Ulrich Hegner
Hans Holbein der Jüngere
Ulrich Hegner

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Holbeins Lebensart in Basel.

Solche Arbeiten, die noch bis zur jetzigen Stunde hochgeschätzt werden, lieferte Holbein schon vor seinem zwanzigsten Jahre; gleichwohl soll er, wie Patin und Iselin melden, in Basel damals noch wenig Achtung genossen haben, und wie die gemeinen Maler behandelt worden, ja genöthigt gewesen seyn, am Tagelohn zu schaffen, um das liebe Brod zu erwerben. Bei einem jungen Menschen ohne Unterstützung, ohne reiche Gönnnerschaft, der sich durch sich selbst erheben mußte, läßt sich dieß langsame Emporkommen wohl ohne weiteres begreifen, besonders wenn man jene unruhige Zeiten der mailändischen Feldzüge, und die ungebundenen SittenEine scharfe Verordnung von 1516 klagt über die vielen und mancherlei aufrührerischen Händel, Schlägereien, Wundthaten und Todtschläge, die seit etlichen Jahren sich leider in der Stadt ereignet hätten. (Ochs Gesch. v. Basel. V. 292.) bedenkt, die den Künsten des 99 Friedens abhold waren. Aber jene Schriftsteller schreiben die Ursache dieser Vernachlässigung des Künstlers seiner Lebensart zu, der sie, ohne Schonung, krasse Sinnlichkeit Schuld gebenTemulentorum hominum consortio penitus immersus, sagt Patin in Vita Holb. – und an einem andern Orte (Relations historiques etc.): C'etoit un brave homme, mais si gueux qu'il n'avoit pas quelqufois dequoy diner. – Der redselige Mann giebt aber nirgends die Quelle seiner Nachrichten an.. – Woher sie das wissen, sagen sie nicht; vermuthlich durch Ueberlieferung, die so oft eine Halbwahrheit mit einem bunten Gewande der Erdichtung umhüllet. Es ist eben nichts seltenes, daß spätere Erzähler, was sie nur mit halbem Ohre vernommen, ins Uebertriebene ausmalen, als wenn es eine ausgemachte Sache wäre; und so hat man auch hier eine menschliche Schwachheit, die bei Virtuosen nicht so ganz ungewöhnlich ist, mit allzugrellen Farben als einen Zustand parmanenter Völlerei geschildert, und dann, um die Sache einigermaßen wieder gut zu machen, die Vollkommenheit des Genies gepriesen, das nicht einmal eines anhaltenden Fleißes bedurft habe. – Das ist aber nicht die Wahrheit, und kann nirgends her, wohl eher das Gegentheil, dargethan werden. Weder der frühere van Mander, noch der billige Sandrart, gedenken dieses Vorwurfs; das nachtheilige Gerede mag wohl 100 vornehmlich durch einen Scherz des großen Erasmus, wenn auch nicht den Anfang, doch seinen Bestand gewonnen haben.

Als nämlich Holbein eines Tages dessen Lob der Narrheit, welches einige Jahre früher herausgekommen war, aber immer noch viel Aufsehen machte, mit seinem Freunde Oswald Müller von Luzern, der in Basel Schulmeister war, durchging, und dieser ihm den lateinischen Text erklärte, gefiel es ihm so wohl, daß er einige Figuren an den breiten Rand zeichnete, und solches mehrere Abende wiederholte, bis er das Buch mit drei und achtzig FederzeichnungenWovon weiter unten die Rede seyn wird. angefüllt hatte; unter diesen Zeichnungen hatte er auch den Erasmus selbst, schreibend an seinem Pulte angebracht. Erasmus, als er das Buch zu sehen bekam, fand Wohlgefallen daran, scherzte über sein Bild, kehrte aber das Blatt um, und schrieb als Widervergeltung zu einer der nächstfolgenden Figuren, wo ein Zecher ein Mädchen umarmt, den Namen: Holbein. Da nun aber im Texte von einem epikurischen Schweine die Rede ist, und auch diese Zeichnung tüchtig darnach aussieht, so mußte dieß der arme Künstler bei der Nachwelt ärger entgelten, als es Erasmus gemeint hatte, der wohl bei 101 seinem Buche an die Nachwelt mag gedacht haben, bei dieser Figurbenennung aber gewiß nicht. Was in einer aufgeweckten Stunde Erasmus in ein Exemplar seines Buches fallen ließ, hätte nicht so ernstlich sollen aufgenommen werden; und was der nüchterne stille Gelehrte an dem sinnlichkräftigen jungen Maler auszusetzen fand, mag allerdings seine subjective Richtigkeit haben, ist aber noch kein Zeugniß grober LiederlichkeitDürer malte das Wappen seines Freundes Pirkhaimer einem unzüchtigen Satyr auf den Rücken. (Derschauisch. Kunstkabinet S. 7.) So könnte die Nachwelt auch Böses von Pirkhaimer vermuthen, und aus dem Scherze bittern Ernst machen..

Aehnliche Geschichten, die ihn als einen lustigen Gesellen bezeichnen, hat zwar auch die Sage in Basel aufbewahrt, und nach ihr haben schreibfertige Anekdotensammler dieselben wieder verbreitet. Er habe, heißt esNach Mechels handschriftlicher Sammlung., seine Schulden im Wirthshause zur Blume mit dem Bemalen einer Wand getilgt, und als er es zum zweiten Male thun, der Wirth aber solches nicht zugeben wollen, habe er die Rechnung mit Geld bezahlt, und die frühere Schuld auch, und dann die Malerei, welche dem Wirth viele Kunden zugezogen hatte, wieder ausgelöscht. – Das widerlegt sich ja von selbst; hatte er Geld um die 102 Schulden zu bezahlen, so brauchte er nicht seine Malerdienste anzubieten; auch wird ein Wirth schwerlich etwas wegschaffen lassen, das ihm Kunden zuzieht.

Andre meldenPatin, Relat. hist. – und nach ihm mehrere. sagt Patin., das Haus an der Eisengasse, zum Tanz genannt, das von oben bis unten von Holbein bemalt war, und dessen Bauerntanz noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts jedermann zur ergötzlichen Schau standDe grands princes se pourroient faire honneur de ce travail, sagt Patin., jetzt aber übertüncht ist, sey eine Schenke gewesen, und der Maler habe seine Weinschulden mit dieser Arbeit bezahlt. Zu dieser Nachrede mag wohl der lustige Bauerntanz, der auch dem Hause den Namen gab, Veranlassung gewesen seyn. Es war aber nicht dieser Tanz allein an dem Hause angebracht, sondern die ganze Vorderseite des Gebäudes bis unter das Dach war mit pallastähnlicher Architektur übermalt, reich und von mannigfaltiger Erfindung, wo Leute von zierlichen Geländern herab, oder hinter hohen Säulen hervor schauten, und wo auch M. Curtius angebracht war, wie er sich in den Abgrund stürzt, wie solches Patin in seinem Verzeichnisse Holbeinischer Bilder, und noch besser der trefflich in Tusch 103 ausgeführte Aufriß bezeuget, welcher in der Bibliothek aufbehalten ist. So malt man keine Kneipe. Zudem meldet Theodor ZwingerMethodus apodemica. Basil. 1577: Domus privata in platea ferri choream rusticam exhihet; a J. Holbenio XL florenorum stipendio depicta. – Von diesem Bauerntanz existirt noch eine große Zeichnung in Wasserfarbe von Wilhelm Stettler, die seit einigen Jahren in mehrere Hände gekommen, und für ein Original von Holbein ausgegeben wird. bestimmt, daß Holbein für diese Arbeit vierzig Gulden bekommen habe. – Sagte man nicht auch dem edeln Holzer nach, er habe seinen berühmten Bauerntanz in Augsburg malen müssen, um damit Schulden der Schwelgerei im Wirthshause zu lösen?Mensels Misc. artist. Inhalts. 8s Heft, 99 Seite, wo er aber von Bianconi gerechtfertigt wird, der noch mehrere Beyspiele ähnlicher Andichtungen über berühmte Maler anführt..

Weiter erzählt man zum Behufe dieser Anschuldigung folgenden Schwank: Während er die Apotheke auf dem Fischmarkte gemalt, habe er sich öfters auf die nahe gelegene Fischerstube, wo guter Wein geschenkt wurde, begeben, und damit dieß der Hausherr nicht merke, der öfters nach der Arbeit zu sehen kam, habe er unterhalb des Gerüstes seine herabhängenden Füße so wahr auf die Mauer hingemalt, daß man unten geglaubt, er sitze wirklich 104 droben, bis es endlich der Apotheker gemerkt und sich beeilt habe, den Künstler wieder aus dem Wirthshause zur Arbeit abzuholen. – Der Spaß ist allerdings lustig genug, ja leichtfertig, wenn man will, konnte aber auch statt haben, ohne entschiedene Liederlichkeit zu verrathen. Holbein mußte nun einmal Häuser malen, und hatte als der beste Maler wohl auch den besten Lohn, für gute Bezahlung aber fordern die Leute auch fleißige Arbeit. Wer indeß, der mit der Kunst und Künstlern bekannt ist, wird verlangen, daß ein Mann von Geist, der nichts schlechtes liefern will, den ganzen langen Tag auf einem offnen Gerüste sitze, und bei Sonnenschein und Regen, bei Blendlicht wie bei falbem Nebel malen könne? Holbein mußte sich also Zeit nehmen, sich erholen; wenn er dann eben zu rechter Zeit einen guten Freund in die Weinschenke wandern sah, so folgte er nach. Dieß konnte nun freilich dem Hauspatron, der von gutem und schlechtem Lichte wenig wissen mochte, und von dem Bedarf des Malers nichts wissen wollte, nicht gefallen; noch weniger, daß er ihn, einen ehrenhaften Bürger, mit den herabhängenden Füßen zum Besten hatte; er schalt und schrie über ihn, und die Nachbarn erzählten es lachend weiter, und Holbein fragte nichts darnach. So kömmt man in die Nachrede.

105 Doch wer will Anekdoten berichtigen; keine, die ausgezeichnete Menschen betrifft, ist unverkünstelte Erzählung. Wenn jedoch mehrere dergleichen auf einen und ebendenselben Charakterzug gehen, so ist anzunehmen, daß etwas wahres daran sey; und so wird wohl auch müssen zugegeben werden, daß Holbein in der Kraft seiner Jugend, wie so manche Künstler und gute Köpfe, denen die Arbeit leichter ward als andern, sich dem Sinnegenuß oft zu feurig hingegeben, und den äußern Anstand nicht so, wie es die Bürgersitte erheischte, beobachtet habe. Wie oft halten genialische Jünglinge das Band der guten Gesellschaft für eine schwere Kette, und ihren nothwendigen Zwang für Langeweile, und werfen sich mit dem Uebergewicht ihres Geistes in die Arme der Ungebundenheit, wo es freilich lustiger zugeht, weil hier keine blos äußerlichen Vorzüge gelten, wo sich aber ebenfalls Ketten anhängen, die bald schwerer drücken, als jenes bessere gesellschaftliche Band, so lästig es anfangs jeder originellen Kraft scheinen mag.

Oft genug mochten ihn auch abgeschmackte Bestellungen und Urtheile (welcher Künstler hat nicht Erfahrungen davon?), leere Importanz vornehmer Personen, denen er aufwarten mußte, in den entschädigenden Kreis lustiger Freunde getrieben haben, mit denen er über alles dieses 106 lachen und seinen Verdruß vergessen konnteRembrandt's face was a common one; he was careless in his dress, and kept low company. When, Said he, I wish to amuse myself, I avoid the company of the great, which puts a restraint upon me; pleasure consists in perfect liberty only. Seward's anecd. – Und doch war er fleißig und einer der Ersten. – Ein Beyspiel statt mehrerer.. Von dem Umfang seiner Kunst, von dem, was seinen bildenden Geist beschäftigte, konnte er auch bei der höhern Classe wenig genug vernehmen. Wenn schon die Prachtliebe damals groß, ja vielleicht größer war, als jetzt, so ging sie doch mehr auf Kleidung, Gold und Edelstein, Pferde und militärischen Schmuck, als auf Gegenstände des Geschmacks. Ein Maler wurde noch nicht unter die großen Männer gezählt, und wenn es hoch kam, so hieß man ihn einen guten Meister, das heißt, ein tüchtiges Mitglied seiner Zunft, mit dem es niemand einfiel, von Effect, schöner Natur und Ideal zu sprechen, sondern eher, um seinen Lohn zu unterhandeln. Noch war der zahlreiche Adel Meister, und das frische Andenken an Krieg, Scharmützel, Todtschlag, Feuer und Beute, verschloß die Herzen noch den sanften Empfindungen friedlicher Künste. Der werkthätige Künstler war des Beistandes theoretischer Kenner beraubt, bei denen man sich jetzt über alles Rath erholen kann. Selbst die Gelehrten hatten noch keine Ausdrücke, 107 das Kunstverdienst zu bezeichnen, und wenn sie einen Maler erheben wollten, wußten sie wenig mehr zu sagen, als, er sey ein zweiter Apelles, der mit der Natur wetteifre.

In solchen Verhältnissen ist es einem Manne von ausgezeichneter Geistesgabe nicht so gar übel anzurechnen, wenn er sich zuweilen etwas erlaubt, das er hätte können bleiben lassen, oder wenn er im Gefühle seiner Kraft die Bedeutsamkeit beschränkter Köpfe nicht groß zu achten scheint, und meint, um die Freiheiten, die er sich selbst gestattet, sollte sich niemand bekümmern, weil er sich um die Freiheiten Andrer auch nicht bekümmert; wenn er in Folge dessen der vergoldeten Mittelmäßigkeit und vornehmen Scheelsucht freiwillig aus dem Wege geht, und sich desto lieber hält an die Bebaglichkeit der zwanglosen. – Wer Großes leistet, dessen Lebensart kann wohl Schwachheiten zeigen, aber nie ganz verächtlich seyn.

War nun aber Holbein auf seinem herkulischen Scheidewege nicht so ganz von der ihm erscheinenden Tugend bezaubert, daß er nicht auch noch einen Zug für die andre Dame gefühlt hätte, so folgt daraus noch nicht, daß er sich dieser mit Ausschluß der Erstern unbedingt in die Arme geworfen habe. Denn wenn Fleiß und Beharrlichkeit zur Tugend gehören, ja die Bedingungen derselben 108 sind, so kann kein Zweifel mehr walten, auf welche Seite Holbein zu stellen sey. Auch mit dem größten Genie wie hätte er im Müssiggange des Leichtsinns die Menge von Werken liefern können, von denen man nach dreihundert Jahren noch weiß, und von welchen man auf die verloren gegangenen schließen kann; und wie wollte er ohne anhaltendes StudiumLabour and pains are required and Time, to cultivate a natural genius, ever so apt or forward. Shaftesbury. zu dieser mannigfaltigen Kunst, und hauptsächlich zu der so äußerst fleißigen Ausarbeitung gekommen seyn, die sich in seinen meisten Bildern findet. Liederliche Künstler von Geist haben gewiß selten dieses Detail der Ausarbeitung im Großen, dieses con amore des Fleißes, diese Reinlichkeit eines zarten Pinsels, wie Holbein.

Frobenius, Amerbach, Erasmus, die so viel auf Sittlichkeit hielten, wären auch schwerlich die Freunde und Gönner eines sittenlosen Prassers gewesen. War er arm, so war es Mangel an Arbeit und elende Bezahlung, was ihn arm machte; das sagt ja auch Erasmus deutlich in dem Empfehlungsschreiben, das er ihm auf die Reise mitgab; er nennt ihn einen ausgezeichneten Künstler, und fügt hinzu, da in Basel die Künste darben, so gehe er nun nach England, um sich einiges Geld zu sammeln. – 109 Diese Umstände zwangen ihn auch, jede Arbeit zu übernehmen, die ihm aufgetragen wurde; er malte auf Kalk, wie in Oehl und Wasserfarben, an Tischblättern sogar übte er seine Kunst, dergleichen eines, sinnreich mit der Geschichte des Niemands bemalt, lange in Zürich aufbewahrt wurdeFüeßli, Gesch. der Künstler in der Schweiz. I. 30.; er zeichnete für Goldschmiede, Kupferstecher, Glasmaler, Baumeister und Formschneider, ja man behauptet, daß er selbst in Holz geschnitten habe, wovon später die Rede seyn wird. 110

 


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