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Kreuzweise.

Zwei Dinge schätzte Frau August Hecht Ww., und das dritte war ihr wert. Den Glanz ihrer unbefleckten Witwenschaft trübte kein Stäubchen. Die Schankgerechtsamkeit ihres Hauses ließ sie nicht auffliegen, obgleich sie nichts einbrachte. Den Titel als aller Welt Tante honorierte sie den Nachbarkindern mit Bonbons, den dazugehörigen Müttern mit Steckrüben oder Rosenkohl von ihrem Felde, je nach der Jahreszeit.

Auf ihren Ruf als ehrsame Witib ließ Tante Hecht nichts kommen. Sie schonte ihn, wie brave Frauen ihr bestes Kleid in acht nehmen. Es giebt so leicht Fettspritzer. Oder ein tölpelhafter Mensch gießt bei Tische Wein über die Seide. Wer leichtsinnig sein wollte, hätte bald nichts Gutes mehr anzuziehen. Vorsichtige Frauen nehmen deshalb den Kleiderrock hoch auf, wo er in Gefahr kommen kann. Oder sie breiten ein Taschentuch über den Schoß. Das fängt alles auf. Man sieht keine Flecke.

[105] Frau August Hecht Ww. hatte glücklicherweise ihren Tantentitel und die Schankkonzession.

Schlechte Menschen giebt es überall. Als ob eine Witwe nicht für sich allein fertig werden könnte! Auch ohne Mann. Tante Hecht kannte die Welt. Die Leute beurteilen gern jeden nach sich selbst. An Treue glaubt keiner. Nicht einmal bei Lebzeiten des alten Mannes. Über das Grab hinaus natürlich noch viel weniger.

»Sie ist an das Verheiratetsein gewöhnt,« sagt der eine.

»Die Katze läßt das Mausen nicht,« orakelt der zweite.

So dumme Redensarten giebt es noch mehr. Wird der Name einer jungen Witwe genannt, gleich spitzen Hans und Peter die langen Ohren. Sie hoffen etwas Pikantes zu hören. So etwas, das nicht grade herausgesagt wird. Es schimmert bloß durch. Wers erzählt, der zwinkert mit den Augen, daß ja jeder merkt, das dickste Ende soll man sich denken.

Frau August Hecht Ww. wußte das natürlich nicht erst seit Tags vorher. Wer die für dumm kaufen wollte, kam überhaupt nicht auf seine Kosten. Sie freute sich königlich, als die Nachbarkinder anfingen »Tante Hecht« zu sagen. Den Kindern sprachen es die Mütter nach. Die Gevattern bildeten sich etwas darauf ein, als sie auch »Tante Hecht« sagen durften.

[106] Und ich erst! Oder gar Kollege Hagen, der ihrer Tochter die Kur schnitt! Ella Hecht zählte allerdings kaum achtzehn, aber das machte nichts. Zeitiges Frühjahr verspricht einen guten Herbst. Tante Hecht war nicht älter gewesen, damals, als ihr Ella die Gestalt eines bevorstehenden Familienereignisses gab.

Frau August Hecht Ww. war also Adoptivtante der ganzen Straße. Ihr blankes Witwenschild hielt sich gut in dieser Verpackung. So eine Tante hat etwas Respektables an sich. Als halbe Mutter kann sie passieren. Am Tantentitel findet die schnüffeligste Nase nichts Anrüchiges. Alle Welt vergaß darüber, daß Tante Hecht eigentlich noch viel zu jung war für die Dürre der Witwenschaft.

Mir fiel Derartiges natürlich am wenigsten ein. Meine Vorstellungen vom ehelichen Stande waren überhaupt sehr unvollkommen, damals, am Anfang dieser Geschichte.

Tante Hecht wollte keinen zweiten Mann. Die beiden Kinder waren da, Ella und ihr jüngerer Bruder. Das gab nur Zank und Streit nachher … wenn etwa … man konnte es doch nicht wissen. Sechs und dreißig ist kein Alter. »Meine Frau hat im vierzigsten Jahr ihren letzten Sohn gezeugt,« pflegte der alte Fröhling zu sagen. Die Männer denken, es geht gar nicht anders. Sie legen es gradezu drauf an. Bei ihren Frauen selbstredend. Sonst nicht.

[107] Nein! Heiraten, das war nichts mehr für Tante Hecht. Wozu überhaupt? Sie hatte zu leben … Gut zu leben. Die Ackerwirtschaft besorgte so eine Art Hausmeier. Mit dem Bierausschank und der Kuponschere wurde sie allein fertig. Also weshalb noch einmal heiraten? Sie lebte so viel ruhiger. Keiner hatte ihr etwas zu sagen.

Außerdem … die Hauptsache lag noch tiefer.

Als August Hecht selig verstarb – es war schon ein paar Jahre her – hinterließ er seiner Frau alles ohne Einschränkung. Dafür hatte sie ihm auf dem Sterbebette ewige Witwenschaft angelobt. Tante Hecht erzählte es oft. Es war rührend anzuhören. Weshalb sollte so etwas nicht möglich sein? Ich war fest davon überzeugt. Kollege Hagen auch. Ihm war es sehr angenehm, weil er Ella heiraten wollte.

Wenn Tante Hecht einen zweiten Mann nahm … man konnte wirklich nicht wissen … sie hatte noch so feurige Augen. Blieb sie ledig, so ließ sich ziemlich genau berechnen, wie viel dermaleinst auf jedes Kind fallen mußte. Kollege Hagen hatte Nummer eins im Rechnen.

Die ganze Straße wußte um das Gelöbnis am Sterbebette. Ich behaupte keineswegs, daß Tante Hecht die Geschichte nur erfunden hatte. Es war der reine Zufall, wenn ihre fleckenlose Ehrbarkeit davon profitierte. Wahr ist es ja, ihre Witwenschaft erhielt durch den Vorfall etwas feierlich Unantast [108]bares. So eine Art Heiligenschein. Keiner durfte sich etwa Einbildungen machen, wenn sie freundlich zu ihm war. Keiner hatte das Recht, häßliche Redensarten in Umlauf zu bringen, wenn sie einem andern zulächelte. Sie war Tante und eingeschworene Witwe. Da schlägt sich die Verläumdung auf den Mund und macht einen hochachtungsvollen Knix.

Tante Hecht haßte die Männer nicht. O nein! Nur heiraten wollte sie keinen mehr. Sie schätzte die Männer sogar hoch. Viel höher als Frauen. Besonders Kraftnaturen, die immer ihren Willen durchsetzen. Solche wie damals in den Marlittschen Romanen ihr wortkarges Wesen trieben. Solche, bei deren Blicken das bewußte Weib – Tante Hecht sagte »der geliebte Gegenstand« – eine wollüstige Gänsehaut auf dem Rücken fühlt.

Tante Hecht liebte philosophische Gespräche. Gerade aus diesem Grunde fand sie an der Unterhaltung mit ihren Geschlechtsgenossinnen wenig Geschmack. »Frauen sind meist entsetzlich unphilosophisch,« meinte sie. Dem Wohlwollen derselben gab sie durch gelegentliche Spenden von Radieschen oder Backobst – je nach der Jahreszeit – einen kräftigen und dankbaren Nährboden. Die Intelligenz ihres Geschlechtes schätzte sie, wie schon angedeutet, nicht übermäßig hoch ein. Wenn wir allein waren, und wir blieben bald öfter allein, machte sie aus ihrer Ansicht kein Hehl. »Die Frauen? Lieber Gott! [109] Wovon reden sie denn? Vom Kochen. Über die Dienstboten. Ob ein blauer oder ein roter Unterrock modern ist. Andere Gedanken haben sie nicht.«

Ich fand Worte des Widerspruchs trotz meiner im Punkt der Weiblichkeit höchst lückenhaften Weltanschauung. Im Gegensatz zu Tante Hecht hielt ich die Frauen für ungemein geistvoll. Alle, ohne Ausnahme. Dieser Verdacht raubte mir z. B. den Mut, mit ihnen zu sprechen. Besonders vor jungen Damen fühlte ich einen Respekt, der die größte Ähnlichkeit mit Angst hatte. Nicht zehn zusammenhängende Worte brachte ich heraus, wenn mir ein heiratsfähiges Mädchen dabei zusah. Und dabei zählte ich damals volle ein und zwanzig Jahre.

Wer die Nase rümpft, weil er das für gelogen hält, mags nach seinem Belieben thun. Tante Hecht wollte es anfangs auch nicht glauben, daß ich mich vor den Mädchen fürchtete, sobald sie sechzehnjährig wurden. Wahr ist es darum doch. Aber ungeachtet meiner Angst fühlte ich mich zu den Damen hingezogen, welch letztere Eigenschaft sich mir bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Wenn ich damals einsam durch die Felder strich, übte ich mir tief durchdachte Ansprachen ein. Auf dem Sofa beim Nachmittagskaffee führte ich geistsprühende Dialoge mit imaginären Schönheiten. Sah ich dann eine, weg war alles. Während ich stumm und ratlos mein Gehirn nach bedeutungsvollen Aussprüchen durchsuchte, [110] ließen mich die holden Wesen gewöhnlich stehen. Meine Hochachtung vor denselben stieg mit jedem Mißerfolg. Allmählich wurde mein Respekt so groß, daß ich mich drückte, sobald ein Mädchen in Sicht kam.

Tante Hecht fand das belustigend Sie hatte eine ganz eigene Art, mich auszufragen und über meine Bekenntnisse zu lachen. Aber böse wars nicht gemeint. Meine Erziehung war noch nicht ganz vollendet ihrer Ansicht nach. Wenn sie das sagte, sah sie mich an, so … ich weiß nicht recht … so eigentümlich neugierig.

Ich unterhielt mich überhaupt immer sehr gut mit ihr. Der Tantentitel löste mir die Zunge. In ihrer Gesellschaft hatte ich niemals das Gefühl, mein Kopf sei plötzlich hohl geworden. Sie liebte philosophische Gespräche, und in der Philosophie war ich stark. Andererseits hoffte ich von ihrer Lebenserfahrung zu profitieren.

Neben dem Tantentitel hielt Frau August Hecht Ww. große Stücke auf ihre Schankgerechtsame. Viel Bargewinn zog sie nicht daraus. Das hatte sie auch nicht nötig. Wenn sie dessen ungeachtet die Bierstube nicht schloß, so geschah es zur Hälfte aus Pietät für den seligen alten Hecht und anderenteils, um ihrem Sohn die Schankgerechtigkeit für später zu erhalten. Sie sagte das oft. Ob die Fortführung des Ausschanks unter das Gelöbnis am Sterbebett fiel, entzieht sich meiner Kenntnis. Jeden [111]falls vertrug sie sich sehr gut mit der beschworenen Witwenschaft.

Die Reputation einer Witib ist empfindlich wie ein Zilinderhut bei Regenwetter. Frauen kennen einander aus. Jede sagt der andern gern nach, was sie selbst an deren Stelle thun würde. Eine junge Witwe, die Herrenbesuch empfängt, ist bald im Munde der lieben Nachbarinnen. Männern mag der Frauenmund wonnig scheinen. Dem Glanz eines Witwenschleiers ist die Berührung mit weiblichen Zungen nicht zuträglich.

In einer offenen Bierstube, die eine Tante führt, dürfen auch junge Herren verkehren, deren Erziehung zum Mann noch der Nachhülfe bedarf. Bei Tante Hecht trafen alle diese günstigen Umstände zusammen. Und da sie die Philosophie liebte und die Männer nicht haßte, war alles in bester Ordnung.

Frau August Hecht Ww. legte weniger Gewicht auf großen Zuspruch für ihren Bierschank, als auf gute persönliche Unterhaltung. An manchem Abend waren Kollege Hagen und ich die einzigen Gäste. Er ging hin, um Ella zu sehen. Ich lief zur Gesellschaft mit. Das heißt im Anfang.

Tante Hecht warf dem Heiratskandidaten keine Knüppel in den Weg. Gelegentlich durfte er ihre Tochter auf Gängen in die Stadt begleiten. Auch holte er Ella zur Probe ab, wenn am Stiftungsfest [112] in der Ressource gemimt werden sollte. Dann blieb ich mit Tante Hecht allein.

Kollege Hagen sah das nicht ungern. Ich habe ihn in Verdacht, daß ihm die ewige Witwenschaft seiner präsumtiven Schwiegermutter trotz der rührenden Sterbescene kein volles Vertrauen einflößte. Wie Unrecht that er Tante Hecht! Mich schätzte er offenbar im Besitz der nötigen Unzulänglichkeit, die Tugend der Mutter und die Mitgift der Tochter nicht in Fährlichkeit zu bringen. So avancierte ich zum Schutzmann, ohne daß Tante Hecht oder ich es ahnten.

Unsere Unterhaltung wurde nicht öder, weil wir sie zu zweien führten. Ich entwickelte mich im Gegenteil immer stärker in der Philosophie, und das war sehr interessant. Eines Abends verbreitete ich mich eingehend über die Identität des All und des Nichts. Tante Hechts blitzblanke Witwenaugen schauten mich dabei so sonderbar an, daß ich schließlich trotz aller Stärke doch den Faden verlor. Grade als ob sie ein junges Mädchen und nicht Tante Hecht gewesen wäre.

Als ich schwieg, schüttelte sie melancholisch den Kopf. Die goldgelben Haare flimmerten dabei ganz merkwürdig im Lampenlicht. »Alles und nichts! Man spricht das so leicht aus, lieber Freund. Nichts ist mir zu wenig und alles zu viel. Zwischen dem absoluten Sein und dem absoluten Nichtsein liegt [113] das Leben. Daran halte ich mich. Ich bin für den Mittelweg. Etwas, das ist mein Fall. Damit müssen wir Menschen uns bescheiden. Daran hat man seine Freude.«

Das paßte offenbar nicht zum Thema. Ich wollte es ihr auseinandersetzen, aber sie legte beruhigend die Hand auf meine Lende. Damals waren die engen Hosen Mode. So gewannen ihre Worte mehr und mehr warmen Nachdruck. »Liebster Freund! Nach dem Alles streben die Thoren, das Nichts ist ein Spielzeug für Kinder. Der Kluge wählt die Mittelstraße. Wo sich Ihnen etwas bietet, da fassen Sie zu! Eine Handvoll Wirklichkeit ist besser als ein Fuder Einbildung.«

Ich starrte sie an. Ganz perplex war ich. Was mochte sie meinen? Die Stelle, wo ihre Hand ruhte, glühte wie Feuer. Nichtsdestoweniger fing ich meine Auseinandersetzung von vorne an. »Das Wesen des Absoluten besteht eben darin, daß es in Wirklichkeit gar nicht vorkommt. Jedes Etwas hat nur relative Bedeutung. Das Ding an sich ist gar nicht vorhanden. So was giebt's nicht, Tante Hecht!«

Ich sah sie triumphierend an. Dagegen konnte sie sicher nichts einwenden. Sie zog denn auch ihre Hand zurück, daß mir ganz kühl wurde im Bein.

»Von dem Ding an sich weiß ich leider mehr wie Sie, lieber Freund,« sagte sie seufzend.

[114] Zum ersten Mal verstanden wir uns nicht in der Philosophie.

Am nächsten Freitag kam die Mappe aus dem Lesezirkel. Wie gewöhnlich besahen wir zusammen die Bilder. Tante Hecht saß dicht neben mir. Ihre Brust lag an meinem Arm. Ich fühlte deutlich die warme Fülle, dachte aber nichts dabei. Die goldgelben Haare kitzelten meine Backe. Tante Hecht schien mir auffallend kurzluftig diesen Abend. Ihr Atem ging hörbar. Beinahe stoßweise.

Ich richtete mich auf und fragte, ob ihr nicht ganz wohl sei. Noch hatte ich nicht ausgesprochen, als sie seitwärts umfiel. Glücklicherweise standen da ein paar Stühle. Darauf kam sie zu liegen.

Ich sprang erschrocken auf. Völlig ratlos war ich. Kein Mensch im Hause, den ich rufen konnte. Was sollte ich mit der ohnmächtigen Frau anfangen? Wie war sie zum Bewußtsein zu bringen? Die Philosophie ließ mich schnöde im Stich.

Tante Hecht lag da mit geschlossenen Augen. Ich beugte mich über ihr Gesicht. »Tante Hecht! Liebste Tante Hecht! Was fehlt Ihnen? Was haben Sie? Wie kann ich Ihnen helfen? Soll ich den Doktor holen?«

Bei der letzten Frage zuckte sie zusammen. In ihren Wimpern hingen Thränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Was habe ich gethan! Mein Gott! Mein Gott! Was habe ich gethan!«

[115] Ihr Kummer vermehrte meine Bestürzung. Sie hatte doch nichts gethan. Wirklich nicht. Ich auch nicht. In meiner Aufregung konnte ich bloß fragen: »Aber was denn, Tante Hecht? Was denn? So reden Sie doch! Geht's Ihnen schon besser? Sprechen Sie doch!«

Sie gab keine Antwort. Würdigte mich keines Blicks. Mit einem Ruck richtete sie sich auf. Sie wankte hinaus, unaufhörlich schluchzend: »Was habe ich gethan! Was habe ich gethan!«

Ich ratlos hinterdrein. Ohne Bewußtsein einer Schuld. Mit der Angst des größten Sünders. »Was denn, Tante Hecht? Was denn?«

Im Halbdunkel gings einen Korridor entlang.

Ich hatte ihn nie betreten.

Tante Hecht schluchzte voran: »Mein Gott! Mein Gott! Was soll nun werden?«

Ich einen Schritt hinter ihr. Ratlos. Ohne Gedanken. »Was denn, Tante Hecht? Sprechen Sie doch!«

Eine Thür nahm sie auf. Ich immer hinterdrein. Ich merkte gar nicht, daß wir im Schlafzimmer waren.

Auf einem Bett sank sie nieder … rücklings. Sie sprach nicht mehr. Ich hörte nur noch den kurzen Atem. Es klang wie Röcheln.

In meiner Angst riß ich die Knöpfe ihrer Taille auf. Sie mußte Luft haben. Die Brüste quollen [116] hervor. Weiß. Rund. Wogend. Ich dachte überhaupt nichts mehr. Auch die Angst war weg. Vor meinen Augen flimmerte es, weiß … weiß …

Da war er, dieser fatale Zustand, wo der Verstand stillsteht, weil der Kopf voll heißer Luft ist. Sogar in meinem Gedächtnis ist ein Loch an dieser Stelle.

Im Gastzimmer saßen wir auf unsern Stühlen. Tante Hecht hatte sich erholt. Die goldgelben Haare waren witwenhaft sittig glattgestrichen. Auf den Wangen lag ein gesundes Rot. Sie atmete völlig ruhig. Der Anfall hinterließ offenbar keine nachteiligen Folgen. Aber die Philosophie kam nicht wieder in Fluß diesen Abend. Früher als sonst wurde ich nach Hause geschickt.

Ich trug den Kopf sehr hoch unterwegs. So gereift kam ich mir vor, so vollendet, so männlich. Kollege Hagen that mir leid. Eine Stunde zuvor hatte ich noch an keine Heirat gedacht. Nun mußte ich doch sein Schwiegervater werden, obgleich er der ältere war. Ich wußte, was der Mann »dem geliebten Gegenstand« schuldig ist, der ihm vertraut.

Am nächsten Abend fragte ich Tante Hecht, wann die Hochzeit stattfinden sollte. Es kam etwas stockend über die Lippen. Auch die Sätze waren nicht korrekt gebaut. Seltsam war es doch, daß ich mit einem Mal nicht bloß Gatte, sondern gleich auch Vater einer heiratsfähigen Tochter werden sollte.

[117] Tante Hecht verstand mich anfangs gar nicht. Sie meinte, daß ich von Kollege Hagen und Ella spräche. Als sie endlich begriffen hatte, lachte sie laut auf. »Ach Du! Du weißt ja, daß ich gar nicht wieder heiraten darf.«

Ich muß wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben, denn sie nahm mich lachend beim Kopf und küßte mich. »Heiraten will das große Kind! Wahrhaftig! Mich heiraten! Mach Dir keine Sorge deshalb! Nein, deswegen nicht! Lieb haben, weißt Du … Ach, laß nur! Das verstehst Du noch nicht. Nein, so was! Heiraten will er mich alte Frau! Dafür muß ich Dich küssen.«

Sie nahm mich neuerdings beim Kopf. »Du großes Kind! Begreifst Du denn nicht? In der Liebe und Ehe gehts kreuzweise zwischen Männern und Frauen.«

Ehe ich wußte, wie's geschah, waren wir in dem halbdunkeln Korridor. Etwas weiterhin rechts befand sich die Thür.

Und wieder saßen wir plaudernd im Gastzimmer.

»Sag doch, Tante Hecht, wie meintest Du das vorhin? Kreuzweise, sagtest Du.«

Sie wurde ganz ernsthaft. »Ja, ja! Das ist so. Jung zu Jung, das wäre das Richtige. Sie würden zusammen alt, und die Lust hätte für beide zugleich ein Ende. Aber siehst Du, das ist nun mal so in der Welt. Wenn sie jung sind, hat er kein Geld [118] zum Freien, und sie will nicht warten. Da nimmt sie einen Mann in guten Jahren, der sein gutes Auskommen hat.«

»Und Ella und Hagen?« warf ich ein.

»Unter uns gesagt, ich glaube nicht, daß Ella ihn nimmt. Es wäre mir auch gar nicht lieb. Herr Meyer hat um sie angehalten, Du weißt, das große Tuchgeschäft an der Ecke. Er ist zwar schon ein bißchen angegraut, aber sie wird ihn wohl nehmen. Er verdient seine zehn bis zwölf Tausend das Jahr.«

Mir ging plötzlich das Verständnis auf für die Einrichtung der Welt. »Ganz recht! Ich begreife, Tante Hecht,« sagte ich lachend. »Wenn sie dann Witwe ist, giebt es auch noch junge Männer, deren Erziehung der Nachhülfe bedarf, und die noch nicht genug verdienen um zu freien.«

Sie drohte mir mit dem Finger. »Willst Du wohl artig sein!«

»Aber Tante Hecht! Wie könnte es besser bestellt sein in der Welt als kreuzweise? Jeder kriegt was Junges und was Altes hintereinander, oder auch umgekehrt. Mehr kann wahrhaftig keiner verlangen. In der Philosophie nennt man das ausgleichende Gerechtigkeit. Prosit, Tante Hecht!«


[119]


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