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… In der Darstellung fiel mir Else Lehmann auf; ihr Lächeln; ihre Art zuzuhören; die Dinge mit den Augen einzurenken; diese Erdhaftigkeit, die Gott einen guten Mann und Sieben grade sein läßt; und dabei hatte sie fast nichts zu sprechen.
Der kleine Wolf gang Zilzer gab einen Piccolo; mit erwachender Frühlingsregung, bei Sekt und Upmann. Ihn werden wir, wenn er statt zwölf Jahre vierzig zählt, in einer autochthonen Nebenrolle wiederfinden … und rufen: »Damals war er der überzeugende Piccolo!«
Frau Frida Richard, geboren für Henrik Ibsens Tante Julie, hat nur einmal den Schauspielertribut gezollt. Die schreckliche Sitte besteht, gewisse Satzteile zu betonen, dann eine Pause zu machen; so sprach sie zu ihrem Neffen:
»Hab' ich denn sonst ein Glück auf der Welt als dir?«
Nach einer halben Stunde ging es fort: » … den Weg zu ebnen, lieber Junge?«)
Das Schönste: Marr in einer Seitenrolle: mit einem alten verjährten Organistenhaupt …
Gegenspieler war Herr Korff … Neulich, in den Journalisten, dacht ich: ein vorzüglicher Konrad Bolz, die haben einen entdeckt. Bis ich erfuhr, daß Konrad am Burgtheater als Liebling sich aufgehalten. Herr Korff ist also nicht Herr Korff, sondern »Aber ja, der Korff«. Eine Kraft für hübsche Männlinge.
Neben dem Notwendigen gab er diesmal was zum Besten: als ihn Mercadet bittet, die Rolle des Sozius zu spielen. Er könne – sprach Korff – alles, bloß keine Rolle spielen … Als Schauspieler zu wirken (sagt' er) sei ihm, dem Korff!, unmöglich … Von alledem steht kein Wort bei Balzac. Na, ihr könnt euch denken … So Korff, Arnold.
Ein Komiker Falkenstein – der wußte wie ein Dilettant zu wirken. (Daß man überzeugt war, er sei wirklich ein betrogener Professor, den man herzlos ausgestellt) … Dazu Korff. Nein: der Korff. Jener Korff aus dem Burgtheater! Man glaubt ihm nichts. Aber wie gut macht er das.
Philotas. Wenn man dieses Dämmerstück eines Taghellen meistern will, muß man die menschliche Sprache meistern.
Also nicht genuschelt. Nicht holpernd wischen. Nichts edel Speichelhaftes.
Sondern klingen muß es, kristallig und gedrängt. Jamben sprechen kann Lehmanns Kutscher. Doch eine Prosa, steingeschnitten – wer?
… Regie! Leitung des Sprechorchesters!
An manchen Stellen muß es heißen: »Prill ni a su!« wie der Schlesier Hauptmann sagt.
Das Holdeste war die Schauspielerin Tilly Waldegg. Eine schriftstellernde Frau? … Jott, wenn sie so wären!
Herr Landa machte den Präsidenten. Er hat vom Kino Einiges, doch nicht sein Bestes gelernt. Das Gute haben die Orska und Wegener da gelernt; Wegener eindrucksam in der »Gespenstersonate«, als Poe'scher Sünderich und Reuebold – der an Krücken so mystisch nie gegangen, gespenstert, geflogen wäre, wenn ihm der Kientopp nicht Bildhaftendes dafür gab. Herr Landa jedoch war bloß ein Gerichtspräsident für das Kino – nämlich zu deutlich-unterstrichen; zu sehr aufs Butterbrot schmierend. (Dabei hat er eine fesselnde, nicht entwicklungsleere Stimme.)
Die Schauspielerin Ida Wüst (in der Gestalt einer Kontrolldirne liebenswerter, als die meisten hierzulande sein mögen) stand mit ihrem Lächeln, mit ihrem ungezogenen Behagen, mit ihrer ruhigen Gassenmädelei jenseits von Richtungen und Verfassern lieblich da.
Der Schauspieler Junkermann kann mit einem Zinken, zwei Schnurrbartklexchen darunter, ein putziges Rüsselgesicht machen. Doch wie er beim Erobern eines Mädchens zu sehr mit sich und seinen komischen Wirkungen beschäftigt ist – alle Zeitalter hätten das gemerkt,
Erika Gläßner, Nelly, mit gebrochnem Stimmchen, fesch angezogen, so ein Schmollmäulchen, Kußmäulchen; so was Herziges weißte, das sie bei jeder Niedlichmacherei schon vorweglächelt.
Müßte bei Kotzebuen vollendet sein als Gurli – das Naturmädchen, so von gar nichts weiß. Von garnichts.
… Der herrliche Sauer verwitterte vor dem zusehenden Parkett wundervoll als gräfliches Bruchstück – (und war zweitausend Jahre alt.)
Fräulein v. Mayburg, als Phöbe, war niedlich; von großer Geliebtheit. Fräulein Abich, als ältere Schwester, von gütigem Humor. Herr Christians, als Hauptmann, war ein Besetzungsirrtum. (Er hätte die Phöbe spielen sollen.)
Es war kein heutiger Abend, sondern ein geschichtlicher. (Hans-Sachs-Spiele).
Die Dörflinge waren ulkig: obschon sie es auf Komik nur wie Dilettanten anlegten; justament hierüber mußte man jedoch lachen.
Eine heutige, wirklich hinreißende Komik von glatten Könnern hätte gestört! Das Lachen »mit« genügt nicht; es bedarf hier zugleich des Lachens »über«.
Herr D …ke, der seine guten Anzüge nicht lässig tragen kann (Griech. Wort fehlt) … und manchmal schlimmberlinisch unangenehme Vertraulichkeiten anschlägt – daß man denkt, er wird gleich sagen: »Guten Tagchen«. »Prösterchen«. »Wo hattu denn dein Wehwehchen?« Uäh.
Ich dachte hinterher an den zeitlich letzten schauspielerischen Eindruck, einen Zufall: an die tief haftende Anmut der Sybil Smolowa, die Montag vor ausverkauftem Haus im »Peer Gynt« getanzt, melodeit hatte … und in halber Knabengestalt am Hintergrund lässig, unvergeßlich entlanggeschritten war.
Forest war ein Säufer, ein Tier, das einmal vom Rausch erwacht, sein Leben überblickt, sein dämmerndes – und sich ausrotten muß. Ein Viechszusammenfassen der Gattung Mensch.
Bankdirektor von Bergen wurde durch den (oft geistreicheren) Herrn Blümner gemacht. Blümner ist ein Darsteller für Bohèmehaftes … und mußte hier streng und kühl einen schwarzen Kommerziengehrock tragen. In diesem Dilemma sprach er voll Ernst kurz entschlossen durch die Nase – und das Publikum lag unter den Sesseln.
Senta S. Tat ihr Bestes. Wollte nicht zu wenig rauh erscheinen. Das ist schon etwas. Unterstrich es jedoch für die Zuhörer.
Sie war nicht rauh; sondern schrie: »Was bin ich rauh!«
(So glaubte man ihr nicht.)
Tugend und Mangel der Aufführung … Ihre Tugend war: zum erstenmal von dem hier unbekannten Lavedan ein Bild zu geben. Ihr Mangel: daß dieses Bild gänzlich falsch war.
Ein Fortschritt im Spiel bleibt anzuerkennen; es war sehr schlecht. (Früher war es miserabel.)
Ehe man ein Wort über die Darstellung (der »Möwe«) sagt, ist Ihrer zu gedenken: Konstantin Alexeew; auch Stanislawski genannt. Stumm, und ohne zu vergleichen. Nämlich, um Sie nicht zu erstaunen – und Herrn Robert nicht zu entmutigen. Was Sie aus Tschechoff gemacht haben; wie die Dämmerungen dieses Toten Gestalt bekamen und der Schlaf einer slawischen Welt in Klängen des Schweigens tönte: das bleibt in uns, solang' unser Hirn sich erinnern kann.
Die Sorina war Frau Carlsen.
Seltsam. Andres schwebt mir vor. Aber was? …
Groß; walkürenjung; kraftflügge; mit eingezogenen Mädelnüstern; klug wie zwei Männer und hold wie ein Bauernkind; fragend und frech und still; lughaft und voll Wahrheitstrieb; die beglückendste und zerreißendste der Frauen; die lindeste und verlorenste – die einer, wenn er sie trifft und blutend von sich stößt, niemals, niemals, niemals vergessen kann.
Wollte sagen: so stellt sich einem die Sorina vor – und der Schauspielerin T. Carlsen ist eine Schuld nicht beizumessen, wenn sie anders war. Sie war ganz erträglich.
Die Dirne bei Wildgans, die schwermütig edle Dirne, mit dem fremden Tonfall, vastehste, war Dagny Servaes. Aber sie war weit mehr.
Etwas verblüffend Fertiges. In keinem Zug undicht. Mit neunzehn Jahren eine Meisterin. In dieser Jugend ein Gipfel. Sie hat nimmermehr geschaut, was sie spielte – und blieb doch ahnungsvoll ein Allerwirklichstes.
Hier strahlt eine ganze Zukunft.
Österreich hat noch immer die seligsten Frauengeschöpfe. Dieses Fräulein Erika v. Wagner, welche die Agnes macht, ist von einer so himmelsvollen Herrlichkeit im Aussehn, daß man kein Recht hat, zu mißbilligen, wie sie redet. Hier ist ein Wunder, glaubet nur. Jemand kann die höchste Kunst im Gesichtsbau tragen, in den Lidern, in der Mundform, in den Brauen. Warum auch noch, zum Donnerwetter, in der Zunge?
Ein Strahl aller Erdenherrlichkeit fiel auf dies hohe und seltne Wesen.
Herr Bildt stellte den Münchhausen vor. Mit einem noch weinerlicheren Sprachton als Eulenberg will. Ist er aus Schlesien? Er spricht etwa statt »Sarg« ausruhend-weichlich »Sarrig«. Statt »Gold« zerrend etwa »Golllld«. Manchmal sprach er so rührsam, als ob aus einem Stammbuch vorgelesen würde: »Gedenke einst an meinem Grabe, wie sehr ich dich geliebet habe.« Doch hat bisweilen ein Pfiff … oder ein Herumfahren oder ein Rittlingssitzen an die Urgestalt erinnert.
Mary Dietrich? Ein Mädchen mit frauenjunger Kraft; nicht mehr eine Hoffnung, sondern fast eine Erfüllung. Ein Kerl aus einem Stück und doch vibrierend. Sie sei bloß nicht innerhalb eines Abends zu sehr aus einem Stück.
Sie tilge mit Schwert und Feuer die letzte Spur von Gelerntheiten – und mache drei Kreuze vor etwas Hoftheaterton aus der Schülerzeit, der manchmal durchspukt.
Forest (als Dramatiker Albertus Rhon; als Vize-Schnitzler) sah wie Peter Altenberg aus; ohne leider Altenberg zu sprechen.
Und mit einem Wesen, einem Äußeren, daß ihm niemand einen Kartellträger geglaubt hat.
(Warum werden Schriftsteller jedesmal so verzerrlich gemimt – Donner-und-Doria-Kruzitürkensakrafuffzigeinhalbnochmal?!)
… In der Darstellung war Josefine Dora mit einem Gestus auf der Höhe. Mit einem rupfenden Greifen. Mit den gekrümmten Fäusten und dem Kitzeldrang einer alten Trommel, die es irgendwo juckt. Dieser Gestus wird bleiben.
Singwirkungen boten die Chöre vormals. Heut wünsch' ich mir als Choragen den Wüllner; er blüht auf einem Gefild zwischen Gesang und Sprechen schimmervoll und wunderbar.
Da die Noten dieser hellenischen Sänge verweht sind, wäre sein, für mein Gefühl beispielloses, Liedsprechen am Platz.
Das Braunkind, Fräulein Ressel, besaß ein suggestives Außenbild. Aber zu reden wenn sie begann, – oh, oh!
Reizend Waßmann als Oskar Fiebig, Gelegenheitsdichter; die wahrste Figur. Bisher gab dieser Schauspieler (ewig gleich) die jungen Blödiane. Gut, daß er sie verläßt. Man weiß nun, daß er auch ältliche, platt-verschrobene Berliner rund, farbig, überzeugend, kostbar machen kann. Er ist ein Gewächs. Ich dachte: – Falstaff? …
Für den Falstaff ist er zu sehr Mäuschen … Schade. Manches davon müßte trotzdem erschütternd herauskommen.
Und das Deutsche Theater wiederholte die Kainzfeier mit Verstärkungen, indem es den König Herrn Waiden zuwies: um die ganze Größe des Verlustes zu betonen.
In diesem Perser war so viel Spittelmarkt.
Oskar Sauer war, bei Eulenberg, nicht genug aus Tarascon, sozusagen; er hatte nicht alle Vollblütigkeit eines jeanpaulisierten Tartarin (um in Abkürzungen zu sprechen); er war aber doch im tiefsten Sitz der Seele so, wie kein Tartarin es sein kann. Längst nicht mehr ein Mime. Sondern ein Mitlebender von innerster Bedeutung.
… Herr Artur Bergen gab den alten Lewin. Er hatte nicht, was noch in solchen umästelten, überwucherten Knickern lebt: etwas verborgen Machtvolles.
Pohl gab den Juden: mit einem Gesicht voll unterirdischer Festigkeit – im Flimmern. Mit einem Ton der nicht mehr zu beirrenden heiligen Erfahrung.
Den Mardochai machte Landa. Was er gab, war fast nur ein Ghettojüdchen; ein Haufen Unglück. Bei Grillparzer ist er jedoch (nachher, in dem nichtgespielten Teil) an gewissen Stellen ein gotterfüllt stolzer Mensch; ein Mensch, dem die Sklavenwirtschaft bei Hof Ekel aufsteigen läßt. Man glaubt aber dem alten, galizischen, blinden Uhu des Herrn Landa diese Kraft im geringsten nicht.
Herr Alwin Neuß, als Liebhaber. Nicht schlecht, nicht schlecht … Nur daß er sein Hauptwort ein bißchen schuldig blieb, vor dem Untergang: »Ich habe gelebt.« Wie hätte er das sagen müssen? Es gibt eine Analogie in dem Lövborg, den Reicher vor einem Lustrum spielte. Beim Abschied sprach er da zum letztenmal die Worte: »Hedda … (Pause) Gabler.« In dieser Pause zog ein Dasein vorüber. So irgendwie, dem analog, hätte Herr Neuß sagen müssen: »Ich habe gelebt.«
Er erklärte jedoch, daß er gelebt habe.
… Die Darstellung Lilienfeins im Deutschen Theater, war im allgemeinen widernatürlich schlecht. Der Vater, ein Schullehrer, wurde als Pfarrer gegeben; der Kaplan als Rabbiner; der Liebhaber als Sommerstorff. Ein junges Mädchen machte den Kohl nicht fett. Die Mutter gab natürlichere Töne.
… Reicher verfehlte den Kozakiewicz. Er hätte mit ganz leichtem Akzent sprechen sollen; das Polnische kaum wahrnehmbar. Er gab jedoch einen Mikosch. Er gab jedoch einen Hochstapler. (Es soll ein herzleidender Bibliothekar sein: er trat jedoch als Paderewski auf.)
In der Gestaltung dieses Gudrun-Dramas, des preisgekrönten Irrtums, bleibt mir, neben der innerlichgroßen Triesch, Emanuel Reicher im Gedächtnis – der als wüster, wilder, breiter Wate (nicht nur als Tate) zu überzeugen vermag.
Jenseits von allen: der Max, der Freund, der Beobachterich, der Lächelnde, mit einem Wort: der Reicher … Ausgesehn hat er ja manchmal wie ein Cafetier – aber gesprochen, Dinge gebracht, Zustimmungen geblinzt, Einwände geschwiegen … wie ein Meister – wie dieser Meister.
Statt Westpreußisch, bei Halbe, redete man Ostpreußisch. (Obgleich der Unterschied zwischen Westpreußisch und Ostpreußisch so groß ist wie der zwischen Spanisch und Portugiesisch. Oder zwischen Neoptolem und Napoleon. Oder zwischen Pontafel und Pantoffel. Oder zwischen Kaufladen und Kuhfladen.)
Fräulein Ritscher sagt »bälohnän« und ist aus Ungarn; aber ein Talent; (sie kommt ans Burgtheater).
Fräulein Ritscher gab die junge Frau. Einst wundervoll bei Strindberg. Dann lang im Gedächtnis haftend bei Hans Kyser … Jetzt schien sie gezähmt. Sie spricht allmählich deutsch; nicht mit der Bétonung auf der ersten Silbe, ungorisch. Sie spricht eine hiesige Sprache. Doch sie lasse sich das Urwüchsige der ersten Überraschung und der ersten Herrlichkeit nicht schwinden. Nicht bürgerlich werden! Nicht in Reih und Glied rücken.
Sondern Melodie haben – das ist alles. Und keine Furcht auf den Brettern haben: das ist noch mehr als alles.
Der Schauspieler Sabo hat Eigenschaften: doch mehr berlinische denn persönliche. Die Leute bejubeln in ihm … eher eine Stadt als einen privaten Menschen.
Daneben spitzpüppchenhaft, porzellankalt, das Fräulein Lisa Weise.
Lisa Weise, Schauspielerin, hat im Sprechen und Singen was Stricknadelspitz-Anmutiges; (»selbst herzlos, ohne Mitgefühl«); mit Knixen; kurz: aus dem Ei gepellt … Und Sabo: mit dem guten Gemeng von schlapper Nettheit, Berlin, Bellmaus.
Er tanzt niemals wie ein Berufstänzer – stets wie ein dafür begnadeter Einzelmensch.
Die Schauspielerin Ury, (Putte, Liliputte) war im Beginn voller Flanelldreck auf eine hoffnungsvolle Art. Nachher begann sie herztausig zu werden – mit dem Zirkuslächeln voll Angst.
Dies puppige Fräulein stand neben Adalbert, mit seiner Wurstruhe, der nicht zu tanzen versteht. (Beide zusammen: der falsche Sabo und die koschere Lisa Weise – möcht' man sprechen.)
Zum Schluß erschien eine Käte Haack. Entzückend. Auch wenn sie nicht singen kann. Schlicht; semmelhaft; wie von einer Haustür fortgeholt. (Wozu noch Musik?)
Orest ist Schweigen. Herr Aslan, mit dem feinen Vornamen Raoul, wirkt (ohne die Grüfte gegen ihn mobil zu machen) als ein Schönling; der sich vor Langweile wahren muß. Ihn soll man durch den Naturalismus hetzen, jagen, peitschen.
Erst wenn er aus diesem wichtigsten Menschenbad aller Kunst hervorsteigt; erst wenn er umgeschüttelt ist, bis das Unterste zu oberst klafft; erst wenn ihm das Hermetisch-Noble ganz gelegt ist: dann soll wieder mit ihm gesprochen sein.
Man lasse den Mann zur Übung sechs Monate nur Chargen geben.
(Und warum lernen die Leute nicht, daß einer an felsigem Strand sichrer muß gehn können; daß an keinem Theaterbaum gerüttelt werden darf; daß endlich, wenn jemand auf Steinstufen niederfällt, es nicht bummßen soll? Schauspieler wie Herr Aslan schmeißen sich hin, ohne Rücksicht auf Täuschung.)
Wundervoll waren zwei; bei Hans Kyser. Marr als Professor. (Dazu hat er noch schlesisch gesprochen, daß einem ganz absonderlich wohl ums Herz wurde. Kostbar.)
Und Frau Sussin … die Mutter. Das letzte Handgeben, lange noch im Vorübergehn ein Festhalten, als sie schon wirklich vorbei war; die Frau zu der Frau … Ersten Ranges.
Das Beste der Sussin war, im Gabriel Schilling, eine Art Gestöhn mit hysterischem Schluckauf; fast mit etwas Magenkrampf; dies meisterhaft.
Mathilde Sussin, längst von Ibsen her unsrem Gedenken wertvoll verhaftet. Eine von den Schattengestalten dieses größten Theaters der Unscheinbarkeit, der Seelen … Jetzt war sie ein Bühnenfrauenzimmer; »Annie«. Vor dem Abschied. Hundeschnauze. Rüdig; tonlos-sicher. Ein unbeirrbares Stücke Pöbel. In diesem stählern unverrücklichen Im-Rahmen-Bleiben: ersten Ranges.
Dann Camilla Eibenschütz. Sie blieb wiederum die Charakteristik schuldig, brachte jedoch wiederum ihren wehenden Reiz. Diese Darstellerin ist ein kindhaft glückliches Fräulein Rührmichnichtan; eine zarte halbdrollige Blume; ein im Schlafe wachsendes leises Geschöpf. (Sie war nur das nicht ganz, was sie hier hätte sein sollen.)
Camilla Eibenschütz war hold als Gretelchen. Die kindhaften Bewegungen erschienen nicht als Kurzes-Kleidchen-Getue, sondern wirkten meistens echt, – bis in einer Hauptszene mit der Mutter doch die zwanzigjährige Klugheit einer Gereifteren durchbrach …
Sonst öfter hold-madamig mit wehvollen Kugelaugen.
An der Tür stand die Herterich. Hilde. Im »Weiten Land«. Er kann getan haben, was er will – sie folgt ihm bis an die Schatten. Sie schenkt sich ihm (oder schenkt sie sich ihn?); Hilde Wangel, populär und ringstraßig. Nein, Hilde Herterich. Dieses wunderbare Mädel. Wie sie zuletzt an der Wand gestanden hat. Wie sie unter dem Hut vorsprach, im Anfang, und gradehin sah. Wie sie mit einem Baßton anfing …
Das Gesicht fest – doch mitunter zerfasert …
Der Nachwuchs in deutscher Schauspielkunst braucht niemandem Sorge zu machen.
Anatols Bianka, so durch Reifen springt, war Fräulein Hilde Herterich.
Sie hat gewissermaßen eigentlich nicht mitgespielt; aber sie ist dagewesen. (Mehr soll sie kaum.) Sonst ist sie regenfrisch und frühlingsfest und ein Elementargeistmädel …
Hilde Herterich; die Tochter. Bei Eulenberg. Das Kind des geldfremden Träumers. Lange denkt man an dergleichen. An diese umstandslose, tiefe Selbstverständlichkeit im Erleben … und im Weggehn.
Alexander gehört noch heute zu den ernstesten Künstlern Berlins; jetzt wirkt er manchmal, als spräche leis die Aufregung eines Direktors aus seinem Ulk. (Hinter der Komik steht, ganz schattendämmerig, die Verantwortung …) Er war ein Fridolin; ein Lämmchen; ein blondes Schlemihlchen; eine dumme Teuf; ein Musterjosef: er bekam überall Schläge. Dafür zuletzt ein junges Mädchen als Frau, mit der (dacht' ich) er glücklich sein und Kinder zeugen soll.
Schauspielerinnen traten nicht auf. Die eine davon hieß Ada N.
Die Humorkraft dieses Alexander liegt jetzt weniger in dem Aufschlagen der Hand aufs Knie, er tat das nicht ein einziges Mal; sondern mehr zeichnerisch im Zusammenwirken des langen Oberkörpers mit der Gesäßlinie.
Bevor man zu Kayßlers Gattin Fehdmer kommt, sie spielte Tora Parsberg, sei Richard Leopolds kostbares Eunuchenfalsett (er gab etwas wie einen politischen Dramaturgen) ehrenvoll und mit Dank verzeichnet.
Nun, unaufhaltsam, zur Fehdmer … Sie blühte dem Gatten zu. Verstand hegte sie und war doch Weib. So blieb die Torarolle gut in ihren Händen. Bloß im ganzen schien sie mehr stark in Liebeswerten als im Schmerz. (Auch blühte sie dem Gatten zu – nicht aus Nordland, sondern aus dem Lande Slavien.)
… Fesselnd sogar in dem Auftritte des Sichfindens. In der bei Björnson gräßlichen Liebesminute, die so recht wonnig-keusch und gesegnet-erfreut ausspricht – was man schweigt.
(Nur ein Wort fällt hier, das unpeinlich ist und nachklingt; er faßt sie an und ruft: »Ich muß dich fühlen – noch einmal!« Voll menschlicher Empfindung, untrügerisch. Es war der Gewinn des Abends.)
Plautus, den fixen, freundlichen, schlauen Kerl, beschwor Herr Altman leidlich lobesam.
Was, alles in allem, herauskommt, ist ein besserer Bierulk. (Wobei man auf die Geschichtsentwicklung eine nachdenkliche Pupille schmeißt.)
Die Gestalterin eines Dienstmädchens (mit himmlischem Geruch von Müll und Küche), bei einem Frauenzimmer angestellt, gab Haftendes. Fräulein Alice Torning.
Alle wie sie: so wäre nicht bloß geschmunzelt worden, sondern gelacht. Nicht bloß gelacht – sondern gekreischt.
Thaller, welcher den Helden machte, erschien in zwei früheren Rollen als eine unmittelbar einschlagende Kraft. Man fühlte sofort: hier ist einer zur Bewältigung solcher Aufgaben vom Schicksal bestimmt.
Was ich damals sah, war von ungefähr: ein älterer Lemur mit »neckischen Gebärden«. Und ob dieser Schädelbesitzer, dieser seltsame Lächler und Minaudierer in dem Kleistschen Dorfrichter agil wurde; ob er den Schalanter des großen österreichischen Schmierenkomödianten verleiblichte: man sah, daß er nur zwei Jahr' in Berlin zu sein brauchte, um sich die Unterstreichungen abzugewöhnen und ein Stück seiner eingeborenen Prachtkunst rein zu bieten.
… Hier aber, bei Fellinger, sprach er keinen Dialekt. Er machte einen »Charakterhölden«, – er war wie ein Schwan auf dem Lande; fast in jedem Zug behindert. Und er fiel sogar in die noble Stöllung.
Bei alledem hat er den Schönling, der auch in einem Bureaubeamten stecken kann, überzeugend gemalt … und es war bei dieser Potenz nicht zu vermeiden, daß er einiges Erdhafte, einiges Süddeutsch-Gewachsene dennoch eindringen ließ. In summa: zwei Jahre …
Die Schauspielerin Binder war die Staatsanwaltin.
In Stimmklang und Wortmusik ist sie von seelenschweren, sozusagen nervenholden Ahnungen trächtig – was hier manchmal wie Gemachtheit herauskam: weil sie keinen Anlaß hatte, sich an Dingen von starkem Ernst auszuleben.
In diesem Schusselchen steckt aber, neben andrem, auch Gemachtheit. (So daß die Gemachtheit befugt war.)
Unter allen Umständen ist Sibylle Binder bei stark zeichnerischen Gaben eindringend im Flimmerhaften.
Unlängst schien sie (als Bursch im »Julius Cäsar«) kirgisisch; jetzt neigt sie fast nach Siam; oder in ein absonderliches Peri-Land … mit diesem denkwürdigen Brauenstrich.
Die Vorführung eines Antimiraculums war … in äußeren Wirkungen manchmal naiv unvollkommen. Ich merkte das, da ich eben von Lourdes kam. In der Einzeldarstellung nicht bestürzend, aber auch nicht störend. Nur der Schauspieler Herrmann Wlach schleicht sich als ein sehnender, zitternder, grübelnder, saufender Schattenmensch für längere Frist in die Seele …
Dem Hebbel-Theater bleibt ein Verdienst anzukerben. Der Eindruck war, ohne bessere Wünsche zu stillen, doch von einer schlecht und recht so starken Wucht, daß von oben eine Frauenstimme mit Schreikrämpfen das furchtbare Echo der gemimten Menschenrufe, Menschennöte, Menschenwirren hergab.
Der Schauspieler Schroth machte den Staatsanwalt, – zu dem sich die Erzieherin vormals geflüchtet. Dieser Würdenträger ist, wenn man so sagen darf, einer der vielen, von denen sie sich die Unschuld rauben ließ.
Herr Schroth streckte rechtwinklig Hände vor, wie bei Gulbransson. Das war komisch genug.
Nachdem der Gesamtstil, die Gesamtauffassung unzureichend waren; nachdem war jeder einzelne Darsteller im einzelnen besonders unzureichend. Die selige Verderberin, die Teufelinne gab Fräulein Fr. – Diese Gioconda ging vormittags mit dem Korb einholen. Ihre bürgerlichen Vorzüge kamen durch. Zum Schluß tobte sie plötzlich. Da werden Hausfrauen zu Hyänen.
Den Nervenmann gab der gediegene Pitschau, mit Urkraft; ein Vorsitzender.
Herr Licho nimmt das vorweg, was der Zuschauer tun soll. Darin ist er ein Typ … Der Schauspieler hat eine Gestalt zu geben, das Publikum hat sie zu erläutern! Herr Licho gibt aber eine Gestalt und erläutert sie auch schon selbst. Dahinter steht eine ganze Schauspielergattung; diese Leute spielen nicht so, daß eine bestimmte Wirkung infolge des Spiels im Zuschauer eintritt … nein: sie streichen die Wirkung vorher aufs Butterbrot.
Herr Licho wartet auch nicht, bis er komisch wirkt; sondern er scheint zu rufen: Nu, bin ich komisch?
Herr Arndt, als Hebbels Benjaminchen mit Leibschneiden, glich einer bösen Maus. (Sie wurde mit ihrer … Situations-Kolik, möcht' man sprechen, eine recht ulkige Maus.) Zuletzt flitzte sie pfiffig und aussichtsvoll von hinnen, hastdunichtgesehn.
Dann, bei Kleist, war er mehr ein Marderchen. Ein alter Spitzbube, der sich gern anfreunden möchte – mit den Bewegungen eines Marderchens … Verkroch sich hinter die Gesetzbücher … Blinzte, schielte, schnupperte, zuckte … Ein kleiner Schuft … Um es aber, trotz dem Jubiläum, glatt herauszusagen: dieser prachtvolle Künstler hat ein paar gute Bewegungen in jeder Rolle, doch sie kehren zu oft wieder. Das ist es. Besser verteilen.
Ich will gegen die Darstellung nichts äußern. Aber noch weniger für sie. Also nichts über sie.
Höchstens, daß man solche Reißer in Frankreich getönter und wirklicher spielt.
Dort muß man dergleichen sehn, kann das Stück verachten – den Abend bewundern.
Robert Schumann (-Zwickau) sagt: »Italienische Musik soll man unter italienischem Himmel hören.«
(Er fügt zu unsrem Trost hinzu: »Deutsche Musik hört sich freilich unter jedem Himmel.« Musik? Ja.)
Wundervoll war die bisher nicht bekannte Agnes Straub. In Legais »Lätare«. Eine bäurisch-borstige Ella Rentheim. Man möchte sie beim Ibsen als wirkliche Ella sehn.
Hier kam sie … langbeinig, mit einem Gesicht aus Worpswede; hinter der Spinne verklungene Frauenlieblichkeit.
Wie ein süßes Fresko, längst grau überschmiert.
In etlicher Hinsicht ersten Ranges. (Nur ein paar Klänge mit Unterstrichenheit.) Im ganzen denkt man da nicht an eine Schauspielerin: sondern an eine, der es widerfuhr.
Herr Kuhnert gab den Freund. Von Wedekinds Keith. Der Darsteller war bei Anzengruber als erschossener Unteroffizier erfreulich (nach dem Eintritt dieses Zustands), dann als Hidalla-Rassenfürst wohl zu leiden. Für diese Gestalt aber, Ernst Scholz benannt (ein Vetter von Gregers Werle, dem Ewigkeits-Schlemihl), fehlt ihm der tragische Linienhumor … er gab einen schneidigen Menschen, der traurig ist.
Eine junge Schauspielerin, Käte Graber, brachte gut (bei Legal) schlitzgeäugt Balzendes neben dem Knechtischen an einem Freudendirndel im rot verschossenen Rock.
Wer soll den deutschen Grafen spielen? Bei Vollmöller. Der muskelstarke Vertreter männlichen Deutschtums? der (natürlich auf sky endigt und) am Schauspielhaus wirkt – Matkowsky? Ich zöge Rittner vor. Colombine sagt einmal zu dem Helden: »Warum spielen Sie Komödie?« Ich wiederholte still gegen den darstellenden Direktor: »Warum?« … Es heißt, außerdem, nicht: »Mit wem leebßi?«, sondern »lebt sie«; es heißt nicht: »Ahms«, sondern »Abends«.
Warum also –? mit dem Stimmklang eines erloschenen Väterspielers …?
Die kleine Orloff belebte den Bischofsberg. Ihre Metall-Anmut ist hier ganz entzückend. (Ihre Fühllosigkeit wirkte, diesmal begründet, als junge Ahnungslosigkeit.)
… Fräulein Bötticher (als Schelm) gab eine handliche, kesse Blondheit mit Schultern. Sie artikuliert nett. Gemacht, ahnungslos, fischig – aber nett. (Während eine so starke Künstlerin wie Else Lehmann etwa »Fdeude« sagt oder einen »gdoßen Kdeis« erblickt.)
Herr Junkermann; Fräulein Bötticher; aber der Rest … Die Zionistin, welche die Marquise gab, schien mir entwurzelt.
Auch die sonstige Welt der Gesellschaft war, sozusagen, ein Zustand.
Ein Wort über den Wedekindstil, der nottut.
Die Darsteller müssen ernst sein. Damit man … gewissermaßen unfreiwillig über die ernste Situation lacht. Nichts dürfen die Schauspieler vorwegnehmen – nicht etwa zwinkern: jetzt spielt eine ulkige Sache … Sondern wir allein sollen es ulkig finden.
Wedekind gibt eine neue Form des Gelächters: man will es verschlucken und gurgelt – als müßte man sein Lachen (mit Rücksicht auf die auftretenden Personen der Handlung) verbergen …
Diese ernste, unentwegte (scheinbare) Verrücktheit beim Wedekind soll der Schauspieler achten.
Eine Darstellung von Wedekinds Liebestrank muß beinah Märchengestalten bringen. Nicht nur Caran d'Ache: fast Goya. Der Schauspieler Rottmann, wenn er schon nicht Goya war, sondern vielleicht wiener Witzblätter, war köstlich … Frau Grüning als Fürstin muß mit einer ganz veredelt-abgeklärten Fatzke-Huld reden, daß man nicht mehr lächelt, sondern röchelt.
Sie tat einiges hiervon.
Doch Herr Abel als Macher, Einrenker, Zirkusmensch, Triebfigur verfehlte den Stil. (Für solche Sprechaufgaben mit besonderlicher Tönung ist zur Regie geboren William Wauer, der sich zu verplempern scheint.) Der Ton muß noch ruhevoller sein, noch ahnungsloser: während Herr Abel schon zuviel erläuterte. Er darf nicht wissen, welche Komik seine Rolle birgt! Herr Abel wußte das. Ecco.
Denn Wedekind ist oftmals: der freiwillige Organisator des unfreiwilligen Lachens …
Wedekinds »Büchse der Pandora« wird einmal in Berlin dargestellt – was lebt im Gedächtnis?
Aus dem ersten Akt … am stärksten ein Nebeneinander-Hinhallen getrennter Seelen. Aiwa redet vor sich, als ob die übrigen auf einem andren Stern säßen.
Jeder fliegt auf seinem Stern.
Manchmal eine Kreuzung von Bahnen. Ewiges Abweichen: zwischen Triebmenschen … und glücklosen Hochmenschen.
Das Ulkige des Kraftmanns und Gewichtstemmers (das er im Buch hat) wird vom Schauspieler stark ermäßigt: weil der Schauspieler Das sagt, was über ihn der Zuschauer hätte sagen sollen. (Typisch.)
*
Zweiter Akt. Auf die Darstellung besehn. Es lebt im Gedächtnis: Lulus halb scharrende, halb streichelnde Gebärde nach der Frackbrust eines Lumpen hin; eines Mädchenhändlers. (Sonst gab die Schauspielerin Leistungen, statt Eigenschaften. Lulus begriffenes Wesen … statt: Lulu.)
Der Mädchenhändler. Phantastische Ruhe des Worts. (Die Rede: Weltstadt; die Maske: Vorstadt.)
Im Gedächtnis lebt ein gradhin von Pascin gestrichelter Bankier. Nicht weniger als von Pascin.
*
Der große Schlußakt. In der früheren Form des Buchs schlagdunkel; mit tappenden Wuchten von Shakespearescher Gewalt …: von einer Gewalt, wie Shakespeare sie heute nicht übt.
Der Zielsetzer, der Stummacher, der letzte Liebhaber kommt.
Wedekind gab ihn. Doch nicht tappend, einsilbig, schwarz, wie er geschrieben ist: sondern mit Hin und Her. Mit einer Aufgeregtheit im Belauern, – die beinahe sprang.
Eine rasche Schreckensbegebenheit: statt eines letzten Pochens unaufhaltsam.
*
Alwa … Ein Hamlet, welcher seines Vaters Mörderin in der Gegend ihrer Strümpfe liebt. Beispiellos, wie einer hier sein Widerbild wird; wie ein Mensch aus dem »Verein Ehemaliger« das Letzte der Zuhälterei durchbebt, an der Türe lauschend mit noch einem – währenddessen. Humore zwischendurch: »Es ist nichts hier in London. Die Nation hat ihre Glanzzeit hinter sich … Nicht mal ein seidnes Halstuch hat der Kerl! Und dabei kriechen wir in Deutschland vor diesem Lumpenpack auf dem Bauch! …« Ja: dieser Akt hat seinesgleichen in der uns bekannten Literatur nicht.
*
Inmitten des Schwarms, durchnagt von Liebe, durchnagt von Hunger, steht als etwas kaum zu Vergessendes in der Geschichte des Dramas ein Zwitterwesen; die Freundin; unterhalb (oberhalb?) … außerhalb des Geschlechtsüblichen. Sie läßt aus der Einsamkeit ihres Körperbaus, ein andrer Hamlet, Rufe schallen; Fragen pilgern.
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Vater Schigolch; der Schauspieler Steinrück erschien zugleich flimmrig, zugleich wirklich. Zwischen dem Linearen und dem Naturalistischen.
Die Geschwitz? Die Schauspielerin gab meisterhaft einen runden Vollmenschen: aber ich denke die Gestalt in schwirrenderen Linien.
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Ich denke das Ganze … witternd und zerfeint. Eine Phantasma-Kunst. Mehr flimmrig als wirklich.
Gaukeln und Halbtierwahnsinn; geiles Licht und verhangene Schädelstätten; Tupfen, Meckerrhythmen, kalte Zucktakte; Menschenrufe, Menschenrufe; … (und die Posaunen des Untergangs).
Hinterher, wenn alles geschlachtet ist, etwas wie ein Scheideklang an die Schönheit … Das Nachhallen an Eine, die nun ein duftender Fetzen ist … Der unaussprechliche Gruß: Sie sei, wie sie wolle, sie war doch so schön …
Hebbels Klara. Fräulein Maria Mayer ist, wenn das Wort nicht unhöflich klingt, ein ausgezeichneter Kerl. Schon ihre Stimme bringt die Echtheit einer leuchtend ehrlichen Natur, einer zuverlässigen.
Aber man warne sie vor Rührung. Und vor Eintönigkeit.
… Sie hatte sich zudem, übertreibend im Selbstverleugnen, ein Äußeres gemacht, als ob sie nicht das erste Kind kriegte, sondern das sechste, nach einer Reihe von Hungerjahren.
Warum? Darf Hebbels Klara nicht halb wie eine junge Heilige blicken?
Eine Tischlerstochter; nicht eine Tischlerswitwe soll sie sein.
Im Schauspielhaus mit dem kräftig-alten Theaterton der Poppe, das war die Klara … nicht Hebbels, nur der Hebbel-Zeit. Mit der Sorma war es der süße Mädchenschatten, der dahinging, sich ausmerzte, verlosch. Mit der Triesch war es der Hebbel selber. Fräulein Maria Mayer gab … die weniggwordene Klara; zerheult; zerdrückt; zermagert; ein Mariechen von Magdala; mit arm bescheidenem Nackentuch.
Dennoch eine wertvolle Künstlerin. Im ersten Akt war sie ergreifend.
Exls tiroler Bühne. – Ich bilde mir stets ein, Bismarck habe, wenn er an Gerlach schreibt: »Diese süddeutschen Naturkinder sind sehr verderbt«, an Gebirglertruppen gedacht, so Theater spielen.
Da ist eine ledige Bäuerin; halt a bißl sehr g'schminkt; auch in der Stimm' g'schminkt.
Da schiebt eine Dirn, die umarmt wird, sogleich das G'sichtl zum Parkett, waaßt, wie man das in Histrionenanstalten lernt …
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Auf der andern Seite: Episodenspiel von glänzendem Wert. Und was geben sie vom Volkstum?
Dies: man erfährt nicht, wie es in den Alpen zugeht. Aber scho', wie's in die Alpen Theatter spüll'n. Kruzitürken. Sakrafuffzig. No amal.
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Wenn sich ein auf 12 km als Schauspielerin erkennbarer Bub unecht hinsetzt, zurücklehnt, in so recht betonter Knabenhaftigkeit falsch mit den Haxen baumelt, Theaterhosenträger über dem schlohweißen Hemd, schlimmen Perückenflachs auf dem Frauenkopf – das hab' ich gern.
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Tut nichts. Der Rest verdient ein Lob. Das Plus überwiegt. Die Gesellschaft ist durch den Naturalismus gegangen. Otto Brahm hat, sei es für die entrückteste tiroler Truppe, nicht umsonst gelebt; die Fernwirkungen seines hohen Stiftertums leuchten auch hier.
Herr Exl selbst als Auszügler-Erbe: mit den Händen in der Taschengegend. Zwischendurch sorgenvoll. Mit dem alltäglichen Blick nach der Seite. Er ist, wie so Menschen im Fahrwasser der Umgebung: halb ein Gewissen spürend, halb doch mitmachend. Meisterlich. Dicht und deckend.
Eines wird klar: Diese Tirolkünstler sind gut als schlechte Menschen; schlecht als gute Menschen.
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Das Edle machen sie fürchterlich.
So die ausgezeichnete Mimi Gstöttner mit ihrer angenehm schneidenden Stimme; rühmlich beim Anzengruber als unwirsches Mädel mit einem Kind, zerkudelt und nicht sauber. Dann gräßlich als blitzpoliertes Dearndl mit zwei g'schamigen Zöpfen und dem zuckrigen Ausruf (zur Tante): »Leni-Maam!«, daß der Gebirgssirup nur so auf die Planken sabbert.
(Dann aber war sie, bei Rudolf Hawel, wieder echt als Bißkurn oder Keifmaul; hinter dem Vorteil her mit Frauenversessenheit. Fast verdient hier eine den Ruhmnamen der tirolischen Gstöttner-Lehmann.)
… Die Freie Bühne kam auf ihrem großen Erdenlauf in die Bergtäler, Wachstum stiftend.
Wie soll man die drei schlechten Stücke von Oscar Wilde spielen?
Welche Stilmöglichkeiten für jedes davon?
Zwei: entweder man spielt es ernst oder parodistisch. (Ich bin unbedenklich für die Parodie.)
Doch die Frage bleibt behutsam anzufassen: denn für den Fall der ernsten Darstellung gibt es zwei verschiedene Ausgangspunkte; für die Parodie gleichfalls. Nämlich folgendermaßen.
Entweder ihr spielt das Stück ernst – ihr haltet es für ein gutes Stück. (Ich fürchte, so wird es mancher halten.)
Oder: ihr spielt es ernst, indem ihr sagen wollt: der Salomedichter hat auch solche Schmarren gemacht; wir veranstalten einen historischen Abend; es ist zur Förderung der literarischen Kenntnis … Rein sachlich.
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… Auf der andren Seite wieder zwei Möglichkeiten. Entweder: ihr macht euch über den Dichter lustig, indem ihr sagen wollt: das Stück ist so geschminkt, so kulissenhaft, so schwer von Knallerbsen, daß es jetzt, in einer Zeit größerer Schlichtheit und Vertiefung des Dramas, komisch wirken muß. Wir führen also den Oscar Wilde dieser Periode vor, wie Hans von Bülow etwa Neßlers »Behüt dich Gott, es war so schön gewesen« auf dem Flügel spielen würde: stark tremolierend an der Stelle »In deinen Augen hab' ich einst geleeeeesen …«
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Endlich letzte Möglichkeit: ihr parodiert nicht Oscar Wilde, sondern im Sinn Oscar Wildes … Ihr sagt: wir wissen, daß er ein Künstler war, denn wir kennen Andres von ihm; wir wissen, daß er mit solchen Stücken Geld machen wollte, – wir gestalten also Das, was er beim Schreiben lächelnd für sich gedacht hat. Kurz: wir parodieren bloß das Stück; für Wilde selber wird es keine Parodie, sondern eine komische Ehrenrettung …
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Das sind die Möglichkeiten. Der Leser begreift, daß noch in dieser parodistischen Darstellung Unterschiede herausspringen müßten: je nachdem über Wilde gelacht wird oder mit ihm … Und ein Spielwart muß von diesen Möglichkeiten einen Begriff haben.