Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Des Polizeiministers junge Frau

Joseph Fouché, Herzog von Otranto, der als Jakobiner das »Blutbad von Lyon« bereitet, der dem König Ludwig XVI. das Schafott gezimmert hat, der Robespierres Haupt dem Henker überlieferte, der Napoleons Politik innerhalb Frankreichs durchführte, der während der Elbaer Zeit Ratgeber Ludwigs XVIII. war, der in den hundert Tagen von neuem das Amt des Polizeiministers übernahm, er, der hernach bis zum Wiedereinzug des Bourbonen die Herrschaft über Frankreich innehatte, um schließlich Minister des Allerchristlichsten Königs zu werden – er ist von seiner Zeit als selbstverständlich hingenommen worden, und auch die Geschichte sieht in ihm so etwas wie ein unentbehrlich-uninteressantes Möbel.

Dreißig Jahre lang, unter sechs einander so widersprechenden Staatsformen hält sich Joseph Fouché an der Macht! Am Gipfel aber glaubt er zu sein, da er Fräulein Gabrielle-Ernestine de Castellane-Majestro heiratet. Fünf Jahre vorher, 1810, als er wegen eigenmächtiger Verhandlungen mit England verbannt worden war, hat er in Aix die charmante Mademoiselle de Castellane zum erstenmal gesehen. Dort war er vom Unterpräfekten d'Ardaud-Jouques in die Aristokratie eingeführt worden, die sich trotz ihrer royalistischen Gesinnung auch durch einen von Bonaparte verliehenen Herzogstitel imponieren ließ, wenn sie diese Sympathie damit bemänteln konnte, daß der Herzog ein »Opfer Napoleons« sei. Damals lebte Fouchés erste Frau noch. Die, Johanna, war die Tochter des Bürgers Cognard, des einflußreichsten Wählers in dem Departement, wo Fouché für die Nationalversammlung kandidiert hatte.

Der Minister des legitimen Bourbonen braucht für sein Eheschifflein ein anderes Segel als das, das er 1792 gehißt, und eine echte Castellane ist für ihn, was für seinen kaiserlichen Chef die Habsburgerin gewesen. Der ehemalige Bürger Fouché heiratet am 1. August 1815 in eine Familie ein, deren Stolz es ist, daß ihre Ahnen in den Kreuzzügen gekämpft und die Täler der Rhône als souveräne Fürsten regiert haben. Im offiziösen »Independant« wird der Familiennachricht ein politischer Relativsatz beigefügt; der Minister der Restauration läßt das private Ereignis nicht vorübergehen, ohne sich mit der (seinerzeitigen, kurzen) Ungnade Bonapartes zu brüsten: »Wie verlautet, hat der König den Ehevertrag zwischen Herrn Herzog von Otranto und dem aus einem der ältesten Adelsgeschlechter der Provence stammenden Fräulein de Castellane unterzeichnet. Die Bekanntschaft der beiden Neuvermählten ist in Aix geschlossen worden, wo der Herzog während seiner von Bonaparte über ihn verhängten Verbannung gelebt hat und seither der ganzen Provence in teurem Andenken geblieben ist.«

Gabrielle bringt kein großes Heiratsgut mit, aber sie ist bezaubernd schön, »ein Gegenstand der Anbetung für ihre Umgebung«, und der alte Herzog scheint für sie eine eifersüchtige Zärtlichkeit zu empfinden. Die wird ihn bald zu Fall bringen. Ein Rubrum »Eifersüchtige Zärtlichkeit« findet sich nicht in den Polizeiakten.

Er glaubt am Gipfel der Macht zu stehen, aber er ist schon einen Schritt darüber hinaus, schon auf dem abschüssigen Hang. Die Kammer, in die er von drei Wahlbezirken gewählt worden ist (und er hat seine Popularität noch erhöht durch eine Philippika gegen die Armee der Alliierten, die in Frankreich vandalisch haust), die Kammer opfert ihn den Ultrarechten. Ludwigs XVI. Tochter, kaum in die Tuilerien eingezogen, ist wieder sehr königlich und sehr unerbittlich und erklärt, sie werde den »Königsmörder« – dem ihr Haus die reibungslose Rückkehr nach Paris verdankt! – keinesfalls empfangen, und wenn er zehnmal Minister wäre. Der König verrät den Verräter, indem er ihn auf den Gesandtenposten nach Dresden abschiebt.

Alsbald werden die reaktionären Feiglinge in der Kammer mutig, da sie die Enthüllungen des alten Polizeiministers nicht mehr zu fürchten haben, und mit 334 gegen 32 Stimmen beschließt die Chambre Introuvable»Unfindbare Kammer«, Spottname für die 1815-1816 in Paris tagende Volksvertretung. Die Wahlen zu dieser Kammer hatten eine so starke reaktionäre Mehrheit ergeben, daß selbst König Ludwig XVIII. überrascht ausrief: »Une chambre introuvable!«, was etwa heißt: Eine solche Kammer findet sich so leicht nicht wieder! die Verbannung des Mannes, der im Antrag noch »Duc de l'Otranto«, im Beschluß aber bereits »Monsieur Fouché« heißt . . .

Sein Exil wird Prag. Metternich, stolz auf seine Polizei, hat Österreich zu einem Lapidarium des Empire gemacht, den kaiserlichen Prinzen Louis und Jérôme, den Prinzessinnen Elisa und Caroline, dem zweiten Polizeiminister des Kaisers, Savary, Herzog von Rovigo, seinem Außenminister Maret, Herzog von Bassano, und vielen anderen Staatsmännern und Generälen Zuflucht geboten und lädt Fouché geradezu ein.

In Prag ist auch Thibaudeau, einst Kollege Fouchés im Convent und in Napoleons Gunst, dann kaiserlicher Präfekt der Gironde und schließlich Haupt der Verschwörung, die den Kaiser aus Elba zurückholte, der Verschwörung, an der Fouché teilgenommen und – Verrat geübt hat. Trotzdem schreibt Fouché an Thibaudeau, mitbestimmend für seine Wahl Prags zum Refugium sei die Tatsache, dort einen alten Freund zu besitzen; und der »alte Freund« wird beauftragt, die Hälfte des Hotels »Hessischer Hof« für Fouché zu mieten.

Am 4. Juli 1816 kommt der Herzog mit seiner jungen Frau und seinen aus erster Ehe stammenden Kindern nach Prag. Er beeilt sich, in einem Brief an Metternich sein Eintreffen zu melden und an die Unterredung zu erinnern, die er vor genau drei Jahren in eben dieser Stadt mit dem Kanzler geführt; damals hatte er die unhaltbare Situation Napoleons zugegeben, aber, genial, gerade dadurch Österreich auf Napoleons Seite zu ziehen versucht: es möge den gefährdeten Pariser Kaiserthron vor den Bourbonen und Republikanern, dem Enkel des Kaisers Franz retten. Im übrigen tut Fouché recht horazisch, als ob er glücklich sei, procul negotiisVon Geschäften fern. zu weilen, als habe er auf allen irdischen Ehrgeiz verzichtet – und korrespondiert und konspiriert mit aller Welt, wobei oft die chiffrierten Briefe diejenigen sind, die er dem Hof und der Regierung zur Kenntnis bringen will. Weiß er doch besser als jeder andere, daß das »Schwarze Kabinett« sie auffangen und entziffern wird. Den Freunden von Thron und Altar, die ihn verbannt haben, bietet er seine Unterstützung zum Sturz des Ministeriums an, eine Fraktion der Ultralinken scheint schon gewillt, sich des Mannes zu bedienen, der Material gegen jeden und die Macht hat, durch Enthüllungen aus dem Privatleben die unbequemen Politiker zum Schweigen zu bringen.

Decazes, sein jugendlicher Nachfolger, wehrt sich gegen diese Umtriebe in einem recht ängstlichen Brief an Metternich: Fouché beabsichtige, »um den Preis der Wiedereinsetzung ins Polizeiministerium ein ebenso heftiger Jakobiner der Gegenrevolution zu werden, wie er einst zu Lyon und zu Nevers ein Jakobiner des Blutdurstes gewesen«. Der junge Polizeiminister will den alten beim Wiener Großkanzler diskreditieren: erstens habe Fouché für immer abgewirtschaftet, und zweitens suche er sich der antiösterreichischen Politik Preußens anzuschließen, deren Repräsentant Justus Gruner ist. Oh, wüßte Graf Decazes, daß vor vier Jahren der Minister eines anderen Staates gegen einen in der Prager Verbannung lebenden Polizeichef und dessen Umtriebe ähnliche Klage bei Metternich geführt und daß jener Verbannte kein anderer war, als eben Justus Gruner, der jetzt wieder Mächtige! Hätte Fürst Metternich die Absicht gehabt, den Pariser Polizeichef zu verhaften, wie er's damals mit dem Berliner Polizeichef getan – nach dieser Parallele ließe er sie wohl fallen!

Der Prager Oberstburggraf Graf Kolowrat, vom österreichischen Polizeiminister Sedlnitzky besonders beauftragt, bespitzelt zwar den Großmeister der Spitzelei, aber dazu bedarf es wohl keiner Denunziation aus Paris, zu diesem Behufe war ja die Einladung in den schwarz-gelben Vormärz ergangen.

Die Überwachungen stören Fouché wenig. Er hofft. Er hofft auf die Wiedereinsetzung in die Macht. Ist offensiv. Von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends schmiedet er Damoklesschwerter und spinnt Fäden, um sie anzubinden: es sind die »Notizen über den Herzog von Otranto«, die er verfaßt, er publiziert seinen Briefwechsel mit dem Herzog von Wellington und schreibt eine Unzahl von Briefen nach Frankreich, in denen er die Herausgabe seiner Denkwürdigkeiten ankündigt.

Für die Prager Gesellschaft war das Erscheinen des berühmten Staatsmannes aus Paris einen Monat lang eine Sensation gewesen, der Oberstburggraf hatte ihn liebenswürdig aufgenommen und besucht, bald aber ist die Neugierde gesättigt, und der böhmische Adel lehnt den einstigen »Bundesgenossen des Pöbels« hochfahrend ab.

Mit den französischen Flüchtlingen verkehrt er nicht viel, eigentlich verkehren sie nicht viel mit ihm, der unter die siebenundfünfzig Hauptmitarbeiter Napoleons enthaltende Proskriptionsliste vom 24. Juli 1815 seinen Namen gesetzt hat, obwohl er an die Spitze der Aufgezählten gehört hätte.

Die Herzogin verdankt ihren Herzogstitel dem Emporkömmling Bonaparte, jedoch vor allem ist sie eine geborene de Castellane und will die Gespenster der Revolution, »diese Brutusse«, nicht in ihrem Hause sehen. Wahrscheinlich kann sie auch Thibaudeau nicht leiden, der mit seiner Frau und seinem Sohn Adolf häufig zu Besuch kommt. Diese Abneigung teilt sie mit ihrem Mann. Zwar tun die beiden einstigen Vertrauten des Kaisers freundschaftlich und höflich miteinander, aus ihren Briefen an dritte Personen geht aber hervor, daß die »alten Freunde« einander hassen, wie eben Verräter und Verratener.

Die Broschüren und die Drohung bevorstehender Memoiren haben in Frankreich große Wirkung gehabt. Chateaubriand belastet in seinem Buch »De la monarchie suivant la Charte« Fouché schwer, und dieser deckt nun Chateaubriands Intimität mit Napoleon und dessen Kardinal Fesch auf; den Redakteur des »Journal des Débats«, Mr. Saint-Victor, der in einer Glosse über die Wellington-Briefe den »Königsmörder« angegriffen, bezeichnet Fouché als ein ehemals von der Polizei bestochenes Subjekt und bedroht ihn mit der Entschleierung seiner privaten Geheimnisse. Im »Pamphletaire« wird Fouchés Henkertätigkeit unter Napoleon, im »Vrai Libéral« sein Verrat an der Revolution behandelt, und das Bezirksgericht, in dessen Sprengel sein Landgut Ferrieres gehört, spricht ihm, als einem im bürgerlichen Sinn toten Mann, das Recht ab, seine Kinder als Vormund zu vertreten.

Der Pensionär Fouché verzehnfacht sich, sein Sekretär Demarteau verfaßt und versendet Artikel, Fräulein Ribou, die Gouvernante der Kinder, nimmt Diktate auf und stellt Abschriften her, bis sie stirbt, anonym und pseudonym erscheinen in der französischen und österreichischen Presse strahlende Apologien, sogar ein dem Herzog günstiger Brief aus dem Nachlaß der Madame de Staël taucht auf (und entpuppt sich alsbald als Fälschung), ein klangvoller (aber nicht existenter) Chevalier de la Roche-Saint-André sendet »gegen den Willen des Herzogs« Reinwaschungszuschriften an die Presse. Die Fouchésche Wohnung auf der Prager Färberinsel (der späteren Sophieninsel) ist eine Propagandazentrale, die ganz Frankreich beliefert.

Plötzlich wird gegen den Polizeigewaltigen, der zeitlebens mit Enthüllungen aus dem Privatleben operiert hat, ein Eingriff ins Privatleben verübt.

Der junge Thibaudeau hat mit der jungen Herzogin galante Beziehungen angeknüpft; angesichts der Tatsache, daß der allmächtige Minister des Allerchristlichsten Königs, den sie geheiratet, nun nicht mehr allmächtig und nicht mehr Minister ist, angesichts der Tatsache, daß er sich in politischen Arbeiten vergräbt, angesichts der Tatsache, daß sich die Herzogin in Prag maßlos langweilt, der Gatte alt und der Freund jung ist, vergißt die geborene de Castellane, in Adolf Thibaudeau einen Bürgerlichen zu sehen, dessen Vater zu »diesen Brutussen«, zu den Gespenstern der Revolution gehört . . . An Polizeigeist ist Fouché den Österreichern überlegen, er merkt – oh, Schande für Metternich – das Liebesspiel eher als dieser, obwohl es in seinem eigenen Hause vor sich geht. Außer sich vor Wut, schreibt er einen Brief, worin er dem Sohn Thibaudeau sein Haus verbietet und – dem Vater Thibaudeau versichert, daß er ihm die alte Freundschaft bewahre.

Die Affäre spricht sich herum, man vermutet, der alte Thibaudeau und seine Frau hätten ihren Sohn zum Verführungsversuch aufgestachelt, um sich an dem Verräter der Bonapartisten zu rächen; Fouché sprengt das Gerücht aus, Adolf habe sich bloß um die Hand seiner Tochter beworben und einen Korb bekommen.

Da erscheinen zum Behagen des Faubourg-Saint-Germain in den französischen Blättern Berichte über die Affäre, Details über eine regelrechte Entführung, der junge Thibaudeau sei mit der Frau Minister in Frankfurt gesehen worden, wo sie durch ihre Schönheit und ihren Schmuck Aufsehen hervorrief. Je mehr Briefe, Berichtigungen und Notizen Fouché versendet, desto mehr fühlt er, auf dem Gebiete der privaten Verteidigung nicht so zu Hause zu sein wie auf dem Gebiete des privaten Angriffes – durch all diese Schriften keinerlei Bewunderung für seinen politischen Arbeitseifer und keinen Wunsch nach seiner Wiederberufung zu erwecken –, dort lächerlich geworden zu sein, wo er bisher nur gefürchtet war. Aller Hoffnungen beraubt, übersiedelt er im August 1818 aus Prag zuerst nach Linz und dann nach Triest und stirbt dort, einundsechzig Jahre alt, aber längst einem mehr als achtzigjährigen Greis ähnlich.

 


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