Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Folgendermaßen erzählt ein Mime sein Delikt

Dieser Kriminalfall, diese Darstellung dieses Kriminalfalles – echtestes Rokoko. Oh, nicht etwa, daß es im preziösen Zeitalter weniger blutige Tragödien des Verbrechens und der Leidenschaft gegeben hätte als in anderen Epochen! Aber eine Mordszene mit Augenrollen und Galanteriedegen, eine Strafhaft mit Hochlebenlassen und Unterricht im Menuett-Tanz und vor allem ein Pathos des triefenden Edelsinnes, das der Memoirenschreiber für die Deklamation dieser Begebenheit aufwendet, sind allzu kennzeichnend für den Helden- und Abenteurerbegriff einer aufs Zierliche bedachten Welt, als daß man es unterlassen könnte, das solcherart kriminalistische Genrebildchen zu reproduzieren und mit der nüchternen Federzeichnung der Polizeiakten zu vergleichen.

Monsieur Joseph Anton Christ, dessen Selbstgefälligkeit wir die Niederschrift zu danken haben, war um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts, als aus den Hanswurstspielen der Deutschen und aus der französischen Komödie die deutsche Schauspielkunst entstand, der Besten einer, und nicht nur Iffland hat ihm seine höchste Anerkennung gespendet. 1744 einem kaiserlichen Archivar geboren, kam er, nachdem er im Siebenjährigen Krieg als österreichischer Husar bei Liegnitz verwundet worden war und einige Zeitlang in Salzburg und Wien Theater gespielt hatte, achtundzwanzig Jahre alt ans Prager Nationaltheater in der Kotzengasse, um hier das Rollenfach »der sanften Helden, der zärtlichen Liebhaber und Petit-maîtres, sowie als Tänzer in den Balletten, zu Zeiten auch Solo und Pas de deux« zu agieren.

Gleich in der zweiten Saison seines Aufenthaltes hatte er mit einer Kollegin, Madame Naumann aus Karlsruhe, jenes Renkontre, dem er die Bekanntschaft der Prager Behörden verdankt. Die angebliche Urheberin des Streites hat dem Ensemble nur eine Saison angehört, denn im Gothaer Theateralmanach von 1775, worin der vorjährige Personalstatus der Prager Bühne angegeben wird, kommt der Name der Madame Naumann nicht mehr vor. Christ schildert sie teils nachträgerisch mit Haß, teils selbstgefällig (will er sich doch damit brüsten, ihren Antrag verschmäht zu haben) in folgender Weise: »Sie war unlängst Wittib geworden und besaß eine schöne Figur. Die Pocken hatten ihr Gesicht etwas stark mitgenommen, aber ihr einnehmendes Betragen machte sie bei jedermann beliebt.«

Sie hat Christs Bekanntschaft in dessen Wohnung gemacht, die sich im Montischen Hause »Zur goldenen Feder« in der Perlgasse, zweite Etage, befand. »Schon bei ihrem ersten Besuch, den sie der Gesellschaft machte«, erzählt Christ, »gefiel es der Madame Naumann in meinem Hause so sehr, daß sie den Theaterdiener, der sie herumführte, fortschickte, mit dem Bedeuten, hier gefiele es ihr, sie wolle heute keine weiteren Besuche machen und bei uns bleiben. Diese Artigkeit wirkte so auf mich, daß ich, ob ich gleich unpaß war und im Schlafrock auf dem Bette lag, mich in die Kleider warf und ihr Gesellschaft leistete. Sie nahm mit unserem frugalen Abendbrot fürlieb, wir unterhielten uns lang und breit über die Kunst, und meine FrauDie erste Gattin Christs war die junge Schauspielerin Isabella Maria Peixoto de Costa aus Lissabon. Im Personalstand von 1772 finden wir aber angeführt: »Mad. Elisabeth Christ, Liebh., junge Mütter, Vertraute; in Opern dritte Rollen. – In Kinderrollen: Josepha Christ, Johanna Christ.« fand Geschmack an der Dame. Da es Zeit war, nach Hause zu gehen, war sie verlegen, weil sie in Prag noch fremd sei und nicht wisse, wie sie sich zurechtfinden solle, da sie sehr entfernt von uns wohne. Der Wohlstand gebot mir, und auch meine Frau ersuchte mich darum, die Dame nach Hause zu begleiten, und ich tat's, denn galant war ich immer.

Schon unterwegs sagte sie zu mir: ›Es ist schade, lieber Christ, daß Sie verheiratet sind; wir wären ein nettes Paar geworden. Sie können wohl nicht sehr glücklich leben, denn Ihre Frau scheint älter wie Sie zu sein.‹ – ›Das ist wohl wahr, meine Frau ist ein Jahr zehn Monate älter wie ich, aber wir leben, etwas Eifersucht von ihrer Seite abgerechnet, sehr zufrieden.‹ – ›Ja, eifersüchtig soll Ihre Frau sein, das habe ich schon gehört, und ich wundere mich, daß sie Ihnen erlaubt, mich nach Hause zu bringen.‹ – ›Ei, wer hat Ihnen denn das schon erzählt? Diese geschwätzigen Personen haben vergessen zu sagen, daß sie auf honette Damen – und dafür hält sie Sie gewiß – nie eifersüchtig ist.‹ Unter diesem Gespräch gelangten wir an ihre Wohnung.«

Nun wollte sich Monsieur Christ empfehlen, denn so galant er auch zeitlebens gewesen sein will, so ist er doch ein Kind des moralisierend entarteten Zeitalters und ist siebzig Jahre alt, da er sich dieses Abenteuers schriftlich erinnert. Außerdem will er ja die Eva zur Schuldigen an allen nachkommenden Vorkommnissen stempeln, und so ist sie es, die ihn nötigt, und er es, der ihr widerstrebend folgt.

»In ihrer Stube bewillkommnete sie mich mit einem Kusse. Ich stutzte zwar, da wir uns doch erst vor wenig Stunden hatten kennengelernt, aber ich küßte sie wieder. Sie zog mich neben sich aufs Sofa und fing an (weil sie sich sehr über Hitze beschwerte), sich auszukleiden. Sie bat zwar um Verzeihung, aber als ich mich des Anstandes wegen entfernen wollte, ließ sie mich doch nicht fort und zeigte mir bei dieser Gelegenheit wie von ungefähr einige ihrer welken Reize, die aber auf mich durchaus nicht wirkten. Ich sah nach meiner Uhr, und da es schon drei Viertel auf zehn war und ich keine Laterne bei mir hatte, entriß ich mich unter diesem Vorwand ihren Anlockungen und kam ganz durchschwitzt in meinem Hause an. Wäre dieses Weib nicht so unverschämt frech gewesen und delikater zu Werke gegangen, wer weiß, ob ich meiner Pflicht treu geblieben wäre – aber solche Unweiblichkeit muß wohl jeden Mann, der noch seiner Sinne mächtig war, von sich zurückscheuchen, statt anzulocken. Kurz, ich entging diesen Netzen, machte mir aber dieses Weib dadurch zur unversöhnlichen Feindin.«

Und nun erst, von Monsieur Christ zurückgewiesen, also um sich zu trösten und um sich zu rächen, soll Madame Naumann ihre Netze nach dem Regisseur Bergopzoom ausgeworfen haben. Bald zappelt der Fisch, und es ist ein besonderer Fang: Johann Baptist Bergopzoom ist der wahre Herrscher am Prager Theater. Ausgelernter Buchdrucker, hatte er bereits in seiner Vaterstadt Wien, ferner in München schauspielerisch gewirkt. Als Regisseur und artistischer Leiter für das Schauspiel ans Prager Kotzentheater engagiert, betrat er am 25. Oktober 1771 in der Rolle des Zapor, des Helden einer Tragödie »Der Renegat«, zum erstenmal diese Bühne. Bergopzoom hatte als Schauspieler den nach Wien abgegangenen Peter Senefelder zu ersetzen; dem war zu Prag im selben Jahr ein Sohn Alois geboren worden, und dieser füllte als Erfinder der Lithographie bald die Lücke reichlich aus, welche die graphischen Künste durch das Abschwenken des Typographen Bergopzoom erlitten haben konnten. Bergopzoom aber reformierte das Schauspiel in Prag, insbesondere durch Beseitigung der Stegreif-Burlesken. Auch er ging 1774, ein Jahr nach der von Christ geschilderten Episode, an das Wiener Hof- und Nationaltheater ab.

Vorerst war er aber noch allmächtiger Regisseur in Prag und ließ sich, wenn wir unserem Herrn Christ Glauben schenken wollen, von Madame Naumann dazu verleiten, diesen zu schikanieren: »Er schickte mir zum Beispiel drei sehr gute und zwei äußerst mittelmäßige Rollen; ich möchte mich mit ihnen ehestens bekannt machen, weil die Stücke herauskommen sollten, sobald ich fertig wäre. Ich gab mir Mühe; die schlechten wurden gegeben, die guten kamen nicht zum Vorschein. Ich war für Helden und zärtliche Liebhaber engagiert und bekam Intriganten. Beschwerte ich mich darüber, so sagte er sehr freundlich: ›Lieber Christ, tun Sie es mir zu Gefallen, ich habe niemand andern, dem ich diese Rolle anvertrauen kann, die anderen verderben sie mir.‹ – Da wir sahen, daß Bergopzoom sich mit Madame Naumann sehr eng verband und einen Ton annahm, als wäre er regierender Herr und wir seine Untertanen, so fanden wir, ich, Spengler, Frank und HenischSpengler war Schwabe, spielte Landjunker und Charaktere, worinnen Vorsicht und verbissene Wut herrschten, Franz Frank gab hoch- und niedrigkomische Bediente und lächerliche Liebhaber, Carl Franz Henisch zweite Alte, gesetzte Liebhaber, Pedanten und Karikaturen; Henischs Gattin, Caroline, geb. Jiraneck (junge tragische Liebhaberinnen), ging ihm später mit Spengler durch, der hernach ihr Mann wurde., für notwendig, auch uns enger zu verbinden und ein Schutz- und Trutzbündnis gegen ihn zu errichten. Dahingegen Herr Bergopzoom mit seiner babylonischen H. Madame Naumann, den beiden Herren von Griechern, Herrn Baron HennetGubernialrat Joh. Marcellus von Hennet hatte 1772 als Theatral-Administrator die Organisation der Prager Bühne übernommen. und dem Apotheker Heli wieder einen aparten, freilich viel vornehmeren Zirkel bildete. Die Spannung wurde immer stärker. Madame Naumann, die doch inzwischen die Jahre zu Mutterrollen erreicht hatte, wollte jugendliche Rollen spielen, und von ihrer Fraktion und dem Regisseur unterstützt, behauptete sie sich in allem, was gut und dankbar war. Madame Frank und Madame Henisch bekamen nur, was jene nicht mochte, und so wuchs die Unzufriedenheit immer mehr.

So standen die Sachen, als ein Stück gegeben werden sollte, ›Die Koterie‹ betitelt. Es war eine Parodie auf einen in Garnison stehenden Leutnant Baron von Hutten. Ich erhielt die Rolle des Barons und die Vorschrift, mich so zu kleiden: Grüner Frack mit rosa Chemisett, paille Hosen, gewichste Stiefel, silberne Sporen, um den Hals eine Handquehle und am stark gepuderten Kopfe einen armdicken Zopf.

Den Tag vor Aufführung des Stückes kam des Morgens um zehn Uhr Herr Baron von Hutten samt den beiden Herren von Griechern, jeder mit einem tüchtigen spanischen Rohre bewaffnet, auf meine Stube. Von Hutten führte das Wort: ›Sie wissen, wer ich bin und haben die Frechheit, mich auf dem Theater parodieren zu wollen?‹ Ich stutzte, faßte mich aber gleich wieder und sagte: ›Sie parodieren zu wollen, ist mir noch nie in den Sinn gekommen, aber je mehr ich Sie ansehe, Herr Baron, je ähnlicher finde ich die mir vorgeschriebenen Kleidungsstücke.‹

›Was, vorgeschrieben? – Man hat mir gesagt, daß es Ihre eigene Erfindung sei, mich in meiner mit Geschmack gewählten Kleidung lächerlich zu machen, und wenn Sie sich unterstehen, dieses zu tun (indem er seinen Stock schwang), so will ich Sie so zerknüppeln, daß Ihnen die Idee, einen Offizier lächerlich zu machen, gewiß auf immer vergehen soll.‹

›Herr von Hutten, das Drohen und Stockschwingen in meinem Quartier verbitte ich mir; auch Sie haben Vorgesetzte, und der Weg zum Generalfeldzeugmeister ist mir nicht abgegraben. Schon dieser Überfall mit noch zwei ebenso wie Sie bewaffneten Männern ist gesetzwidrig. Warten Sie es erst ab, und dann handeln Sie, aber so, wie es einem Kavalier zukommt. Ich werde erscheinen, wie es mir vorgeschrieben ist. Finden Sie sich dann beleidigt, so halten Sie sich an den Verfasser‹, und somit machte ich meine Verbeugung.

Die drei Herren, über meinen festen Ton etwas verlegen, steckten die Köpfe zusammen und murmelten: ›Sollte uns das Weib belogen haben?‹ – Ich hörte diese wenigen Worte und fragte: ›Welches Weib? Doch wohl nicht Madame Naumann?‹ – ›Ja – nein – sie wohl eben nicht, aber –‹

›Aber?‹ fiel ich ein, ›sehen Sie, Herr Baron, hätten Sie mich gleich bei Ihrem Eintritt in mein Haus artiger behandelt, so wäre es zu all diesen Auseinandersetzungen nicht gekommen. Ich hätte sofort getan, was ich nun jetzt erst tue, hätte Ihnen meine Rolle vorgelegt, und Sie würden daraus ersehen haben, daß man Sie belogen und daß mir derselbe Anzug vorgeschrieben ist, in welchem ich Sie gegenwärtig vor mir sehe.‹

Er nahm meine Rolle, las die Vorschrift des Anzugs, bat mich um Vergebung, fluchte über die Naumann, die ihm gesagt, ich wolle ihn lächerlich machen, und bot mir seinen ganzen Anzug zur morgigen Vorstellung an.

Der ältere Herr von Griechern wollte Madame Naumann, welche sowohl seine wie Bergopzoomers intime Freundin war, verteidigen. Ich aber sagte ihm rundheraus, sie tauge nichts, denn seitdem sie Herrn Bergopzoomer und mehrere andere Herren aus der Stadt (wobei ich ihm scharf ins Auge sah) bestrickt habe, sei es bei unserer Gesellschaft gut gewesen!

Die Herren verließen mich, um geradehin zu Bergopzoomer zu gehen oder zur Madame Naumann, welches ebensoviel war, denn beide wohnten zusammen, hatten ihre gemeinsame Wirtschaft, und Gott weiß, was sie noch zusammen hatten. Als Herr von Griechern Madame Naumann meine Äußerungen erzählte, sprang sie auf, fluchte wie ein wütendes Fischweib und schwur meinen Untergang. Inwiefern sie ihren Schwur erfüllte, wird die Folge zeigen.

Am anderen Tag15. September 1773. war die Komödie angekündigt, das Haus zum Brechen voll, selbst der Oberste Burggraf fuhr von seinen Gütern herein, diese Parodie zu sehen. Der Wagen kam, mich abzuholen. Ich fuhr bei Bergopzoomer vor, um ihn und die babylonische H. einzunehmen; denn beide hatten im Stück zu spielen. Mit Lächeln empfingen sie mich, machten mir Komplimente über meinen Anzug und freuten sich im voraus über die gewiß glücklich gelingende Vorstellung. An der außerordentlichen Freundlichkeit des lieben Paares merkte ich gleich, daß etwas in ihnen brütete, und war auf meiner Hut.

In der Garderobe begab ich mich gleich auf meinen Platz und nahm meine Rolle zur Hand, um mich nicht zu zerstreuen. Aber es währte nicht lange, so hörte ich ein grausames Lärmen und Schimpfen. Bergopzoomer und Henisch waren es, welche sich wechselweise die abscheulichsten Dinge vorwarfen. Endlich schrie Henisch: ›Ja, es ist wahr, alle Rollen, welche meiner Frau oder Madame Frank gehören, geben Sie der Frau Naumann, die lieber alte Weiber und Kupplerinnen als jugendliche Liebhaberinnen spielen sollte; aber freilich, die Konkubine muß alles und ehrliche Weiber dürfen nichts bekommen!‹

›Das spricht ein Schurke!‹ war Bergopzoomers Antwort.

Das schreckte mich auf. ›Was?‹ rief ich. ›Mein Kamerad ein Schurke? So spricht kein rechtlicher Mann!‹

›Ha‹, schrie Bergopzoomer, ›rührst du dich auch, du Komplotteur? Du Bube!‹ Und schlug nach mir.

›Bube?‹ wütete ich und gab ihm mit der linken Hand eine Ohrfeige aus Leibeskräften, wollte nach meinem Stock greifen, erwischte aber in der Wut meinen Degen, der eine Schilfklinge hatte und daher sehr leicht aus der Scheide ging, und fuhr ihm damit bei der rechten Schläfe an die Hirnschale. Er stürzte zu Boden. Ich stand leblos, wie angenagelt, die Augen an den Boden geheftet.

Der Lärm verbreitete sich ins Parterre und in die Logen zugleich; wie ein Lauffeuer lief es herum: Christ hat Bergopzoomer erstochen. Auf Befehl des Oberstburggrafen besetzte die Militärwache sogleich die Türen der Garderobe. Es mußte ein anderes Stück gewählt werden, denn Bergopzoomer war außerstande zu spielen. Man wählte den ›Sklavenhändler von Smyrna‹Das Stück hieß richtig »Der Warenhändler von Smyrna« und war eine von Andreas Holly (geboren 1747 zu Böhmisch-Luhe) komponierte Operette, die 1775 in Berlin im Klavierauszug erschien., worin ich mitzuspielen hatte. Es war sehr herzerhebend, wenn meine Szene kam und die Wache mich bis in den Flügel brachte, dort wartete, bis meine Szene vorüber war, und mich dann ins Ankleidezimmer zurückführte.

Nach der Komödie wurde ich mit Herrn Spengler und Herrn Frank, welche sich in das Handgemenge gemischt hatten und mit mir unter die Aufsicht der Wache gesetzt worden waren, auf die Altstädter Hauptwache gebracht, unter dem Zulauf von mehr als tausend Menschen und dem Gesang der Pöbelbrut: ›Satracini Komedianski! Taschkarschi!‹Tschechisch: »Zatracené komedianti! Taškaři!« (»Verfluchte Komödianten! Gaukler!«) Zu unserem Glück hatte ein Graf Harrach, der kein Freund der Bergopzoomerschen Fraktion war, die Wache; er nahm uns freundlich auf und ließ uns hochleben, wir durften in der Offiziersstube speisen und schlafen. Des anderen Tages aber wurde er von dem Hauptmann von la Motte abgelöst. Dieser, ein Freund der Frau Naumann, hatte sich vorgenommen, uns in die Kommißstube zu sperren und unter die Pritsche stecken zu lassen. Der edle von Harrach erfuhr aber kaum die schändliche Absicht la Mottes, als er ihm auf der Stelle ankündigte, daß er, wenn er uns das geringste zuleide tun würde, sich mit ihm am Morgen nach der Ablösung schießen müsse. Diese Drohung wirkte so sehr, daß es la Motte nicht wagte, uns nur ein Haar zu krümmen.

Wir mußten noch den Mittag auf der Hauptwache zubringen, wohin uns Graf Harrach das Essen schickte. Den ganzen Tag ward es nicht leer, so viele Besuche erhielten wir von Gut- und Übelgesinnten. Aber von meinen Freimaurerbrüdern ließ sich auch nicht ein einziger sehen, und da ich auf deren Hilfe nicht wenig baute, so stieg meine Verwunderung mit jeder Minute. Indes tat ich den guten Brüdern höchst unrecht. Denn einzig dem geheimen Betriebe des ebenso humanen als klugen Grafen Kaspar Hermann von Kinigel und seinem mächtigen Einflusse hatten wir es zu verdanken, daß wir sozusagen noch mit einem blauen Auge davonkamen.

Des anderen Tages nachmittags, um vier Uhr, wurden wir von der Hauptwache nach dem Altstädter Rathause gebracht, wo wir vom Stockmeister sehr artig empfangen wurden. Die Besuche waren da noch zahlreicher als auf der Hauptwache, der Wein floß, unsere Freunde ließen uns hochleben. Unsere Gegner hatten aber auch Spione genug dabei, die jedes Wort auffingen, um am gehörigen Orte wieder davon Gebrauch zu machen. Diesen vortrefflichen Spionen hatten wir es zu verdanken, daß ich und Frank noch den dritten Tag vom Altstädter Rathaus weggebracht wurden, und zwar ich auf die Kleinseite, Herr Frank auf die Neustadt. Herr Spengler blieb auf dem Altstädter Rathause sitzen. Durch einen mir noch heute unerklärlichen Irrtum ging hier eine Verwechslung vor; denn das Neustädter Gefängnis, wohin der arme Frank zu sitzen kam, war mir zugedacht, weil ich als zuerst Ausschlagender der Schuldigste war. Frank lag unter der Erde, weder von der Sonne noch von dem Monde beschienen, kein Messer oder Gabel, kein Barbier wurde ihm zugelassen, das Fleisch, so ihm seine Frau schickte, mußte er mit den Händen fassen und mit den Zähnen zerreißen. Ich saß zwar auch auf keinem Rosenbette, aber ich hatte ungleich mehr Bequemlichkeit.

Allein da Bergopzoomer sich sehr krank stellte, weil ein unwissender Barbiergeselle seine Wunde untersucht und den Stoß für tödlich erklärt hatte, wurde auch ich in einen Kerker gebracht, wo sich Wesen befanden, denen sich der Strang oder das Schwert im Prospekte zeigten. Doch dauerte diese Härte nur sechs Tage, denn da seit verübter Tat neun Tage um waren und Bergopzoomer während dieser neun Tage an seiner Verwundung nicht gestorben war, so war mein Hals gerettet.

Ich wurde daher über die Erde (denn vorher war ich im Keller) zum Gerichtsschreiber Wilde in eine Kammer gebracht. Dort durfte mich endlich meine Frau besuchen, die mich vor kurzem mit einer Tochter beschenkt hatte und noch Wöchnerin war. Vorher hatte ich mit keiner Seele sprechen dürfen.

Der redliche Gerichtsschreiber Wilde hatte Mitleid mit mir und ging manchmal abends heimlich mit mir spazieren, wozu er mir einen großen runden Hut aufsetzte und einen grauen Mantel umhing. Er wußte, daß er nichts wagte, denn er war Maurer, und ich gab ihm mein Bruderwort, nicht zu entspringen. Aber auch dies wurde verraten. Denn eines Abends, als ich schon zu meinem Spaziergang maskiert war, kam der Stadtrichter. Der Gerichtsschreiber riß mir geschwind Hut und Mantel ab, warf alles unter das Bett, rief mir zu: ›Legen Sie sich nieder!‹ und ging dem Herrn Stadtrichter entgegen. Ich warf mich, gekleidet wie ich war, in mein Bett, deckte mich bis an die Nase zu und schloß die Augen. In demselben Augenblick trat der Stadtrichter mit dem Gerichtsschreiber in meine Kammer und sagte: ›I hab halt g'hört, der Malifikant geht alle Abend spazieren‹ – indem er nach meinem Bette sah – ›schauts, schauts, was das für Lugen san, da liegt er und schlaft. M'r hat man g'sagt, er lief alle Zeit, wann's dunkel wird, spazieren, und da liegt er hing'streckt in Federn, wie ani Sau mitten im Dreck! Warts nur, kummts m'r nur wieder mit solchen Lugen!‹ Und so ging er zur Tür hinaus, befahl dem Gerichtsschreiber, gute Aufsicht über mich zu halten, und trollte mit seinem Stocklaternchen in der Hand wieder ab.

Da er fort war, verließ ich zwar mein Bett, aber da meine nächtlichen Wanderungen einmal verraten waren, wagten wir es doch nicht, unsere Spaziergänge fortzusetzen. Um mir also die Zeit zu verkürzen, gab ich Herrn Wilde Unterricht im Tanzen. Er war fleißig, und binnen den vierundzwanzig Tagen, die ich auf dem Rathause zubrachte, tanzte er leidlich Menuette.

Nun wurde ich vors Kriminalgericht gestellt. Hier wurde mir eröffnet, daß ich durch mein Betragen die öffentliche Ruhe gestört und den Burgfrieden gebrochen und deshalb verdient habe, daß mir die Hand abgehauen werde, daß jedoch der Oberste Burggraf aus angestammter Milde mir diese Strafe erließe und mir nur auferlegte, die Regierung der gestörten Ruhe wegen und den Regisseur wegen angetanen Schimpfs und höchst sträflichen Ausschlagens um Verzeihung zu bitten, dann aber nach Bezahlung sämtlicher Unkosten die Stadt Prag zu verlassen. Da mir noch drei Wochen vergönnt sein sollten, meine Geschäfte in Ordnung zu bringen, so müsse ich, damit Bergopzoomer nicht einen neuen Anfall von mir zu befürchten habe, das Juramentum de non offendendoEidliche Verpflichtung, sich friedfertig zu verhalten. schwören.

Meine Antwort war: ›Herr Präsident! Daß ich durch das Aufbrausen meines Blutes die öffentliche Ruhe gestört habe, tut mir innigst leid. Was die Abbitte vor dem Regisseur betrifft, dessen Namen ich nicht nennen mag, so wird es nie geschehen, keine Gewalt der Welt soll mich dazu zwingen, diesen Buben einer Abbitte zu würdigen, und sollte ich auch nie wieder auf freien Fuß kommen. Ja, eher würde ich aus Hunger meine drei Kinder eines nach dem anderen schlachten und essen! Dann müßten Sie mir Gerechtigkeit angedeihen lassen!‹ – ›Mein Gott, lieber Christ‹, sprach der Herr Präsident. ›Was reden Sie? Ich will das letztere gar nicht gehört haben, schwören Sie nur das Juramentum de non offendendo!‹

Mein Freund Wilde umarmte mich und bat mich, den Herrn Stadtrichter zu besuchen und ihm für sein freundliches Benehmen zu danken. Ich tat es ungern, aber ich ging hin. Er gratulierte mir, daß ich von diesem sehr schlimmen Handel so wohlfeilen Kaufs weggekommen sei. ›Wohlfeilen Kaufs?‹ antwortete ich, ›nun, wenn das ein wohlfeiler Kauf ist: acht Tage unter der Erde, siebzehn Tage zwar über der Erde, aber in einer Kammer eingesperrt, wo meinem Weibe und den Kindern nicht erlaubt war, mich zu besuchen, und zur Bezahlung aller Gerichtskosten sowie auch der chirurgischen verurteilt! Dies alles stürzt mich in eine Schuldenlast von sechshundert Gulden. Überdies bin ich außer Brot und soll mit Frau und Kindern reisen, ohne noch sagen zu können, wohin. Das nennen Sie wohlfeilen Kaufes? Oh, wohlgeborener Herr Stadtrichter, ich glaube, Sie wollen über mich spotten.‹

›Ja, es ist halt hart, indessen muß ich mir noch von dem Herrn drei Gulden Quartiergeld für den Stockmeister ausbitten.‹

›Was‹, rief ich nun aus, ›drei Gulden Quartiergeld für den Stockmeister, weil ich acht Tage unter der Erde unter Spitzbuben, Dieben, Mördern und Räubern gesessen habe?‹

›Ja, lieber Herr‹, sagte er, ›es tut mir halt leid, aber das ist so üblich, und wieviel hat denn gefehlt, daß der Herr nicht auch ein Mörder worden wäre? Also nur gezahlt und dann glückliche Reise!‹ Bei diesen Worten war ich aber schon zur Tür hinaus, und er war so gefällig, mich nicht weiter zu verfolgen.«

Monsieur Christ wird nun von Gläubigern bedrängt, von Freunden geprellt, und er ist froh, da endlich die Kutsche aus dem Stadttor rollt, um ihn auf Umwegen nach Deutschland zu bringen, zu Lessing, in die Klassik des deutschen Lustspiels, nach Berlin und zum Ruhm.

 


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