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Diese, jedenfalls mit keiner Andren zu verwechselnde Künstlerin, betrat – nach allem, was in der Untersuchung »Stilisierende Schauspielkunst« über sie gesagt ist – kaum neue Stufen.
Im Totentanz von Strindberg war sie nur ein Abglanz der Frau. Bis zur Silberhochzeit eine Nutte, im Haß empfindsam. Der Haß nicht durch Kälte, sondern durch schnai-den-de Plärrwirkungen gemacht; ohne das ganze Format einer Geschlechtsfeindin. Ohne die Wahrheit im Großen.
Eine Quärrrulantin. Etliches von Sentimentalität. Nämlich noch etwas in ihrem Gebahren, was Mitleid haben möchte. Was Kerlchen-Liebes.
Und ein Glück für sie, daß die Heldin vorher Schauspielerin gewesen war …
Viele dieser Leute sind im Grund … mittelromantisch; von den letzten Höhen entfernt, – aber fesselnd.
(Auch Strindberg selber vielleicht.)
Sie spielt Legendenhaftes von Stucken – etwa mit folgendem Eindruck.
Sie hat nicht … sondern man könnte meinen: sie besteht aus Tönen. Es ist ihre Eigenschaft; die selten versagt. Und während etwan Kayßler ein achtungswert strebender Mann mit unterbrechlichem Strom ist, aber kein Gewächs: währenddessen ist sie ein Gewächs. Sie wirkt auf etlichen Gebieten als ein solches. Wenn sie (wie hier als Verstoßene), so zwischen Mädchen und Kind, halb vorwurfsvoll bittplärrt, klagdehnt, sich hat, wehmiault; wenn sie Süß- und Schmollbitteres empfindelt und winselt; so daß ein weiblicher Lyzeumsklub gar sehr ergriffen sein müßte: dann hat sie doch in alledem etwas Eignes. Etwas nicht zu Verwechselndes.
(Dazwischen, als Sagen-Magedin, ganz schwache Töne des Übereinkommens; Unfähigkeit des Ergreifens und meistens des Gestaltens, wenn sie nicht eben bittplärrt … siehe zwei Sätze zurück.)
Am stärksten bleibt sie dem Gedächtnis verhaftet mit jenem Zuge der Lippen, den sie bei Strindberg, in dem Schauspiel »Wetterleuchten«, als umhergetriebenes Weibstück unauslöschlich (es war ein einziger Zug, der eine Vergangenheit zusammenrafft) ausprägte.
Einer der wenigen Augenblicke, wo sie Schmerz ohne Zuschuß von Empfindelei gibt.
Der Vergleich mit einer Namenlosen, sie heiße Clara Görisch und spiele jemanden in Wildes »Bunbury«, belichtet ihren Kern.
Ich nehme an: die Eysoldt hätte kennzeichnender stilisiert; während so ein namenloses Fräulein mehr die schwellende Mädchenhaftigkeit aufmacht.
… Die Eysoldt war in diesem Wildeschen Stück mehr Linienkünstlerin; die andre gab mehr tumbes Pflanzentum eines lieblichen Backfischs der verwöhnten Gesellschaft. Kurz: die Eysoldt spielte das Stück, nicht die Rolle (sie gab den Gesamtcharakter des Stücks in einer einzigen Rolle; nicht den Charakter einer einzigen Rolle innerhalb des Stücks – der Leser wird Bescheid wissen).
Es läßt sich auch sagen: die Eysoldt spielte den Wilde, nicht das Fräulein Gwendolen; die andre spielte nur ein junges Mädchen, nicht den Oscar Wilde.
Die Eysoldt gab eine zeichnerisch überlegene Klugheitsarbeit von vieler Durchdachtheit, ihre Gestaltung enthielt ein literarisches Urteil über alle Wildeschen Lustspiele. Die andre gab nur eine Figur aus ihnen (blickte jedoch mit einem sogenannt verführerischen Näs'chen in die Welt).
Die Eysoldt hätte ein Literarhistoriker geschätzt, die andre hätte der Held des Stückes geheiratet.
In summa: Frau Eysoldt ist eine zehnmal so große Künstlerin. Und die andre hat nur das enorme Glück, nicht so viel Klugheit nötig zu haben.
Die Eysoldt hat ein hochentwickeltes Können (mit Bildung).
Die Eysoldt gibt einmal, bei Schalom Asch, eine Getretene; dann Gerettete.
Sie bringt statt eines Schmerzes (wie immer) sentimentale Kopfarbeit. Sie ist jedoch dann im Glücke sehr anziehend. Auch hier mit manchem Zubehör eines gebildeten Lieblings für Norddeutschlands Frauenwelt …
Was für eine »Pariserin« von Henri Becque wird sie sein? Das Stück heißt bei ihr und in den Kammerspielen »Die Provinzialin«.
Husch. Was bin ich ein Husch – äußert Frau Eysoldt … mit fürchterlicher Unterstrichenheit in jeder Sekunde.
Pariserin? weißte? Mit Avec. So mit Schwung. Na!
Zwischendurch auch mit Niedlichmacherei – und wie süß.
Oder der kleine Ploetz in der Menschendarstellung. Die Pariserin ist eben leichtsinnig, – das steht z'erscht amal fest. Gewirkt hat sie wie die Pensionsmutter, bei welcher Clotilde … nein, nicht abgestiegen wäre.
Zimmer vermieten. Husch. Die Pariserin ist leichtsinnig. Das kennt man. Na! (So denkt eine sonst in ihrer Art echte Künstlerin.)
Zwischendurch wieder, in einem Japanstück, Kimiko, bringt sie glänzend Linienhaftes. Die Eysoldt hat hier, wo sie nicht süßlich ist, höchst Kennzeichnendes. Im Schmerz etwas … wie das Lauern und Stocken eines Blumentiers; klaglos Klagendes – nur daß die Überlegung es zerbrach.
… Und hierin scheint ihr Fall zu liegen. Sie bleibt mit keiner andren zu verwechseln. Sie ist sicher jemand. Man kommt mitunter dazu, in ihr eine sogenannte Pflanze zu sehn, sie scheint nicht sehr entfernt hiervon … doch über ihren Bekundungen schwenkt sie ein Banner mit der Inschrift: »Bildung ist Macht!«
Ja: mittelromantisch; von den letzten Höhen entfernt, – aber fesselnd. (Als Gründerin einer Gestaltenklasse wesentlicher denn als Gestalterin.)