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Fortsetzung. Allerley Abentheuer.
Soviel ich konnte, suchte ich den Fürsten während der Reise auf solche Dinge aufmerksam zu machen, welche sonst große Herrn selten sehen. Solange wir Teutschland durchstreiften, ließ ich ihn bemerken, welche Verschiedenheiten unter den Regierungsarten unsrer Prinzen herrschen; wie so manche unter ihnen in einem kleinen unbedeutenden Ländchen durch weise, väterliche und haushälterische Anordnungen sich den Wirkungskreis ihrer Wohlthaten erweitern, bey ihren Unterthanen Segen und Liebe und auswärts Ruhm erwerben, indes andre, weit Größere, durch Faulheit, Sorglosigkeit, Inconsequenz ihrer Handlungen, schlechte Auswahl ihrer Freunde, Mangel an Grundsätzen und elende Öconomie trotz ihres Ehrfurcht erzwingenden Despotismus wie schwache Menschen verachtet, ausgeschrien und in Büchern der Nachwelt preisgegeben werden. Ich spottete über den falschen Flitterglanz der Hofhoheit aller Orten, wo wir dergleichen antrafen. Er hörte alles an, lachte mit, sah den Splitter in seiner Herrn Collegen Augen und sagte mit dem Pharisäer: »Ich danke Dir, Gott! daß ich nicht bin wie andre Leute« – Es war verlorne Mühe; ich wurde am Ende des Predigens müde und auch nach und nach an den Anblick aller dieser Thorheiten gewöhnt. Dazu kam, daß keiner von den übrigen Reisegefährten mich in meinen Bemühungen unterstützte. Wir zogen daher durch manche Stadt, ohne etwas anders wie Schauspiele, Wachtparaden, Bälle und Processionen gesehen zu haben, und in des Fürsten Journal, wovon er mir zuweilen etwas vorzulesen die Gnade hatte, standen gewöhnlich nur Bemerkungen über Gebäude, Theatereinrichtungen, Parforcejagduniformen, englische Gärten und dergleichen notiert, die er bey seiner Zurückkunft zu Hause einführen und nachahmen wollte – Mir standen die Haare zu Berge, wenn ich dachte, was das kosten würde.
Weil wir eben von englischen Gärten reden, so kann ich nicht verschweigen, welche närrische Anlagen von der Art ich in Teutschland antraf. Ich sah deren einige, wo man die Natur gemißhandelt hatte, um auf kleine Plätze ganze Landcharten in nuce aufzutragen. Berge, zwischen denen, wenn man nicht die Rockschöße fest an sich drückte, man Gefahr lief, steckenzubleiben, und Flüsse, in welchen ein großer Hecht, den man hineingesetzt hätte, durch einen ausdrücklich dazu besoldeten Menschen jedesmal bey dem Schwanze wieder hätte zurückgezogen werden müssen, wenn er am Ende gewesen wäre, und sich nun nicht hätte umdrehn können, ohne die am Ufer stehenden indianischen Paläste über den Haufen zu stürzen.
Meine Bemerkungen gingen aber mehrentheils nur auf Beobachtungen der Sitten und Character der Menschen. Dies ist immer mein Lieblingsstudium gewesen. Der Anblick des kostbarsten Edelgesteins, des ausländischen Gewächses, das Lesen des unterrichtendsten Buchs oder die Bewunderung des herrlichsten Kunstwerks sind mir nie halb soviel werth gewesen wie das Leben mit Menschen; und aus Einer Stunde, mit einem Thoren oder Pinsel hingebracht, habe ich doch oft mehr Nutzen geschöpft wie aus zwanzig Bogen, von einem Weisen geschrieben. Wehe Dir, wenn je ein Mann von Dir ging, ohne daß Du etwas von ihm gelernt hattest!
Als wir in . . . waren, wo wir acht Tage lang blieben, ging ich gewöhnlich des Morgens gegen sieben Uhr spazieren und oft vor einem Hause vorbey, in welchem ich jedesmal um eben dieselbe Zeit ein klägliches Gewinsle hörte. Dies machte mich äußerst neugierig, und ich wendete mich desfalls an jemand, der sehr bekannt in der Stadt war, beschrieb demselben das Haus und bat ihn, sich zu erkundigen, was für eine Art Leiden hier so periodisch herrschte. Der Mann lächelte und half mir sogleich aus dem Traume. »Dort wohnt«, sagte er, »der Legationsrath Sanderstein, ein Mann, der ein Jahr in England zugebracht hat und dabey ein großer Verehrer von Rousseaus Erziehungsmethode ist. Diese will er dann auch mit Gewalt in seinem Hause einführen. Unglücklicherweise aber sind seine Kinder von sehr schwächlicher Leibesbeschaffenheit; doch nimmt er darauf keine Rücksicht. Des Morgens, wenn Sie die armen Dingerchen haben klagen gehört, war grade die Stunde, wo das ganze Haus gewaltsam in kaltes Wasser gesteckt und gebadet wurde. Man hört im Winter oft bis in das dritte Haus das Geschrey und Zähneklappern der Frierenden, und das ganze Jahr hindurch ist die Familie enrhümiert« – Sonderbar genug! Was man nicht alles auf Reisen zu sehn und zu hören bekömmt!
In allen großen und kleinen Städten, durch welche wir reisten, glaubte der Adel, ein Recht zu haben, uns Langeweile zu machen. Er drängte sich, sobald er unsre Ankunft erfuhr, um den Fürsten herum und belagerte denselben dermaßen, daß es nicht möglich war, andre verdienstvolle Männer, z.B. große Kaufleute, Fabricanten, Künstler u.d.gl., von denen wir hätten etwas lernen können, aufzusuchen. Dies gefiel mir gar nicht. Wir bemerkten, daß auch in den kleinsten Provinzialstädten sich die Stände auf eine so lächerliche Weise absonderten und drey Häuser von der sogenannten Noblesse lieber täglich zusammen gähnten und spielten, als daß sie sich in dem angenehmen Umgange schätzbarer bürgerlicher Personen unterrichtet hätten. Diese Erbärmlichkeit fiel uns auch in den Reichsstädten auf. Hier, wo in der That mehrentheils in den Häusern der Kaufleute nicht nur der größte Reichthum, sondern auch die feinste Cultur, der beste Geschmack und die edelste Gastfreundschaft herrschten, rissen sich doch die adligen, oft sehr dürftigen Familien von jenen Verbindungen los und machten einen Circel vor sich aus, in welchen sie alle angesehenen Fremden hineinzuziehn trachteten, um sie an ihrer Langenweile Theil nehmen zu lassen. Ja! wenn man es genau untersuchte, bestand der größte Theil dieser Noblesse aus Leuten, die entweder, wie der Minister Claus von Clausbach, erst seit kurzer Zeit das Recht erkauft hatten, drey Buchstaben mehr vor ihre Namen zu setzen, oder deren Mütter vielleicht grade aus einer der Handlung treibenden Familien waren und durch ihren reichen Brautschatz ihre hochadligen Gatten in den Stand gesetzt hatten, mit einigem Anstände zu leben.
Da mein gnädigster Herr seine neu errichteten Academien nie aus den Augen verlor, versäumten wir auch nicht, in den verschiednen Örtern die Gelehrten und Schriftsteller zu besuchen. Aber mein Gott! was für Leute lernten wir da zuweilen kennen! Ich weiß wohl, daß es eine unbillige Forderung ist, zu verlangen, daß ein Mann, der sich durch seine Schriften Ruhm erworben hat, wenn man ihn vielleicht zu einer Stunde spricht, wo er kränklich, zerstreuet oder voll böser, hypochondrischer Laune ist, welches alles wohl Gelehrten öfter wie anderen Menschen widerfährt, daß, sage ich, die Leute alsdann von einem solchen Manne fordern, daß er nichts wie Sentenzen und erhabne, neue, außerordentliche Sachen reden soll. Überhaupt erheischt man von einem großen Manne zuviel, wenn man verlangt, er solle alles, auch die gemeinsten Dinge, auf eine ausgezeichnete Weise thun. Man erwartet ja von einem Ballettmeister nicht, daß, wenn er auf der Gasse geht, er immer pas de bourré, glissades, tortiliers, pirouettes u.d.gl. mache. Dazu kömmt, daß wirklich ein Schriftsteller von einigem Rufe täglich der Ungemächlichkeit ausgesetzt ist, von allerley Menschen überlaufen zu werden, die ihn nicht immer sehr interessieren, mit denen oft nicht ein gescheites Wort zu reden ist, die ihn wohl recht zu ehren glauben, wenn sie ihm platte Schmeicheleyen an den Hals werfen, oder die sich selbst in vortheilhaftem Lichte zeigen wollen, damit er ihnen etwas Verbindliches sage und sie sich hernach der Freundschaft eines großen Mannes rühmen dürfen. Von einer andern Seite aber gibt es dann auch leider! Gelehrte, welche im Privatleben unerträgliche Geschöpfe sind, und deren trafen wir eine ziemliche Anzahl auf unserm Wege an. Einige waren in ihrem häuslichen Wesen entweder so unsittlich oder so unordentlich, zwecklos, schmutzig oder böse Wirthe, schlechte Hausväter, daß man versucht wurde, sehr wenig von der Wissenschaft eines Mannes zu halten, der noch nicht gelernt hatte, ein Mensch zu seyn. Andre waren nur auf ihr Fach abgerichtet, verachteten alles Übrige und alle andre fremde Weisheit, wußten von nichts zu reden als von dem, was ihnen der Mittelpunct aller menschlichen Erkenntnis schien, und wunderten sich höchlich, wenn man darin ganz fremd war. Noch Andre hatten über ihre Speculationen jede Anständigkeit im äußern Betragen vergessen. Ihr pöbelhaftes Äußerliche, ihre groben Manieren, ihr unerträglicher Egoismus scheuchten Jeden zurück – Kurz! wir fanden nur sehr Wenige, welche Gelehrsamkeit, Geschmack, Gradheit des Kopfs und Herzens mit einer gesitteten Aufführung, mit nützlicher Thätigkeit für die Welt, mit Ausübung der häuslichen und geselligen Pflichten, mit Bescheidenheit, Heiterkeit, Weltkenntnis und feiner Lebensart verbanden.
Von Bonn aus nahmen wir unsern Weg über Trier, Luxemburg, durch einen Theil von Champagne, über Verdun, Chalons (sur Marne) und Meaux. Von da gingen wir über Charenton nach Paris. Es war so die Fantasie meines Herrn, diesen Weg zu nehmen.
Jenseits Meaux ließen wir den Kammerdiener nebst dem Friseur in einem kleinen zweysitzigen Wagen vorausfahren. Der Postknecht, welcher sie führte, warf sie auf eine höchst ungeschickte Weise um; doch bekam niemand Schaden. Als er nun die Pferde losgeknüpft hatte, rief er: »Sortés, sortés toujours, Messieurs! Il n'y a plus rien à craindre« (Sie lagen schon) Und als sie ausgestiegen waren: »Dieu merci! Vous voilà saufs et sains« – und dann: »Mais je Vous défie par exemple, de renverser avec plus d'adresse. Le Diable m'emporte! Si Vous seriés tombé ici sous la conduite d'un chien d'Allemand, Vous en auriés eu pour le reste de Vos jours.«
Wir reisten ziemlich geschwind. Es war sehr warmes Wetter, und der Fürst hatte schon in Meaux ein wenig Kopfschmerzen gehabt. Deswegen wurde beschlossen, in das unruhige Paris erst am folgenden Morgen einzuziehn und dagegen die Nacht in Vincennes hinzubringen. Es war noch ziemlich früh, als wir hierherkamen, und ich hatte Lust, mit dem Grafen Löhfeld die Porcelainfabrik zu besehn. Wir gingen also hin. Als wir vor einem schlechten Wirthshause vorbeywanderten, bemerkten wir einen großen Zulauf des Pöbels. Ich war neugierig, die Ursache davon zu erfahren, und fragte daher jemand aus dem Haufen darnach. Es hieß: Ein Weibsbild, von der niedrigsten Art, deren es leider! in Paris eine so ungeheure Menge gibt, sey gestern abend aus der Hauptstadt nach Vincennes gekommen, habe weitergewollt, sey aber hier krank an einem gräßlichen Übel, welches die Folge ihrer ausschweifenden Lebensart gewesen, vor der Thür dieses Wirthshauses liegengeblieben. Sie habe darauf den Wirth um Gottes und aller Heiligen Willen beschworen, sie doch nur zwey Tage lang zu beherbergen, wobey sie einen kleinen Ring vom Finger gezogen und ihn gebeten habe, denselben wie eine Bezahlung der letzten menschenfreundlichen Dienste, die er ihr leisten würde, anzunehmen. »Ich bin das unglücklichste Geschöpf auf Erden«, hatte sie ausgerufen. »Vielleicht werde ich in wenig Stunden das Ende meines Lebens erreicht haben, eines Lebens, das von dem ersten Fehltritte an, den ich beging, aus einer Reyhe von Verirrungen bestand, deren eine die andre herbeyführte, und ich nun zu spät bereue. Vom Schicksale, von allen Menschen, von mir selbst, von meinem Gewissen und von der Vorsehung verlassen, bleibt mir nichts übrig als dieser Ring, der mich aber nur noch lebhafter an meine Vergehn erinnert, sooft ich ihn ansehe, und die Hoffnung, bald von meiner Qual erlöst zu werden; aber auch diese Hoffnung wird durch die schrecklichsten Blicke in die ewige Zukunft erstickt.« Der Wirth war vorwitzig genug gewesen, von der Unglücklichen in dieser schrecklichen Lage noch die Erzählung ihrer Geschichte zu erpressen. Dann wurde doch sein Herz von menschlichem Gefühle des Mitleidens bewegt; er nahm den Ring an und – schleppte das Mädchen in einen alten feuchten Stall, wo sie an diesem Nachmittage nach fürchterlichen Todeskämpfen verschieden war. Da nun der Wirth den Leichnam in die Erde senken lassen wollte, hatte, wie sichs versteht, die Geistlichkeit ihm das Begräbnis verweigert. Man war daher im Begriff, das Mädchen auf eine unehrliche Art (wenn es möglich ist, noch nach dem Tode einen entseelten Körper zu verunehren) wegführen und irgendwo einscharren zu lassen, welches dann den Zulauf des Volks veranlaßt hatte.
Da ich gern menschliche Geschichte höre, bat ich den Gastwirth, mir von Erzählung der Elenden Bericht zu erstatten. Er that es mit aller französischen Geschwätzigkeit; Ihnen aber, meine Leser! will ich nur soviel daraus mittheilen: daß dies Mädchen von einem Verführer als Maitresse mit von Kopenhagen nach Paris geführt und, nachdem Dieser ihrer müde gewesen, von demselben verlassen und in die Nothwendigkeit war versetzt worden, das schändliche Handwerk, welches sie schon ergriffen hatte, öffentlich zu treiben. Von dieser abscheulichen Lebensart war dann ihre Gesundheit das Opfer gewesen, und als sie, um der Ahndung der Policey auszuweichen, Paris verließ, hatte sie kaum noch so viel Kräfte, bis nach Vincennes zu kriechen.
Was ich aber empfand, als ich den Ring, den der Wirth in Händen hatte, betrachtete und ihn für denselben erkannte, den ich einst in Kopenhagen der Tochter des Sieur Lippeville,Man lese im zweyten Theile die 188ste Seite. begleitet von guten Vermahnungen, geschenkt hatte; was ich empfand, wenn ich bedachte, wie schlecht das arme Mädchen meinem Rathe gefolgt war, wie großen Antheil vielleicht ihr eigner Vater an ihrem grenzenlosen Elende haben mochte; wenn ich einen Blick auf den Leichnam warf, wie er da lag, entstellt, verwüstet durch das schreckliche Gift des Lasters – Gottes Ebenbild vertilgt, ausgelöscht aus ihren Zügen – Gottes Siegel weggerissen von ihrer Stirne; und wenn ich dann überlegte, wie es so eine Zeit gibt bey jedem Menschen, wo die heilige Unschuld in unentweyheter Würde in dem reinen Herzen wohnt, Friede, Glück und Ruhe durch das ganze Wesen hingießt, und wie Ein Augenblick, ein einziger kleiner Augenblick nur, oft nur Ein zu sinnlicher Wunsch, Ein freyer Blick voll Sünde, das Thor eröffnet zu namenlosem Jammer, Verderben, Elend, Reue, Zerknirschung und Hölle – und was Wachsamkeit und Gebeth nicht vermögen, die so oft vergebens gepredigt werden – Ach! ich kann es nicht beschreiben, wie mir zu Muthe wurde –
Ich kaufte den Ring um hohen Preis. Er war mir seit dieser Zeit viel werth. Ich werde meine Kinder erziehn mit diesem Ringe. Er ist meine letzte Appellation, sooft ich von guten Vorsätzen, von treu gemeintem Rathe, den Müßiggang zu fliehn, von Gefahren des Lebens, von Mißbräuchen der Leidenschaften, von Verführbarkeit der Jugend, von Empfänglichkeit zum Guten rede – Doch genug hiervon! Löhfeld war es nicht werth, daß ich ihm die Ursache meiner Rührung erzählt hätte. Der Körper wurde beygescharrt – Mochte er doch liegen, wo sie ihn eingraben wollten! – Die Porcelainfabrik blieb unbesehn.