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Das war ein Anfahren von Equipagen vor dem Palaste des Bankiers Necker, ein Aufreißen der Wagenschläge, ein Herausschweben von eleganten Damen in langen kostbaren Schleppkleidern, ein Aufeinanderfolgen von Herren in schwarzem Frack und weißen Handschuhen! Reich livrierte Lakaien standen an der Eingangsthüre, längs der Marmortreppe und vor den erleuchteten Sälen! Der Ballsaal strahlte in größter Pracht, reich an Licht, an Gold und Blumen. Das Fest hatte begonnen; eine auserlesene Musik intonierte einen der beliebtesten Walzer, bei dessen Klängen die tanzlustigen jungen Mädchen sich wie elektrisiert fühlten; dennoch waren es noch wenige Paare, die sich im Kreise drehten.
Niemand wußte warum; aber es war Thatsache, daß die jungen Männer zum Tanzen nicht aufgelegt zu sein schienen; es war, als harrten sie mit Ungeduld etwas Besonderem entgegen. Alle Augen richteten sich auf die Eingangsthür und selbst die tanzenden Paare lenkten unbewußt ab und zu ihre Blicke dahin. Auf einmal erhob sich ein ungewöhnliches Stimmengeflüster; alles wandte sich einem und demselben Punkte zu, und man sah auf der Thürschwelle ein junges Mädchen an der Seite der Hausherrin erscheinen, von Herrn Arnaldi und der Familie Varelli gefolgt.
Schön wie eine Fee, von schlanker, graziöser Figur, in ein weißes Kleid von einfacher Eleganz gehüllt, trat Malwina in den Saal.
Reiches dunkles Haar, von einem Vergißmeinnichtsträußchen gehalten, schmückte das anmutige Haupt. Ein weiteres Sträußchen derselben Blumen zierte die Taille, auf diese Weise das monotone Weiß gefällig unterbrechend.
Alle umringten die schöne Tochter des Herrn Arnaldi, und die Herrin des Hauses verließ sie, um andere Gäste zu empfangen.
Obschon Herrn Arnaldi dergleichen Feste nichts weniger als angenehm waren, weil er sie als Schaugepränge des Reichtums betrachtete und als Gelegenheit, um diejenigen am meisten zu feiern, welche die größte Eitelkeit entfalteten, konnte er sich diesen Abend wenigstens einer gewissen Befriedigung nicht entziehen, da er dem Triumphe seiner Tochter beiwohnte. Die zahlreichen Geladenen hatten nur Augen für seine Malwina, und wenn auch manche böse Zunge bemerken wollte, daß gewisse Kopfbewegungen, ein momentanes Aufblitzen der Augen sie hochmütig erscheinen ließen, mußten sich doch alle überzeugen, die mit ihr sprachen, daß sie im Gegenteile sehr liebenswürdig sei. So kam es, daß, obgleich sie so schön und ihr Erscheinen nicht allen Damen und jungen Mädchen gerade erwünscht war, sie dennoch weder Neid noch Mißgunst erregte. Es war auch nur zu begreiflich. War sie doch die reichste Erbin in Vercelli, und wenn sich auch die jungen Herren alle um einen Tanz bei ihr bewarben, wagte es doch keiner, ihr näher zu treten; denn sie war ein Schatz, den Herr Arnaldi mit Recht für zu kostbar hielt, um ihn den nächst besten Händen zu überlassen.
Um die Wahrheit zu sagen, befand sich unter all den vielen jungen Männern, die dort versammelt waren, nicht einer, der entweder durch Namen, hervorragenden Verstand oder Mittel den Millionen entsprechen konnte, die Malwina als Mitgift bekommen sollte. Entweder waren es ruinierte Adlige, Durchschnittslaureaten oder Kaufleute von geringer Geschäftskenntnis, und alle mehr oder minder nur darauf bedacht, den Damen den Hof zu machen und sich zu unterhalten, anstatt an Ernsteres zu denken.
Während des Balles fühlten sich einige der älteren Damen, die ihre Töchter begleitet hatten, bemüßigt, für die schöne Erbin einen Gatten auszusuchen. Sie ließen alle jungen Männer Revue passieren; aber sie vermochten keine passende Partie für sie zu finden.
»Ich habe es!« fiel plötzlich die Frau des Advokaten Bera, eine kleine, dicke Dame, ein; »ich weiß einen Kandidaten.«
»Wen denn?«
»Sie werden sehen! Raten Sie!«
»Ist er hier?«
»Nein.«
»Dann ist es schwer, zu raten.«
»Ich will es Ihnen sagen; ich dachte an Conti! Er ist reich, unterrichtet, hübsch … Und dann müssen Sie wissen, daß sie vergangenen Sommer irgendwo in den Bergen zusammentrafen. Wer kann behaupten, daß der junge Mann, als er sich dorthin begab, nicht schon wußte, daß er sie treffen würde? Zur selben Zeit, in demselben Gasthause sich finden, das scheint mir ein etwas verdächtiger Zufall. Meine Nichten, die Rezzoni von Mailand, die auch mit ihnen waren, erzählten mir, daß er sich sehr angelegentlich um sie bemühte und daß sie durchaus nicht gleichgültig schien. Genug; wir werden sehen; und wenn sich die Sachen so verhalten, wird der liebenswürdige Conti nicht versäumen, eines schönen Tages in Vercelli zu erscheinen, und dann wird sich die Angelegenheit bald entscheiden.«
Hier wurde die kleine Dame, welche dieses Problem gelöst haben wollte, von ihrem Gemahle gerufen, und sie entfernte sich grüßend.
Wer auf diesem Balle die meiste Befriedigung, nach Herrn Arnaldi, genoß, war seine Schwester, die auf alle Fragen über die Nichte zu antworten und dieselbe allen jenen vorzustellen hatte, die ihre nähere Bekanntschaft zu machen wünschten. Und da beständige Bewegung ihr Lebenselement war, fühlte sie sich an diesem Abend in der That befriedigt, und bei den Lobeserhebungen über Malwina blickte sie stolz um sich, als ob dieselben sie selbst angingen.
Den nächsten Tag begab sie sich sobald als thunlich zu ihrer Nichte, um ihr zu versichern, daß sie die Königin des Festes gewesen sei, und sie von nun an auf keinem Balle mehr fehlen dürfe, bei Strafe, als Nichte verleugnet zu werden. Malwina schüttelte lachend den Kopf. Am verflossenen Abend hatte sie sich gut unterhalten; sie gestand sich dies offen ein. Aber der Vater hatte mehrere Stunden seines Schlafes geopfert; diesen Morgen war er ausgegangen, ohne sie zu sehen; dann war er blaß und abgespannt heimgekehrt, hatte wenig gegessen und sich über Halsweh beklagt … Alles infolge der gestörten Nachtruhe für ihn, der Ruhe bedurfte, da er den Tag über angestrengt arbeitete.
Auch Malwina war bleich; die lange Nachtwache und dazu die Ermüdung infolge des Tanzens hatte sie so entnervt, daß sie sich nicht einmal dazu aufraffen konnte, ihr Gemach und das Arbeitszimmer ihres Vaters in Ordnung zu bringen, wie sie es bisher zu thun gewohnt war.
Die Huldigungen jedoch, die ihr dargebracht worden, hatten allerdings nicht verfehlt, auf ihr siebzehnjähriges Herz Eindruck zu machen, und mit wahrem Enthusiasmus schrieb sie an ihre Freundin Lina Boschis das Ergebnis ihres ersten Balles.
Malwina wußte nicht, in welcher traurigen Lage sich die Ärmste eben befand; sie wußte nicht, daß in dem Moment, wo sie den gelungenen Ball beschrieb, Lina am Sterbebett ihrer Mutter weinte!
Bei der nächstfolgenden Einladung, welche die Signorina Arnaldi erhielt, und die sie entschieden ablehnen wollte, brachten die Tante und Cousinen so viele schlagende Gründe vor, daß es wirklich gegen alle Regeln der Höflichkeit gewesen wäre, nicht anzunehmen. Es war in der Familie San Fiorenze, einer alten adligen, aber verarmten Familie. Wenn Malwina nicht hinginge, so würde es den Anschein haben, als verschmähe sie, an dem Feste teilzunehmen, weil dort nicht ähnlicher Luxus wie bei Necker entfaltet würde. Malwina sah ein, daß sie wirklich dieses zweite Opfer zu bringen gezwungen wäre.
Das Resultat war dasselbe und außerdem konnte sie sich auch besser unterhalten, da sie nicht mehr die langweiligen Vorstellungen durchzumachen hatte, indem sie bereits nahezu alle Eingeladenen kannte, die so ziemlich dieselben wie im Hause Necker waren. Auch diesmal begleitete Herr Arnaldi Malwina, die ihren Vater nicht allein zu Hause lassen wollte.
Endlich kam auch der Tag, an welchem Frau Varelli ihrem Bruder erklärte, daß er nicht mehr länger zögern dürfe, einem Ball in seinem eigenen Hause zu geben, so wenig Lust Vater und Tochter dazu auch zeigten. Sie seufzten, indem sie an die behagliche Ruhe des Hauses dachten, die nun seit langem verschwunden war und von deren Wiederkehr Malwina geträumt hatte. Die Tante war in ihrem Eifer für die Sache gern bereit, die nötigen Vorbereitungen ins Werk zu setzen, die Dekorateure zu bestellen und die Einladungskarten besorgen zu lassen.
Es war Montag, und der Ball sollte am Mittwoch stattfinden. Reges Leben und Treiben herrschte im Hause Arnaldi. Malwina überwachte alle Arbeiten, mit Laura als Gehilfin, die, seufzend nach dem verlorenen Frieden des Hauses, bald da, bald dort sich einfand, um nach allem zu sehen. Herr Arnaldi, müde von diesem Wirrwarr, flüchtete sich in sein Arbeitszimmer, wo er sich in seinen Lehnstuhl warf und in tiefes Brüten versank.
Malwina, die eben vorbeiging, sah ihn durch die halb offene Thür in dieser Stellung und trat ein, indem sie fragte: »Was treibst du, Papa?«
»Nichts.«
»Nicht wahr, dieser Lärm greift dich an?«
»Ja, mein Kind; ein wenig.«
»Hab' Geduld, lieber Vater! Es ist nur für dieses eine Mal. Ich möchte um keinen Preis mehr als einmal des Jahres diese Störung im Hause erleben. Das versichere ich dir!«
»Wir wollen es hoffen! Das wäre auch wirklich deiner Gesundheit schädlich. Du hast heute noch keinen Augenblick geruht, nicht wahr?«
»Mir schadet es nicht, weißt du!«
Als sich Malwina entfernte, sagte sie sich, daß, wenn sie der Tante gegenüber fest geblieben wäre, ihrem Vater diese Aufregung hätte erspart werden können. Die Schuld traf allein sie selbst. Durch die Vorbereitungen zu den Festen und durch die darauffolgende Abspannung hatte sie ihren Vater aufs neue vernachlässigt, und er litt unsäglich darunter. Sie hätte so gern auf diese Gesellschaft in ihrem Hause verzichtet; aber man konnte unmöglich mehr zurücktreten; die Einladungen waren schon alle ausgegeben worden.
Der große Tag war herangekommen. Alles war auf das Glänzendste und Großartigste vorbereitet; niemand sollte den Signor Arnaldi übertreffen, wie seine Schwester sagte, und niemand hätte sie zu widerlegen gewagt, da er ja der reichste Mann in Vercelli war. Er arbeitete allerdings noch immer; das that er aber nicht so sehr des Gewinnes halber, sondern um die Zeit auszufüllen, die in Müßiggang zu verleben ihm unmöglich gewesen wäre. Und dann war er es ja, der allein den Handel der Stadt belebte. Hätte er sich zurückgezogen, wäre das für die übrigen Kaufleute ein immenser Schaden gewesen; und wo würden dann die Hunderte von Beamten und Bediensteten, die in seinem Geschäfte angestellt waren, das tägliche Brot für ihre Familien hergenommen haben? Nein, nein. Er war viel zu thätig, viel zu verständig, um nicht zu arbeiten.
Bei all seinem Reichtum hatte er auch ein edles, menschenfreundliches Herz. Seine Untergebenen zeigten oft ihren Frauen bewegten Gemütes die großmütigen Geldgeschenke, die sie bei wiederholten Gelegenheiten von ihrem Prinzipal erhielten.
Der Palast Arnaldi bot an dem betreffenden Abend in der That einen bezaubernden Anblick. Die Flügel des riesigen Einfahrtthores waren weit geöffnet und ließen den ganzen Vorplatz frei, der in einen wahren Garten verwandelt war. Längs der großen Marmortreppe standen zwei Reihen herrlicher Gewächse in kostbaren Vasen. Der Ballsaal war pompös und strahlte in einem Lichtmeere. Die offenen Flügelthüren zu beiden Seiten desselben gestatteten einen Blick in die übrigen erleuchteten Salons, welche die Nichttanzenden zum Spiel und Plaudern einluden.
Herr Arnaldi saß in vollem Gesellschaftsanzuge in seinem Privatsalon und harrte des Erscheinens seiner Gäste, als er im gegenüber hängenden Spiegel seine Tochter hereintreten sah. Auch dieses Mal war sie in Weiß gekleidet; es war ihre Lieblingsfarbe. Sie sah entzückend schön aus; als einzigen Schmuck trug sie ein kleines Brillantdiadem auf ihrem dunklen Haar, und eine Brillantagraffe hielt das duftige Kleid an der einen Seite leicht gerafft.
Das Diadem war ihrer Mutter Eigentum und der Vater hatte es ihr an diesem Abend gegeben, zugleich als besonderes Geschenk die Agraffe beifügend. Mit aller Zärtlichkeit ihres dankbaren Herzens hatte Malwina diese kostbaren Gaben entgegengenommen. Das Licht spiegelte sich in den herrlichen Steinen und sie sprühten in roten, blauen und gelben Blitzen, ähnlich dem Funkeln der Sterne am Nachthimmel.
Herr Arnaldi betrachtete seine Tochter voll Bewunderung.
»O! wenn ihre Mutter da wäre!« dachte er.
Diese Woche mit ihrem Lärm und ihrer Unordnung im Hause war vergessen und er fühlte sich reich dafür entschädigt, als er seine Malwina so schön und herrlich vor sich sah.
In diesem Augenblicke meldete ein Diener, daß die ersten Gäste vorgefahren seien, und Vater und Tochter eilten in den Empfangssalon.
Eine Stunde darauf herrschte das heiterste Leben in den großen Sälen; die kostbaren venetianischen Spiegel vervielfältigten dieses bunte Bild von lächelnden, schönen Frauen und Mädchen, unter denen Malwina wie eine Sonne hervorstrahlte. Sie war die vollendete liebenswürdige Hausfrau; sie sorgte dafür, daß kein junges Mädchen ohne Tänzer blieb, daß die Herren in den Spielzimmern nichts vermißten, und setzte sich zu den älteren Damen, dieselben durch ihr anmutiges Geplauder erheiternd.
»Sind nun alle Gäste versammelt, Tante?« fragte Malwina Frau Varelli.
»Ja, alle, es fehlt niemand.«
Gleich darauf wurde sie von einem Diener beiseite gerufen.
»Was giebt es?« fragte sie.
»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen.«
»Einer der Geladenen?«
»Nein, gnädiges Fräulein; ein Fremder.«
»Wer könnte es sein? Ich kenne niemand. Was will er? Hat er wirklich nach mir gefragt?«
»Er wünscht auch Herrn Arnaldi zu sprechen, der aber noch im Billardzimmer zurückgehalten ist.«
Als sie sich dem Privatsalon zuwandte, durchfuhr sie ein blitzartiger Gedanke.
»Sollte es gar ›er‹ sein?« dachte sie.
Und von der blauseidenen Portiere aus, die der Diener zurückgeschlagen hatte, konnte sie in dem Halbschatten einen Herrn in vollkommener Gesellschaftstoilette, hoch aufgerichtet, erkennen. Ihr Herz schlug heftiger.
»Signorina,« sagte Conti, der schnell in die Helle hervortrat und ihr entgegen eilte, »verzeihen Sie mir, wenn ich Sie von dem Feste wegrufe; aber diesen Abend erst angekommen, wollte ich die Gelegenheit nicht versäumen, Sie zu begrüßen; und ich konnte mir doch nicht die Freiheit nehmen, dem Balle in Ihrem Hause beizuwohnen, ohne dazu aufgefordert zu sein.«
»Unser Haus steht Ihnen immer offen,« antwortete Malwina, die sich Gewalt anthun mußte, die Worte hervorzubringen, die ihr beinahe in der Kehle stecken blieben.
Da kam Herr Arnaldi, und riß sie aus der Verlegenheit. Er begrüßte Conti mit offenen Armen, dankte ihm für sein Erscheinen, mit welchem er den Glanz des Festes erhöhte, und nach einigen weiteren herzlichen Worten verfügten sie sich zu den übrigen Gästen.
In den folgenden Stunden wurde von nichts anderem gesprochen, als von dem schönen Paare, und die Frau des Advokaten Bera wiederholte von neuem denen, die es bereits wußten und den anderen, denen es noch unbekannt war, daß sich beide während des Sommers in Fenestrella getroffen hätten, und daß sie schon damals gegenseitig sympathisierten.
Allen fiel es auf, daß Malwina nun noch viel heiterer und animierter schien, und bemerkten, daß, sobald Conti sie verließ, ihre Augen ihm stets folgten. Die Sache galt demnach für ausgemacht. Das reiche Fräulein Arnaldi sollte die noch reichere Frau Conti werden. Das war außer allem Zweifel.
»Es war immer so und wird immer so bleiben. Geld kommt zu Geld,« sagte eine Dame, die Mutter von vier heiratsfähigen Töchtern. »Wenn ein Mädchen nicht das hat,« und dabei ließ sie bezeichnend den Daumen auf dem Zeigefinger der rechten Hand spielen, »wenn es das nicht hat, besäße es auch alle guten Eigenschaften und jede Tugend, so findet sie doch keinen Mann. Wenn ich ein reicher junger Mann wäre, würde ich gerade ein vermögensloses, braves Mädchen glücklich machen.«
Nachdem sich alle Gäste verabschiedet hatten und Malwina sich in ihrem Zimmer befand, bedauerte sie, daß das Fest so schnell vorübergegangen war. Sie hatte es so recht genossen, besonders in den letzten Stunden! Nach dem Erscheinen Contis schien die Zeit wie auf Flügeln zu enteilen. Und sie hatte geglaubt, ihn vergessen zu haben! Sie durchging in Gedanken nochmals jeden geringsten Umstand dieses Abends: als sie ihn im Salon vorfand, seine Worte, seinen Gesichtsausdruck, seine Bewegungen, alles!
»Aber wozu ist er gekommen? Doch meinethalben, für niemand anderen als für mich! Demnach dachte er an mich, hat seit dem Sommer immer an mich gedacht … Und als wir in den Ballsaal eintraten, was für eine Stille entstand da plötzlich! Wie mich die jungen Damen anschauten! Sie waren wohl eifersüchtig?«
Als sie sah, daß der Horizont sich zu erhellen anfing, wurde sie sich bewußt, daß sie der Ruhe bedürftig sei. Dennoch fühlte sie keine eigentliche Müdigkeit.
Sie hatte bereits das Licht ausgelöscht, aber ihre Gedanken weilten noch immer beim selben Gegenstand.
»Wird er wohl länger hier bleiben? Niemand wagte, ihn darum zu befragen, weil, wie die Tante gesagt hatte, er nicht der Mann war, der seine Absichten zu offenbaren wünschte. Morgen kommt er sicher, uns einen Besuch zu machen; wer weiß, ob er nicht den ganzen Winter in Vercelli bleibt? Dann könnte ich ihn oft sehen, hier im Hause oder auswärts in irgend einer Abendgesellschaft.«
Allmählich verwirrten sich die Gedanken des jungen Mädchens, und die Gestalt Contis erbleichte, verschwand, um wieder zu erscheinen, jetzt in einem erleuchteten Salon, dann in einem engen finsteren Raume, bis sich das Ganze neuerdings verwandelte. Malwina befand sich auf einer hohen Bergspitze. Da wurde plötzlich der bisher blaue Himmel bleigrau, der Wind erhob sich mit furchtbarem Heulen, und der Donner rollte fortgesetzt in der Ferne. Der Sturm war immer heftiger geworden. Von Angst gepackt, versuchte sie zu fliehen, aber … welches Grausen … zu ihren Füßen öffnete sich ein schauerlicher Abgrund. Sie fühlte das Blut in den Adern erstarren … sie wollte zurücktreten, aber der Abgrund zog sie unwiderstehlich an … Die Ärmste schaute trostlos um sich; da erblickte sie den blonden jungen Mann, und streckte ihm flehend die Arme entgegen, in ihm eine Stütze, einen Halt suchend. Der junge Mann hingegen entfernte sich, indem er sie spöttisch lächelnd ansah. Und während der finstere, unergründliche Abgrund sie unerbittlich an sich zog, und das Wasser in der Tiefe, schwarz und schlammig, ihrer zu warten schien, um sie zu verschlingen, da erhob sie die Augen. Ihr Kruzifix war da, mit dem sanft geneigten Haupte, mit dem traurig ernsten Blick auf sie gerichtet. Eine Hand vom Kreuze loslösend, das sie am Abend küssen vergessen hatte, zeigte der Christus in der entgegengesetzten Richtung auf einen Mann, den sie nicht kannte. Verzweifelnd klammerte sie sich an denselben, und in der Freude, sich gerettet zu sehen aus der drohenden Gefahr, erwachte sie.
»Welch schrecklicher Traum, mein Gott! Welch häßliche Rolle hat da Conti gespielt!«
Es schien ihr, als sähe sie ihn noch, wie er sich mit einem Lächeln des Hohnes auf den Lippen von ihr entfernte. Gott und ihr Vater, denn kein anderer konnte dieser Unbekannte sein, hatten sie gerettet. Wie streng war das Antlitz des Gekreuzigten! O, sie hatte den vorigen Abend vergessen, ihr Gemüt zu Gott zu erheben, und hatte dafür an Conti gedacht!
Malwina war in zu guten Grundsätzen erzogen worden, als daß sie ihre Verirrung nicht bereut und Gott um Verzeihung gebeten hätte. Sie sah, daß ihr allzu hingebendes Herz eine Gefahr für sie sei. Sie hätte gewünscht, diesen jungen Mann, der sie alle ihre Pflichten vernachlässigen ließ, niemals gekannt zu haben, und sie nahm sich vor, nicht mehr an ihn zu denken. Aber als ob sie keinen anderen Gegenstand fände, um ihre Gedanken abzulenken, kehrten dieselben immer wieder auf denselben Punkt zurück. Sie ging hinunter mit dem Entschlusse, sich zu beschäftigen, um zu vergessen, und machte tausend Vorsätze, sich nicht mehr von Contis geistvoller Liebenswürdigkeit verlocken zu lassen, und sich so wenig als möglich in seiner Gesellschaft aufzuhalten, wenn sie wieder mit ihm zusammentreffen sollte.
Später kam die Tante mit den Cousinen zum gewohnten Besuche und versicherte, daß das Fest außerordentlich gelungen gewesen sei und Malwina ihre Rolle als Hausherrin sehr würdig durchgeführt habe. Sie sprach auch von Conti und meinte, daß er wahrscheinlich den Winter in Novara verleben werde; er konnte demnach, wenn er Lust hätte, leicht nach Vercelli kommen, da die Entfernung nur eine Stunde Eisenbahn ausmachte.
Sie hielt sich diesmal etwas länger auf, in der Hoffnung, Conti im Hause Arnaldi zu sehen, aber vergebens; er war bereits denselben Morgen wieder abgereist.
Als Frau Varelli sich verabschiedete, blieb Olga auf ihre Bitte hin noch bei Malwina zurück, die sie dann abends im Wagen nach Hause bringen wollte.
Kaum hatte ihre Mutter sich entfernt, als Olga sich der Cousine näherte, die am Fenster saß und den düsteren Himmel und die sich jagenden Wolken betrachtete, indem sie sagte: »Ich habe dir etwas mitzuteilen, Malwina, was ich gestern gehört habe.«
»Von wem?«
»Von mehr als einer Dame. Etwas, von dessen Richtigkeit sie alle überzeugt sind und was dich angeht. Soll ich es sagen?«
»Sprich nur!«
»Daß Herr Conti – bei diesem Namen errötete Malwina bis an die Haarwurzeln – nur deinethalben gekommen sei und daß du seine Frau werden würdest.«
»Die Leute träumen,« erwiderte Malwina ärgerlich. »Soll es einem jungen Manne nicht erlaubt sein, auf einem Balle im Hause einer jungen Dame zu erscheinen, ohne daß man gleich an eine Heirat denkt? Da wäre es ja beinahe nötig, von nun an die Jugend auszuschließen, und nur die älteren Leute einzuladen, um Schwätzereien zu vermeiden.«
»Es thut mir leid, dir Verdruß verursacht zu haben, indem ich dir dies sagte. Ich glaubte nicht, dich damit zu kränken. Verzeih mir, bitte.«
»Ich bin nicht im mindesten gekränkt. Aber es verdrießt mich, daß darüber geredet wird.«
»Man sprach nur im allgemeinen davon, ohne dich im geringsten tadeln zu wollen. Man sagte, daß du reich bist und er desgleichen; daß er deshalb der einzige sei, der dir ebenbürtig wäre. In der That waret Ihr beide ein wunderschönes Paar; ich konnte mich nicht satt an Euch sehen.«
»Und was sagte man noch außerdem?«
»Weiteres wurde nicht mehr gesprochen.«
Unterdessen war Herr Arnaldi ins Zimmer getreten und man plauderte von anderen Dingen. Olgas Mitteilungen jedoch waren aus Malwinas Gedächtnis nicht entschwunden, und sie erwartete sehnlich den Augenblick, wo sie allein sein würde, um mit Muße nachdenken zu können.
So waren also Contis Aufmerksamkeiten bemerkt worden! Ein sicheres Zeichen, daß etwas an der Sache war! Und sie selbst? O, was sie betraf, vergaß sie beim Anblicke dieses Mannes alles andere; sie hatte ihn fortwährend vor Augen. Hätte sie ihn doch nie mehr wiedergesehen! Sein Erscheinen genügte, um alle ihre guten Vorsätze in den Wind zu schlagen. Und er? Welcher Art waren wohl seine Absichten? Wenn er wirklich ernstlich an sie dachte, hätte er dann wohl Vercelli verlassen? Frei wie die Luft, konnte er verweilen, wo es ihm am besten gefiel. Warum war er also gleich wieder abgereist?
Dieser Mann war unergründlich. Hatte er vielleicht als Künstler irgend eine Arbeit in Novara unternommen, die ihn den Winter über dort fesselte? Würde er doch wenigstens an den Bällen in Vercelli teilnehmen, wenn er diesem Orte doch so nahe war?
Und die Feste hatten ihren Anfang genommen. Dem Balle im Hause Arnaldi war die Hochzeitsfeier der jungen Gräfin Palmieri mit einem Amerikaner gefolgt, und dann kam der Karneval, in dem die Abendunterhaltungen sich ohne Unterbrechung aneinander reihten. An den Abenden, wo weder Ball noch Gesellschaft war, fand man sich in der Oper wieder. Es war dieses Jahr eine vorzügliche Truppe engagiert worden. Malwina, teils von der Tante gedrängt, teils in der Erwartung, Conti zu treffen, fehlte nirgends. In der That erschien er fast immer, und wenn auch etwas spät, stets noch zeitig genug, um sich mit Malwina unterhalten zu können. Wo er sich blicken ließ, wurde er mit Jubel aufgenommen und es bildete sich sofort ein großer Kreis von Damen um ihn, die sich an seinem geistreichen Plaudern ergötzten.
Malwina ließ sich von den Zerstreuungen völlig gefangen nehmen; nichts vermochte sie jetzt mehr zurückzuhalten. Und wie es erst die Tante und die Cousinen waren, die sie angeregt hatten, an den Vergnügungen teilzunehmen, war es von nun an sie selbst, die nicht mehr ohne dieselben zu leben vermochte. Der Gedanke, eine Unterhaltung zu versäumen, in welcher Conti erschien, hätte sie mit größtem Kummer erfüllt. Sie wollte immer in seiner Nähe sein.
Welch eine Veränderung in ihrem Heim! Es war wieder das alte verlassene Haus von ehemals. Laura durchwanderte oft die stillen Räume mit Augen voll Thränen; ihre junge Herrin war ein anderes Wesen geworden, und alle Schuld traf Frau Varelli. Der arme Herr Arnaldi, der sich von der Begleitung zu den Festen losgesagt hatte, weil seine Gesundheit darunter litt, der sich gezwungen sah, ungezählte Stunden allein zu Hause zu verbringen, hatte sich neuerdings seinem Klub zugewendet, und es kam häufig vor, daß, wenn Malwina heimkehrte, er noch auswärts war. Und letztere, entweder zu müde und zu schläfrig, oder mit ihren Gedanken noch ganz bei den schönen, in Contis Gesellschaft verlebten Stunden weilend, schenkte diesem Umstande keinen sorgenden Gedanken.