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Die ›Bertha‹ vom Göldner aus Maltsch war frisch gestrichen; die ›E A 1067‹ vom Fichtner aus Reyhe war der schönste Kahn; denn er war eigens für Shell-Öl hergerichtet, rot und grün lackiert und mit Weißblech abgedeckt. Von den anderen Kähnen war in letzter Zeit keiner renoviert worden; aber viele hatten eine Reparatur und Auffrischung noch gar nicht nötig; die ›Helene‹ war am schlimmsten, bei weitem am schlimmsten herunter. Wilhelmine sah es mit großer Sorge. Die Bordkanten mußten dringend abgehobelt werden; das Namensschild am Bug war verwittert und verbogen; gestrichen wurde der Kahn, seit Butenhof ihn besaß, in keinem Fall; und Butenhof hielt wohl einen neuen Anstrich gar nicht mehr für nötig, wenn er bereits auf einen neuen Kahn sparte. Überall an der ›Helene‹ waren Holzplanken aufgerauht und abgesplittert, die Laufstege zeigten Risse, die einmal gefährlich werden konnten, an den farblosen Kajütentüren waren die Klinken abgegriffen, an den Schwellen hatte man alte Linoleumstücke unregelmäßig nebeneinander genagelt. Aus der Bank am Blumenkasten waren zwei Latten herausgebrochen, und nur der Blumenkasten selbst glänzte in freundlichem Rot.
Aber Wilhelmine war nicht gewillt, sich dadurch aufheitern zu lassen. Ihr ärgerlicher und trauriger Blick fiel auf die Segelballen. Gewiß, man gebrauchte sie nur selten, zur Beschleunigung der Fahrt stromab bei hohem Wasserstand und günstigem Wind; denn das Riesentuch eines Schleppkahnsegels ist nur schwer zu handhaben, und der baumstarke Mast, der die Tafelfläche des Segels tragen muß, bleibt besser umgelegt; denn wenn der Wind über der Oderebene zum Sturm wird, weiß keiner, was ein etwa umgeschlagener Mast auf dem Deck des Kahnes noch stehen läßt.
Ach, Wilhelmine sehnte sich nach Wasser und Wind. Aber die Sonne brannte ihr auf Stirn, Schultern und bloßen Armen, als sie in der Masse der Segelbahnen herumwühlte und mühsam an den Zipfeln zerrte, die sich kaum ein Stück herausziehen ließen. Die Tuche waren rissig und starr, weil sie naß zusammengeworfen worden waren und nun in den Brüchen trockneten. Aber schon die Ränder der Ecke, die Wilhelmine endlich zu packen bekommen hatte, waren ausgefranst, und sie entdeckte ein großes Loch.
Sie pfiff dem Onkel, der mit seiner Tabakspfeife am Bug promenierte, weil ihm die viele Sonne gar nicht so übel gefiel. Auch Gura, der Schlangenmensch, war nach oben gekommen und hatte sich mit einem Kopftuch in die Sonne gelegt; er wollte einen hübsch gleichmäßig braunen Teint bekommen; außerdem behauptete er, die Sonne zehre am Gewicht, so daß er ein paar Tage ohne Brustpulver auskam. Nur die Haare mußte er sichern, die wurden von all der Sonne noch schütterer. Er schreckte auf, als er den zornigen Pfiff der Schiffseignerin hörte; sie war ihm nun einmal nicht wohlgesinnt, und er konnte es schlecht vertragen, wenn ihn jemand anbrüllte; er wurde so leicht verlegen.
Wilhelmine winkte Gura ab. »Komm allein, Onkel«, rief sie schlechter Laune. Die Stirn in Falten gelegt, die Hände auf dem Rücken ineinandergefaltet und – wie das Pony Hannchen – mit dem Fuß in den Segeln scharrend, erwartete sie den Vormund.
»Wir müssen uns bissel was von der Zeuthener Sparkasse schicken lassen von meinem Gelde. Die ›Helene‹ muß ausgebessert und gestrichen werden.«
»Muß sie das?« legte nun August Müßiggang seinerseits die Hände auf den Rücken und zog die Stirn kraus, aber fragend, nach oben. Denn von solchen Notwendigkeiten verstand er nicht viel.
Die Kleine scharrte weiter mit dem Schuh in den Ballen und fuhr fort: »Quatsch erst nicht groß mit den anderen darüber, Onkel. Das wird ganz allein von mir und dir abgemacht, und da ist alles gut und gut. Frag erst gar nicht. Soll die ›Helene‹ hier in der Hitze wie Zunder abbrennen? Das ist ja alles bloß noch mürbes Holz. Oder soll sie glatt ersaufen, wenn Hochwasser kommt? Ich meine auch«, wurde sie milder, als sie sah, wie sehr der Onkel erschrak. Aber sie tat noch ein bißchen höhnisch: »Zieh doch mal so ein Segel auf, wenn guter Wind kommt. Ja – Feierabend«, trat sie in das Tuch, und der Alte meinte ängstlich: »Gesegelt sind wir doch noch nie.« Das Mündel wurde gönnerhaft: »Laß mal den Herbst kommen, wie wir da segeln.«
»Können wir denn da nicht bis zum Herbst warten, mit so einer riesengroßen Ausgabe – und ob dein Geld überhaupt reichen wird?«
»Wenn wir es nicht in die Ausbesserung stecken, können wir Schluß machen. Der Kahn ist fertig, sage ich. Und da könnt ihr sehen, was aus euch wird.«
Gura hörte ein bißchen von den heftigen Worten und wurde sehr bedrückt in dem Gedanken, daß unter Umständen niemand mehr für seine vielen Kartoffeln, sein Brustpulver und das Haarwuchsmittel sorgen würde, das er sich neuerdings heimlich hielt. Er vermochte sich nicht zu beherrschen.
»Entschuldigen bitte«, mischte er sich von fern sanft ein, »ich mein' halt, das müßte einleuchten, daß so ein schönes Schiff gepflegt werden muß, sag' ich –«
Aber er sagte gar nichts mehr und bekam es mit der Angst zu tun.
Wilhelmine jedoch blieb gnädig: »Wenn selbst der Schmachtfetzen das sieht, Onkel –«
Sie zählte an den Fingern auf: »Nur das Notwendigste: Bordkante ausbessern, im Laderaum neue Kielplanken, außen ganz streichen, auch das Deck malen, neues Segel –«
»Laufbretter am Bug ergänzen«, fiel nun sogar der Alte ein, weil er sich erinnerte, schon oft gestolpert zu sein.
»Und ein neues Schild mit dem Namen. Und hinten auch ein Schild. Da steht immer noch Vatels. ›Wilhelmine Butenhof‹ soll darauf kommen, mit einer schönen Farbe.«
Gura hörte jetzt aufmerksam zu, weil schöne Dinge, die keine Arbeit machten, ihn freuten.
»Alles über und über blau«, breitete das Kind seine Arme nach Bug und Heck aus. »Auch die Bank. Auch der Blumenkasten.«
Und der Onkel schlug die Hände zusammen und rief: »Je, je, wer hätte bloß an Blau gedacht.«
Aber wunderbar fand er es auch.
»Eine sehr künstliche Farbe«, paffte er sachverständig aus seiner Pfeife, »sehr schön unnatürlich.«
Denn das Gewöhnliche mochte er nicht gern. Das kam vom alten Beruf. Da war auch alles Glanz und Glitzer gewesen.
»Und deine Faxenmacher«, redete die Butenhof streng, »die sollen nun mal endlich was arbeiten und uns Handwerker ersparen. Bloß Maler brauchen wir.«
»Die Farbe, die ist zu heikel, selbstverständlich«, stimmte Müßiggang mit der Butenhof überein.
Mit einem Male war Wilhelmine nichts als ein Kind, dem sein sehnlichster Wunsch erfüllt wurde. Sie wühlte ihre Locken in die abgeschabte Manchesterweste des alten Mannes und flüsterte: »Blau ist so schön.«
Der Onkel kämpfte mit der Rührung und half sich mit den verwirrten Worten: »Nu, wenn du willst und daß du möchtest – ich laß mich ja von oben bis unten blau lackieren, mei' Hundel.«
Schon wurde Wilhelmine wieder derb und lachte rauh und unflätig: »Alle blau, alle mitsamt werden wir uns mal fest blau machen, wenn die ›Helene‹ fertig ist.«
Der Malermeister, zu dem man sich dann gemeinsam begab, hatte seine Bedenken. Ob die Farbe auch halten würde. Was die Leute denken sollten. Ein blauer Kahn. Das gab es doch sonst nicht auf der Oder. Aber der Vormund war ganz aufgebracht. Nur blau. Ob der Meister schon mal in Stettin gewesen sei? Ob er schon mal einen großen Hafen gesehen habe? Na also. Nur blaue Kähne, überhaupt alles blaue Kähne. Die modernen selbstverständlich.
Der Schwager des Malermeisters, der den Verhandlungen beiwohnte, räusperte sich ungeduldig. Wilhelmine zwinkerte ihm liebenswürdig zu, und er ließ das Gehüstel wieder.
»Ich bin nämlich Kapitän«, konnte er sich aber nicht enthalten, sehr unvermittelt, aber aus recht erklärlichen Gründen zu sagen. Der Kleinen fuhr es durch alle Glieder.
»Kapitän Woitschach«, legte der rotbäckige Mann mit dem großen Schnauzbart die Finger an die braune Stirn, an der die Kapitänsmütze einen helleren Rand abgezeichnet hatte, »Kapitän Woitschach vom C. W. V«.
Gleich bekam das Gespräch eine andere Wendung. Wilhelmine knickste, der Malermeister holte Versäumtes nach und erklärte: »Mein Schwager, meiner Schwägerin ihr Mann«, und man schwadronierte, als wäre Besuch im Hausflur angekommen. Jedenfalls wurden die Frau Kapitän und die Frau Malermeister Senftleben herbeigelockt.
»Butenhof, Wilhelmine, aus Zeuthen, vom Kahn ›Helene‹«, knickste das Kind aufgeregt weiter, und der Onkel dienerte: »Müßiggang, Schiffseigner Müßiggang.«
Wilhelmine fuhr dazwischen.
»Mein Vormund«, stellte sie vor und lächelte sofort überlegen, und dem Alten war es äußerst peinlich, was er da Dummes geredet hatte.
»Wir wollen nämlich alles bei uns blau machen«, stotterte er, und sie mußten alle furchtbar lachen: das Mündel, der Vormund, Herr und Frau Kapitän Woitschach, ihre Schwester.
Maler Senftleben bestätigte es: »Hör sich einer das an – wirklich und wahrhaftig einen blauen Kahn!«