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(Matkowsky. Reicher. Triesch. Lehmann. Rittner.)
Man nehme zwei, drei Hauptrichtungen unsrer Schauspielkunst um 1903. Welche Werte stehn in Frage?
Adalbert Matkowsky bedeutet mir keine Richtung. Sondern ein prächtiges Gemisch aus Konvention und Bramarbasieren. Er ist ein Wagnersänger ohne Stimme.
Er kommt für uns, für die feineren Ziele menschlicher Durchseelung nicht in Betracht. Er bleibt das eigentlich Psychische beim Holofernes … und gar beim Tasso schuldig. So hart das Wort klingen mag: was man sonst Kulissenreißer nennt, ist er illuminiert und fresco. (Aber mehr fresco als illuminiert). Die Liebe zu Mariamnen bewältigt sich nicht mit Wildheitsausbrüchen. Dies ewige Gefühl ist nicht mit Keuchen und Stammeln zu machen. Er muß nicht auf sie losspringen: er muß sie ansehn, ansehn, ansehn! (Dabei wie ein Abwesender reden, dennoch mit der letzten Inbrunst eines Gegenwärtigen.) Als Karl Moor steht Matkowsky in den böhmischen Wäldern, oben der gedunkelte Kopf von Dürers Selbstbildnis, unten der fliegende Holländer mit dem Mantel; er schluckt Wendungen, Seiten ein, es gelingt ihm, Gleichnisse, überhaupt den Sinn der Sätze unterzukriegen, bisweilen widerspricht er barock und unbegründet mit leiserrr Eschtimme, bisweilen schreit er nach Errrache, Errrache, Errrache und knackt, klackt, klatscht wild in die Hände, als ob er den Berruder zerreschmettern wollte … Ein Wagnersänger ohne Stimme. Ich glaube, daß der größere Typ seiner Gattung wirklich im Musikdrama Boden hat: Albert Niemann.
Vater des berliner Realismus um 1910 ist Emanuel Reicher. Man weiß heute nicht, worauf man den stärkeren Ton legen soll: daß er eine historische Bedeutung hat – oder daß seine Bedeutung historisch ist. Sein Verdienst und unser Dank bleibt unumstößlich; er ist ein Epochenkünstler.
Zwischen den Realisten, die auf ihn gefolgt sind, und den Zeichnerischen steht Irene Triesch. Sie ist schwer unterzubringen. Eine merkwürdige Person mit Schattenseiten und gewaltigen Vorzügen. Andre wirken gewinnender und mit höherem Reiz. Wohingegen die Triesch, – welche nicht eine Jüdin ist, sondern ein verkleideter Jude, eine dunkle, wehe Gestalt mit schmutzigen Schmerzenszügen, – losbricht und klagschreit wie das Alte Testament, erschütternd ohne Rücksicht, sich hingebend, sich ausblutend, stoßweis überwältigend. Man fühlt etwas Heißes aufsteigen und denkt: schafft sie fort!
Die Lerche Nora glaubt ihr niemand. Sie ist wenig naiv. Doch in Schmerz und Schmerzenswucht bei uns kaum vergleichbar. Ja, sie scheint geschaffen für den Schmerz. Sie zeigt es, wie sie als Hebbels Klara den Jugendgeliebten umkrampft. Das ist nicht zu vergessen. Leuchtende Anmut des Kindhaften und gedankenlos blühende Freude: dafür scheint sie nicht gemacht. Die Triesch und die Sorma sind annähernd wie Rahel und Bettina; wenn der Leser Bescheid weiß in der Geschichte der deutschen Romantik … Schwer einzuordnen, wie sie, ist auch Sauer, – dessen Name genannt werden soll, wo vom erschütterndsten Gregers Werle gesprochen wird und von einem deutschen Schauspieler, der mehr als ein Schauspieler ist, nämlich ein großer, innerlicher Mensch.
Das Blütegeschlecht auf der von Reicher geöffneten Bahn waren Else Lehmann und Rudolf Rittner. (Beide strenger als er. Nur das Technische betrachtet.) Ihre Stärke lag in der Behandlungsart für ein Gebiet. Sie waren die großen, nicht vergänglichen Säulen nördlicher Kunst.
Rittner und die Lehmann sind holländische Schule; Kainz italienische. Die Sorma jedoch hat zwei Flügel (als ein ausgemachtes Engelein), wovon der eine in Niederland, der andre in Hesperien wuchs.
Sie gibt wundersam zarte, dennoch innerliche Wirkungen. Sie ist fein und auch »tief«; (man denke nur an späte Ibsengestalten). In ihr lebt vielleicht das Edelste der Schauspielkunst unsres Landes, – und zu bedauern bleibt, daß es nur in einer schwachen Frau Gestalt bekam. (Denn die männliche Synthese von Kainz und Rittner gibt es nicht.)