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Als Malwina die Augen öffnete, drangen die Sonnenstrahlen durch die Spalten der Fensterläden, und im ersten Moment war sie ganz erstaunt, nicht die lange Reihe von Betten und die verschlafenen Gesichter der Gefährtinnen zu sehen, wie sie es so lange Jahre her gewohnt war. Sie sah anstatt dessen ihr schönes Schlafzimmer, und ließ ihre Blicke rings umher schweifen. Es war in der That ein reizendes Nestchen und feine Anordnung gab Zeugnis von der liebevollen Sorgfalt des guten Vaters, der nicht nur darauf bedacht war, daß es der Tochter an nichts fehle, sondern noch alles mögliche aufzufinden wußte, was ihr den Aufenthalt darin behaglich machen mußte.
Malwina fühlte, daß sie ihr Zimmer recht lieb gewinnen und in demselben Frieden und Freude finden würde; sie dankte Gott für das viele Gute, womit er sie beschenkte, und versprach, daß sie ihn allezeit lieben und ihm treu bleiben wolle, um ihm ihre Dankbarkeit zu beweisen. Ihre Gedanken wandten sich dann Donna Ildefonsa zu; es hatte ihr ein großes Opfer gekostet, sie zu verlassen; sie war aber reich entschädigt durch die Liebe ihres Vaters und all der Freuden, die ihr das neue Heim bot. Sie nahm sich vor, immer der guten Ratschläge zu gedenken, die ihr im Kloster gegeben worden, und denselben auch treu nachzuleben.
Sie machte Toilette und öffnete das Fenster. Welch köstliche Überraschung! Ihr Vater saß im Garten, gerade ihr gegenüber und harrte ihres ersten Grußes; sie flog die Stiege hinunter und war im nächsten Augenblick an seiner Seite. Mit welcher Hingabe umarmte sie ihn, und was lag nicht alles in dieser innigen Umarmung! Sie war der Ausdruck einer unermeßlichen Liebe, ein stummer, aber beredter Dank! Ihr Vater verstand sie und, seine Hand auf ihr Haupt legend und die schönen dunklen Haare streichelnd, blickte er sie mit unendlicher Zärtlichkeit an; dann bot er ihr den Arm und im Auf- und Abwandeln zeigte er ihr den Garten.
»Sieh', für dich habe ich ihn pflegen lassen; seit zwölf Jahren war er völlig vernachlässigt worden; niemand hatte seit dem Tode deiner armen Mutter den Fuß herein gesetzt, wie auch niemand den Palast bewohnte, der immer geschlossen blieb; mir selbst hatte ich nur ein paar Zimmer vorbehalten. Jetzt bist du die Herrin hier. Du hast nur zu verlangen, wenn dir etwas fehlt. Alles gehört dir!«
Malwina bewunderte die künstlerische Anordnung der Beete, die reiche Mannigfaltigkeit der Blumen, das herrliche Grün, und wurde nicht müde, ihrem Vater zu danken.
Da erschien Laura an der Gartenthüre. Das junge Mädchen eilte ihr entgegen und begrüßte sie herzlich; dann verfügte sie sich mit ihrem Vater in den Speisesaal, wo das Frühstück ihrer wartete. Bald trat ein Diener ein mit einem Pack Zeitungen und Briefen. Herr Carlo überflog die Adressen der letzteren und öffnete einen derselben mit sichtlicher Befriedigung. Nachdem er ihn durchgelesen hatte, rief er aus: »Es hätte sich nicht besser treffen können! Malwina, deine Tante Linda, meine Schwester, die seit zwei Wochen in einem Bade weilt, schreibt mir, daß sie sich dortselbst ausgezeichnet unterhält, und bittet mich, für den Fall du schon zu Hause seiest, dich zu ihr zu bringen. Ich bin sicher, daß du dich mit deinen beiden Cousinen und mit Mario gut befreunden wirst; sie sind alle sehr heitere Naturen. Lies selbst, was hier steht.«
Er reichte ihr das Blatt hin. Als Malwina von dessen Inhalt Kenntnis genommen hatte, fragte er voll Spannung: »Nimmst du an?«
Malwina war von ihrem neuem Leben so vollkommen befriedigt; sie sah, mit welcher Liebe ihr Vater sie umgab und wie besorgt er war, ihr ein Vergnügen zu verschaffen, indem er sie aufforderte, der Einladung ihrer Tante Folge zu leisten. Aber sie las zugleich in seinem Blick ein gewisses ängstliches Forschen, ob sie wohl zustimmen würde. Malwina, die viel Scharfsinn und ein gutes Herz besaß, überlegte nicht lange, sondern antwortete freimütig: »Nein, Vater, ich nehme nicht an.«
Ein Strahl der Freude glänzte in den Augen des Vaters, der dennoch zu fragen fortfuhr: »Wie? Macht es dir denn kein Vergnügen?«
»Ich bin kaum angekommen. Willst du mich schon wieder fort haben?«
»Du könntest vielleicht nach Verlauf einer Woche abreisen; sie bleiben ja den ganzen Monat im Bad.«
»Ich ließe dich dann allein zurück!«
»Ich war zwölf Jahre lang allein.«
»Von nun an sollst du dies nicht mehr sein; ich will immer bei dir bleiben.«
Mit diesen Worten warf sie sich voll zärtlichen Ungestüms in seine Arme. Herr Carlo, der sie, tief gerührt, liebkoste, fügte hinzu: »Und doch werde ich dich ab und zu verlassen müssen, weißt du? Meine Geschäfte zwingen mich dazu.«
»Wenn du auswärts zu verweilen hast, werde ich mich gern darein ergeben, allein zu Hause zu bleiben; und wenn du hier bist, werde ich glücklich sein im Genusse deiner Gesellschaft; aber verlassen will ich dich um keinen Preis.«
»Ich lasse dir freie Hand, meine Liebe; thue ganz nach deinem Belieben. Möchtest du vielleicht selbst deiner Tante antworten? Auf diese Weise würdest du gleich deine Bekanntschaft mit ihr beginnen.«
»Sehr gern. Ich werde es noch heute thun.«
»Willst du jetzt ein wenig ausfahren? Hast du keine Einkäufe zu machen, Bestellungen bei der Schneiderin oder Modistin? Deine Tante hat sich noch vor ihrer Abreise die Mühe gemacht, mir die Adressen der geschicktesten Künstlerinnen zuzustellen. Soll ich anspannen lassen?«
»Die Wahrheit zu gestehen, lieber Vater, empfinde ich heute gar keine Lust zum Ausfahren. Ich habe so viel im Hause zu thun, und habe ja noch nicht einmal den Palast angesehen; dann muß ich meine Sachen ordnen und einige Briefe schreiben. Wie du siehst, lauter Dinge, die mir vor allem anderen am Herzen liegen. Und dann habe ich mich gestern überzeugt, daß es in der Stadt hier ziemlich neugierige Menschen gießt, und noch bin ich gar nicht aufgelegt, mich einer Prüfung zu unterziehen.«
»Darüber brauchst du dich gar nicht zu verwundern; die Menschen sind überall gleich. Bei deinem ersten Erscheinen wirst du alle Augen auf dich gerichtet sehen; du mußt Geduld haben und dich anschauen lassen; auf keinen Fall wird ihr Urteil ungünstig ausfallen; das versichere ich dir!«
Malwina errötete leicht.
»Doch es sei, wie du willst,« fuhr ihr Vater fort. »Ich werde Befehl geben, daß dir Stoffe zur Auswahl geschickt werden, und daß Schneiderin und Modistin zu dir kommen; somit brauchst du dich nicht selbst zu ihnen zu bemühen.«
Er zog die Glocke und gab dem eintretenden Diener die entsprechenden Anweisungen; dann blickte er auf die Uhr, erhob sich und sagte zu Malwina, daß er sie verlassen und vor dem Mittagsmahle nicht zurückkehren werde. Sie küßte ihn zärtlich und eilte auf den Balkon, um ihm nachzusehen. Im selben Moment waren auch schon mehr denn zwanzig Augen auf sie gerichtet. Von den frühesten Morgenstunden an hatten die Nachbarn gespäht, ob die reiche Erbin noch nicht erscheine; sie wollten sie um jeden Preis sehen. Das junge Mädchen zog sich sofort zurück, trat an ein Fenster und blickte durch die halb geschlossenen Jalousien seinem Vater nach, solange es ihn sehen konnte. Wie schön war der Vater! Und wie gut mußte er sein! Das bemerkte Malwina an der Ehrfurcht, mit der ihn alle auf dem Wege begrüßten und ihn mit ihren Blicken verfolgten. Sie wandte sich um und gewahrte Laura, die zu ihr getreten war. Malwina nahm ihren Arm und sagte freundlich: »Wir wollen jetzt den Palast besichtigen!«
Laura war eine Vierzigerin, von mittlerer Größe und nicht hübsch; aber ihre bereits weißen Haare ließen ihre frische Gesichtsfarbe anmutig hervortreten, und das verlieh ihr eine ehrwürdige Jugendlichkeit. Ihr natürlicher Anstand und die feinen Manieren, die sie sich im Verkehr mit der Herrschaft angeeignet hatte, gaben ihr eher das Ansehen einer Gesellschafterin als einer Haushälterin. Von rechtschaffener Familie, hatte sie sehr früh ihre Eltern verloren und wurde in einem Waisenhause aufgezogen, woselbst sie alle weiblichen Arbeiten sehr gut erlernte.
Frau Ermengilda Arnaldi (damals Fräulein Selli), die ihrer Aussteuer wegen in diese Anstalt gekommen war, hatte sie öfters gesehen, und da sie viel Vorteilhaftes über sie hörte, nahm sie Laura zu sich, als sie sich kurz darauf nach Vercelli verheiratete. Sie hatte ihre Wahl nie zu bereuen. Laura war um einige Jahre älter als die Herrin, und dieselbe wandte sich oft an sie um Rat, weil sie Lauras Klugheit und treue Ergebenheit kannte.
Laura hatte ihre Herrin während der langen und schmerzlichen Krankheit derselben wie eine Schwester gepflegt; dann wollte sie Herrn Arnaldi nicht mehr verlassen.
Es ist unmöglich, das Glück der guten Laura zu beschreiben, als sie das Kind ihrer verstorbenen Herrin als erwachsenes Mädchen wiedersah, in allem der Mutter gleich, so gut und schön und liebenswürdig. Sie vermochte kaum den Blick von ihm zu wenden und versicherte ihm stets von neuem, daß sie nie von ihm lassen werde.
Sie führte Malwina vor allem in den ihr bestimmten Salon, ein wahres Juwel, mit einer wohl eingerichteten Bibliothek, einem herrlichen Pariserflügel, und allen zur Malerei nötigen Requisiten; dann betraten sie den großen Saal, reich an Vergoldung und schöner Stuccatur, in welchem kostbare persische Teppiche die Schritte dämpften. Prachtvolle Möbel, deren reiche Stoffe mit den Tapeten harmonierten, herrliche japanische Vasen, riesige Spiegel, wertvolle Gemälde von guten Meistern, köstlich eingelegte Tische, auf denen die auserlesensten Nippsachen lagen, boten dem Auge einen Anblick voll seltenen Genusses. An den Saal reihte sich noch eine ganze Flucht von elegant eingerichteten Gesellschaftsräumen. Malwina betrachtete verwundert diese herrlichen Dinge, und erkannte in allem die zärtliche Liebe und Fürsorge ihres Vaters.
Zuletzt gelangten sie in das Arbeitszimmer Herrn Arnaldis. Malwinas forschender Blick fiel sogleich auf den Schreibtisch, auf welchem Bücher und Schriften in der größten Unordnung umherlagen und ihre Züge drückten deutlich ihr Mißfallen aus.
Laura bemerkte es und sagte: »Der Schreibtisch darf nicht berührt werden, weil der Herr es nicht liebt, daß sich jemand damit beschäftigt. Des Morgens wird das Zimmer gereinigt; ich selbst staube ab und niemand betritt es dann mehr.«
»Von nun an werde ich selbst das Ordnen des Schreibtisches auf mich nehmen. Laß mich nur machen; ich fange gleich jetzt damit an.«
Unter ihren flinken Händen war das bald geschehen, und sie ging nun in den Garten hinunter, um einige Blumen zu pflücken, die sie in einer hübschen Vase auf den Schreibtisch stellte, schloß die Jalousien und öffnete die Thür, damit Luft in den Raum dringen könne, und begab sich endlich in ihr Zimmer. Sie hatte dasselbe noch gar nicht recht besichtigt, da sie am vorhergehenden Abend sich gleich niedergelegt und am Morgen sich nicht weiter aufgehalten hatte. Je mehr sie sich darin umsah, desto besser gefiel es ihr, und der schönen, neuen Dinge war kein Ende. Weiße Spitzendraperien hüllten das Bett in duftige Wolken ein; die Tapeten zeigten zarte Rosenknöspchen auf weißem Grund verstreut, und der ganze Raum gewährte einen fröhlichen und heiteren Anblick, der zum Verweilen aufforderte.
Eines der Fenster ging auf die Straße, das andere auf den Garten, und Luft und Sonne, die zur Genüge durch die offenen Fenster eindringen konnten, füllten das Zimmer mit freundlicher Helle und mit dem süßen Duft der Blumen. All dies vereint erregte in dem Inneren des Mädchens, das an die Einfachheit des Klosters gewohnt war, ein wohliges Bewußtsein des Glückes. Ein hübsches Arbeitstischchen stand in der Fensternische gegen den Garten zu, und in der anderen ein Schreibtisch, auf welchem in einem herrlich ciselierten Rahmen das Miniaturbild ihrer Mutter prangte. Malwina blieb eine Weile unbeweglich in Betrachtung dieses schönen Frauenbildes versunken. Ja, das war das kostbarste Geschenk, das der gute Vater für sie gewählt hatte! Sie nahm es in die Hand, setzte sich damit nieder und verharrte so eine halbe Stunde lang, mit den Augen auf dieses herrliche Meisterwerk geheftet. Wie sanft, wie zärtlich war der Blick ihrer Mutter! Es schien ordentlich, als ob sie sprechen wollte! Wie gut erinnerte sie sich des letzten Abends, den sie mit ihr vor ihrer Abreise nach dem Kloster verlebt hatte! Und die Worte: »Ich werde stets dir zur Seite sein« – klangen in ihrem Herzen wieder, als ob sie denselben erst den vorigen Tag gelauscht hätte.
In demselben Augenblick sah sie einen Schatten neben sich auftauchen; ganz erschrocken wandte sie sich um und es schien ihr, als ob er wirklich ihrer Mutter gliche. Es war in der That ein Schatten, aber der eines lebenden Wesens. Es war Laura, die sie mit thränenfeuchten Augen betrachtete.
»Du bist es!« rief das Mädchen aus.
»Ja, ich. Ich wollte nachsehen, ob Sie nichts bräuchten. Seit geraumer Weile hörte ich keinen Laut bei Ihnen, und da fürchtete ich, Sie könnten sich vielleicht langweilen.«
»Höre, Laura! Um dich für immer zu beruhigen, sage ich dir, daß die Klosterfrauen mir das Mittel gelehrt haben, mich nie zu langweilen. Und ich sehe, daß ich hier wahrhaftig gar keine Zeit dazu hätte; denn es fehlt mir gar nichts zu meiner Beschäftigung und Zerstreuung. Sieh', ich habe Musik und Bücher; ich werde mir Arbeit verschaffen, an die mir lieben Persönlichkeiten schreiben und auch etwas beten. Mein Tag wird ausgefüllt und ich selbst werde befriedigt sein. Ich sehe zwar voraus, daß ich heute nicht ausführen kann, was ich mir vorgenommen habe. Aber es hat ja keine Eile; ich kann es morgen nachholen.«
Man hörte an der Thüre klopfen. Ein Diener meldete den bestellten Kaufmann. Als sie in den Salon kamen, sahen sie vor ihren Augen die schönsten Kleiderstoffe ausgebreitet. Malwina war sehr einfach in ihren Ansprüchen. An die Uniform des Klosters gewöhnt, die im Winter schwarz, im Sommer grau war, hätte sie um alles Geld der Welt sich nicht in reiche Stoffe kleiden mögen. Sie wählte demnach ein leichtes weißes Kleid.
Laura zeigte sich höchst befriedigt; sie fand, daß Malwina auch bezüglich des guten Geschmackes ihrer Mutter gleiche, die trotz ihres Reichtums nie durch Pracht zu glänzen begehrte.
Unterdessen waren auch die Schneiderin und Modistin erschienen mit Modellen von Kleidern und Hüten, wie sie dieselben für Frau Varelli, ihre Tante, und für ihre Cousinen herstellten, die ihnen anempfohlen hatten, Malwina ganz in demselben Geschmacke zu kleiden.
Malwina that es leid, der Tante und den Cousinen darin nicht entgegenkommen zu können; aber sie vermochte sich durchaus nicht mit diesen farbigen Stoffen zu befreunden, ebensowenig mit dem reichen Ausputz von Atlas, Bändern und Spitzen. Und besonders die Hüte, mit den seltsamen Formen, den bizarren Ausbiegungen und den grellfarbigen Bändern, die in meilenweiter Entfernung schon in die Augen fallen mußten, konnten nicht im geringsten ihren Beifall finden.
Sie selbst gab die Form des Kleides an; es sollte ganz einfach werden ohne Ausputz, außer einem Bande um die Taille. Dazu wählte sie einen weißen runden Strohhut, den dasselbe Band, in einen hübschen Knoten geschlungen, schmücken sollte.
Schneiderin und Modistin verließen das Haus in höchster Bestürzung. In der ganzen Stadt war keine ähnliche Einfachheit zu finden.
Malwina setzte sich neben Laura, welche, als wäre das Gespräch kaum unterbrochen worden, fortfuhr, von ihrer Mutter zu erzählen; dann öffnete sie den Flügel und fing an zu spielen. Unter den geläufigen Fingern erstanden sanfte, perlende Töne, die das Haus, in welchem lange Jahre hindurch stilles Schweigen gewaltet hatte, mit Fröhlichkeit erfüllten. In diesem Augenblicke schien es, als ob unter dem Zauberbanne des jungen Mädchens und der Melodien, die es dem Instrumente entlockte, alles sich verwandelte! Es war, als ob die Farben glühender würden, als ob die Vögel im Garten munterer zwitscherten, gerade als wollten auch sie die Zauberin begrüßen, die sich hier niedergelassen hatte. Die Blätter und Zweige der Bäume, von einem leisen Windhauche bewegt, schienen teilzunehmen an dieser Freudenscene; die Diener in ihren kostbaren Livreen fühlten sich leichter und freier und dankten in ihrem Herzen derjenigen, die Leben und Frohsinn in den verlassenen Palast gebracht hatte.
Als Herr Arnaldi nach Hause zurückkehrte, schien er wie verjüngt; auf seinem Gesichte leuchtete die Freude. Auf den Fußspitzen schlich er in den Salon und lauschte der herrlichen Musik. Als sie ihr Spiel beendet hatte, eilte Malwina, ohne zu bemerken, wer in ihrer Nähe stand, an das offene Fenster und, die Augen zum Himmel erhebend, faltete sie die Hände und rief aus: »Mein Gott, wie glücklich bin ich!«
Sie wandte sich um und sah sich ihrem Vater gegenüber.
»O!« rief sie aus, »du bist schon zurück, lieber Vater!«
»Ja, mein Kind. Scheint dir die Zeit so kurz, seit ich dich verlassen habe?«
»Ich sagte nur so, weil ich meinte, daß du bis zum Abend ausbleiben würdest.«
»Ich hätte auch nicht gedacht, mich so schnell frei machen zu können; nun es mir möglich war, bin ich heimgekehrt; ich fürchtete, daß du Langeweile fühlen möchtest.«
»Im Gegenteil ist mir die Zeit nur zu rasch enteilt; ich konnte nichts von all dem ausführen, was ich mir vorgenommen hatte.«
»Um so besser. Aber bist du wirklich glücklich?«
»Ob ich glücklich bin? So viel man es auf dieser Erde sein kann!«
»Und ich auch, weißt du, Malwina; auch ich, jetzt, da du zu Hause bist. O, diese Jahre der Einsamkeit! Wie haben sie mich dem Alter nahe gebracht! Aber nun du bei mir bist, scheint dieses Haus ganz verändert; mir dünkt alles viel schöner. Ich bedauere nur, daß du zu einer so ungünstigen Jahreszeit gekommen bist. Die Familien sind alle fort, die einen in den Bädern, die anderen in den Bergen; somit hast du niemand, der dir ein wenig Gesellschaft leisten könnte. Ich nahm es als sicher an, daß du der Aufforderung deiner Tante, zu ihr zu kommen, Folge leisten würdest.«
»Sieh', Vater, ich hätte auch angenommen, wenn ich mich gelangweilt haben würde; aber da ich wirklich zufrieden und glücklich bin, sehe ich keinen Grund, warum du dich deshalb kränken solltest.«
Herr Arnaldi erwiderte: »Wäre mir früher der Gedanke gekommen, so hätte ich das Schloß gemietet, in welchem wir den Sommer verlebten, als deine arme Mama noch lebte. Aber jetzt ist es zu spät. Es wäre die Zeit zu kurz, um dasselbe in stand zu setzen, und dann dürfte es für diese Saison bereits vermietet sein. Es ist dort eine köstliche reine Luft, eine bezaubernde Gegend, viel Schatten im Park und in den schönen Alleen; die nächst liegende Ortschaft sehr ruhig und hübsch gelegen. Erinnerst du dich an Saluggia?«
»Nein, gar nicht mehr.«
»Und doch warst du als kleines Mädchen dort. Aber des Schlosses ›La Grand' Roche‹ wirst du dich noch erinnern?«
»Ebensowenig.«
»Gleichviel! Nächstes Jahr werden wir es bewohnen. Ich will baldigst schreiben, daß man es uns vorbehält; und dann könnten deine Tante und Cousinen zu uns kommen und ihr würdet euch gut unterhalten; wir werden dann auch unsere Freunde einladen. Freue dich, Malwina, freue dich!«
Und Herr Carlo rieb sich die Hände vor Vergnügen.
»Und was ich noch sagen wollte,« fuhr er fort, »alle meine Freunde fragen nach dir, wollen dich sehen und grollen mir, weil ich dich nicht ausführe, und dich so ganz für mich zu Hause behalte. Und so dachte ich, um dich mit ihnen bekannt zu machen, – und du wirst begreifen, daß dies angezeigt ist – am nächsten Sonntag eine Einladung zu geben. Da jetzt die elegante Welt nicht hier ist, wird es nur ein kleiner Kreis werden, eine Zusammenkunft meiner vertrautesten Bekannten. Du wirst die Königin des Festes sein und die Rolle der liebenswürdigen Wirtin würdig durchführen. Willst du?«
»Sehr gern, und sei bedankt dafür, lieber Vater, daß du in so rührender Weise alles aufbietest, um mir Freude zu machen.«
»Und willst du, daß ich dir gleich jetzt eine bereite? Es ist sechs Uhr, die Stunde des Diners. Ich lasse im Garten, unter der Laube, den Tisch decken.«
»Ja, ja, Papa! O, welch ein Vergnügen!«
Und Malwina klatschte in die Hände und tanzte im Zimmer herum wie ein Kind. Es wurde geläutet und der entsprechende Befehl erteilt. Bei Tische erzählte Malwina ihrem Vater, wie sie den Tag zugebracht habe, vom Kloster und von Donna Ildefonsa.
Es waren das glückliche Stunden für Herrn Arnaldi, der es nicht genug beklagen konnte, so viele Jahre fern von diesem teuren Kinde gelebt zu haben, das so viel Macht über ihn hatte: über sein Herz, seinen Charakter, seine Gewohnheiten, mit Einem Worte, über sein ganzes Leben.
Denselben Abend vor dem Schlafengehen schrieb Malwina an Donna Ildefonsa und an Lina, ihre Institutsfreundin. Es waren lange, herzliche Briefe, aus denen die Freude, welche das Herz des jungen Mädchens erfüllte, hervorleuchtete. Sie beschrieb in so beredter Weise ihr neues Leben, daß sich Donna Ildefonsa voll des innigsten Dankes zu Gott wandte, während der armen Lina ihr bescheidenes Heim noch armseliger und geringer erschien.
Ein Blick jedoch auf ihre Mutter, die am Fenster saß und arbeitete, ließ sie alles wieder vergessen; und in dem Gedanken, daß Malwina des Glückes beraubt sei, eine Mutter zu besitzen, rief sie aus: »Armes Mädchen! Wie bist du zu bedauern!«
Und ihre Umgebung schien ihr mit einem Male freudiger und trostvoller: Die Kanarienvögelchen hüpften und zwitscherten so munter in ihrem Käfig; die alten Möbel blickten ihr so traut entgegen; ein sanfter Luftzug, der sich durchs Fenster stahl, blähte die blütenweißen Vorhänge auf; es war köstlich heimlich in dem kleinen Wohnraum.
Und die Mutter erhob ihr Haupt, und die Arbeit beiseite legend, sagte sie in ihrer herzlichen Weise: »Lina, es ist heute so herrliches Wetter. Wir wollen aufs Land hinaus, und dort im Freien zu abend essen. Heute wird nichts mehr gearbeitet.«