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Der Plan war der: ein Millionenvolk auszurotten und in einem von den Mördern zu schaffenden Museum darzutun, welch ein fanatischer und gefährlicher Feind des Tausendjährigen Reiches die Ermordeten, nämlich die Juden, gewesen seien. Je reichhaltiger wir dieses Museum gestalten, kalkulierten die Nazis, desto überzeugender wird es künftigen Geschlechtern beweisen, wie weltverändernd und geschichtsbildend wir waren. Ich aber, dachte sich der Plandurchführer und Obersturmbannführer hinzu, ich aber werde dadurch Privatdozent.
Es kam nicht so weit. Und es kann noch geschehen, daß der geflüchtete Obersturmbannführer und ehemalige zukünftige Privatdozent eines Tages auftaucht, um von den Juden eine Belohnung für das Mausoleummuseum zu beanspruchen. So ganz war es übrigens seine Schöpfung nicht; Grundstock war ein historisches Kabinett der Prager israelitischen Kultusgemeinde. Für Zuwachs war in der Nazizeit reichlich gesorgt, tagtäglich wurden Synagogen im Sturm geplündert, und für die Einrichtung des Museums gab es mehr Arbeitskräfte, als bei den Pharaonen für die Pyramidenbauten. Die Sklaven der Nazis brauchten nicht einmal so weit geschont zu werden, daß sie zwecks weiterer Fron am Leben blieben. Im Gegenteil, ihr Tod gehörte zum Programm.
Nicht nur diese bis über den Tod hinausgehende Ausnutzung der Arbeitskräfte war ohne Beispiel. Ohne Beispiel war auch die Eignung dieser Sklaven. Denn sie gehörten dem zu vernichtenden Volke an und kannten die Materie besser als je ein Ethnograph diejenige seines Forschungsgebietes. Unter ihnen gab es kaum einen Handlanger, der nicht das feindselige Werk zu einem freundseligen umzugestalten, es nicht irgendwie mit seinem Glauben zu erfüllen versucht hätte. Und es gelang!
Wieso gelang es? Wie konnte es geschehen, daß sich die Bauherren um den Bauzweck prellen ließen?
Die Handvoll Juden, die ihre Mitarbeit an der Einrichtung des Museums überlebt haben, wollen durchaus an ein Wunder glauben. Sei es anfangs der Privatdozentenehrgeiz des Obersturmbannführers gewesen, nur wissenschaftlich unanfechtbare Objekte unterzubringen, so habe schließlich die Beweiskraft dieser Objekte es vollbracht, ihn und seinen Stab auch ethisch zu belehren und zu bekehren.
Aber das ist falsch. Weder unfreiwillig noch freiwillig wollten die Museumsgründer Beweise gegen ihre Lehre zur Schau stellen. Sie sind hineingefallen, weil sie an die Tausendjährigkeit ihres Reiches geglaubt und sich demgemäß einen langen Bautermin gestellt hatten. Das, wozu die Sklaven mit ihrer produktiven Kenntnis ausgenutzt wurden, war nur als Sockel gedacht für ein Monstredenkmal der Verleumdung. Obenauf sollte der blonde Recke glorifiziert werden, wie er den Weltjuden für ewig in den Abgrund schleudert.
»Tobias«, pflegte der Obersturmbannführer leutselig zu seinem Fachmann Dr. Jakobovits zu sagen, »Tobias, du wirst der letzte Jud sein, den ich skalpieren werde.«
Eines Tages skalpierte er den Tobias Jakobovits, indem er ihn ins Gas schickte. Es war der Tag, an dem der Obersturmbannführer jenen Unterbau vollendet sah. Für den Überbau brauchte er keinen Juden.
Just dieser Zeitpunkt aber brachte die jähe Änderung, in der die Gläubigen die Hand Gottes sehen und die der wissenschaftliche Sozialist den dialektischen Umschwung nennt. Die angeblich längst zu Atomen aufgeriebene Rote Armee zog in Prag ein, und die Nazis jagten davon, als peitsche sie der von ihnen erfundene Dämon . . .
Das Museum hat zwei Abteilungen. Die eine, »Das Prager Getto«, hat ihr Quartier in dem Gebäude der Beerdigungsbrüderschaft (dem Badhof) gefunden, das sich seinerseits auf dem Boden des sagenumsponnenen Judenfriedhofs erhebt. Der wurde, ebenso wie die früh-mittelalterliche Altneu-Synagoge, als Außenbestandteil des Museums stehengelassen und verschlossen. Geöffnet sollte er erst werden, wenn kein lebender Jude mehr geblieben sei, um die toten zu besuchen.
Bevor von dieser Abteilung gesprochen wird, ist die redaktionelle Entschuldigung einzuschalten, daß uns nur ein Prager Berichterstatter zur Verfügung steht, also keiner, auf den die einzelnen Objekte überraschend wirken würden. Für ihn ist das meiste nur Wiedersehen, nur Reminiszenz.
Zum Beispiel ist diese zerschlissene, fünfzackige Standarte aus ursprünglich hellbraunem Brokat unserem Korrespondenten längst vertraut. In seiner Kindheit war sie das Beweisstück für das Vorhandensein einer Welt von Abenteuern. An bestimmten Festtagen wurden die Fahne und ein ebenso uraltes Hemd aus dem Tresor des Tempels hervorgeholt, und ein Funktionär, den die Gläubigen im allgemeinen und die Knaben im besonderen umstanden, erklärte, was es damit für eine Bewandtnis habe: diese Fahne und dieses Hemd habe einem gewissen Molcho gehört, der in Italien mit seinem Freund Reubeni eine jüdische Revolution machte, ein Königreich der Juden ausrufen wollte und auf dem Scheiterhaufen heroisch starb.
Geradezu als Gegenstück zum Hemd Molchos hängt der Tempelvorhang des Mordechai Meisl da, eine Pracht aus gesponnenem Gold und farbigen Stickereien. Er erregte die scheue Bewunderung der Erwachsenen vielleicht noch mehr, als die Reliquien des heldischen Molcho die Jugend erregten. Denn Mordechai Meisl, der mit der Herstellung dieses Vorhangs die ganze Gilde der jüdischen Goldsticker ins Verdienen setzte, war so reich, daß ihn der deutsche Kaiser Rudolf II. immer wieder anpumpte. Um das geliehene Geld begann nach Rudolf II. Tode ein Prozeß, bei welchem dem Tiroler Bauernsohn Philipp Lang die Rolle des Shylock zufiel und die jüdischen Gläubiger die Verfolgten waren.
Nicht minder reich als der Stifter des reichen Tempelvorhanges war der Stifter des reichen Thoramantels daneben. Pinchas Oppenheim beschäftigte einen Orang-Utan als Wächter für sein Haus. Keine Scharwache bewaffneter Soldaten, keine Meute bissiger Hunde hätte unbefugten Besuchern solchen Schrecken einzuflößen vermocht wie er. Und als der Affe tot war, stand er weiter auf Posten: Pinchas Oppenheim hatte ihn ausstopfen lassen und ans Fenster gelehnt, aus dem er noch zähnefletschend hinausstarrte, als auch sein Herr gestorben war. Eines Tages aber fiel der Orang-Utan um und erbrach gemünztes Gold. Ob er die Dukaten nach und nach genascht hatte, oder ob er erst nach seinem Tod von Pinchas Oppenheim als Kassenschrein benutzt worden war, darüber ist sich die Prager Sagen-Sammlung »Sippurim« nicht klar.
Manche Dokumente des Museums rufen in unserem Korrespondenten die Erinnerung an seinen Freund Sigmund Reach wach. Der war zeitlebens ein armer und bescheidener Buchhändler in der Schalengasse und blieb nur deshalb zeitlebens ein armer und bescheidener Buchhändler in der Schalengasse, weil er alles Geld und alle Arbeit für seine mit hundertzackiger Krone geschmückte Geliebte verschwendete, welche die Stadt Prag war. Was immer in Prag oder sonst irgendwo in der Welt sich auf Prag bezog, stöberte er auf, ließ es photographieren und reproduzieren. Ebenso alle Wahrzeichen, deren Opferung die Bausucht heischte. Soweit es an ihm lag, sollte nichts von der Geliebten spurlos verschwinden. So soll denn auch er nicht spurlos verschwunden sein, der mit seiner Familie den Tod von Nazihand fand. Sigmund Reach hatte manchem Schriftsteller Anregungen gegeben, und einer namens Strobel gedachte seiner im Vorwort zum Buch »Die Fackel des Magisters« mit Dankbarkeit. Als jedoch das braune Untier reich zur Macht gelangte, widerrief der Autor flugs das Vorwort, winselte in einem neuen um Gnade für das Verbrechen, es im Jahr vorher geschrieben zu haben. Schade, daß im Museum kein Porträt von Sigmund Reach hängt, dem armen und bescheidenen Buchhändler aus der Schalengasse, denn Ehre, wem Ehre gebührt. Daneben sollten als Illustration des nazistischen Schriftstellercharakters die beiden Versionen des Vorworts hängen, denn Schande, wem Schande gebührt.
Dieser Schuh hier gehörte bis in die allerletzte Zeit dem Rabbinatsgericht in Prag und war zur Verwendung allzeit bereit. Aber unser Korrespondent, der ein Prager ist, hat den Schuh und seinen Zweck erst in Tunis kennengelernt und als exotisch beschrieben. Sein Sinn ist der folgende: Stirbt ein Ehemann kinderlos, so ist sein Bruder, sofern er nicht taubstumm oder verheiratet oder abtrünnig geworden ist, angehalten, die Wittib zum Weibe zu nehmen und mit ihr den Stamm fortzusetzen. Wenn er aber danach kein Verlangen hegt, so soll die Witwe vor den Schwager, dem sie nicht liegt, hintreten angesichts der Gemeinde-Ältesten und ihn ihrerseits beleidigen. Sie muß ihm den Schuh vom Fuß zerren, ausspucken vor dem Ungalanten und ihm einen Backenstreich versetzen mit den Worten: »Also geschehe es jedem, der nicht bauen mag seines Bruders Haus. Amen.«
Im Rabbinatsgericht konnte man sich des Ehepartners entledigen. Prager Scheidungsbriefe aus frühem Mittelalter und später Neuzeit hängen an der Museumswand, hauptsächlich dadurch bemerkenswert, daß sie nicht aus der Stadt Prag datiert sind. Denn Städte stehen nicht fest für die Ewigkeit. Weit seltener aber verschwinden Flüsse und Seen. Deshalb wurden die Prager Scheidungsurteile datiert aus der Örtlichkeit »demiskarja Mezigrady (Wyschehrad-Hradschin), dejoswo al nehar Wiltawa weal nahar Butiz«, welches nur jemand zu übersetzen vermag, der das Aramäische und zugleich Pragerisch fließend beherrscht. Der »Strom Butiz«, immer nur ein kleiner Bach, hat durch Überwölbung auch den Rest seines Gesichts und Geruchs verloren, heißt aber noch heute wie damals. Auch die Wiltawa (Vltava) verlor sich nicht und ihren Namen nicht, obwohl sie dreihundert Jahre lang in der offiziellen österreichischen Amtssprache und nachher in der nazistischen nur »Moldau« genannt werden durfte. Auch die Burgen Wyschehrad und Hradschin bestehen noch, sowie der Stadtraum Prags zwischen ihnen mitsamt einer jüdischen Gemeinde.
Die Beerdigungsbrüderschaft selbst, in deren Haus, die Museumsstücke untergebracht sind, stellt das erstaunlichste Museumsstück dar. Sie ist nicht nur der älteste jüdische Verein, es gibt auch keinen nichtjüdischen in Europa, der seit vierhundert Jahren seine Tätigkeit Tag für Tag auf dem gleichen Ort ausübt. Die Statuten, denen der Hohe Rabbi Löw im sechzehnten Jahrhundert die endgültige Fassung gegeben hat und die im Original hier hängen, gelten wie damals. Wie im Ritterorden der Malteser ist die Mitgliedschaft in verheiratete und ledige geschieden, wie im Ordenskapitel der Hoch- und Deutschmeister wird die Aufnahme durch BallotageGeheime Abstimmung, bei der weiße oder schwarze Kugeln in eine Urne geworfen werden. vollzogen. Seit eh und je führt die Organisation den offiziellen Namen »Heiliger Verein jener, die Wohltätigkeiten erweisen«, das Begraben gilt als Wohltätigkeit an sich, weil der Mensch, der mit ihr bedacht wird, sie niemals zurückzahlen, sich niemals erkenntlich zeigen kann, denn er ist tot. Auch in der Zeit des braunen Massenmords funktionierte die Beerdigungsbrüderschaft, wenngleich sie nicht so heißen durfte, sondern »Beerdigungsanstalt«.
Die Gedenkfeier, die der Verein seit den Tagen des Dreißigjährigen Krieges rings um das Grab seines Gründers am Vorabend des Rosch-chodesch Schewath abhielt, wurde von den Nazi-Geschichtsbildnern für ewiglich verboten.
Durch das Fenster des Museums sieht man dieses Grab des Rabbi Löw. Und man sieht sogar – im Bild selbstverständlich – die Feier. Sie vollzieht sich zwischen kahlen Bäumen auf einem der berühmten sechzehn Gemälde, die in der Epoche von Toleranz und Aufklärung entstanden sind; als damals die Männer der orthodoxen Wohltätigkeit zu zweifeln begannen an ihrem Fortbestand, ließen sie die richtigen Formen der Bestattung von Künstlerhand verewigen. Bildergalerie und die Statuten sind alte Inventarien des Totenhauses, das zu einem Museum ward, und draußen das Grab des Rabbi Löw gehört dazu. Sie haben hier viele Tode überlebt, vom Tod des Nazismus ganz abgesehen.
Im Gegensatz zur Prager Abteilung, wo sich unser Korrespondent zu Hause fühlte, kommt er sich in der benachbarten Klaus-Synagoge, in der Abteilung »Das Weltjudentum«, beinahe wie ein Besucher aus der von den Nazis erträumten reinarischen Zukunft vor. Dabei sind auch diese Ausstellungsobjekte von gar nicht so weit her. Sie stammen meist aus Synagogen von Mähren, Schlesien und der Slowakei und aus den Wohnungen ihrer Beter. Was dort den braunen Einbrechern, Brandstiftern und Raubmördern nicht als genügend gute Prise erschien, wurde – Gemeinheit geht vor Gemeinnutz – dem Nazi-»Institut zur Erforschung der Judenfrage« fürs Prager Siegesmuseum abgeliefert. Hier liegen nun die Andenken an die von den Vandalen geschleiften kulturgeschichtlichen Stätten.
Neben der Eingangstür stößt ein Arm auf die Eintretenden zu, als wolle er nach ihrer Gurgel fassen. Aber er will nur ihr Herz ergreifen, ist aus Messing, wächst aus einer Almosenbüchse heraus und in der Handfläche klafft der Schlitz für eine milde Münze. So eindringlich und drohend – etwas ähnlich Direktes hat unser Korrespondent niemals auf einem Klingelbeutel oder auf einem Opferstock gesehen – werden in Synagogen und auf Friedhöfen der Ostjuden die milden Gaben gesammelt.
Die rituelle Vorschrift verlangt, daß an den Türpfosten jedes jüdischen Hauses ein Röhrchen schräg befestigt sei. Es sieht wie ein Thermometer aus, enthält aber keine Wärmeskala, sondern einen auf Pergament geschriebenen Segensspruch. Schutz vor Unbill. Einem Museumseingang kann eine einzige solche Mesusah selbstverständlich nicht genügen; ihrer zahllose sind hier festgenagelt, und um so wuchtiger sind sie, aus je östlicheren Graden sie stammen. Mag auch die Angst der Juden groß gewesen sein, den Pogromhelden ihr Haus als ein jüdisches zu verraten, noch größer war offensichtlich der Glaube, daß die Mesusah die Kraft habe, den Pogrom abzuwehren.
Jede Vitrine ist einem anderen Abschnitt der Glaubensbetätigung gewidmet, den ein Kupferstich aus dem achtzehnten Jahrhundert erläutert. Damals kamen in Deutschland, meist zum Zweck der Judenbekehrung und Judenverfolgung, mehrere Folianten heraus; am verhängnisvollsten waren der »Augenspiegel« des Proselyten Pfefferkorn, J. A. Eisenmanns »Neuentdecktes Judentum« und Wagenseils »Tela ignea Satanae« – antisemitische Hetzbücher, voll von entstellten Zitaten und wie geschaffen zur Neuverwendung durch »Stürmer« und Streicher.
Aber dem Gauleiter des Museums verrieten die jüdischen Zwangsarbeiter nicht viel von der Literatur seiner Vorgänger. Nur ein Buch gaben sie an, nämlich das vierbändige Werk »Kirchliche Verfassung der heutigen deutschen Juden« von Christian G. Bodenschatz, 1784 zu Erlangen erschienen. Aus diesem Buch, einem objektiven, vielleicht sogar philosemitischen, stammen die Texte und die Kupfer, die – photographisch reproduziert und fünffach vergrößert – die ausgestellten Objekte illuminieren.
Populärer und eindringlicher schien den Nazis ein Anschauungsunterricht, ein Weltanschauungsunterricht durch panoptikumartige Darstellung jüdischen Lebens. Hierbei hätten sich die blindwütigen Auftraggeber ausleben können in Übertreibung und Lüge und Karikatur, wäre nicht auch hier die Resistenz der Handlanger erfolgreich gewesen.
In einem Biedermeierzimmer sitzen lebensgroße Wachsfiguren beim Ostermahl, in ihren Stühlen zurückgelehnt, wie es für diesen Abend vorgeschrieben. Der Großvater trägt den weißen Kittel, der bald sein Sterbegewand sein wird, der Hausherr handhabt eine Auswahl von Kräutern und ungesäuerten Broten, die Hausfrau in ihrer Festtagshaube ist um die Speisen bemüht, und der Sohn hat vor sich das bebilderte Buch, an Hand dessen er die Fragen nach der Bedeutung des Festes stellen wird. Vor einem gefüllten Pokal ist der Stuhl leer. Er ist für Elianowe reserviert, den Propheten Elias, der an dem Mahl in solch strengem Inkognito teilnimmt, daß er unsichtbar bleibt. In der Mauerwand klafft ein künstliches Stückchen Trümmerwerk, der »Chorben Beth Hamikdasch«, und bedeutet: Vergiß niemals die Zerstörung des Tempels von Jerusalem.
Erbost schrie der Obersturmbannführer, als ihm die Figuren vorgestellt wurden: »Die Nase gefällt mir nicht, sie muß um zwei Zentimeter, nein, um drei Zentimeter verlängert werden.«
Daraufhin verlängerte der Wachsbildhauer die Nasen um die befohlenen Zentimeter, aber die feiernde Familie verlor dadurch auch nicht einen Zentimeter von ihrer Würde.
Wie uns jene erzählen, welche der Entstehungsgeschichte des Museums beigewohnt haben, zeigte sich der Herr Obersturmbannführer auch über die Darstellung des Schächtens fuchsteufelswild. »Das soll Tierquälerei sein? Ich werde euch mal vorführen, was Quälerei ist.« Er verlangte leidende, anklägerische Augen der zu schlachtenden Kuh, eine schauerliche Blutlache und eine sadistisch grinsende Fratze des Metzgers.
Die Absicht, seine Juden zur plastischen Darstellung eines Ritualmordes zu verwenden, gab er nach solchen Erfahrungen auf. Das wollte er den Modelleuren des anbrechenden judenreinen Universums überlassen, denen die Bilder des »Stürmer« als Dokumente dienen würden. Dazu kam es nicht mehr.
Den kriminellen Ursprung des Museums verrät vor allem die Tatsache, daß die Objekte in vielen, voneinander wenig unterschiedenen Exemplaren vorhanden sind. Eine solche Pluralität käme nicht vor, wäre die Sammlung nach und nach angelegt und nach Bedarf durch Kauf oder Tausch ergänzt worden und nicht durch Massenraub. »Wir leiden an embaras de riches«Anspielung auf das französische »embarras de richesse« = Überfluß an Reichtum., meint unser gelehrter Cicerone Dr. Muneles, mit dem Gleichklang des französischen »richesse« (Reichtum) und des hebräischen »risches« (Antisemitismus) wortspielend.
Die sakralen Paramenten, zweitausendfünfhundert an der Zahl, mußten in eigenen Depots untergebracht werden, denn die Wandflächen der »Klaus« reichten bei weitem nicht aus, dieses Tapetenwerk zu empfangen. Es ist schwer von Brokat und gesponnenem und getriebenem Gold. Noch schwerer wäre es freilich, wenn nicht jeder der Gemeinnützler einige Perlen und Edelsteine herausgebrochen hätte, um mit ihnen die eigene Tasche zu schmücken.
Auf dem Deckel eines Renaissance-Pokals – er soll dem Hohen Rabbi Löw gehört haben – setzt der junge David verlegen lächelnd seinen Fuß aufs abgeschlagene Haupt Goliaths. Dem nirgends sichtbaren und überall anwesenden Propheten Elias wird in Bechern kredenzt, auf deren Reliefs man sehen kann, wie er lebendigen Leibes – einzige Himmelfahrt eines Lebenden – in den Himmel schwebt. Aus rubinrotem böhmischen Glas sind Kidduschbecher gefertigt, hebräisch beschriftet. Auf einem profanen Trinkglas steht das Wort: Lechajim – Zum Wohle. Den großen Silberkrug der Beerdigungsbrüderschaft umschreitet ein Leichenzug, nicht etwa gemalt oder im Relief, sondern aus lauter zinnsoldatenartig gegossenen Figuren.
So ließ sich denn das Volk, dem verboten war, sich ein Bild zu machen von dem, was im Himmel oben ist oder auf der Erde unten, die untere Hälfte nicht ganz verbieten. Zumeist jedoch tobte es seine bildnerische Leidenschaft in Ornamenten aus.
Selbst ins Widderhorn Schofar, aus dem an bestimmten Stationen des Gottesdienstes gar grelle Töne hervorgequetscht werden, sind Zieraten graviert und fehlen auch nicht auf dem Tomahawk, mit dem der Schulklopfer an die Türen der säumigen Gemeindemitglieder trommelt, um sie zum Gottesdienst zu wecken. Synagogensäulen und Hausgeräte, Beschneidungsmesser und Grabsteine, Sammelbüchsen und Devotionalien weisen merkwürdige MäanderOrnament in Form einer fortlaufenden Linie. auf, darunter auch solche mit Elementen von Hakendovid und Mogenkreuz.
Wunderwerke sind die »Besumim«, filigrane oder massive Büchschen für Balsam, Weihrauch und Rosenwasser, die neben einer geflochtenen Kerze auf einer Schüssel liegen. All das braucht die Prinzessin Sabbath, wenn sie am Freitagabend den armseligen Juden besucht, mit ihm eine zärtliche Nacht und einen zärtlichen Tag verschweigt und ihm, da das Wochenend zu Ende geht, ihre güldene Nardenbüchse reicht.
»Langsam riecht er – will sich laben.
Es kredenzet die Prinzessin
Auch den Abschiedstrunk dem Prinzen.
Hastig trinkt er, und im Becher
Bleiben wen'ge Tropfen nur.
Er besprengt damit den Tisch,
Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht,
Und er tunkt es in die Nässe,
Daß es knistert und erlischt.«
Es bedarf aber nicht Heines Dichterauge, um die Dame zu erblicken. An jedem Freitagabend kehren bei der letzten Strophe des Sabbathliedes alle Beter der Altneu-Synagoge dem heiligen Osten den Rücken, wenden sich der Türe entgegen und machen einen Schritt auf die Eintretende zu. Wie schön die ist! In den Pupillen aller spiegelt sich ihr Bild, und wenn unter ihnen einer wäre, der an der Realität der Besucherin zweifelte, sähe er sie in den Augen der anderen.
Aber wir sind nicht beim Freitagabend-Gottesdienst in der Altneu-Synagoge, wir schreiben einen gewöhnlichen Wochentag und sind im Museum. Vor uns steht ein preußischer Grenadierhelm stramm, der in einen siebenarmigen Leuchter verwandelt ward. Potz Hagel und Schwerenot, solch eine leuchtende Auferstehung hat er sich nicht erträumt, als er Anno Kolin vom Kopf oder mitsamt dem Kopf seines Trägers ins böhmische Schlachtfeld sauste.
Die Bilderrahmen im Museum bilden eine Geschichte für sich, gewissermaßen eine Rahmenerzählung. In welliges Silberblech gespannt, weist ein »Misrach« die Richtung, von wo die Hilfe kommt, wenn Hitler am größten ist. Nicht ferne davon hängt eine goldgerahmte Zeittafel mit mehreren Zifferblättern; sie zeigen aber nicht die Abfahrtszeiten der Züge nach dem Gelobten Land an, sondern die Stunden der Gottesdienste. Schimmernd und spiegelnd umrahmt, obwohl es sich schamhaft verstecken sollte, prangt ein »Schiwisi«. Einstmals schärfte er den jüdischen Volkssängern, die sich außerhalb dieser Tätigkeit als Tempelsänger produzierten, energisch ein, den Altar nicht mit einem Podium zu verwechseln. Sie sollten da oben Worte von sich geben: »Schiwisi – ich lasse vor mir sein das Wort Gottes.«
Vor dieser Warnungstafel stehend, sind wir bereits in direkter Nachbarschaft von Gottes literarischem Werk. Der Fromme, der vor die Bundeslade aufgerufen wird, heiligt sich mit einem Dankspruch an den göttlichen Autor, und dann erst beginnt er den Dienst. Unter geziemenden Zeremonien nimmt er dem handgeschriebenen Buch zunächst die prächtige Hülle ab, das Brustschild mit den Symbolen der zwölf Stämme, die Königskrone, die beiden Zepter und die Reichsäpfel, an denen Glöckchen klingen. Hierauf hebt er das Buch, das nunmehr eine pergamentene Rolle ist, der Gemeinde sichtbarlich entgegen, und selbst die mißtrauischen unter den Gläubigen müssen zugeben: »Ja, dieses ist es, das Gesetz.«
Aber . . . aber kann der Mann, der aus dem Gesetzbuch einen Abschnitt vorlesen wird, kann er nicht fälschen, kann er nicht weglassen? Nein, das kann er nicht! Neben dem Vorleser steht bibelfest ein Revisor und fährt, teils streng kontrollierend, teils milde helfend mit einem Silbergriffel die heiligen Zeilen entlang. Jener, der vorliest, achtet nur auf die Buchstaben, und der Weise, der mit dem Weiser auf das Weise hinweist, achtet nur auf die Zeilen.
Im Museum aber wird der Griffel zum Subjekt der Beachtung. Viele Griffel sind da. Alle haben die Form einer Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger, alle sind zierlich und verziert, jede Hand auf andere Art. Winzige Finger tragen winzige Ringe aus verschiedenen Epochen, und sogar die Fingernägel scheinen nach unterschiedlichen Moden oder Landessitten manikürt. Und keine Hand ist bloß eine Hand – sie ist Teil eines Arms, sei es eines nackten Arms mit Muskulatur, Knöchel und Ellenbogengelenk, sei es eines bekleideten Arms mit einer feingeklöppelten Spitzenmanschette und gesticktem Ärmel aus mattblinkendem Metall.
Der erhöhte Teil der Halle, der mit dem arabischen Wort »Al memor« bezeichnet wird, war das Sanktuarium der Bibel. Hier stand sie, Lehrerin und Richterin, als unanfechtbar und unfehlbar anerkannt nicht nur von ihrem Volk, sondern auch von Christen, Mohammedanern, von Ketzern und Sektierern.
Dort oben, als Leiche aufgebahrt, sollte sie den künftigen Geschlechtern des tausendjährigen Nazireiches beweisen, welch dominierende Stelle die braunen Sturmkolonnen erstürmten. So blieb sie auf ihrem Platz, während Hitlers Reich neunhundertneunzig Jahre vor Ablauf der tausend Jahre zersprang und verstank wie ein Teufelsfurz.