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Es war gegen Ende des Herbstes und die schöne Welt konnte nicht mehr lange fern bleiben. In der That öffneten sich Jalousien, die seit mehreren Monaten geschlossen waren, und jeden Tag zeigten sich neue Erscheinungen. Die Eisenbahn brachte mit jedem Zuge ganze Familien zurück. Privatequipagen mit Damen und Kindern und Kammerzofen, mit Schachteln und großen Päcken beladen, kamen fortwährend an, alle von der Landluft gebräunt, aber heiter und wohlgemut. Täglich wurde auch die Schwester Herrn Arnaldis mit ihren Töchtern und Mario erwartet. Indessen vergingen zur großen Verwunderung aller der Monat Oktober, dann der November, und niemand erschien. Tag für Tag hoffte man auf Briefe.
Eines Abends endlich, während Herr Arnaldi neben dem Feuer im Salon saß und seine Zeitung las, während Malwina lässig in die Flamme schaute, hörte man, nach vorausgegangenem heftigen Läuten an der Hausglocke, hastige Schritte auf der Treppe; dann wurde die Thür aufgerissen. Vier Personen stürzten voll Ungestüm in den Salon. Ehe noch jemand den Mund öffnen konnte, hatten alle vier zugleich Malwina umringt und, sie umarmend und küssend, riefen sie aus: »Endlich, endlich!«
Ganz betäubt ließ Malwina alles über sich ergehen, ohne etwas zu verstehen. Nachdem diese stürmischen Begrüßungen beendet waren, führten sie Malwina zur Lampe und entfernten sich ein wenig von ihr, um sie besser betrachten zu können. Dann, wahrscheinlich als Zeichen der Befriedigung, fingen sie von neuem an, sie mit Küssen zu überhäufen. Herr Arnaldi, der vor dem Kamin stand, war höchst belustigt von dieser Scene. Nachdem sie Malwina genügend gemustert hatten, wandten sich die Angekommenen an den Hausherrn, indem sie ihn bei den Händen faßten, ihn liebkosten, ihm die zärtlichsten Namen gaben und sich beglückwünschten, eine so schöne Cousine zu besitzen. Als er endlich zu Wort kommen konnte, stellte er Malwina der Tante vor, einer Vierzigerin, welche jedoch um zehn Jahre jünger aussah, da sie von einer Lebhaftigkeit war, die sie nicht einen Moment ruhen ließ; es war, als ob sie Quecksilber in sich hätte. Besichtigte sie irgend eine Sache, so schien es, als ob deren Anblick sie sofort belästige; fing sie ein Gespräch an, gleich war sie davon gelangweilt; sie war wie ein launenhaftes Kind.
Die Töchter hingegen, die zwanzigjährige Lydia und die siebzehnjährige Olga, schienen älter zu sein, als sie in Wirklichkeit waren, weil sie sich wie ihre Mutter kleideten, was ihnen etwas Frauenhaftes verlieh. Sie waren beide sehr zuthulich und gefielen Malwina auf den ersten Blick. Sie erzählten, daß sie noch gar nicht zu Hause gewesen seien, weil sie so ungeduldig waren, die neue Cousine zu sehen. Mario, ein Jüngling von zweiundzwanzig Jahren, hatte sich ans Klavier gesetzt und erhöhte durch sein Spiel den Lärm, den die übrigen durch ihr lautes und lebhaftes Durcheinanderreden verursachten.
Die Unterhaltung dehnte sich bis zur späten Stunde aus. Die Verwandten berichteten, daß sie von der Tante Amalia, einer Schwester der Großmutter, zur Weinlese in die Favorita eingeladen waren, wo diese das ganze Jahr über wohnte. Erst hatten sie nur aus Rücksicht angenommen, aber dann so viel Vergnügen an der Gesellschaft der sechs »Sterne« (so nannte man die sechs Töchter) und den drei lustigen, gutmütigen Knaben gefunden, daß sie sich gern überreden ließen, noch länger bei ihnen zu bleiben.
Die Verwandten vermochten sich nur mit Mühe loszureißen, und nachdem sie Malwina nochmals zärtlich umarmt hatten, versprachen sie, den nächsten Tag wiederzukommen.
Sie erschienen auch in der That gleich nach dem zweiten Frühstück, und es wurde von nichts als von Moden, Bällen und Festen gesprochen. Sie machten Herrn Arnaldi Vorwürfe, Malwina noch nicht aufgeführt zu haben, und als sie erfuhren, daß sie in Fenestrella gewesen seien, machten sie lange Gesichter. Nachdem sie jedoch hörten, daß sie sich in der Gesellschaft Contis befunden hatten, nahmen sie das lebhafteste Interesse an ihrem Bericht, sogar Frau Varelli, die, des Sitzens müde, im Salon auf und ab ging, bald den einen, bald den anderen Gegenstand in die Hand nehmend.
»Was für ein Original ist dieser Conti!« sagte sie.
»Wer weiß, ob wir diesen Winter nicht die Ehre seines Besuches haben werden? Hat er nichts gesagt?«
»O nein,« antwortete ihr Bruder; »er sagt, wenn er heute etwas vornimmt, so könnte er sich leicht bestimmen lassen, morgen seinen Plan wieder zu ändern, und möchte darum keineswegs durch sein Wort vom vorigen Tage gebunden sein.«
»Ihr werdet sehen,« fuhr die Dame fort, »er wird einmal plötzlich bei einer Gesellschaft oder in einer Vorstellung auftauchen, ohne daß jemand weiß, woher er kömmt. Schon mehr als einmal ist das vorgekommen. Ich erinnere mich ganz genau solcher Überraschungen. Es war vor zwei Jahren; man gab zum erstenmal die Cavalleria rusticana. Alle Augen waren auf die Bühne gerichtet, es herrschte die größte Stille; man hätte die Herzschläge jener vernehmen können, die in höchster Erregung dem Ausgange des tragischen Stückes entgegensahen. Da erhob plötzlich einer der Zuschauer, ich weiß nicht mehr wer, in momentaner Zerstreuung die Augen, und vermochte ein »Ah« der Verwunderung nicht zu unterdrücken. Das genügte, um die Blicke aller nach derselben Richtung hinzulenken. Conti stand da, stramm und schön wie immer, während er lächelnd und sich verbeugend, die Grüße seiner Freunde und Bekannten erwiderte. Die Aufmerksamkeit, so unvermutet unterbrochen, konnte sich nicht mehr ungeteilt dem großartigen Spiele zuwenden.«
»Das vorige Jahr blieb Conti unsichtbar.«
»Er war beständig auf Reisen,« bemerkte Herr Arnaldi.
»Er reist vom Frühjahr bis zum Herbst, niemals im Winter.«
»Den Winter verlebt er meistens in wärmeren Gegenden. Sei versichert, daß Conti seinen Vorteil kennt.«
»Ich bin davon überzeugt.«
Die Tante wandte sich hierauf an Malwina mit dem Ersuchen, ihre Toiletten zu zeigen. Sie protestierte energisch gegen die Art und Weise, wie ihre Nichte sich zu kleiden beliebte, und sagte zu ihrem Bruder: »Man muß Malwina zu einigen Festen führen. Nächste Woche giebt der Bankier Necker seinen gewohnten Ball. Du wirst nicht hinter den anderen zurückstehen wollen und deine Tochter in entsprechender Toilette dort erscheinen lassen. Es ist somit notwendig, für den Ball ein neues Kleid zu besorgen.«
»Kaufe und arrangiere, was du immer für nötig erachtest,« erwiderte der Bruder.
»Also,« sagte Frau Varelli zu den jungen Mädchen, die eben ein winziges Büchlein anschauten, das sie bei der Cousine unter den Gegenständen gefunden hatten, welche dieselbe vom Kloster mitgebracht: »Wir wollen gleich das Nötige besorgen, damit die Signorina Arnaldi nicht ewig wie ein Institutsmädchen aussieht. Malwina, mache dich bereit!«
Mit diesen Worten ging sie selbst, um den Befehl zum Anspannen zu geben. Sie begegnete Laura, die sie damit beauftragen wollte; letztere jedoch, der die Familie Varelli höchst unsympathisch war, und die mit Bedauern deren Rückkehr in die Stadt wahrgenommen hatte, antwortete, daß sie nicht sicher sei, ob Fräulein Malwina damit einverstanden wäre, da sie nicht gewohnt sei, zu dieser Stunde auszufahren.«
»Ich habe bereits mit ihr darüber gesprochen.«
»Soeben komme ich von ihr, und sie hat durchaus keinen Wunsch geäußert, jetzt ausfahren zu wollen.«
»Ich sage, man soll anspannen; das genügt. Sie haben nur zu gehorchen.«
Laura entfernte sich, erregt und sich mit Mühe beherrschend.
»Hört,« sagte Malwinas Tante, als sie wieder ins Zimmer trat, »mir gefällt es gar nicht, wenn die Dienerschaft so viele Jahre in einem Hause bleibt, weil sich die Leute dann angewöhnen, die Herren zu spielen. Es ist nicht mehr möglich, sich Gehorsam zu verschaffen; sie befehlen. Deine Laura ist einfach impertinent, und war es stets gegen mich. Wenn dein Vater etwas energischer wäre, hätte er ihr schon öfters eine tüchtige Lektion gegeben; denn, du mußt wissen, sie erlaubt sich sogar die Unbescheidenheit, einen Rat zu erteilen, verstehst du? Einst hörte ich, wie sie ihm Vorwürfe machte, weil er zu spät nach Hause kam. Ich würde absolut solche Dinge nicht dulden und sie auf der Stelle fortjagen. Ich hoffte, daß sie, nun du da bist, ihre Entlassung erhielte.«
»Warum, Tante? Sie ist uns so treu ergeben! Sie liebte Mama so unendlich!«
»Was geht das mich an? Das ist kein Grund, unhöflich zu sein.«
Eine Woche später, während Malwina in ihrem Zimmer sich wohlig bewußt wurde, daß sie endlich wieder sich selbst gehöre, nachdem sie mehrere Tage nacheinander nicht einen Moment für sich gehabt hatte, hörte sie an die Thür klopfen. Sie öffnete. Es war Laura, die sich, ganz aufgeregt, auf den Diwan niederließ und in lautes Weinen ausbrach. Malwina von Teilnahme bewegt, setzte sich an ihre Seite und fragte liebevoll: »Was giebt es, Laura? Was hast du?«
»Ich bin untröstlich,« rief Laura unter Schluchzen aus, »weil diese Frau, – verzeihen Sie, wenn ich so von Ihrer Tante spreche, – das ganze Haus umzustürzen droht! Ich pries Gott, der wieder unter uns weilte, und dankte ihm, daß unser Haus von neuem in die schönen Verhältnisse zurückkehrte, wie sie uns zu Lebzeiten meiner seligen Herrin beglückten. Nun ist der Störenfried wieder eingedrungen, und die Ruhe ist dahin. Sie ist eine eitle Frau, ohne Herz, und ihre Töchter sind ebenso. Sie denken nur daran, sich zu unterhalten. Fräulein Malwina, wenn Sie mit ihnen verkehren, werden Sie nicht mehr dieselbe sein wie früher, und Herr Arnaldi wird sich wieder seinem unregelmäßigen Leben zuwenden. Wie Sie sich überzeugen, geht er schon wieder häufiger aus. Und gerade er ist geschaffen für das Leben in der Familie; ihm behagt das innige Zusammensein zu Hause. Aber er mag nicht ewig von Moden und Festen hören; das langweilt ihn. Sie werden sehen, Fräulein Malwina, in kurzer Zeit wird alles im Hause verändert sein. Ich liebe meinen Herrn und liebe Sie viel zu sehr, um mich nicht darüber zu betrüben.«
Und sie fuhr fort zu weinen.
»Laura,« sagte Malwina, indem sie die treue Dienerin liebkoste, »Laura, weine nicht so. Trockne deine Thränen und höre mich an. Ich werde an alles denken und für alles sorgen. Sei unbesorgt. Laß mich nur machen. Jetzt geh' und ruhe dich aus. Du wirst sehen, daß nichts von all dem eintreffen wird, was du befürchtest. Ich werde auf der Hut sein!«
Als sich Laura entfernt hatte, stützte Malwina den Kopf auf die Hände und sann lange nach. Hatte die Haushälterin Grund zu befürchten, daß die Zukunft ihres Vaters sich wieder so gestalten würde, wie Laura ihr die vergangenen Jahre geschildert hatte? Ihr Vater würde von neuem das Haus meiden? Aber … und die Versprechungen, die sie Gott, sich selbst, Donna Ildefonsa gegeben hatte, ihren Vater zur Religion zurückführen zu wollen? Sollte alles in Rauch aufgehen?
Laura klagte die Tante an. Aber nein, nicht die Tante war die Hauptursache der Veränderung, die mit ihrem Vater vorging. Der Grund lag auf ihrer Seite; sie selbst war schuld daran.
Ah! … Sie getraute sich kaum, sich dies selbst einzugestehen. Sie hatte ihren Vater vernachlässigt, den guten, zärtlichen Vater, welcher der Gegenstand all ihrer Sorgen hätte sein sollen. Sie hatte ihn vernachlässigt, seitdem sie von ihrem Aufenthalte in den Bergen zurückgekehrt waren. Und für wen? Um eines Mannes willen, den sie kaum kannte … für Conti. Es war eine Schmach, daß sie sich von etwas Geist, von dem Blendwerk schöner Worte hatte so verführen lassen! Was war ihr dieser Mann? Was hatte er ihr gesagt? Er hatte ihr besondere Artigkeiten erwiesen; aber that er dies nicht allen Damen gegenüber, mehr aus Gewohnheit und Liebhaberei? Er hatte ihr gar nichts gesagt, was ihr die geringste Hoffnung erregen konnte; er war fortgegangen, ohne zu sagen, wohin. Sicher hatte er sie bereits vergessen, wenn er überhaupt je an sie gedacht hatte. Diesem Manne gegenüber wäre sie, die stolze Malwina, imstande, sich so weit zu erniedrigen, um ihm ihr Herz zu schenken, ohne daß er danach verlangt hätte! O nein, niemals würde sie sich einer solchen Verirrung schuldig machen!
Und sie richtete sich auf, stolz und entschlossen. Sie wollte das Vergangene vergessen, von neuem nur ihrem geliebten Vater angehören, sich gänzlich ihm weihen. Wie undankbar, daß sie ihn eines Unbekannten wegen beiseite hatte setzen können! Und wie vermochte sie jetzt die vergangenen Tage wieder gutzumachen? Wie die verlorene Zeit wieder hereinbringen? …
»Mein Gott! mein Gott! was habe ich gethan?« rief sie aus. Und sie verbarg ihr Haupt in den Händen.
Sie erinnerte sich plötzlich des kleinen Buches, das Olga unter ihren Sachen aufgestöbert hatte. Sie suchte es mit den Blicken und bemerkte es bald an seinem Goldschnitt, der im Lampenlichte leuchtete. Sie nahm es in die Hand; es war die ›Nachfolge Christi‹. Sie öffnete es aufs Geratewohl und las: »Mein Sohn, stelle immer deine Sache mir anheim; ich werde sie zu seiner Zeit wohl machen. – In den schweren Momenten deines Lebens nimm vertrauensvoll deine Zuflucht zu Gott.« »Und ich hätte beinahe Gott vergessen, ihn, der mich mit Wohlthaten überhäuft hat!«
Sie richtete ihren Blick auf das Kruzifix. »Herr,« rief sie aus, »ich kehre reumütig zu dir zurück. Du hörst mich an und wirst mich erhören! Halte mich fern von Schuld und Sünde, und gieb, daß ich meinen Vater glücklich mache. Ich bin entschlossen; morgen fange ich ein neues Leben an und will wieder die frühere Malwina sein. Hilf mir, mein Gott, meinen Vorsatz zu halten!«
Der blutende Erlöser am Kreuze mit den ausgespannten Armen schien ihr sagen zu wollen: »Ja, ich verzeihe dir. Kehre zu meinem Herzen zurück!«
Diesen Abend verrichtete Malwina ihr Gebet mit besonderer Inbrunst. Den nächsten Tag war sie voll rührender Sorgfalt für ihren Vater, und als die Tante mit den Cousinen kam, um sie abzuholen, entschuldigte sie sich mit der Ausrede, daß sie durchaus keine Lust habe, mitzugehen.
Die Verwandten konnten nicht begreifen, wie ein junges Mädchen, wie Malwina, schön, reich und lebhaften Geistes, sich stundenlang im Hause einschließen mochte, allein mit ihrem Vater.
Malwina kostete die volle Süßigkeit ihres kleinen Opfers, als sie, mit einer Handarbeit beschäftigt, im Arbeitszimmer ihres Vaters saß und, zu ihm aufschauend, bemerkte, daß seine Feder ruhte. Ein paar Sekunden lang hörte man nichts als das leise Geräusch des Fingerhutes, der gegen das Nadelöhr anstieß. Dann sah sie ihren Vater an ihrer Seite stehen, indem er sie aufmerksam betrachtete. Als sie hierauf die Augen zu ihm erhob, sagte er: »Malwina, ich fürchtete, daß du eine zu enge Freundschaft mit deinen Cousinen schließen und dich an ihre Lebensart gewöhnen würdest. Wie glücklich bin ich jetzt, da ich sehe, daß du nicht mit ihnen übereinstimmst!«
»Du fürchtetest dies? Und diesen Sommer wolltest du, daß ich zu ihnen ginge! Wie vereint sich das?«
»Einfach deshalb, weil ich dir Zerstreuung verschaffen wollte und keine andere Gelegenheit dafür wußte.«
»Weißt du, böser Papa, das war nicht recht! Du hättest mir im Gegenteile offen sagen sollen, du wünschtest nicht, daß ich mich der Lebensweise der Varellis anpasse. Dann hätte ich dir auch nicht den kleinsten Verdruß bereitet; jetzt hingegen …«
»Was willst du sagen?«
»Ja, die vergangenen Tage.«
»Hast du es bemerkt?«
»Das kannst du dir denken, lieber Vater! Und außerdem erwähnte auch Laura der Sache.«
»Laura! Sie ist eine vortreffliche, brave Frau, weißt du? Ich lasse dich völlig beruhigt in ihren Händen. Sie hat dich so lieb. Deine Tante ist nicht schlecht, im Gegenteil; sie wurde zu früh ihre eigene Herrin, und jetzt hat sie keinen anderen Gedanken, als sich zu putzen und sehen zu lassen. Schade! Sie hat kein schlechtes Herz! Wenn nun aber die Feste und Vergnügungen beginnen, wirst du sehen, daß sie auch dich mit in den Strudel hineinziehen; ich bin fest überzeugt davon. Du wirst nicht widerstehen können; es wird unmöglich sein.«
»Ich werde fest bleiben.«
»Ich glaube es nicht.«
In der That, als nach zwei Tagen die Familie Varelli kam, um zu fragen, welche Toilette Malwina zum Balle beim Bankier Necker wählen werde, antwortete sie mit Entschiedenheit, daß sie nicht hingehen wolle.
»Nicht? Warum?«
»Weil ich durchaus keine Lust habe.«
»Ist es möglich?«
»Gewiß.«
»Nein, das geht nicht; du mußt kommen.«
»Ich werde nicht hingehen.«
»Aber alle Leute fragen nach dir, du hast dich noch nirgends sehen lassen. Sie würden sich beleidigt fühlen. Bis jetzt konntest du ablehnen, weil du allein warst. Jetzt, nachdem ich da bin, um dich zu begleiten, giebt es keine Ausrede mehr. Der Bankier würde mit vollem Rechte darüber verletzt sein.«
Malwina wußte sich nicht mehr zu helfen. Ihre Tante und die Cousinen drangen in sie und zeigten so großes Verlangen, sie in ihrer Gesellschaft zu haben, daß noch länger zu widerstehen, Eigensinn gewesen wäre. Olga hatte sogar Thränen in den Augen, und Mario, der in diesem Augenblicke sich zu ihnen gesellt hatte, spielte auf dem Flügel eine »Bitte« mit so viel Ausdruck und Gefühl, daß sich Malwina halb überwunden fühlte. Und doch wollte sie fest bleiben; ließ sie sich einmal überreden, so war es um sie geschehen; sie mußte dann immer ja sagen.
»Sage mir wenigstens den Grund deines beständigen Weigerns,« fuhr die Tante fort.
Malwina dachte an ihren Vater. Es war so schön dieses ruhige Leben, das sie wieder aufgenommen hatte. Ihr Vater war ihr so dankbar für die Gesellschaft, die sie ihm in seinem Arbeitszimmer leistete. Es freuten ihn die frischen Blumen, die sie nie versäumte, ihm täglich auf den Schreibtisch zu stellen. Diese friedliche Existenz war ihm so wohlthätig: die regelmäßigen Stunden, das zeitige Zubettegehen und das frühe Aufstehen.
Anstatt dessen sollte sie ihn neuerdings so viele Stunden allein lassen; das hieß ja ordentlich ihn zwingen, wieder seine Herrenkreise aufzusuchen. Malwina wollte das durchaus nicht.
Auf der anderen Seite, einen Ball zu besuchen, einen großen Ball, den ersten, an dem sie teilnehmen sollte, mußte doch recht unterhaltend sein und sie tanzte sehr gern; im Institut ließ sie bei vorkommenden Gelegenheiten nie einen Tanz aus.
»Nun, entscheidest du dich endlich?« drängte die Tante.
»Wenn Papa mitgeht, dann ja; wenn nicht, dann lasse ich mich um keinen Preis dazu bewegen.«
»Endlich! das hättest du gleich sagen können.«
Und alle, die Tante mit inbegriffen, eilten zu Herrn Arnaldi. Mit den Worten: »Es ist ausgemacht; du kommst also morgen auch mit,« stürmten sie alle miteinander auf ihn los.
»Ich? Wohin?«
»Auf den Ball im Hause Necker.«
»Träumt ihr? Ich bin doch kein junger Mann!«
»Aber du sollst deine junge Tochter begleiten.«
»O! Seid denn ihr nicht dort?«
»Die Signorina will sich nicht von der Stelle bewegen, wenn nicht auch ihr unvermeidlicher Herr Papa am Feste teilnimmt.«
»Wenn die Sache so steht, ist mir's recht. Für meine Tochter ginge ich bis ans Ende der Welt.«
»Welch großmütiger Mensch! Dies ist das erste Mal, daß ich dich so sprechen höre. Ich erinnere mich, als ich, einige Jahre nach dem Tode meines Mannes – die Kinder waren damals noch ganz klein – dich bat und beschwor, mich in eine Gesellschaft zu begleiten, dich nicht dazu bewegen konnte. Glücklicherweise erbarmte sich der Major Bianchi und seine Damen meiner. Wenn er nicht so liebenswürdig gewesen wäre, hätte ich auf dieses Vergnügen verzichten müssen. Nun, ich habe dir gern vergeben; jetzt liegt mir jedoch alles daran, daß Malwina endlich einem wirklich großen Balle beiwohne. Malwina, komm' mit mir und laß uns deine Toilette wählen. Bedenke, daß ich dich wunderschön haben will. Du mußt glänzend aussehen! Der Ballsaal im Hause Necker ist berühmt ob seiner herrlichen Beleuchtung, bei welcher die Toiletten so recht zur Geltung kommen können. Du wirst sehen, Malwina, wie gut du dich morgen unterhalten wirst!«