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Man spielte den »Vater« von Strindberg; es war am 10. Oktober 1915.
Nach dem Unvergeßbaren, was an Strindberg die Bertens getan hat, stabiliert hat: nachdem kommt nun der Nachwuchs. Die Triesch gehört hierzu. Jetzt Fräulein Orska. Nein: die Orska.
Dunkel-schlank. Offiziersfrau. Im Haß federnd. Mit allem flinken Schmiß einer Person, die schwere Männer zu handhaben weiß. Ein Gegensatz zu seiner Scheinwucht. Mit einem verbissenen Zug. Halb ergraut. Und in ihrer fahlen Entwestheit, Zerkämpftheit, mit einem Schimmer jenes Reizes – der ihn einst bezwang.
Henkerin und Opfer. (Auch Opfer.)
Diese Schauspielerin, die mitunter noch eine Macherin ist, hat was Königliches. Hart gegen sich, leuchtend für die andren, schreitet sie fernerhin empor.
Und wenn sie die Glockenzeichen, das Ruckspielen, die Einsätze zum Teufel schickt: so könnte sie eines nicht fernen Tages von europäischem Wert sein.
Nachher gab sie die Frau in den »Kameraden«. Was früher die weichere, minder verästelte Frau Fehdmar spielte, das ist nun die Orska. Ist, ist, ist.
Mit aller Unverbesserlichkeit, allem Trug – und allem Bewußtlosen.
Mit hundert kommenden, schwindenden Gestuftheiten – blitzhaft und halb-narkotisch.
Mit aller zwingenden Macht des Rumkriegens; mit aller Aufsässigkeit; mit allem Sicheinfilzen. Mit allem Kindlichen; mit aller schmucklosen, unjätbaren Verlogenheit – die gewissermaßen auf Rollen flitzt, nach Bedarf sicher einsetzt … und aus der selbsttätigen Klappe des Triebs kommt.
Sogar den Einheitsmangel, den Strindberg beim Prägen der Gestalt hatte (da er dem rein selbstischen, bloß grasenden Luder mit aller Gewalt widersinnigerweise die Vertretung von Frauenrechten anzuhängen versucht) – noch den Bruch im Gips kittet sie, die Orska.
Samt und sonders mit einer Kraft saugenden Packens, die nicht anders zu nennen ist als: Genialität.
Die Tochter im zweiten »Totentanz« gab sie 1917, am 14. März.
Die königliche Gloria Dessen bleibt, was in der Gestalterin dieses Kindes lebt, in der genannten Orska. Auf europäischen Bühnen ist sie ein herrlich neuer Klang. Ja, eine Geige mit vielen Saiten. Hohe Kunst – in aller Bewußtheit. (Nicht von der Durieuxschen Art, die gegen ihre Bewußtheit was Halbes hat. Außerdem: wer von uns ist nicht bewußt?)
Ein Genie der Gebärde, des gestuften Tons.
Die junge Tochter sieht aus, als ob sie vor Berechnung einen Achtzigjährigen um eines sechzigjährigen Obersts willen erdulden wollte – doch im entscheidenden Augenblick hält sie Der in den Armen, der sie liebt. Sie schmilzt.
Wie die Schauspielerin Orska (ich sagte neulich, daß sie kein Gretchen und kein Klärchen sein soll) hinterdreinlief und mit der Hand winkte, und über das Wasser etwas nachschrie, ein Mensch ohne feierlichere Gebärden, als unsre kluge Erkenntniswelt sie Klugen einflößt, ohne Schmus und Gemache, fast wider Willen echt – – das lebt fort. Das lebt lange fort.
Sie gibt Wedekinds Lulu.
Lulu war das Höchste des Abends. Nicht nur ein Genie der Technik stand vor den Blicken wie auf der deutschen Bühne keines zuvor – sondern in tieferem Sinn ein zaubervoller Gipfel bewußter Kunst.
Ich rate wirklich nicht, sie das Gretchen spielen zu lassen. Ich rate nicht, sie mit der Lossen zu vergleichen.
Aber ich rate: von den zwei Polen dieser Bretterwelt einen in ihr zu erkennen.
Im Kino mag sie gelernt haben … und hiermit hat sie ernsthaft Neues erreicht. Die Bildmächtigkeit (aber nicht nur die) flimmert zu kaum gekannten Wundern empor. Ein Wundermädel ist sie.
Im Gang voller Melodie. Ein Kaleidoskop an Schönheiten.
Im Kino hat sie gelernt … und bringt Veduten – doch überdies eine Seele. Lauter Glockenzeichen; es beginnt etwas; oft wird was gemacht. Aber wie!
Das ist hohe Kunst, meine Lieben. Bei allem Bewußtsein guckt selig die Unschuld der Besonnten heraus. Die Gloria nicht beirrten Siegs.
Augen öffnet sie; weist Zähne; nimmt Haltungen ein – doch alles ist von einer erschütternden Kraft, Jugend, Umwehtheit. Die Person ist ja wie eine Geige mit fünfzig Saiten; ein Mirakel der letzten Stufung.
Die Eysoldt gab nur Anweisungen, wie die Lulu hätte sein können, wenn eine Vollberückerin sie spielte – die Orska war, war, war es.
Mit Lichtern, Schimmern, mit dem Glanz des Vollbringens, mit tausend Spiegelungen. Und mit dem Gefühl rätselvollen Triumphes.
Wenn der grauhaarige Tatenmensch, der Dr. Schön, ihr zu entschwinden scheint … wenn er ihr dann zufällt: es sinken Schleier auf sie, auf die Stimme, auf die Seele.
Und wenn sie dem Afrikaforscher gegenübersitzt, dem linkischen Prinzen, guckt ihre Fremdheit gaukelnd-naiv, halb versunken vor.
Es ist ein toller Reichtum, – der sich nie zu wiederholen braucht, weil ein letztes Können dahintersteckt.
Und über allem, bei allem hat jenes »Ich weiß es nicht« geschwebt, das sie einmal oder dreimal zu sagen hat.
Bei Schnitzler, in den Anatoldramen. 1917. 8. Mai.
So bleibt noch von der Mimenschar
Die Orska – die bezaubernd war.
Zuerst die Haare dirnenzottig,
Die Kleidung ungenügend schlicht –
Als »Cora« war sie zu kokottig,
Das »süße Mädel« war sie nicht!
Im zweiten Stück ging sie aufs Ganze,
Als ausgetragne, dufte Pflanze.
Sie trank, was trinkbar; aß, was eßbar,
Sie ulkte, wenn der Kellner kam.
Dem Hörer bleibt es unvergeßbar,
Wie sie als »Annie« Abschied nahm …
Da schwanden düstre Horizonte;
Man lachte – bis man nicht mehr konnte.