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Die große Neuigkeit hatte sich mit Blitzesschnelle in Vercelli, einer Handelsstadt in Piemont, verbreitet. Der reiche Kaufherr, Carlo Arnaldi, nahm in den hohen Gesellschaftskreisen eine sehr wichtige Stellung ein, und so war es wohl begreiflich, daß sich die Leute mit allen Vorgängen in seinem Hause beschäftigten. Er hatte seine einzige Tochter aus dem klösterlichen Erziehungshause geholt. Noch kannte sie niemand. Sie hatte Vercelli als kleines Mädchen verlassen, und jetzt kehrte sie in der vollen Blüte ihrer siebzehn Jahre dahin zurück. Man erinnerte sich ihrer, wie sie, an der Hand ihrer Mutter die Straßen durchwandernd, lächelnd derselben zur Seite schritt und ihr, von schönen braunen Locken umrahmtes Köpfchen hin und her wiegte.
Man hatte sie seitdem nicht mehr gesehen, jedoch schon damals vermutet, daß sie einst eine Schönheit werden würde. Ihre Mutter war eine hübsche Dame gewesen mit einem Gesicht vom edelsten Oval, von weißer, durchsichtiger Hautfarbe mit großen sanften Augen; aber zart, sehr zart.
Die Herren freuten sich bei dem Gedanken an den neuen Stern, der in den Salons leuchten sollte und vor welchem sich alle beugen würden, auf diese Weise der Jugend und Schönheit huldigend. Die verheirateten Damen freuten sich in der Zuversicht, daß ihnen dadurch Anlaß gegeben werden dürfte, ihre Eleganz und ihren Luxus zu verdoppeln. Die jungen Mädchen, wenngleich etwas beunruhigt durch die Furcht, von dieser neuen Sonne überstrahlt zu werden, freuten sich im Gedenken an die vielen Feste und Vergnügungen aller Art, die im kommenden Winter ihrer harren mochten. Selbst die Handwerksleute ließ dieses Ereignis nicht gleichgültig, da Herr Arnaldi ihrer Dienste bedurfte, um das Haus instand zu setzen. Und in der That wurde seit mehreren Wochen bereits im alten Palaste, der seit so vielen Jahren geschlossen war, fleißig gearbeitet. Die Tapezierer und Dekorateure hatten alle Kunst der Erfindung aufgeboten, um die Räume noch schöner und prächtiger zu gestalten. Wenn die Lastwagen vor dem Palaste Arnaldi hielten, verließen die Nachbarn des Hauses ihre Beschäftigungen, um die mit reichen Stoffen überzogenen Luxusmöbel abladen zu sehen, und ein Ausruf des Staunens wurde unter den Neugierigen laut, als sie ein Paar feuriger Pferde vor einen herrlichen Wagen gespannt – ein Geschenk des Hausherrn für seine Tochter, – in den Hof einfahren sahen, wo die Stallungen und Remisen lagen.
Die Armen, die sich der mildthätigen Frau Ermenegilda, der verstorbenen Frau Herrn Arnaldis, erinnerten, begrüßten voll Freude die Ankunft der Signorina, in der Zuversicht, in ihr eine neue Wohlthäterin zu finden, die Mitleid mit ihrem Elend fühlen würde.
Der große Tag war erschienen. Der reiche Kaufherr war früh morgens abgereist.
Gegen Abend öffneten sich bei jedem Wagengerassel auf dem Pflaster, bei jedem Huftritt eines Pferdes die Fenster in der Nachbarschaft; die Ladenbesitzer fertigten ihre Kunden in größter Eile ab, um diesen interessanten Anblick nicht zu versäumen. Aber der so sehnlich erwartete Wagen kam nicht. Die Sonne war untergegangen, der Himmel strahlte schon im Sternenglanze, und noch harrte man umsonst.
Erst zu später Stunde, als schon nächtliche Ruhe herrschte, hörte man von ferne die herannahende Equipage. Da wurde es plötzlich wieder lebendig auf der Straße. Leute drängten nach dem Palaste zu, und im Innern eilten Diener geschäftig hin und her. Die herrlichen, schaumbedeckten Pferde hielten an; die Wagenthür wurde geöffnet, und Herr Arnaldi stieg heraus, indem er artig die ihn umstehende Menge grüßte, und sorglich seine Hand dem jungen Mädchen reichte, das mit leichtem Schritt aus dem Wagen sprang; man konnte jedoch von der Ankommenden nichts als die hohe, schlanke Figur unterscheiden. Die Thore wurden geschlossen, und die Leute zerstreuten sich.
Malwina schritt grüßend durch die Dienerschaft, die an der Treppe Spalier bildete und blieb vor einer Frau stehen, die einen großen Schlüsselbund in der Hand hielt. Nachdem Herr Arnaldi erstere entlassen hatte, sagte er zu seiner Tochter. »Das ist unsere gute Laura; sie kam als junges Mädchen gleich nach unserer Verheiratung zu uns; sie stand deiner Mutter während deren Krankheit bei und sie allein hat in all den Jahren im Hause gewaltet.«
Malwina begrüßte die Haushälterin mit Herzlichkeit und dankte ihr für alles, was sie ihren Eltern Liebes gethan hatte, indem sie ihr zugleich versicherte, wie hoch sie sie schätze, weil ihre Mutter sie geliebt habe.
Die vortreffliche Frau trocknete sich die feuchten Augen und versprach, daß sie ihre Ergebenheit der Herrschaft treu bewahren werde; und während sie das junge Hausfräulein betrachtete, wurde sie nicht müde, zu wiederholen, daß Malwina ganz das Ebenbild ihrer verstorbenen Herrin sei, die blühende Frische und Gesundheit abgerechnet, welche letztere nicht besessen hatte.
Sie wollte noch denselben Abend das Mädchen zum Bilde seiner Mutter führen, das neben dem des reichen Kaufherrn im großen Saale hing. Sie begaben sich alle drei dorthin und blieben eine gute Weile vor demselben in Betrachtung versunken stehen, und während Laura sich in Lobeserhebungen über ihre einstige Herrin erging, weinte Malwina stille Thränen der Wehmut, und ihr Vater wandte sich nach einer anderen Seite, um seine Bewegung nicht zu verraten.
Als es auf der schönen Bronzeuhr, die den Kamin zierte, 11 Uhr schlug, sagte Herr Arnaldi zu Laura: »Ihr bedürfet der Ruhe, denn Ihr habet heute viel geleistet. Ihr werdet auch sicher in Sorge gewesen sein wegen unseres späten Eintreffens, nicht wahr? Gehet zu Bett!«
»Danke; ich fühle diesen Abend durchaus keine Müdigkeit und könnte immer da stehen bleiben; ich wähne mich in alte Zeiten zurückversetzt, wenn ich das Fräulein betrachte. Aber wollen Sie nicht in den Salon hinübergehen?«
In dem schönen Raume stand Kaffee bereit. Malwina bediente mit ganz besonderer Anmut ihren Vater, und so blieben sie noch eine kurze Zeit plaudernd beisammen; dann wünschte man sich gute Nacht und trennte sich. Laura begleitete das junge Mädchen in das ihm bestimmte Zimmer, erkundigte sich nach seinen Wünschen und bat es, zu läuten, wenn es etwas bräuchte; sie würde dann sofort erscheinen.
Malwina dankte und schloß die Thür. Sie war sehr müde, sowohl von der Reise, als infolge der Gemütsbewegungen, die der Tag gebracht hatte, und suchte eiligst ihr Lager auf. Kaum lag sie in den Kissen, sich der süßen Ruhe überlassend, als sie sich erinnerte, daß sie noch nicht gebetet habe. Sie stand nochmals auf, kniete nieder und erhob ihr Herz zu Gott, dankte ihm für alles Gute, was er ihr gegeben und bat ihn, sie fort und fort zu beschützen. Dann legte sie sich beruhigt von neuem nieder, in dem Gedanken, daß dieses kleine Opfer den Segen Gottes auf sie herabziehen würde. Der Schlaf senkte sich auf ihre Lider, und sie schlummerte sanft bis in den Morgen hinein.