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Herr August Schäfflein hatte ein gutes Gerücht unter den Leuten. Kein Wunder bei solcher Fülle hervorragender Eigenschaften. Er betrieb eine Steinkohlenhandlung. Natürlich war sein Verdienst dabei nicht klein, deshalb schrieb er ihn mit einem großen F.
Was Herr Schäfflein war und leisten konnte, stand in den gelesensten Zeitungen. Letzte Inseratenseite. Unten rechts. In Riesenlettern prangte dort sein Name. Jede Woche einmal. Im Winter zweimal. Dreißig Pfennige die Petit-Zeile oder deren Raum. Und er zahlte prompt, Herr Schäfflein. Deshalb fanden auch Nachrichten aus seinem verdienstvollen Dasein in angemessenen Zwischenräumen ihren Weg in den lokalen Teil und in den Tagesbericht. Schon morgens beim Kaffee konnte Herr Schäfflein lesen, daß er den Schnupfen gehabt, oder sich eine neue Hose angeschafft hatte.
Herr Schäfflein setzte seinen Kohlen nur einen geringen Prozentsatz Steine zu. Wenn die Hausfrau beim Abladen aufpaßte, lieferte er annähernd richtiges [49] Maß. Er war der Mann seiner Zeit. Er hatte ein gutes Gerücht unter den Leuten. Selbst der Bote der Steuerbehörde nahm die Dienstmütze bereits vor der Hausthüre ab, wenn er den Deklarationszettel brachte.
Eine Null ist natürlich nichts. Aber die sechs Nullen, denen Herr Schäfflein als höhere Macht gebietend vorstand, die waren etwas. Wie ein sechsfacher Heiligenschein flatterten sie ihm nach, wo er sich zeigte. Dann deuteten die Leute vielsagend mit den Augen auf ihn hin. »Herr Schäfflein!« … »Ein feiner Mann!« … »Pikfein!« … »Ja!!« …
Wie Herr Schäfflein dazu gekommen?
Du lieber Gott! Wie kommt so was? Meistens kommt es überhaupt nicht. Mancher kriegt es als besondere Gnade mit auf den Weg. Wer nicht siebenstellig werden soll, bleibt all sein Lebtag ein Lump. Herr Schäfflein hatte das Zeug dazu, deshalb kam er in den siebenten Himmel, wo man beim Eintritt sechs Nullen vorzeigen muß. Ganz aus eigener Kraft heiratete er die Witwe seines verewigten Prinzipals und wurde dadurch ein selfmade-man.
So ungefähr 55 Jahre mochten vergangen sein, seit seine Wiege irgendwo an der russischen Grenze stand. Grade an der Stelle, wo aus germanischer Kraft, slavischer Schlauheit und alttestamentlichem Handelsgenie die strebsamsten Jünglinge erzeugt werden. Das heißt, eine Wiege war es eigentlich [50] nicht, worin Herr Schäfflein seine damals noch dünnen Beine im Strampeln übte. Seine Mutter erachtete einen ausrangierten Kartoffelkorb zu diesem Zweck für völlig ausreichend. Der etwas durchlässige Boden desselben erhielt durch die Überreste eines ehemaligen Flanellunterrocks so viel Dichtigkeit, daß der künftige Beherrscher von sechs Nullen nicht heimlich in Verlust geraten konnte.
Herr Schäfflein wurde auf den Namen seiner Mutter getauft. Die Gute! Sie hatte keine Ahnung von der Weltordnung. Die Verwandtschaft zwischen Vater und Sohn wird nicht im Bett der Mutter, sondern auf dem Standesamt hergestellt. Das wußte sie nicht.
Die Jungfrau, welche Herr Schäfflein Mutter nannte, dachte nur an das Wohl ihrer Nachkommenschaft. »Je mehr, je besser!« Diesem Grundsatz huldigte sie auch betreffs der Väter ihrer Kinder. Schon während Herr Schäffleins Fötalzeit nannte sie als seinen Erzeuger so verschiedene Namen, daß nachher kein Gericht den Thäter feststellen konnte.
Herr Schäfflein verlor nichts dabei, daß ihm von Rechtswegen so ein Auch-Vater nicht zuerkannt werden konnte. Zwar standen infolge dessen zu seiner Erziehung keine Alimente zur Verfügung, aber grade darin lag ein Glücksmoment. Schon als kleiner Junge gewöhnte er sich an selbständiges Handeln. Auch seine Divinationsgabe erfuhr bedeutende Stär [51]kung. Nur selten verfehlte er den Ort, wo die Feldarbeiter ihren Mundvorrat aufbewahrten.
Als ältester von drei nachgebornen Brüdern, mit denen er mütterlicherseits nahe verwandt war, trat Herr Schäfflein früh in das Erwerbsleben. Schon als neunjähriger Bengel bekleidete er das verantwortungsvolle Amt eines Ochsenjungen auf demselben Gute, wo seine Mutter von der Herrschaft als Kuhmagd und von den Knechten als Trösterin in der Öde des Junggesellen-Daseins hoch geschätzt wurde.
Bald nach seinem zwanzigsten Geburtstag trat das folgenschwere Ereignis ein, welches dem Dasein des Herrn Schäfflein eine neue, ungeahnte Richtung gab. Vielleicht infolge der unaufgeklärt gebliebenen Veranlassung seiner Geburt hatte ihm die Natur außer einem starken Körper ein heißes Liebesbedürfnis mit auf den Weg des Lebens gegeben. Seinen Überfluß an Zärtlichkeit drängte er in etwas ungestümer Art einer Jungfrau auf, ohne zuvor die pfarramtliche Autorisation oder ihre persönliche Einwilligung nachzusuchen. Die Folge war, daß Herr Schäfflein in eine jener Anstalten verbracht wurde, wo alle Pensionäre Jacken von gleichem Schnitt und Stoff tragen und statt des Namens eine Nummer führen. Da der Besuch dieser Institute vom Militärdienst befreit, hatte Herr Schäfflein vom 23. Jahre ab sein ganzes Dasein zu freier Verfügung vor sich. Er zog in die [52] Ferne, ganz auf die andere Seite des Reichs. So vorgebildet, nebenbei jung und stark, konnte es ihm um so weniger fehlen, als sich sogar die Polizei noch etliche Jahre lang regelmäßig nach seinem Wohlbefinden erkundigte.
Schon während der Zeit, als Herr Schäfflein bloß eine Nummer war, hatte er den Segen eines frommen Augenaufschlags lebhaft verspürt. Manche Erleichterungen wurden ihm zuteil. Er nahm sie mit aufwärts gerichteten Blicken hin. Nach Beendigung des numerierten Zustandes empfahl ihn der Anstaltsgeistliche an den Hirten einer kleinen aber mächtigen Herde in eben jener Stadt, wo so viele Nullen darauf warteten, sich an Herr Schäfflein anzuschließen.
Derselbe machte der Empfehlung Ehre. Jeden Sonntag ging er zwei Mal zur Kapelle. Auch an den Übungen im Jünglingsverein nahm er eifrig teil. Wenns ans Knieen ging, war er der erste, welcher rutschte. Beim Aufstehen riß er sich schwer und immer zuletzt vom Fußboden los.
Sein Eifer und seine Zerknirschung konnten nicht unbemerkt bleiben. Er erhielt eine Stelle als Kohlenträger bei einem hervorragenden Mitglied der Gemeinde. Später wurde er Leibkutscher für Madame und endlich Faktotum im Hause. Niemand erinnerte ihn an die Verirrung seiner Jugend. Nur einmal, nachdem sie wiederholt stille Betrachtungen über Herrn [53] Schäffleins stattliche Beine angestellt hatte, ließ sich seine Gebieterin über jenen Vorfall Bericht erstatten. Die würdige Dame besaß Verständnis für heißen Liebesdrang. Ihr Gatte, der Kohlenhändler, war nicht sehr stürmisch veranlagt. Wie gesagt, Herr Schäfflein wurde Leibkutscher bei Madame und betrat damit die Staffel, welche ihn langsam zu der Höhe von sechs Nullen hinaufführte.
Nach dem Tode des Chefs wurde er aus einem stillen Mitarbeiter der legale Nachfolger im Ehebett und im Geschäft. Seine frühere Protektorin führte ihn als Gatten heim, obgleich sie 26 Jahre mehr zählte. Bereut hat sie's niemals. Herr Schäfflein war ein Mann, der neben seiner Pflicht noch ein übriges that.
Die sechs Nullen standen nun unter seinem Kommando. Damit war die Hauptsache erledigt. Den Text der Geschäftsbriefe lieferte der Buchhalter. Die Unterschriften vollzog Herr Schäfflein in alter Orthographie. Kalligraphie ist in solchen Fällen überhaupt beinahe ein Fehler. Herrn Schäffleins gutes Gerücht unter den Leuten mehrte sich zusehends. Aber trotz aller sechs Nullen, die hinter ihm standen, blieb er demütig und bescheiden.
Es war erhebend, wenn er am Arm seiner Gattin in die Kapelle trat, die seiner Freigebigkeit ein Fenster verdankte, dessen Glasmalerei die Versuchung des heiligen Antonius darstellte. Nur ein winziger Um [54]stand kennzeichnete die veränderte Sachlage. Herr Schäfflein fand jetzt einen Betschemel, wo er sich früher die Kniee wundgelegen hatte.
Seine Zeit war zwischen Geldverdienen, Andachtsübungen und Liebeswerken glücklich aufgeteilt. Alle Magdalenen-Stifte erfreuten sich seines Rats und seines Beistandes. Aber er war durchaus nicht ruhmredig. Eine ganze Reihe seiner Gutthaten kam niemals an die große Glocke. Im stillen unterstützte er eine Anzahl hübscher, junger Mädchen, die er in Verdacht hatte, sie könnten möglicher Weise auf Abwege geraten. Seine bösen Ahnungen täuschten ihn selten. Leider! Und obenein kam der Name des schändlichen Verführers seiner Schützlinge niemals an den Tag.
Daß sich ein Mann wie Herr Schäfflein von allen Veranstaltungen grundsätzlich fernhielt, die wie Theater und Ballet die sündhaften Triebe der Menschennatur aufzustacheln nur zu geeignet sind, versteht sich am Rande. Dagegen widmete er sich mit Eifer allerhand Ehrenämtern, welche die Verehrung der Mitbürger in seine würdigen Hände zu legen sich beeilte. Er suchte die Bedürftigen in Kellern und Dachkammern auf. Das Fortkommen der Töchter lag ihm vor allen Dingen am Herzen, besonders wenn die Mädchen hübsch waren. Solche sind der Verführung am meisten ausgesetzt.
Diese gesegnete Thätigkeit erhielt einen jähen [55] Stoß, als Herrn Schäffleins Gattin selig entschlief. Sie war zwar mit ihren achtzig Jahren zuweilen schon etwas kindisch gewesen, aber alle Leute konnten sich daran erbauen, wie heiß er sie beweinte. Eben 54 Geburtstage hatte er damals hinter sich. Das beste Alter sozusagen. Heiraten wollte er nicht mehr.
Der Haushalt wurde in ehrbarster Weise fortgeführt. Herr Schäfflein schätzte seine Wirtschafterin, die alte Martha. Erstens kochte sie sehr gut. Außerdem war sie dreiviertel taub. Es hat etwas Angenehmes, wenn so ein altes Haustier nicht bei jedem Schritt aufhorcht, den der Herr in der Nacht zu thun Veranlassung nimmt. Manche liegen gar schon wachend im Bett, wenn er einmal … auf Grund von Geschäften natürlich … erst gegen Morgen heimkehren kann. Wie gesagt, es hat etwas Gutes, wenn die Haushälterin möglichst taub ist.
Gerade damals verwaiste Marie. Herr Schäfflein kannte sie längst. Er hatte sie heranwachsen sehen. Mit Rücksicht auf Mariens vielversprechende Figur ließ er ihrer Mutter aus eigener Tasche eine Unterstützung zufließen. Jeden Monat. Ganz regelmäßig. Marie wußte nichts davon. Ihr Vater erfuhr es auch nicht. Der gute Mann schwärmte für die wirtschaftlichen Talente seiner Frau, die stets gut bei Kasse war. Marie sollte nicht in Dienst gehen. Sie war zu hübsch dazu. Die Gefahr der Verführung zu groß. Bei den Eltern sollte sie bleiben bis zum [56] sechzehnten Jahr. Bis Herr Schäfflein etwas Passendes für sie fand. So war es mit der Mutter verabredet. Er wollte es schon machen.
Nun war Marie plötzlich verwaist. Die Trauerkleider standen ihr gut. Herr Schäfflein bezahlte sie. Ebenso die Begräbniskosten. Marie ließ den alten Freund ihrer Mutter gewähren. Was sollte sie machen? Gewiß … sie sah achtzehnjährig aus, aber sie zählte noch keine sechzehn. Ein Vierteljahr fehlte daran, an den sechzehn. Herr Schäfflein wußte es ganz genau. In solchem Alter glaubt man gern an Schutzengel, weil man sie dann am besten brauchen kann. Besonders Mädchen. Marie hielt Herrn Schäfflein für ihren Schutzengel.
Es war nicht Herr Schäffleins Art, ein gutes Werk halb zu thun. Im Laufe des nächsten Vormittags wurde ein Hinterzimmer seines Hauses mittels Bretterwand in zwei Längsabteile zerlegt. Eine Thür vermittelte die Verbindung zwischen beiden. Gegen Abend war das Ganze mit Tapeten schön überklebt. Als die Handwerker gingen, brachte Herr Schäfflein in der neuen Wand eine kleine Öffnung an, durch welche er den Nebenraum vollständig übersehen konnte. Er that es eigenhändig. Es giebt Löcher, deren Vorhandensein am besten bloß dem Hausherrn bekannt ist. Den Schlüssel zu der Verbindungsthür steckte Herr Schäfflein in die Tasche. Unter den Tapeten war der Durchgang kaum zu erkennen.
[57] Am nächsten Tage hatte Herr Schäfflein eine Unterredung mit seiner Haushälterin. Wegen der Taubheit der alten Person wurden dabei neben der Lautsprache auch allerhand Fingerzeichen benutzt. Martha begriff endlich, daß ihr Herr, gütig wie immer, zu ihrer Bequemlichkeit und Unterstützung eine junge Kraft ins Haus nehmen würde.
In der einen Hälfte der früheren Hinterstube wurde Marie einquartiert. Der Raum lag zu ebener Erde. Herr Schäfflein hätte es jetzt gern anders gesehen. Er hatte nicht an das Gartenfenster gedacht. Aber da er selbst im Erdgeschoß schlief … Vorläufig ließ sich an der Sache nichts ändern. Es mochte so bleiben. Eine hohe Garteneinfriedigung hielt Zudringliche fern.
Mariens Einzug gestaltete sich zu einer erbaulichen Feier. Herr Schäfflein hielt eine kleine Ansprache über die Pflichten christlicher Dienstboten. An den halbtauben Ohren der Haushälterin ging das meiste vorbei. Marie hörte mit niedergeschlagenen Augen, daß ein Hausmädchen bemüht sein soll, die Wünsche ihrer Herrschaft zu erraten, daß sie denselben entgegenkommen muß. Noch manche andere Lehre und Ermahnung gab Herr Schäfflein zum besten, während er die langen, gesenkten Wimpern der neuen Hausgenossin bewunderte.
Alles ging in patriarchalischer Art seinen ruhigen Gang. Öfter als früher hatte Herr Schäfflein in [58] der Küche zu thun. Oder er mußte die Treppe hinauf, wenn Marie auf der obersten Stufe mit geschürzten Kleidern zu scheuern begann. Das Mädchen blieb bescheiden. Hörte Herrn Schäffleins Worte mit gesenkten Lidern an. Mit einem Wort, sie bewegte sich in Züchten, die einer tugendsamen Maid sehr zur Zierde gereichen.
Herr Schäfflein frohlockte. Eine reine Seele war in seine Hand gelegt. Aber schon nach wenigen Tagen überkam ihn die Sorge. Was that Marie, wenn sie allein in ihrer Kammer war? Gewann das Böse dort Macht über sie? Der Versucher liebt einsame Menschen.
Zum Glück dachte Herr Schäfflein an die Öffnung in der Bretterwand. Das hatte ihm damals ein guter Geist eingegeben. Von jetzt ab stand er auf Posten in dem dunkeln Abteil. Er sah zu, wenn Marie sich wusch. Er paßte auf, wenn sie die Wäsche wechselte. Er wachte über sie, bis abends die jungen Glieder unter der Decke verschwanden. Am liebsten hätte er sie auch dann noch behütet. Aber es ging nicht. Leider! Und daß es nicht ging, raubte ihm die nächtliche Ruhe. So aufopferungsvoll betrieb Herr Schäfflein den Sicherheitsdienst für sein Dienstmädchen, daß sein Gesicht ganz hager wurde, und die Augen beinahe geisterhaft aus ihren Höhlen blickten. Aber noch immer that er sich nicht genug. Als der Frühling ins Land zog, und der Garten [59] hinter dem Hause sich belaubte, hielt er auch morgens hinter der Bretterwand Wache, damit Marie nicht im Frühlicht auf Abwege geriet.
Wie sehnte er sich nach dem Geburtstage der Kleinen! Mit sechzehn Jahren werden die Mädchen ehemündig. Die Verantwortung ist dann weniger groß. Ehereif war ja Marie schon längst. Er hatte auf seinem Posten nicht umhin gekonnt, es zu bemerken. Aber ehemündig! Das ist ganz etwas Anderes. Ein ehemündiges Mädchen kann »ja« sagen, dann kümmert sich keiner darum.
Noch ehe der ersehnte Tag herankam, trat eine Veränderung ein. Marie sang, wenn sie sich in ihrer Stube allein glaubte. In ihrem Wesen lag etwas Gehobenes, wodurch sich Herr Schäfflein sehr beunruhigt fühlte. Was war mit dem Mädchen geschehen? Ein neuer Geist schien in ihr zu wohnen. Mit doppeltem Eifer ging er seinem Wachtdienst nach.
Neuer Schrecken. Eines Abends fand er das Kuckloch in der Bretterwand geschlossen. Rite zugestopft. Das konnte nur Marie gethan haben. Herr Schäfflein war starr. Den Pflock ausstoßen durfte er nicht. Sie hätte es gemerkt. Was thun?
Im Hemde saß Herr Schäfflein auf dem Sofa, das er zu größerer Bequemlichkeit unter dem Belvedere aufgestellt hatte. Er war traurig. Traurig und wütend. Seine Hände spielten nervös mit dem [60] Schlüssel zur Verbindungsthür. Er lauschte, was nebenan geschah. Bei Marie. Er lauschte mit aller Kraft seiner Nerven. Einmal wurde ein Stuhl gerückt. Was that das Mädchen? Der Teufel äffte Herrn Schäfflein. Mitten in der Nacht glaubte er Flüstern und leises Kichern zu hören.
Ein Tag … noch ein Tag … der dritte Tag. Mariens Geburtstag war da. Er ging vorüber. Die sechzehn waren voll. Endlich!
Im Hemde, das Licht in der Hand, schloß Herr Schäfflein die Verbindungsthür auf. Sie knarrte nicht. Ein leiser Luftzug ließ das Rouleau am offenen Fenster rauschen. Mit geschlossenen Augen lag Marie auf dem Kissen.
Herr Schäfflein konnte sich nicht enthalten, den Thatbestand genauer zu prüfen. Vielleicht verbarg sich ein zweites Gesicht unter der Decke. Vorsichtig hob er dieselbe auf. Mariens Hemd war nicht geschlossen. Es hatte sich ein wenig verschoben. Herr Schäfflein fühlte einen Schwindel in seinem Haupt. Vor seinen Ohren begann es zu sausen.
Die Schläferin regte sich. Sie schien zu erwachen. »Komm, August!« sagte sie. Ohne die Augen aufzumachen, rückte sie ein wenig zur Seite.
Herr Schäfflein zitterte vor Aufregung. August! So hieß er. Das gute Kind hatte ihn in ihr unschuldiges Herz geschlossen für seine Gutthaten. Wenn er das gewußt hätte! Nur geahnt! Manche schlaf [61]lose Nacht wäre ihm erspart geblieben. Er stieg in das Bett. Streckte sich aus.
»August!« flüsterte Marie. Sie lächelte hold und schlug die Augen auf. Plötzlich wurden ihre Blicke starr vor Entsetzen. Sie stieß Herrn Schäfflein zurück und versuchte aufzuspringen. »August! Hilfe! August! August!« schrie sie mit gellender Stimme.
Herr Schäfflein rang mit ihr. Das Licht wurde umgeworfen. Tiefe Dunkelheit. »Sei doch still, Närrchen! Ich bin ja schon hier.«
»August! Hilfe!«
Ein Poltern am Fenster. Ein dumpfer Schall von zwei Füßen, die zugleich auf den Fußboden sprangen. Herr Schäfflein fühlte sich ergriffen, von zwei gewaltigen Fäusten auf die Dielen gerissen. Dann hörte er es hinter sich in seiner Leibesmitte klatschen … klatschen … Dazwischen vernahm er Worte … Worte greulichster Art, die seiner Person galten. Es hörte gar nicht auf. Es klatschte immer fort. Ohne Ende. Ohne Ermüdung.
Herr Schäfflein hatte bloß das Hemde an, aber es schien ihm, als sei selbst diese letzte Hülle nicht auf ihrem Platz. Bei jedem klatschenden Laut hatte er eine Empfindung, als würde an betroffener Stelle ein Stück Haut von seinem enthemdeten Sitzfleisch gerissen in langen, zollbreiten Streifen. Vielleicht wars auch eine glühende Eisenstange, die auf seiner hinteren Polsterung Ballet tanzte.
[62] Es klatschte noch immer.
Und während es klatschte, erinnerte sich Herr Schäfflein plötzlich an seinen einstigen numerierten Zustand mit Staatspension. Da ging das Klatschen hinter ihm ganz unerwartet nach dem Takt: Rück – fall! Rück – fall! …
Das Klatschen hörte noch nicht auf. Herr Schäfflein stöhnte. Um Hilfe schrie er nicht. Es war Marie, die endlich sagte: »Höre doch auf, August! Er hat mir ja noch nichts gethan!«
* * *
Vier Wochen später hielt Marie Hochzeit mit ihrem Bräutigam August Kiekebusch. Herr Schäfflein richtete dem jungen Paar ein hübsches Geschäft ein. Alle Welt bewunderte seinen Edelmut. Mehr als je ist sein gutes Gerücht unter den Leuten im Zunehmen.