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»Genie und Natur waren seine einzigen Führer« sagen Holbeins Lobredner; sagen aber damit eine von jenen Halbwahrheiten, die man so gerne nachspricht, weil ihre unbestimmte Allgemeinheit viel tönt und wenig bedeutet. Genie und Natur gehören allerdings zur echten Kunst, so wie zu allem Großen; aber daß sich das Genie entwickeln, daß es die Natur neuschaffend umfassen lerne, dazu gehört nicht nur Anlage und Gelegenheit, sondern auch Leitung, Nachhülfe, Vorbild. Hätte er auch dieses nicht bei seinem Vater als Lehrmeister gefunden, so konnte es ihm doch in Basel nicht ganz an Bekanntschaft mit der Art und Weise andrer Meister fehlen. Mit Italien herrschte zwar damals außer geistlichem und kriegrischem wenig andrer Verkehr, mehr hingegen mit Deutschland und den 62 Niederlanden, wo treffliche Maler in Menge lebten, und wo jetzt (nur die bekanntesten zu erwähnen) Albrecht Dürer und Lucas von Leyden in voller Blüthe standen. Sollten nicht mit ihren Namen auch Werke in das volkreiche, prachtliebende Basel gekommen seyn? – In der Nachbarschaft dieser Stadt, zu Colmar und Schlettstadt, hatte Martin Schön nicht verächtliche Arbeiten hinterlassen, und Hans Baldung malte in Freyburg mit ungemeiner Wahrheit und Lebhaftigkeit der Farben. Im Elsaß, vorzüglich in Strasburg, hatte sich früher schon Johannes Hirtz großen Ruhm erworben, wie dessen WymphelingFiorillo. Gesch. der zeichn. Künste in Deutschl. II. 281. zeuget. – Fast alle Städte von einiger Bedeutung hatten ihre geschickten Maler, deren Werke noch jetzt geehrt und geschätzt werden, denn Familien-Bildnisse waren damals eben so beliebt, ja noch zahlreicher als heut zu Tage, und Kirchen und Häuser gaben immerfort Arbeit. Die vielen Klöster im benachbarten Schwaben waren voll Malereien. In Zürich lebte Hans Asper; in Bern stand Niklaus Manuel in großem Ansehen. Constanz, Luzern und St. Gallen waren schon im Besitze früherer Kunstbilder. Auch in Basel selbst mußte schon manches Gute vorhanden seyn, denn das Bemalen der Häuser war schon alt, und der 63 Todtentanz auf dem Prediger-Kirchhof, der nicht unter die schlechten Werke gehörte, wurde schon zur Zeit des Conciliums, mehr als ein halbes Jahrhundert vor Holbein, verfertigt. Auch waren damals schon ältere und gleichzeitige Gemälde fremder Meister in Basel vorhanden, wie dergleichen noch jetzt aus dem Nachlaß des Bonifacius Amerbach auf der öffentlichen Bibliothek aufbewahrt werden. Zudem waren die Holbeine nicht die einzigen in Basel verbürgerten oder angesessenen Maler; des Meisters Jakob Clauser und mehrerer Stücke seiner Arbeit gedenkt das Inventarium Amerbachs, der keine schlechte Waare sammelte. Theodor Zwinger erzählt von einem Johannes Herbst aus Strasburg, geboren 1468, der sich in Basel verheirathet hatte, und unter die bessern Maler seiner Zeit gezählt wurdeTheatr. vitae hum. fol. Bas. 1586. p. 3701. Er war der Vater des berühmten Buchdrucker Johann Herbst (oporinus). Zur Zeit der Reformation stand er gänzlich und auf immer von Ausübung seiner Kunst ab, weil er wähnte, daß durch dieselbe der Bilderdienst befördert werde. Von seinen Kunsterzeugnissen ist nichts mehr bekannt; wahrscheinlich haben sie in der Länge der Zeit andre Namen bekommen.. Auch Urs Graf, noch etwas früher als Holbein, zeichnete sich in Basel durch sein Kunsttalent aus. Und wer zählt die Verschollenen, deren Namen kein 64 Künstler-Lexikon mehr gedenktEin Beyspiel aus vielen sey Hans Galatin, aus der ersten Hälfte des XVI Jahrhunderts, von dem man hin und wieder in der Schweiz getuschte Zeichnungen antrifft, die wenn sein Monogramm nicht dabei stände, für die besten Holbeinischen Arbeiten in Hinsicht auf kräftige und meisterhafte Gewandtheit könnten und würden angesehen werden. Man hat auch einige Holzschnitte, in Werken die zu Bern herausgekommen, mit seinem Monogramm , das Brülliot und Heller für unbekannt erklären., weil sie, wenn auch aller Ehren werth, keinen gleichzeitigen Lobredner fanden, und so ihre Erzeugnisse unter bekanntere Namen aufgenommen wurden. Sind nicht durch neuere Forschungen nach alter deutscher Kunst wieder mehrere gleichsam von den Todten auferstanden? So wurden die Gemälde des Martin Schaffners von Ulm (um nur in der Nähe mit den Beyspielen zu bleiben) noch in den neuesten Zeiten als die beßten Arbeiten Martin Schöns gepriesenChr. v. Mannlich. Beschr. der Gem. Samml. zu München. etc. I. 381 etc., bis sie unlängst wieder ihrem eigentlichen Urheber vindizirt wurdenKunstblatt. No. 63. 1822.. Damals kam es meist darauf an, ob etwa ein Schriftsteller bey irgend einem Anlaß eines geschickten Meisters erwähnte, und dann blieb dessen Name bis auf unsre Tage, indessen verdientere untergingen, deren keine gedruckte 65 Schrift gedachte. Hätte jenes malende Deutschland einen Vasari, oder auch nur einen Carl van Mander gefunden, wie mancher preiswürdige Name wäre jetzt der Vergessenheit entrissen; wir würden uns dieses kunstreichen Lebens freuen, dem noch keine schöngeistige Anmaßung keine abstracte Kunstrichterei im Wege stand.
Wenn man auch, ohne Rücksicht auf ältere, nur diejenigen Meister aus dem Anfange des XVI Jahrhunderts am Ober- und Nieder-Rhein zählt, deren Sandrart erwähnt, und wenn man ihren zahlreichen Werken Gerechtigkeit wiederfahren läßt, wie in neuerer Zeit wirklich geschieht, so kann man begreifen, daß es dem ausgezeichneten Talente des jungen Künstlers, dem wandernden Maler, nicht an Winken, Fingerzeigen, Vorbildern und practischen Mustern gefehlt habe, die zu seiner Ausbildung beitragen mußten. Die Augen des Genies sehen ohne Anstrengung, oft ohne Vorbedacht, und schauen das vorzügliche gleichsam in sich selbst hinein, um dasselbe in eigenthümlicher Erscheinung vollendeter wieder zu geben.
Und was schaute der fähige Jüngling, was war es für eine Kunst, die ihn umgab? Es war die alte deutsche Schule, an der sein Vater noch ganz hing, und die noch mit dem edeln Albrecht Dürer, dem letzten Deutschen dieser Art, wie die Sonne nach einem langen 66 Sommertage, im goldnen Abschiedslichte strahlte. – Daran mußte er sich halten, das war die Leiter, an welcher er empor stieg, von wo er sich umsehen mußte, um seinem Auge die Richtung zu geben; denn für die Kunst will das Auge malerisch gebildet seyn wie die Hand, und jeder Lehrling bedarf eines leitenden Vorbildes, dessen Art und Weise ihm das Medium ist, die Natur anzuschauen. Nur muß er dieser Weise nicht zeitlebens als ausschließlicher Norm folgen, wenn er den Weg des Fortschreitens vollenden will.
Leichter mochte es übrigens seyn, zu dieser alten Kunst zu gelangen, als jetzt zu der Neuern, weil sie einförmiger war, und ihr weniger Wissenschaft genügte. Die Künstler bildeten mehr nach einerlei Typus, suchten rechtliche Einfalt bei den Männern und zarte Frömmigkeit bei den Weibern, mehr als leidenschaftlichen Ausdruck, legten die größte Vollendung in die Köpfe, die häufig Porträte waren, und behandelten die übrigen Formen weit nachlässiger; sie waren an kein Costüm gebunden, das jetzt unerläßlich ist, sondern wählten die Kleidertracht ihrer Zeit, oder eine phantastische; sie hatten weniger strenge Regeln über Licht und Schatten, kein Studium der Anatomie; kurz sie arbeiteten mit beschränkterer Umsicht, und waren daher nicht nur sich unter einander ähnlicher, sondern auch 67 schneller am Ziel. Sie gaben sich dann aber auch alle Mühe mit zierlicher, reinlicher, farbenkundiger Vollendung, und Geist läßt sich allenthalben anbringen, wenn man ihn hat.
In dieser Schule war Holbeins Vater alt geworden, und ihr nach besten Kräften treu geblieben, wie dieß noch so manche in München und SchleißheimChr. v. Mannlich Beschr. der Gemälde in München &c., auch zu FrankfurtGöthe, über Kunst und Alterth. I. 60. am Main, und anderswo aufbewahrte Gemälde von ihm zeigen. Sie haben durchaus den Charakter der Zeit, viel unidealische Wahrheit in den Köpfen, wenig Leben und Bewegung, oft dürre Formen, und sind zart und fleißig ausgemalt. Mehrere sind jedoch so verschieden in Farbe und Zeichnung, daß man sie unmöglich dem gleichen Meister zuschreiben kann, sondern glauben muß, Besitzer und Sammlungsvorsteher haben nach beliebigen Namen geordnet, wie es zu geschehen pflegt. – Dem sey aber wie ihm wolle, von Holbein dem ältern sind rühmliche Gemälde vorhanden, und es ist allerdings anzunehmen, daß der Vater der erste und sorgsamste Lehrmeister des Sohnes gewesen sey, und ihn zu seiner Schule 68 erzogen habe, von der man noch Spuren genug in dessen frühern Werken antrifft; wiewohl er, wie man später sehen wird, auf dem hergebrachten Lehrwege nicht stehen blieb, sondern eine eigne Bahn einschlug, wo er sich mit mehr Freiheit bewegen konnte. 69