Arthur Kahane
Theater
Arthur Kahane

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Politik im Theater

Wir hatten in Wien einen alten Philosophen an der Universität – Robert Zimmermann hieß er –, der jede Stunde seines Kollegs über die Geschichte der Philosophie mit den unwiderleglich scheinenden Worten einleitete: »Die Geschichte der Philosophie ist nicht die Philosophie der Geschichte.«

Das Theater der Politik ist nicht die Politik des Theaters.

Ich meine natürlich nicht das Theater, das die Politik gewährt – es ist ein Komödientheater –, sondern das Theater, das mit der Politik 62 wetteifert, das Theater, das selbst Politik zu machen sich anschickt. Dieses Theater ist gar nicht heiter – leider –, nimmt seine neue Mission, die Bühne zur Tribüne zu verwandeln, verdammt feierlich, und man sollte meinen, daß diese Politisierung, Parteipolitisierung des Theaters, der bisherigen Politik des Theaters, das eine ziemliche Allerweltdame war, die sich's mit keinem verderben wollte, einigermaßen widerspricht, wer das Theater zu kennen glaubte, blieb dabei, daß es nicht in der Politik des Theaters liege, ein Theater der Politik zu machen.

Wie? Oder sollte das am Ende doch und gerade aus Theaterpolitik in der Politik des Theaters liegen?

Die klügsten Konjunkturpolitiker des Theaters wollen erkannt haben, daß es nach Politik schreit. Sie haben es nur noch nicht heraus, nach welcher Politik das Theater schreit. Wenn sie auch das heraushaben werden, dann werden sie sich entscheiden, für welche Politik sie sich leidenschaftlich und mit begeisterter Überzeugung einzusetzen haben.

Denn wer kennt sich in der schwer geheimnisvollen und leicht veränderlichen Seele des Volkes dort, wo es mehr Publikum ist, überhaupt noch aus?

Die Geschichte ist eben immer noch zu objektiv. Sie ist so charakterlos, sich von jeder Partei für 63 sich reklamieren zu lassen. Wer vieles bringt, wird jedem etwas, aber keinem genug bringen. Ein jeder freut sich und applaudiert, wenn sich die Geschichte in seinem Sinne deuten läßt. Er hört zu applaudieren auf, wenn er merkt, daß sie sich auch im Sinne seiner Gegner deuten läßt. Freilich braucht er ziemlich lange, bis er es merkt. Der Applaus der Parteifreunde ist zu laut, um allzu vieles Merken aufkommen zu lassen. Aber schließlich ist es nicht zu verhindern, und dann fühlt er sich geprellt, wird auf die Geschichte bös, auf das historische Drama bös, zum mindesten auf den historischen Dramatiker bös und auf das Theater, das diesen gespielt hat. Es heißt also, Farbe bekennen. Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. Wenn's nur nicht gar soviel Farben gäbe!

Das Leben hat viele Farben, und das Theater, der Spiegel des Lebens, auch. Der Parteipolitiker aber kennt nur zwei: seine und die andere.

Hier ist der entscheidende Unterschied. In ihren Tendenzen gehen sie auseinander, das Wesen des Theaters und das Wesen der Politik: das Theater ins Weltweite ausstrebend, die Politik zur Zweckenge sich zwingend. Den Sinn der Welt auszudrücken, erfordert andere Einstellungen und andere Willensstärke, als einen nächsten Zweck durchzusetzen. Theater und Politik sind verschieden wie Wahrheit und Meinung. Meinung überredet, Wahrheit überwältigt.

64 Theater kann nicht überreden. Es kann überhaupt nicht reden. Das Wort führt im Theater ein ganz anderes Leben, hat, in seiner ganzen musikalisch-psychologischen Skala zwischen Lüge und Aufschrei, eine ganz andere, viel zu bunt glitzernde und mannigfaltige Bedeutung bekommen, als daß es sich zu einer bloß rhetorischen Eindeutigkeit zurückführen ließe. Menschen des Theaters sind selten gute Redner. Wenn sie reden sollen, schämen sie sich meist. Die schauspielerische Schamlosigkeit wurzelt in einem andern psychologischen Prozeß als die Schamlosigkeit des politischen Redners. Die Menschen des Theaters sind Dilettanten der Politik. Die Geschicktesten werden sofort ungeschickt, wenn sie mit Politik in Berührung kommen. Sie tun, was alle Dilettanten tun: sie übertreiben. Da sie vom Wesentlichen der Politik nichts verstehen, erscheint ihnen schon das bloße Parteiergreifen als Politik, Politik als eine neue Form der Ausdrucksmöglichkeit. Ebenso wie sie mit dem unbekannten Material der Politik nichts anzufangen wissen, ebensowenig verstehen sie, Politik ins vertraute Material ihrer Kunst umzusetzen.

Es ist unbestreitbar und aus dem tiefsten Wesen des Theaters heraus gedacht, daß es nicht bloß von seiner Vergangenheit leben kann, sondern daß jede Gegenwart ein Recht auf ihr Theater hat und das Theater ein Recht auf seine Gegenwart. Ein Theater, das nur in der Vergangenheit lebt, lebt nicht 65 und wird mit Recht totgesagt. Es gibt kein Element im Kulturkomplex, das enger mit dem Geist der Zeit zusammenhängt als das Theater. So eng, daß kein Faktor stark genug wäre, in diesen Zusammenhang einzugreifen. Er stellt sich ganz von selbst her. In tausend Kanälen dringt die Zeit, gewollt oder ungewollt, ins Theater ein und spritzt aus ihm heraus. Im Wechsel seiner Formen, im Stil, in Stoff und Inhalt, im Tempo. Es gibt nur zeitgemäßes Theater oder keines. Nichts wird in der Gegenwart gedacht, gefühlt, gewollt, das nicht im Theater sein lebendiges Echo fände.

Aber Gegenwart heißt nicht Aktualität des Tages. Es gibt eine Anspruchslosigkeit, der die bloße Anwendung zeitungsläufiger Worte schon als Witz und Pointe gilt. Es ist nicht lange her, da brauchte auf der Bühne einer bloß »Butter!« zu sagen und sonst nichts, und ein Parkett zerfloß in Heiterkeit. Die Schlagkraft der Butter schmolz mit der Butternot, aber die traurige Institution der Zeitsatire ist uns geblieben. Revuen leben davon. Dieser Generation von Zeitsatirikern gegenüber wird es schwer, eine Satire nicht zu schreiben, allerdings nicht so schwer, wie es ihnen offenbar wird, eine zu schreiben. Immerhin müßte sich die Gegenwart dagegen verwahren, daß sich die systematische Häufung solcher Billigkeit als Theater der Lebenden fühlt.

Wenn das Theater Politik machen soll, so muß es eine sein, die über die Politik hinauswächst. Die 66 Politik des Theaters kann keine Parteipolitik sein. Sie muß sich aus dem eigentlichen Wesen des Theaters entwickeln und muß mit den eigenen Mitteln des Theaters arbeiten, nicht mit den Mitteln des Parteipolitikers.

Die dem Theater eingeborene Agitation ist eine so starke, daß sie die Agitationsmittel des Agitators nur schwächen können.

Nicht im Vortrag drückt sich das Theater aus, sondern im Vorgang. Nicht eine vorgetragene Gesinnung, sondern nur eine mit seinen Mitteln gestaltete, Leben und Wirklichkeit gewordene, kann es vertreten. Auch der Geist gilt dem Theater nur, wenn er Leib geworden ist.

 


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