ihm freundlich begegnet sey, ein ausschweifendes Compliment an den Hals würfe. Von Moor's sittenschildernder Reisebeschreibung behauptete er, daß sie, außer den unbedeutenden, oft gänzlich falschen, zum Theil sehr giftigen, in Wirthshäusern und Weibergesellschaften aufgesammleten Anecdoten, eine Menge Geschwätz enthalte, das weder philosophischen Beobachtungsgeist noch feine Kenntnisse verrathe. Er meinte, dieser dicke Mentor hätte lieber das Bücherschreiben unterlassen sollen. »Da lobe ich mir«, rief er aus, »meinen herrlichen Brydon – das ist ein Mann!«
Unsre übrige Schiffsgesellschaft war sehr vermischt. Ein junger Arzt, der in Leiden seine Studien fortsetzen sollte und unterwegens den ganzen Tag hindurch Verse machte; eine Sängerin, die in Holland auf irgendeine privilegierte Art Geld verdienen wollte; ein reformierter Candidat des Predigtamts, der vom Morgen bis in die Nacht Tabac rauchte und von Politik sprach; ein paar junge Kaufleute, unerträgliche, unbescheidene Laffen, aus teutschen Reichsstädten gebürtig, eingebildet von ihren Personen so wie von ihrer Eltern Geldsäcken; ein protestantischer Geistlicher aus Teutschland, der nach Holland reiste, um mitleidige, ehrgeizige, fromme und dumme Seelen zu beschwatzen, daß sie ihm ihre Kasten eröffneten, damit man ihm in seinem elenden Dörfchen ein Haus bauen könnte, in welchem er ungestraft Unsinn lehren dürfte, nachdem er die Hälfte des erbettelten Geldes auf der Reise verzehrt hätte – und viel andre Menschen mehr. Wir lebten indessen ganz freundschaftlich zusammen und hatten am ersten Tage, den wir zubrachten, Bekanntschaft untereinander zu machen, herrliches Wetter.
Es war die erste Seereise, welche ich machte, und ich nahm mir vor, alle unangenehmen Ideen zu entfernen und das Vergnügen, welches mir diese neue Scene gewähren würde, ganz rein zu schmecken. Es fiel mir gar nicht ein, jetzt weiter in meinen Officier zu dringen, um ihn zu überführen, daß ich nicht myn Heer van Haftendonk sey. »Warum sollte ich mir nicht«, dachte ich bey mir selbst, »diesen Irrthum zu Nutz machen, um bey der Gelegenheit ohne Unkosten Holland zu sehn? Wenn ich an Ort und Stelle komme, wird der alte Herr schon gewahr werden, daß ich sein Sohn nicht bin, und mir, nebst tausend Entschuldigungen und einer freyen Rückreise, noch ein Geschenk machen. Dann trete ich dem rechten Besitzer die Frau ab und habe, wie es bey großen Herrn üblich ist, nur als Gesandter mich trauen lassen.« Diese Überlegungen machten mir frohen Muth, wozu noch die Vermuthung kam, daß wohl der junge Haftendonk früher wie wir in Amsterdam ankommen würde, denn er war, aller Vermuthung nach, viel eher ausgefahren. Auch sahen wir in der That mit unsern Fernrohren ein Schiff weit vor uns her und geschwinder wie das unsrige segeln.
Indes ich den ersten Tag mir also mein System gemacht hatte, stieg ich ruhig in meine Hängematte und schlief bis an den Morgen. Die Sonne war von Wolken verdunkelt, als ich aufstand. Der Wind blies stark und war uns durchaus entgegen. Wir kamen gar nicht weiter. Die ganze Gesellschaft war verdrießlich, kränklich – Es war ein trüber, unangenehmer Tag.
»Wenn ich nur wenigstens ein Buch hätte! Die Menschen da unten machen mir Langeweile. Ich möchte lieber lesen.« – »Lesen?« antwortete ich mir selbst. »Was hindert mich, zu lesen? Habe ich nicht das kostbare Manuscript, das theure Unterpfand des sterbenden Bricks in meiner Tasche?« Bemerken Sie wohl, ich hatte, als ich die Kleider wechselte, wie sichs versteht, nicht vergessen, meine Taschen auszuräumen; aber die Verwirrung, in der ich mich nachher befunden, hatte mich mein Manuscript gänzlich vergessen gemacht. Es war noch unerbrochen in dem versiegelten Umschlage.
»Goldnes Manuscript! Welche neue Dinge wirst Du mich lehren!« – Ich hatte kaum so viel Geduld, das Siegel zu lösen, und als es offen da lag, verschlang ich es fast, zitterte aus freudigem Verlangen und fing an emsig zu lesen, was im folgenden Capitel steht.