Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Haudegen

Gefährlicher war der Weg, der vor ihm lag, als der Krieg, der hinter ihm lag. Paul von Münch, Rittmeister, hat auf der Insel Candia gefochten, im Dienst Venedigs gegen die Türken. Nun ist der Feldzug aus. Die Dogenrepublik war mit Münchs Leistung zufrieden und hat ihn reich abgelohnt. Außerdem bergen die Mantelsäcke seiner vier Schimmel noch Beute genug.

Münch will zu seiner Hochzeit. Auf Schloß Meuselwitz im Herzogtum Sachsen-Altenburg lebt sein Pflegevater Major von Northafft und dessen Tochter Anna. Mit ihr ist der Rittmeister verlobt, und sie ist es, zu der er nun reitet, so schnell er vermag, froh darüber, die Braut nicht nur mit seiner Rückkehr erfreuen zu können, sondern auch mit so märchenhaft herrlichen Hochzeitsgaben venezianischer und orientalischer Herkunft.

Um so gefährlicher war der Weg, denn die herrlichen Rosse und ihre geschwellten Mantelsäcke mußten den wilden Bergvölkern des Südens in die Augen stechen. Aber unbehelligt kam Münch durch die Schluchten des Balkans, ohne Zwischenfall hat er den als räuberreich verschrienen Wald durchritten.

So. Die Gefahr ist vorüber.

Etwa eine Meile vor Komotau in Böhmen wird Münch, den sein Diener Philipp Schiller begleitet, von vier kaiserlichen Offizieren überholt. Gleichzeitig mit diesen reitet er durch das Stadttor ein. Während Münch seinen Weg fortsetzt, um erst in der nächsten Stadt zu nächtigen, in Sebastiansberg im Erzgebirge, erklären die anderen, in Komotau Nachtlager halten zu wollen; sie und ihre Reitknechte sitzen ab. Dennoch kommen sie bald darauf nach Sebastiansberg ins Gasthaus, darin Münch Logis genommen. Sie setzen sich an seinen Tisch und beginnen mit ihm ein recht kameradschaftliches Gespräch: »Herr Bruder« hin, »Herr Bruder« her.

»Wann reitet Ihr denn weiter, Herr Bruder?«

»Am Morgen, Glock sieben.«

»Siehe da, Herr Bruder, das ist just auch unsere Stunde.«

Der Rittmeister geht zeitig zu Bett. Unten bleiben die vier und haben noch lange miteinander zu wispern . . . Gemeinsam geht's morgens ab. Die Kaiserlichen haben vorgeschlagen, einen geschlossenen Zug zu formieren, und ordnen diesen solcherart, daß Philipp Schiller mit den Packpferden vorantrabt, dann kommt ein kaiserlicher Offizier, zwischen zwei anderen reitet Münch, und die Nachhut bildet ein Leutnant, ein Vierschrot, rotköpfig, schon etwas bejahrt für seinen Rang.

*

»Holla, Wirtshaus, aufgetan!« – Erschreckt fährt der Wirt aus dem Schlaf empor, seine Finger gespreizt aufs Laken stützend. – »Holla, Holla! Wird's bald? Scheißkerl von einem Wirt, sollen wir Ihm das Tor eintreten?!« – So ungestüme Gäste haben den Nikolaus Hatzi, seit er hier zu Kulm in Böhmen sein Einkehrhaus innehat, noch niemals aus den Federn getrommelt wie heute, am 23. April 1669, es mag gegen elf Uhr nachts sein. Er weckt sein Gesinde, öffnet.

Acht Reiter mit zwölf Pferden sprengen in den Hof. Vier Offiziere treten in das Schankzimmer. Ihre Knechte schnallen den unberittenen Rossen, vier Schimmeln, die Schabracke und drei Mantelsäcke ab und übergeben sie den Herren. Indes der Wirt im Gastzimmer Licht macht, fragt einer der Offiziere: »Wie weit ist es von hier nach Reitzenhain?« – »Reitzenhain? Das kenn ich gar nicht.« – »Das liegt doch bei Sebastiansberg.« – »Ach, bei Baßberg! Bis dorthin hat's gute sechs Meilen.« – »Potz Hölle und Kartaunen! So sind wir denn geritten wie die Sachsen unter Aremberg bei Leipzig.« – »Wie? Kommen denn die gnädigsten Herren heute schon so weit her – bis von Baßberg?« – »Das hat Ihn weniger zu kümmern als Hühnerdreck, verstanden?« schnauzt ihn der Führer der Reisegesellschaft an, ein rothaariger Hüne, »scher Er sich lieber darum, daß wir etwas Gutes zu fressen und zu saufen kriegen!«

Dem Wirt will es scheinen, daß der Rote dabei seinen Kameraden strafend anblickt, der nach der Entfernung gefragt.

*

Den nächsten Tag will die Reisegesellschaft in dem Kulmer Einkehrhaus verbringen. Die Offiziere sperren sich in eine Schlafstube ein, was den Wirt veranlaßt, an der Tür zu lauschen. Dabei hört er, daß der Rote (wie sich später herausstellen wird: der kaiserliche Leutnant Hans Bayer aus Wehrnika im Herzogtum Krain) den Vorschlag macht, alles in vier Teile zu teilen und um diese zu würfeln. Rasch werden die Mantelsäcke entleert, und Kapitänleutnant Christoph Richter aus Mecheln nimmt die Vierteilung vor.

Nun wird gewürfelt. Die meisten Augen wirft der kaiserliche Oberwachtmeister Wilhelm von Haitmar. Er wählt das ihm am reichsten scheinende Viertel: eine lederne Jacke, ein Wehrgehänge, ein goldenes Medaillon, sechzehn Dukaten und achtundzwanzig Kaisergulden. Dazu kommt der größte Schimmel mit Zaumzeug.

Den zweiten Treffer macht der rote Leutnant Bayer: eine Schärpe, einen Ballen Atlas, eine Standarte mit dem goldgestickten Wappen der Republik Venedig, ein Damaszenerschwert, ein Koller, Leibwäsche, sechzehn Dukaten, achtundzwanzig Kaisergulden. Und die Schimmelstute.

Treffer Nummer drei fällt auf Hauptmann Ritter von P.: ein isabellfarbenes Kamisol, mit goldenen Knöpfen verziert und mit schwarzem Taft gefüttert, Hemden, Strümpfe, sechzehn Dukaten und fünfzehn Kaisergulden. Dazu ein Schimmel.

Das übriggebliebene Viertel bekommt Kapitänleutnant Richter: einen schwarzen Samtrock, eine Schatulle mit vielfarbigen Brokatbändern, ein Paar Stiefel mit vergoldeten Sporen, Hemden, Halstücher, Schnupftücher, einen goldenen Siegelring, eine Partie Korallen, sechzehn Dukaten und zwanzig Kaisergulden. Dazu ein Schimmel.

Einen Fingerring mit elf Edelsteinen und einen zweiten mit sieben Edelsteinen, die Richter schon früher beiseite gelegt hat, »weil sie sich nicht durch vier teilen lassen«, erhält er nun als Trostpreis. – »Ich aber lasse mir die leeren Mantelsäcke«, sagt Leutnant Bayer, »als Ersatz für Pulver und Blei.« Bewilligt. Man vereinbart noch, daß jeder seinem Reitknecht drei Kaisergulden schenken möge.

Die Teilung ist zu Ende, und die Herren setzen sich in den Schankraum, um zu zechen. Da kommt ein Reitknecht in die Wirtsstube gestürzt: »Der Tobis ist verschwunden!« Alle springen auf: »Der Hundsfott ist mit der Kette davon!« Tobis ist nämlich der Diener des Oberwachtmeisters von Haitmar, und in dessen Zimmer war eine Goldkette mit dem geflügelten Löwen von San Marco aufbewahrt, weil man dieses wertvollste Stück zu verkaufen und den Erlös zu teilen gedacht hatte.

Binnen wenigen Minuten ist gepackt, man wirft dem Wirt einen Kaisergulden als Bezahlung hin, und die sieben Reiter jagen in der Richtung gegen Arbesau dem achten nach, dem Hundsfott . . .

*

Maßlos verstört, atemlos und erschöpft, war am Vormittag des vorangegangenen Tages ein Soldat beim Amtmann des Erzgebirgsstädtchens Wolkenstein erschienen, um stotternd vorzubringen, eben habe man seinen Herrn, den Rittmeister von Münch, im Walde ermordet.

Der Anzeiger, der Philipp Schiller hieß, gab an, sein Herr sei heute früh mit vier fremden Offizieren aus Sebastiansberg abgeritten. Kurze Zeit, nachdem die Landstraße bei Reitzenhain in den Forst eingemündet war, etwa acht Uhr morgens, hörte der an der Spitze der Kavalkade reitende Schiller einen Schuß und den Ausruf seines Herrn: »Philipp! Philipp! Halt!« Sich umwendend, konnte er nur sehen, daß gerade ein zweiter Schuß abgegeben wurde: der am Schluß reitende Offizier feuerte seinen Karabiner auf Münch ab, und dieser stürzte mit zerschmettertem Haupt vom Pferde.

Im selben Augenblick begann man auf Philipp zu schießen. Der wollte davonsprengen, aber von den Schüssen oder vom jähen Tempowechsel erschreckt, stürzte sein Pferd über eine Baumwurzel. Und das war Philipps Glück! Zu Fuß entfloh er in das Dickicht, durch das ihm die Reiter nicht folgen konnten.

Von dem Anzeiger geführt, begab sich der Amtmann mit mehreren rasch bewaffneten Bewohnern Wolkensteins zu einer »die schwarze Tanne« genannten Stelle der Chaussee. Am Wegrand, hinter einem Busch, fand man den Leichnam Münchs, die Mörder hatten ihn dorthin geschleppt, um ihn ungestört und gründlich berauben zu können: der Tote trug nichts als ein Hemd . . .

Ein Kurier ritt in gestrecktem Galopp nach Eger, damit man von dort aus die Nachforschungen nach den Bluttätern einleite. Anhaltspunkte gab es, denn im Logis zu Sebastiansberg hatten die Reitknechte der Kaiserlichen mit Philipp über Herkunft und Reiseziel mancherlei gesprochen.

*

Dreizehn Tage nach dem Mord wurden die Täter ausgeforscht. Ihr Quartier, der Gasthof »Zum Stern« in Eisenach, wurde von Musketieren umstellt und die vier Offiziere festgenommen; von den Reitknechten, die bei der Bluttat in Böhmen anwesend gewesen, standen nur noch zwei in ihren Diensten, und von diesen hatte einer die Annäherung des Militärs bemerkt und sich beizeiten aus dem Staube gemacht.

Bei den Festgenommenen fand man den Raub. Nur die venezianische Goldkette fehlte, den Tobis hatten sie nicht erjagt, den »Hundsfott«. Sie gestanden ihre Bluttat teils freiwillig, teils auf der Folter, zu welcher die regierende Herzogin Maria Elisabeth von Sachsen-Eisenach ihre besondere Einwilligung geben mußte, weil es sich um Offiziere und Adelspersonen handelte. Oberwachtmeister Haitmar hatte den Plan ausgeheckt, Leutnant Bayer den tödlichen Schuß abgegeben, und Kapitänleutnant Richter die Ausplünderung des Leichnams besorgt. Der Hauptmann Ritter von P. wird – er ist in dem Konsortium mörderischer Schnapphähne der einzige, der dem Ritterstand entstammt – als Opfer der anderen hingestellt: er habe vorher gegen den Mord protestiert und nachher nur aus Furcht seinen Anteil genommen. In den Urteilsschriften wird bloß der Anfangsbuchstabe seines Namens genannt!

Beim peinlichen Verhör gab Haitmar an, Bayer und Richter hätten sich schon lange vorher als Buschklepper betätigt und auch in der Nähe Prags einige Italiener überfallen und ausgeplündert, bei welcher Gelegenheit Leutnant Bayer durch das Bein geschossen worden sei. Bayer und Richter leugneten diesen Straßenraub auch in den Daumenstöcken, in den Beinschrauben und auf der Streckleiter.

Am 23. Juli 1669 wurden auf dem Goldberge, einem Hügel vor dem östlichen Ende der Stadt Eisenach, im Beisein von vielen Tausend Menschen, Haitmar und Richter enthauptet und Leutnant Bayer zu Tode gerädert. Die Leichname wurden auf drei Räder geflochten, den Menschen zur Lehre, den Raben zur Nahrung. Und waren die drei doch allesamt wackere Haudegen.

 


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