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Er verreist, um eine reiche Erbschaft in Besitz zu nehmen,
besieht unterwegens ein Landgut bey Urfstädt, woselbst er sich ankauft.
Beschreibung desselben und der Leute, die dort leben.
Schon vor längrer Zeit und ehe ich glaubte, daß die Cabalen meiner Feinde gegen mich losbrechen würden, hatten wir uns nach einem Landgute umgesehn. Ich wollte durch den Ankauf desselben einen Theil des Vermögens meiner Gattin sicher anlegen und mir zugleich einen angenehmen Sommeraufenthalt zubereiten, wohin ich, um mich von Geschäften zu erholen, zuweilen reisen könnte. Jetzt schien ich nun ein solches Ding zu meinen Zufluchtsorte nöthig zu haben, im Fall es mit meiner Ministerschaft schiefgehn möchte. Man hatte uns ein sehr beträchtliches Rittergut in Vorschlag gebracht, welches mir aber bis dahin zu kostbar gewesen war; allein die Erbschaft, die unser Kind itzt gethan hatte, hob diese Bedenklichkeit. Da nun das Landgut, wovon ich rede, nicht weit außer meinem Wege nach Hamburg lag, reisete ich grade hin, um es zu besehn und, wenn es mir gefallen würde, den Kauf richtig zu machen.
Daß es mir aber gefallen würde, davon war ich schon im Voraus gewiß. Ich hatte nämlich im vorigen Jahre die Bekanntschaft eines gewissen Hauptmanns von WeckelHier finden die Leser also einige Nachrichten von dem jetzigen Zustande der Personen in Urfstädt, deren Geschichte wir im vierten Theile des Romans meines Lebens nur bis zum Junius 1772 verfolgt haben. gemacht, der zuweilen des Winters an den Höfen herumzureisen und was er sah, mit lustiger, hie und da ein wenig zu satyrischer Laune zu beobachten pflegte. Dieser Mann schien, als er sich vierzehn Tage an unserm Hofe aufhielt, mich vorzüglich seiner Aufmerksamkeit und Güte zu würdigen. Ich war in der That stolz hierauf, denn, wenngleich er gern über Thorheiten lachte und spottete, hatte er doch ein sehr gefühlvolles, für Freundschaft edler Menschen empfängliches Herz. Ich würde Jeden bedauern, der glauben möchte, dies könne nicht miteinander bestehn und man könne nicht zugleich Menschen lieben und doch nicht blind gegen ihre Fehler seyn, auch zuweilen lachen über ihre Narrheiten und Verkehrtheiten. Ich weiß es wohl, die Schelme, die kein reines Gewissen haben, pflegen einem Manne, der ihre Heucheleyen auf eine lustige Art zu entlarven versteht, gern einen bösen Leumund zu machen, damit man ihm nicht glauben soll, wenn er einmal ihren Casum an das Tageslicht bringt – Doch das gehört ja nicht hierher.
Dieser Herr von Weckel nun sprach einst ungefähr aus eben dem Tone wie mein Freund Reyerberg mit mir. »Mein Herr!« sagte er, »ich sehe Ihre Excellenz für eine sehr redliche Excellenz an, und ich habe daher Ursache zu vermuthen, daß Sie bald einmal hier das Wesirshandwerk werden aufgeben wollen oder müssen. Sollten Sie Sich alsdann, wie es doch wahrhaftig am weisesten gethan ist, auf das Land in Ruhe setzen und pflanzen und säen wollen, da, wo der Samen nicht, wie in diesem häßlichen Hofboden, von Dornen und Disteln erstickt wird, so kommen Sie zu uns, in die Nachbarschaft von Urfstädt. Dort leben wir so glücklich, wie man es sich auf dieser bunten Weltkugel wünschen darf. Es ist wohl grade kein Paradies von unschuldigen Menschen, aber doch eine recht angenehme Gegend, deren Bewohner, theils aus natürlichem Instinct, theils aus Klugheit und Erfahrung und theils durch unser Beyspiel gestimmt, wie ehrliche, einfache und muntre Leute leben. Ein alter Greis, der Baron von Leidthal, sitzt da in Urfstädt wie unser Aller Patriarch. Seine langjährige Erfahrung und seine von Leidenschaften nie irregeführte Philosophie ist unser Codex. Sein Pflegsohn, der Herr von Hohenau, wohnt mit einem jungen wackern, artigen Weibe seit zehn Jahren ebendaselbst, beschäftigt mit der Landwirtschaft und vorzüglich mit der Erziehung von drey liebenswürdigen Kindern, wovon das älteste, ein Sohn, zehn Jahre alt ist. Sein ehemaliger Mentor, ein gewisser Secretair Meyer, ist zugleich Finanzminster und Curator des ganzen Schul-, Buchstabier- und Studierwesens. Ich bin, nebst einem ehrlichen Weibe und einer Tochter, der nächste Nachbar, und wir leben in ununterbrochnem Freundschaftsbunde, führen nie Krieg miteinander, sondern haben vielmehr, um das Gleichgewicht unter den Landedelleuten zu erhalten, eine Off- und Defensivallianz geschlossen, die wohl weit unschuldiger und uneigennütziger ist wie das Bündnis großer Höfe zu Befestigung des Gleichgewichts von Europa; denn wir sichern uns nicht unsre Ungerechtigkeiten zu, sondern unsre Ruhe und die Erlaubnis, Gutes zu thun. Ich bekenne aber auch, daß wir sehr liebe Menschen um uns her wohnen haben, die mit uns ziemlich Einen Strang ziehen. Wir halten zuweilen große Reichstage, auf welchen wahrhaftig keine solche – – wie in Regensburg vorkommen, sondern wo über Erziehungswesen, Luxus, Baumschulen, Armenanstalten, Aufklärung, Scheibenschießen, Bienenzucht, Cultur, Futterkräuter, Lesebibliotheken, Schweizervieh, Stutereyen, Besetzung der Pfarrerdienste, Erntefeste und dergleichen Abreden genommen und Schlüsse gefaßt werden. Gewöhnlich macht ein Ausschuß von uns, welche wir die Missionarien nennen, obgleich sie niemand bekehren, jährlich eine Reise von zwey bis drey Monaten umher, zuweilen auf das Land, zuweilen, um Höfe, und noch öfter, um andre Arten von Hospitälern, Tollhäusern und Krankenhäusern zu sehn. Jedesmal werden ein paar von den jungen Leutchen mitgenommen. Daß alsdann Reisejournale geführt und diese im Winter bey dem warmen Ofen hergelesen und commentiert werden, das versteht sich von selber. An auswärtigen Freunden und Correspondenten fehlt es auch nicht, und ich habe das département des affaires étrangères. Nun fügt sich's aber, daß eine Stunde von Urfstädt ein großes Gut zu verkaufen ist; wir möchten nicht gern einen Mann dahin haben, der unser System von Gleichgewicht erschütterte. Wie wäre es also, wenn Sie dies Gut kauften? Ihr häusliches Leben gefällt mir, und darnach pflege ich die Menschen zu beurtheilen. Ich glaube, wir würden uns sehr wohl vertragen.«
Dieser Vorschlag nun schien mir ungemein anständig. Ich fing desfalls gleich nach des Herrn von Weckels Zuhausekunft einen Briefwechsel mit ihm an, und, wie gesagt, da nur der zu hohe Werth des Guts Anstoß gemacht hatte und diese Rücksicht jetzt wegfiel, reisete ich nun grade nach Urfstädt, um das Ding richtig zu machen.
Wie herzlich gastfreundschaftlich ich empfangen wurde, wie sehr die Leute und der Ton der Leute, ihre Lebensart und ihre Sitten mit meinem Geschmacke übereinstimmten, das kann ich gar nicht beschreiben. Ich entwarf in einem Briefe an meine Frau ein so enthusiastisches Bild davon, daß Diese, die unterdessen manchen Verdruß hatte und die Aussicht zu vielfachem Kummer für mich immer näher erblickte, gern gleich die Residenz verlassen und Besitz von dem ländlichen Aufenthalte genommen hätte.
Ich kam gegen Abend in Urfstädt an. Der alte brave Leidthal saß (welche Wonne!) im Cirkel der Menschen, die durch ihn glücklich waren. Jeder von ihnen erstattete Bericht von seinem Tagewerke. Sie hatten sich ihre Stunden eingetheilt und bemerkt, daß eine solche Ordnung in Geschäften, so pedantisch sie auch scheint, viel dazu beyträgt, das Gemüth an Regelmäßigkeit im Denken und Handeln zu gewöhnen; daß man sich leichter Rechenschaft geben kann, ob man seine Pflicht gethan hat, wenn man weiß, was man hätte thun sollen, als wenn man ohne Plan, in das Wilde hinein, mit unbestimmter Thätigkeit fortarbeitet und seinen Launen folgt, die uns bald zu diesem, bald zu jenem Geschäfte treiben.
Die ganze Familie bewillkommte mich freundlich und brüderlich, und da ich den alten Leidthal bat, sich in seinem Geschäfte nicht stören zu lassen, und ihn versicherte, daß ich den Werth der Ordnung zu schätzen und an den Amtsverrichtungen eines Hausvaters warmen Antheil zu nehmen wüßte, vollendete er sein Geschäft, das schon beynahe zu Ende war, und ich wurde ein aufmerksamer und bewundernder Zeuge dabey.
Jedes der Kinder des Herrn von Hohenau trug, nach den Fähigkeiten seines Alters, die vollbrachten Arbeiten des Tages hervor. Das Eine zeigte sein Schreibebuch, das Andre eine Übersetzung oder erzählte etwas Neues aus der Geschichte, Erdbeschreibung und Naturgeschichte. Ein freundliches Lächeln von dem alten Patriarchen oder ein ernsthafter Blick von demselben, je nach Verdienst und Unverdienst, war Aufmunterung zu neuem Fleiße und Beschämung für den Nachlässigen. Es kamen auch Verwalter, Haushälterin, Förster, Jäger, Gärtner, ja! Hohenau und Meyer selbst statteten Bericht von dem Geschehenen ab und empfingen Anweisung auf den morgenden Tag. Und als nun das alles in Richtigkeit war, da folgte die Stunde zur Ruhe und zur geselligen Fröhlichkeit, in welche auch ich bald so hineingezogen wurde, daß ich glaubte, zu dieser liebenswürdigen Familie zu gehören.
Hohenaus ältester Knabe spielte das Clavier; die jüngere Schwester sang dazu; der Hofmeister, kein steifer Pedant ohne Welt und Lebensart, sondern ein bescheidner, muntrer und feiner Mann, nahm die Geige von der Wand und begleitete den Gesang. Der jüngste Knabe hatte sich indes an mich geschlossen. Er schien Zuneigung zu mir zu fühlen, und da mir diese wahrhafte Ehre oft von Kindern widerfährt, bin ich versucht, mich für keinen übeln Menschen zu halten. Er fing auch an, mit meinem Orden zu spielen, und setzte mich durch die Frage in Verlegenheit: Was das Band zu bedeuten habe? Da ich nicht gleich darauf antwortete, lief er hinaus und plagte die Haushälterin, ihm auch einen Orden zu machen. Man schlug, um ihn zu befriedigen, ein seidenes Tuch zusammen, hing ihm dies um und band unten einen Hasenfuß daran, mit welcher Parodie eines Ritterordens dann der kleine muntre Knabe wieder zur Gesellschaft kam.
So ging der Abend innigst fröhlich hin, und schon am folgenden Tage ritt ich in Gesellschaft des Herrn Meyers zuerst zu Weckel und von da mit ihm nach Ruhethal (so heißt das Gut). Eine grade Allee von Lindenbäumen läuft bis Urfstädt und scheint gleichsam bestimmt, beyde Güter freundschaftlich und gesellig zusammenzuknüpfen. Die Gebäude des Guts selbst waren wohl nicht ganz nach meinem Geschmacke angelegt; denn um das Schloß herum geht ein breiter Graben mit einer Zugbrücke und gibt dem ganzen Wesen ein mißtrauisches, unfreundliches Festungsansehn, das mir gleich nicht gefiel. »Aber ich kann ja den Graben ausfüllen lassen«, sagte ich zu dem Herrn Meyer, »und die kleinen Veränderungen, welche ich an Häusern und Gärten vornehmen will, werden mich gleich anfangs so beschäftigen, daß mein jetzt an Thätigkeit, an Bauen und Einreißen gewöhnter Geist nicht auf einmal in eine Ruhe versinken kann, für die ich noch nicht empfänglich genug bin.«
Bey dieser kauflustigen Stimmung des Gemüths und dem Zureden meiner neuen Freunde, mit welchen ich Äcker, Wiesen, den Wald voll rieselnder Quellen, und kurz! alles besah und alles angenehm fand, endlich bey meiner stündlich zunehmenden Sehnsucht, dem Verdrusse und dem Gewirre des Residenzlebens zu entweichen, war der Handel schon am folgenden Tage geschlossen und alles unterschrieben. Während einer fröhlichen ländlichen Mahlzeit in dem Hause meines neuen Beamten, der ein guter teutscher Biedermann ist, wurde mit einem Glase edeln, alten, vaterländischen Weins aus Leidthals Keller der Kauf nach der Weise unsrer Vorfahren besiegelt; man trank auf die Gesundheit meiner lieben Frau und unsres Kindes – Ich vergaß Fürsten, Präsidenten, Hofmarschälle und schwarzäugige Sängerinnen. Der redliche Pfarrer des Orts war auch gegenwärtig, ein tugendhafter, bescheidner, sanftmüthiger und vernünftiger Mann, gelehrt ohne Pedanterey, aufgeklärt ohne Dünkel, anhänglich an das System seiner Kirche ohne Intoleranz und Aberglauben, voll stiller Würde ohne Egoismus und geistlichen Stolz, gegen Laster eifernd, nie auf Menschen schimpfend, endlich angenehm im Umgange, ohne vorlaut oder frech zu seyn noch Andre zu überschreyen.
Meinen Bauern gab ich ein ländliches Fest. Unsre Urfstädter Freunde und Weckel nebst den Seinigen waren auch dabey, und die vereinigten Familien tanzten frisch mit – Welch ein Tag! Der erste unschuldig, unverstellt frohe Tag seit vielen Jahren! –
Durch Anweisung auf ein Handelshaus in Hamburg wurde der Kaufschilling bezahlt. Ich selbst reiste zu Ende der Woche dahin ab, brachte das Übrige bald genug in Ordnung und eilte dann zu meinem Despoten zurück, als wenn es zur Hochzeit ginge – »Gehe es doch nun, wie es wolle!« rief ich. »Ich weiß, wo mich Freude und Ruhe erwarten.«