Ulrich Hegner
Hans Holbein der Jüngere
Ulrich Hegner

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Kunsterziehung.

Anders als nach Art und Weise seiner Zeit konnte Holbein nicht zum Maler gebildet werden. Jeder Knabe, der diesem Berufe bestimmt war, wurde einem Meister auf mehrere Jahre in die Lehre gegeben, dem mußte er dienenOft auch den Gesellen, wie sich Albrecht Dürer dessen zu beklagen hatte, als er bei Wohlgemuth in der Lehre stand. Albr. Dürers Leben, von J. F. Roth. 8°. Leipz. 1791., und nach Handwerksgebrauch treiben, was der Meister trieb, wo dann alles darauf ankam, ob jener was Rechtes zu zeigen, und der Schüler zu ergreifen im Stande war; denn weitere Gelegenheit zur Bildung war an den wenigsten Orten vorhanden. Gleichwohl sind aus dieser 53 geringen Weise große Maler hervorgegangen, zur Bekräftigung uralter Erfahrung, daß in jedem Fache die Größe sich mehr von innen heraus als von außen hinein entwickelt, und daß für den empfänglichen Geist in einfacher Beschränkung oft kräftigere Anregung und eingreifendere Lehre liegt, als in vornehmer Ausdehnung des Unterrichts. Die Meister jener Zeit gaben ihrem Unterricht mehr handwerksmäßige Gleichförmigkeit und einen weniger pädagogisch geordneten Gang, als jetzo geschieht, wo bei dem allzustrengen Festhalten einer akademischen Methode die Mechanik derselben dem Schüler oftmals so geläufig wird, daß er darüber des Geistes nicht mehr gedenkt. Die Schüler waren Lehrjungen, und mußten dem Meister helfen, wo und so frühe sie konnten; sie fingen mit Farbenreiben an, und blieben bei den Farben, sie zeichneten mit dem Pinsel, oder für den Pinsel. So lernten sie gleich anfangs die farbige Natur anschauen und auffassen in die Phantasie; nicht die abstracte Natur in Umrissen, die nirgends existirt. Ihre Augen wurden lauter für die Harmonie, und ihr technischer Sinn früh gewöhnt, verwandten Farbentönen bleibende Dauer zu geben.

Freilich mußten die Meister wohl wissen, und die Jünger bald einsehen, daß ohne richtiges Verhältniß der Formen nichts zu Stande gebracht werden könne; das 54 zwang sie zum Studium dieser Verhältnisse in mancherlei Uebungen und Entwürfen, wozu allerdings auch Umrisse erforderlich waren; aber sie machten nicht das bloße Schema der Umrisse zur jahrelangen Beschäftigung, sondern da sie die Farbenmalerei als Beruf im Auge hatten, und für diese zeichnen mußten, erfaßten ihre Entwürfe auch sogleich die Form selbst, das ist, die durch Licht und Schatten gerundete Gestalt. Zu allem diesen fehlte es bei geschickten und beliebten Meistern nicht an Gelegenheit; ihre Arbeit beschäftigte auch die Lehrlinge. Formschneider und Glasmaler, damals in zahlloser Menge, brauchten Zeichnungen, Vorbilder (Visierungen, wie sie es nannten), und ließen solche von geschickten Künstlern machen, wie sich dergleichen noch heut zu Tage viele vorfinden; daran konnten sich die Jungen im Zeichnen üben. Die Menge von Kirchen, Klöstern, Kapellen konnten nicht ohne Bilder seyn; dazu bedurfte es Studien, Entwürfe, deren Nachbildung auch wieder eine erhebliche Stufe zur Höhe der Kunstbildung war. Die Frescomalerei an öffentlichen und bürgerlichen Gebäuden, nach damaligem Geschmack, gab viel Beschäftigung, sie forderte eine eigne Mischung und Anwendung der Farben, die ebenfalls gelernt werden mußte; meisterhafte Zeichnungen mußten auf die Mauer getragen werden, und Verfertigung der Cartone war eine 55 lehrreiche viel umfassende Arbeit. An allem diesem nahmen die Schüler, je nach ihrem Kunstvermögen mehr oder weniger Antheil; und da alles auf das eigentliche Malen abgesehen war, denn andre Kunstzweige waren theils diesem untergeordnet, oder davon getrennt, theils noch weniger bekannt, so war auch Kenntniß und Behandlung der Farben von Anfang an ein Hauptgegenstand der Lehre. Farben mußten zurecht gemacht und auf die Palette getragen werden; Gründe anlegen, und, wenn sie weiter gekommen waren, Einzelnes untermalen, war die Arbeit der Schüler; gemeine Bestellungen wurden von ihnen besorgt, und in freien Stunden ahmten sie das Werk der Meister nach, lernten machen wie sie, in beschränkter Uebung unzerstreut und gründlich. So behielten sie immer das Ganze ihrer Kunst in Aug' und Hand, und dem strebenden Geist fehlte es nicht an Nahrung. Allerdings war es Mangel an besserm Wissen, daß diese Maler alles in die Gestalt und das Gewand ihrer Zeit kleideten; indeß ersetzten sie wieder durch Wahrheit und natürliches Leben, was ihnen an Costümkenntniß und Geschmack abging.

In neuern Zeiten sind der akademischen Lehranstalten wo alles zum Kunststudium gehörige mit Bequemlichkeit und Muße theoretisch und praktisch gelernt werden kann, so viele, und doch der großen Maler, die daher 56 ausgegangen, so wenige, daß man beinahe glauben sollte, die dort eingeführte Lehrart sey nicht die rechte. Und doch wird alles so gründlich behandelt, und in so geordneter Folge! Man fängt bei Strichen, geometrischen Figurumrissen an, und läßt die Lehrlinge daran so lange sich üben, bis Aug' und Hand hinlänglich, wie man es heißt, geübt, aber auch der Geist über den ewigen Strichen ermattet ist, und der Schüler, was man nicht selten zu sehen den Anlaß hat, das ungestörte Einschlafen über der Arbeit für die höchste Glückseligkeit hält. Dann geht es an das Runde, Gips nach leichten Antiken, zierliche Schraffuren, nackte Figuren, Anatomie, jedes in methodischer Ordnung, und zwar so lange bis der Zeichner sein Modell beinahe auswendig kann; alles mit Vorlesungen begleitet, damit der Künstler auch denken lerne. Kann er das, so werden die Regeln der Composition auseinander gesetzt, Mythologie, Geschichte und Alterthumskunde vorgenommen, von dem edlen Vortrag gesprochen; und den Weg zur Erfindung zeigen Professoren, die meistens keine Erfindung haben. – Dann erst kommt die Lehre der Farben und ihre praktische Anwendung, wo manches Ortes mit Grau in Grau der Anfang gemacht wird, welches wiederum nicht die Farbe der Natur ist, und lange fortgesetzt Aug' und Hand verwöhnt. Allein der akademische Jüngling hat sich in die 57 Höhe der Theorie schon so verstiegen, daß er nicht mehr zu der gemeinen Praxis hinunter zu steigen vermag. Die Zubereitung, die Mischung der Farben kömmt ihn schwer an; er hat sich bisher gewöhnt, die Gegenstände nur in farbenloser Gestalt zu schauen, nun soll er erst noch lernen, die Natur auch in ihrem Farbenspiel zu belauschen und nachzuahmen, er soll in ein ganz neues Detail eintreten, wieder Anfangsgründe beginnen, er der schon zeichnet wie ein Professor! Da ist aber das Auge schon zu lange an die bloße Betrachtung der Gestalt gewöhnt, und geht gleichsam durch die Farben unachtsam hindurch; es kann sich nicht mehr genügend herablassen oder erheben, einzig an der bunten Oberfläche der Dinge, an dem Spiel von Licht und Schatten mit forschender Liebe zu hängen, und aus dem Schmutz der Pallette mit mühsamen, oft vergeblichen Versuchen, die reinste, bleibendste, und dem malerisch empfundenen Gegenstand entspechendste Färbung herauszufinden.

So wird, wie sich der Fall nur zu oft ereignet, bei dem verspäteten Ergreifen des Farbenpinsels aus dem geschickten, nur zu vielseitig gebildeten Jüngling, mehr nicht als ein Zeichner, ein Maler ohne Farben, der, wenn der Geist der Kunst ob ihm waltet, dennoch Leben in sein Gebilde zu bringen wissen wird; hat er aber blos Verstand und Talent, wie sie der große Haufe rühmt, so wird er 58 zeitlebens Mühe haben, mehr als kalte Reminiscenzen der bis zur Uebersättigung einstudirten Antiken und akademischen Modelle zu liefern. Freilich kann er dann ein Kenner werden, so wie mancher, der den Geist der Poesie in ästhetischen und kritischen Lehrbüchern aufsuchte, zwar denselben verfehlte, und über den Regeln die Erfindung verlor, aber sein Urtheil schärfte, und ein beßrer Kunstrichter wurde, als der Dichter, den er bewunderte.

Zugegeben, daß in jener alten Zeit zu viel Empirie an manchem Erforderniß zu künstlerischer Vollendung hinderlich war, so ist hinwiederum auch gewiß, daß überladene Methode und akademischer Schlendrian den lebendigen Geist in Nebel des Halbwissens hüllen, oder in ängstliche Trockenheit fesseln. Mancher ist erst was rechtes geworden, wenn er diesen Schulstaub abgeschüttelt hat. Gelernt müssen freilich alle haben, die sich hervorthun wollen, gelehrte Maler aber von Bedeutung gab es selten oder nie, denn auch die waren es nicht, denen man gewöhnlich diese Benennung beilegt.

Es sey erlaubt, ein Erachten des wohlerfahrnen Sandrarts, dem seiner Zeit schon die verkehrte Verfahrungsweise Bedenken erregte, hier anzuführen. Er sagtDeutsche Academie. II. 315.:

59 »Es ist den Kunstmahlern eben so hoch nöthig, daß sie den Pensel und die Farben wohl verstehen, als daß sie gute Zeichner seyen, indem ich oft und viel, sonderlich bei den Italiänern, gesehen, daß ihre jungen Leute, welche früh zu zeichnen angefangen, die Reglen oder Theorie wohl verstanden, mündlich davon zu reden gewußt, und alle Antiken und Gemälde von Raphael meisterhaft nachgezeichnet, nicht weniger auch auf der Academie das Modell so wohl verstanden, daß sie dasselbe vernünftig aufs Papier gebracht, und also sowohl in der Zeichnung als Discursen davon trefflich beschlagen gewesen, welches alles sonder Zweifel wohl dienlich, um desto balder ein perfecter Mahler zu werden. Es sind aber gleichwohl dieselben, ob sie schon bis in die 30, 45, 50 und mehr Jahre darin verharret, dennoch sehr hart an das wohlmahlen kommen, ja meistentheils nimmermehr gute Mahler worden; so daß sie dasjenige was sie mit der Feder, oder mit schwarz und rother Kreide gar leicht und gerecht auf das Papier gezeichnet, durch Pensel und Farbe (so doch viel vortheilhafter ist, und mehrere Perfection mit minderer Mühe an die Hand giebt) natürlich zu mahlen nicht vermocht. – Andre hingegen, sonderlich die Niederländer, werden von Jugend auf durch Farben und Pensel Gebrauch ohne 60 besondere Zeichnung, nur durch eine gute Idee und wohlangenommene Manier geleitet, daß sie im Colorit verwunderlich werden, und das Leben einfältig, natürlich, und fast wie es an sich selbst ist, vorstellen. Wenn sie aber selbst etwas Wichtiges inventiren, componiren, oder ordiniren sollen, so fehlt es ihnen gar weit und bleiben nur gute Copisten, wie die andern nur Zeichner auf Papier; da doch unsre Kunst beide Theile zugleich erfordert und haben soll, wenn sich einer der Perfection rühmen will.« 61

 


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