Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Viertes Capitel

Bild des französischen Commissairs, mit welchem der Herr von Redmer in Streit geräth.
Peter desertiert nebst zwey Cameraden.

Der Commissair, auf dessen Ansuchen wir gefangen gesetzt und täglich ein paar Stunden krummgeschlossen wurden, war einer von den ausländischen verdienstvollen Männern, welche, wenn sie in Frankreich als Perückenmacher, Kuppler, Finanz-Unterbedienten, Beutelschneider oder dergleichen ihr Glück nicht höher haben bringen können, als daß sie etwa im Begriff stehen, in einer geschlossenen Gesellschaft mit braunen Wämsern auf den Ruderbänken sich zur See hervorzuthun, und ihnen diese Lebensart nicht gefällt, alsdann ihr undankbares Vaterland verlassen, um an irgendeinem teutschen Hofe als Marquis aufzutreten, die Sitten zu verfeinern, für die menus plaisirs der kleinen Potentaten zu sorgen oder ihnen das Recht abzupachten, ihre Unterthanen zu mißhandeln und die Fremden zu chicanieren. Dieser war vor etwa sechs Jahren nach *** gekommen, in einem abgeschabten verbleichten grünen Rocke, an dem man nirgends die rechte Farbe erkennen konnte als da, wo ihn der Riemen, an welchem sein Bündelchen gehangen, gegen die Sonnenstrahlen geschützt hatte. An den Falten seiner herunterhängenden Strümpfe konnte man das Journal seiner Fußreisen lesen, und ein kleines Hütchen, das schon mancher Stutzer als Chapeau bas getragen hatte, bedeckte den windvollen Kopf, hinter welchem an siebenzehn Haaren ein kleiner zerrissener Haarbeutel angeknüpft war. In diesem Aufzuge, sage ich, war er nach *** gekommen und hatte mitleidige Seelen oft um eine petitte charité gebeten – Ayés pitié, Monseigneur, d'un pauvre financier de France, qui vient s'établir ici, et se faire fermier de douane, mais qui n'a pas le sol, ayant mangé tout son bien en voyage dans ce fouttu païs de l'Allemagne – So war sein bescheidner Einzug gewesen, jetzt rollte er in einer lackierten Kutsche durch die Gassen.

 

Ich und meine lustige Gesellschaft, wir konnten den Kerl durchaus nicht leiden. Es ärgerte uns, daß dieser Taugenichts eine so glänzende Rolle spielte, indes wir schildern mußten. Abgerechnet, daß aus uns also Neid sprach, weil wir selbst gern in der lackierten Kutsche gefahren wären, waren wir auch nicht Politiker genug, um zu fühlen, mit welcher Feinheit der Monarch jedes auch noch so verächtliche Subject da anzustellen weiß, wo er es als Maschine brauchen kann, seinen tief durchgedachten Plan auszuführen. Wir waren daher längst entschlossen, dem Franzmanne einen Possen zu spielen, hatten schon alle Vorbereitungen dazu gemacht, und eines Abends, als wir aus dem Wirthshause kamen, schritten wir zum Werke.

Wir wußten nämlich, daß seine schöne Carosse, an welche er das selbst erfundne Wappen seines Marquisats hatte malen lassen, des Nachts, wenn es trocknes Wetter war, vor dem Hause auf der Gasse stehn blieb. Da hatten wir nun schwarze und gelbe Ölfarbe gekauft, in der Absicht, den ganzen Kasten damit anzustreichen und sodann Galgen und Rad darauf zu pinseln. Zugleich wollten wir lange Rinderdärme, mit denen wir uns auch versehn hatten, an einen nahegelegenen Springbrunnen binden und von da über die Gasse in seinen Keller leiten, damit die Nacht hindurch sein ganzes Unterhaus unter Wasser gesetzt würde. Hätten wir die Zeit abgewartet und, welches wir schon oft gethan hatten, uns um Mitternacht aus den Casernen geschlichen, so wäre unser Bubenstück ungestraft verübt worden. Allein wir waren zu begierig darauf, hatten auch ein bißchen zu viel getrunken, um vorsichtig zu seyn, und legten also eben Hand an das Werk, als wir überrascht, erkannt, verklagt und verurtheilt wurden.

Weil indessen der vorgehabte Frevel nicht vollführt worden war, kam der Commissair nach einem paar Tagen selbst auf die Wache, um die Officiere zu vermögen, für uns um Milderung der Strafe zu bitten. Herr von Redmer hatte grade nebst einem Capitain die Hauptwache, als das ausländische Thier hereintrat. Die beyden Officiere spielten nebst zwey jungen fremden Reisenden, welche Vettern des Hauptmanns waren, in Garten. Wir wurden hereingerufen; man eröffnete uns die gute Absicht des Commissairs, und es wurde beschlossen, den folgenden Tag auf der Parade dem Gouverneur Bericht davon zu erstatten. Unterdessen hatte der Herr von Redmer den Franzosen gebeten, diesen Abend mit der Gesellschaft auf der Wache zuzubringen und zu speisen, vermuthlich um seinen Spaß mit ihm zu haben. Bey der Mahlzeit wurde tapfer getrunken; es wurden feine Weine und Liqueurs hergegeben, und mein Commissair fing an, beredt zu werden. Redmer, dem auch der Rebensaft die Zunge gelöset hatte, wie er denn überhaupt nicht ungern schwatzte, fing an, vom hochseligen Herrn zu reden. Der Herr Lieutenant fing an, kreuz und quer über die *** Verfassung zu raisonnieren, behauptete: der vorige Herr habe einen wahren Geist von Würde und Selbständigkeit unter seine Unterthanen gebracht und durch eignes Beyspiel von strenger Tugend, häuslicher Pflichterfüllung und Gottesfurcht die Richtigkeit seiner Theorie bewiesen. Seine Militairverfassung habe nicht auf Willkür und Despotismus, sondern auf Muth, Unerschrockenheit und darauf beruht, daß wenn nur jeder Einzelne seine Schuldigkeit gethan, er, der Monarch selbst, ihn nicht habe antasten können, ohne das ganze Corps gegen sich aufzubringen. Da er auf diese Art seinen eignen Leidenschaften einen Riegel vorgeschoben und jedem, der seinen Platz recht erfüllte, den Preis seiner Arbeit selbst zu erringen in die Hände gegeben hätte, sey dies wohl das höchste Ideal eines militairischen Staats gewesen, in welchem der Herr grade das vorgestellt habe, was Fürsten billig vorstellen sollen, nämlich Vorsteher des Volks – Ein Staat, der, wenn er zweyhundert Jahre also gestanden, im Kleinen mächtiger wie der römische geworden wäre. Der jetzige Herr habe dies alles zu zerstören und nur nach Willkür zu leiten getrachtet – Der arme Redmer! Vermuthlich hat man in seiner Einbildung seine Verdienste noch nicht genug belohnt. Er bedachte nicht, daß ein großer Herr, der alles aus sich selbst nimmt, alles mit eignen Augen sieht, dem nicht das Geringste entwischt, der das Gleichgewicht in allen Ständen, in allen noch so entfernten Ecken zu erhalten weiß – daß ein solcher Herr ein Phänomen ist, dessen Glanz ein junger Mensch nicht einmal durch ein geblendetes Glas anschauen darf.

Je mehr er aber sprach und ihm widersprochen wurde, um desto mehr erhitzte er sich. Er redete auch gegen die Zolldirection, gegen die Franzosen, bediente sich unehrerbiethiger Worte und wurde endlich sogar gegen den Capitain, der ihm das Gegentheil hielt, beleidigend grob – Die Gesellschaft ging stürmisch auseinander, und am folgenden Tage wurde der ganze Vorfall gehörigen Orts angebracht.

Was die Sache schlimmer machte, war, daß sie auf der Wache vorgefallen war. Der Herr von Redmer kam auf einige Zeit nach *** und wurde sodann zur Strafe bey einem Garnisonsregimente angesetzt, wo er vielleicht noch jetzt steht.

Unterdessen kamen wir den zweyten Morgen aus unsrem Arreste los. Allein bey der Compagnie wurde ein Lieutenant angesetzt, der äußerst grob und ungeschliffen mit uns umging. Wir verloren auch den geringsten Schatten von Freyheit, setzten aber nichtsdestoweniger, so viel es die Umstände litten, unsre vorige Lebensart fort, und da wir kein Geld mehr hatten, erlaubten wir uns allerley Mittel, auf andrer Leute Unkosten zu zehren.

Wir hatten uns einen heimlichen Eingang in den Keller eines reichen Weinhändlers gemacht. Dieser Keller lag abgelegen von der Wohnung des Eigenthümers, und wir schlichen, als Bänderknechte gekleidet, des Nachts hin, zogen durch Strohhalme flaschenweise den Wein aus den Fässern, aus Furcht, er möchte zu alt darin werden, und tranken ihn auf die Gesundheit des braven Kaufmanns hinunter. Hernach, wenn wir unsre Ladung hatten, fingen wir gewöhnlich allerley Lärm auf der Gasse an.

 

Einstmals, als Haudritz und ich (denn Reyerberg war an einem Thore auf der Wache) ziemlich benebelt wieder durch das Fenster in die Caserne steigen wollten, rief uns ein Camerad zu: Man habe uns vermißt, gesucht, und es werde böse Händel geben. Wir kannten die Strenge unsrer Officiere, fürchteten, man möchte uns eine militairische Schröpfcur verordnen, welche wir für unsre Gesundheitsumstände nicht nöthig hielten. Da wir uns nun längst vorgenommen hatten, aus der Sclaverey zu entwischen, wurden wir itzt gleich darüber einig, noch in dieser Nacht zu desertieren. Wir liefen daher augenblicklich an das Thor, wo Reyerberg war. Er stand, zu unserm Glücke, auf dem Walle Schildwache. Wir stiegen über eine Mauer, krochen hinauf zu unserm Freunde und beredeten ihn, Gefahr und Freyheit mit uns zu theilen. Er war bereit dazu, nur kam es darauf an, auf welche Art wir den steilen Wall und die noch steilere Grundmauer hinunter in den Graben kommen sollten, welcher eben abgelassen, folglich ziemlich trocken war. Hier kam uns Haudritzens Erfindungsgeist zu Hilfe. Wir rissen drey Pfähle aus, an welche junge Bäume gebunden waren, und spitzten dieselben unten zu wie Besenstiele – Es war keine Zeit zu verlieren, denn die Runde würde uns ertappt haben, wenn wir noch eine halbe Viertelstunde länger verzogen hätten. Wir nahmen daher, wie die Caminfeger zu thun pflegen, wenn sie in einen Schornstein hinunterfahren, unsre Besenstiele zwischen die Beine, die Spitzen hinten in die Wand gedrückt, hielten das Vordertheil mit den Händen fest, setzten uns darauf und rutschten also ohne Schaden zu nehmen hinunter, kamen glücklich durch den Graben, waren aber auch kaum am andern Ende, als wir schon oben die Runde kommen und den Lärm hörten, welchen Reyerbergs Vermissung verursachte.

Wir liefen nun durch Hecken, Gärten, Graben und Bäche immer fort. Man schoß eine Canone ab, um den benachbarten Dorfschaften ein Zeichen zu geben – Wir waren in Todesängsten – doch beflügelte die Furcht unsre Beine. Wir liefen die ganze Nacht durch und kamen, unter tausend Schwierigkeiten und Gefahren, deren Erzählung vermuthlich den Leser ermüden würde, glücklich über die Grenze.


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