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Theaterpolitik ist nicht: Politik im Theater.
Politik im Theater bemüht sich, die Anhänger ins Theater hineinzuziehen, und es gelingt ihr, die Gegner aus dem Theater herauszutreiben. Die Gegner sind immer viel zahlreicher als die Anhänger.
Theaterpolitik bemüht sich, die Politik im Theater durch unpolitische Gesichtspunkte unschädlich zu machen. Außerdem bemüht sie sich, die Kunst im Theater durch unkünstlerische Gesichtspunkte unschädlich zu machen.
67 Theaterpolitik ist der Sammelname für alles Drum und Dran, das am Theater hängt und mit der eigentlichen Aufgabe des Theaters, Theater zu spielen, nichts zu tun hat.
Theaterpolitik ist das, was das Publikum am meisten interessiert und am wenigsten angeht.
Wenn am Theater eine Dummheit gemacht werden soll, ist die theaterpolitische Erwägung in Aktion getreten.
Theaterpolitik ist die unkünstlerische Seite der Repertoirebildung. Ein Theater, das darauf verzichtet, den Geschmack des Publikums zu bestimmen, und sich vom Geschmack des Publikums bestimmen läßt, treibt Theaterpolitik.
Theaterpolitik ist Konjunkturberechnung. Es geht ihr wie aller Politik: sie berechnet falsch.
Es ist unpolitisch, das zu spielen, was man für gut hält; es ist theaterpolitisch, das, was man für gut hält, nicht zu spielen, sondern nur das, was Erfolg verspricht. Es kommt aber meist umgekehrt.
Der Geschmack des Publikums hat wenigstens den Geschmack, unberechenbar zu sein. Besser unberechenbar, als mit Konsequenz schlecht. Es ist nie ganz ausgeschlossen, daß er in der nächsten Woche wieder gut sein wird. Es ist sicher, daß er in der nächsten Woche anders sein wird.
Theaterpolitik ist das Programm, das nicht eingehalten wird. Theaterpolitik ist die Kunst des Notizenversands. Theaterpolitik ist die Absicht, schon 68 am Morgen die Wirkungen zu erzielen, die einem des Abends nicht gelingen.
Theaterpolitik ist die unkünstlerische Seite der Ensemblebildung. Sie ist Spekulation mit dem Kredit der großen Namen und Baissespekulation mit den kleinen, deren Kurswert noch nicht notiert j wird . . . Theaterpolitik ist die hohe Schule der Diplomatie im Verkehr mit Stars und der rücksichtslosen Vorsicht im Herausstellen unbekannter und junger Talente.
Theaterpolitik ist die aus den alten Zeiten der Hoftheatertradition herübergerettete höfische Freude an der Intrige, an einem Theater neben, über und hinter dem Theater.
Man lächelt darüber, man zweifelt, man hält's für eine Erfindung altmodischer Theaterromane, aber es gibt sie, wahr und wahrhaftig, es gibt noch so etwas wie Intrigen am Theater. Intrige, gewürzt durch Klatsch, ein reiches Spielfeld der theaterpolitischen Begabung, die sich ja vom Theater nirgends lieber erholt als am Theater.
Die höhere Theaterpolitik ist der freundnachbarliche Verkehr mit der Konkurrenz, gleich schwierig, ob er sich im mutigen Nahkampf Mann gegen Mann oder hinter den betreffenden Rücken abspielt.
Theaterpolitik wird intra et extra muros getrieben.
Theaterpolitik ist die liebevolle Beschäftigung mit einem neuen Mann, dem unerbittlich sein 69 Horoskop gestellt wird, bevor noch der erste Schwertstreich gefallen ist.
Ein guter Theatermann braucht, nach Laube, fünf Jahre, um sein Ensemble zu bilden, und zehn Jahre, um sich und seinem Theater ein Gesicht zu geben (wenn er nicht inzwischen pleite ist). Soviel Geduld bringt die theaterpolitische Prophetie nicht auf. Sie zeichnet ihm sein Gesicht a priori vor und lehnt es natürlich ab.
Weil nämlich jeder seinen eigenen Kandidaten hat, den er vorgezogen hätte. Sogar wenn er selber der eigene Kandidat sein sollte.
Königsmacherei ist die gefährliche Theaterpolitik der Unverantwortlichen, die sogar großzügig das Geld der andern riskieren, wenn es ihnen Spaß macht, die Arbeit anderer zu erschweren.
Merkwürdig: alle, die draußen stehen, wissen so gut, wie ein Theater gut zu leiten wäre, und doch gibt es so wenig gute Theaterdirektoren.
Und auch dem besten, gerade dem besten, der alles hat, die Kunst, das Ensemble, sogar den Erfolg und das Geschäft, fehlt nach der allgemeinen Meinung nur eines noch: der Sinn für Theaterpolitik.
Der mutige Mann, der ein Theater übernimmt, hat, auch bei ausverkauften Häusern, weniger Zuschauer als heimliche Mitdirektoren und Diktatoren. Die Regierungsform des Theaters ist ein Absolutismus, ad absurdum geführt durch die Diktatur der Unberufenen.
70 Laßt doch den Mann gewähren! Laßt ihn ruhig arbeiten! Wartet geduldig ab, bis er etwas geleistet hat oder bewiesen hat, daß er nichts zu leisten vermag, und äußert euch dann! Äußert euch über das Werk, über die Leistung, aber nicht über den Mann, der durch eine Leistung nicht bewiesen, aber auch nicht erledigt ist! Das ist zwar nicht theaterpolitisch, aber die einzige Art, bei der etwas herauskommt, vielleicht sogar zum Schlusse ganz von selbst ein Gesicht, das bleibt.
Es gibt nämlich nur eine vernünftige Theaterpolitik: das gute alte: Speelt man gut!